TE OGH 1987/5/26 10Os56/87

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Veröffentlicht am 26.05.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Mai 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kleindienst-Passweg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Reinhold J*** wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20. Jänner 1987, GZ 10 Vr 3118/86-37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben sowie die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Reinhold J*** der Verbrechen (zu I. A. 3.) der schweren Nötigung nach §§ 1o5 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB und (zu II.) der (teils vollendeten, teils versuchten) Nötigung zum Beischlaf nach §§ 202 Abs. 1, 15 StGB sowie der Vergehen (zu I. A. 1., 2. und 4., B.) der (teils vollendeten, teils versuchten) Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 15 StGB und (zu III.) der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er

I. Roswitha L*** teils durch gefährliche Drohung und teils mit Gewalt vorsätzlich zu Handlungen und Unterlassungen (A.) genötigt, und zwar (1.) am 15.August 1986 in Feldbach durch die Ankündigung, er werde sich ihren Freund "vorknöpfen" und ihn bei dieser Gelegenheit erschlagen - zur gemeinsamen Fahrt nach Graz, (2.) am selben Tag in Graz durch Zerren an den Haaren und Halten an den Oberarmen - zur Abstandnahme von einer Flucht vor ihm, (3.) am 22. August 1986 in Feldbach durch Zerren an den Haaren, Erfassen an den Oberarmen und die Ankündigung "jetzt mach ich dich kalt", also durch eine Drohung mit dem Tod, wobei er sie ohrfeigte und ein Fixiermesser mit einer 20 cm langen Klinge erhob - zur Begleitung, und (4.) am 30.August 1986 in Feldbach durch die Ankündigung, er werde ihren Freund umbringen - abermals zur gemeinsamen Fahrt nach Graz, sowie (B.) am 8.September 1986 in Feldbach durch die Ankündigung, er werde ihr den Schädel herunterschneiden und sie sowie ihren Freund "kalt machen", ihr Leben hänge an einem seidenen Faden - zur Beendigung ihrer Lebensgemeinschaft mit Herbert K***;

II. Roswitha L***, also eine Person weiblichen Geschlechts, (außer dem Fall der Notzucht) mit Gewalt und durch gefährliche Drohung zum außerehelichen Beischlaf (1.) teils genötigt, und zwar am 15.August 1986 in Graz nach den zu I. A. 1. und 2. bezeichneten Handlungen, indem er sie an den Haaren zog und ankündigte, er werde ihr den Schädel herunterschneiden, sie ohrfeigte und ihr mit dem Umbringen drohte sowie ihr die Kleider herunterzog, und (2.) teils zu nötigen versucht, und zwar am 24.August 1986 in Kornberg, indem er ihr zwei kräftige Ohrfeigen versetzte und sie aufforderte, sich zu ihm zu legen und einen Geschlechtsverkehr mit ihm durchzuführen, wobei die Vollendung der Tat nur infolge ihrer heftigen Gegenwehr unterblieb; sowie

III. in der Zeit zwischen dem 6. und dem 8.September 1986 in Oberweißenbach dadurch, daß er in zwei Angriffen mit einem Fixiermesser insgesamt sechs Reifen an zwei Personenkraftwagen des Herbert K*** durchstach, fremde Sachen beschädigt und dadurch 3.000 S Schaden herbeigeführt.

Der - auf § 281 Abs. 1 Z 1, 3, 4, 5 und 9 lit a StPO gestützten - Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen dieses Urteil kommt schon aus der Verfahrensrüge (Z 4) Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

In sämtlichen (sieben) Nötigungs-Fakten beruht der Schuldspruch entscheidend auf den für ihn belastenden Angaben der jeweils einzigen unmittelbaren Tatzeugin Roswitha L***, die das Erstgericht als glaubwürdig beurteilte (US 5 vso/6), und selbst in Ansehung der Sachbeschädigung wird das verurteilende Erkenntnis zumindest gleichrangig mit deren Schlußfolgerungen aus seiner Reaktion auf ihre Frage nach seiner Täterschaft begründet (US 8 vso/9). Dabei ging das Schöffengericht davon aus, daß Roswitha L***, die vormals ständige Freundin des Beschwerdeführers, ehe er eine mehrjährige Strafhaft antrat, und Mutter eines aus jener Verbindung stammenden, während seiner Haft geborenen Kindes (US 3 f., 5 vso, 9 vso), ihre andauernde und durch die inkriminierten Nötigungen sowie Nötigungsversuche immer wieder von neuem entfachte Angst vor ihm auch ihrer Schwester Hildegard L***, ihrer (als Freundin ihres Bruders so genannten) "Schwägerin" Anita T***, dem Gendarmeriebeamten Alois K***, ihrem nunmehrigen Lebensgefährten Herbert K*** und ihrer Mutter Gertrude L*** gegenüber deponierte, nach außen hin aber "ihren Angstgefühlen und Depressionen nicht ostentativ Ausdruck verlieh", sondern - sogar bei ihrem Bruder Karl S*** - einen "normalen", nicht eingeschüchterten Eindruck erweckte und sich in Anwesenheit Dritter nie so verhielt, daß diese daraus "auf ihre Zwangssituation hätten schließen können (US 5 vso bis 8 vso).

Demzufolge wies es (auch) den Antrag des Angeklagten auf Vernehnung der Zeugen Gudrun S*** und Günther G*** mit der Begründung ab, daß die Zeugin Roswitha L*** den von ihr erweckten äußeren Eindruck "selbst bereits so geschildert" habe, daß "ihre Zwangssituation und ihre Angst für Außenstehende nicht wahrnehmbar" gewesen seien (S 242, US 7 vso).

Mit diesem Antrag hat aber der Beschwerdeführer nicht bloß die Nichterkennbarkeit einer für Roswitha L*** gegebenen Zwangssituation, also einen von ihr erweckten "normalen", nicht eingeschüchterten Eindruck, für Dritte unter Beweis gestellt (wie auch mit anderen Anträgen), sondern die Vernehmung der in Rede stehenden Zeugen mit eingehender Begründung zudem zum Nachweis dafür angeboten, daß die Genannte von ihnen in der Nacht vom 15. zum 16. August 1986, in der sie der Anklage - und den Urteilsfeststellungen (US 3 vso/4) - zufolge (erstmals) von ihm vorerst durch Drohungen zu einer gemeinsamen Fahrt nach Graz genötigt, dort beim Besuch von Gastlokalen mehrmals mit Gewalt an Fluchtversuchen gehindert und schließlich in seiner Wohnung durch Drohungen sowie mit Gewalt zum wiederholten Beischlaf genötigt wurde, bevor es ihr nach seinem Einschlafen gelang zu entkommen (Fakten I. A. 1. und 2., II. 1.), in einem von zwei Kaffeehäusern, die sie anscheinend freiwillig mit ihm besucht habe, sogar beim gemeinsamen "Schmusen" und dabei beobachtet worden sei, wie sie allein das Lokal verlassen und eine Autoapotheke geholt habe, mit der sie dann freiwillig wieder zurückgekehrt sei (S 238 f.). Daß das Erstgericht auch eine derartige Sachverhaltsvariante, aus der an sich gewiß eher auf ein freiwilliges Beisammensein mit ihm geschlossen werden könnte als auf eine in Wahrheit für sie gegebene Zwangslage, in der mehrere Fluchtversuche ihrerseits von ihm mit Gewalt vereitelt worden waren, in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hätte, ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen, sodaß nicht ausgeschlossen werden kann, daß es für den Fall ihrer Erweislichkeit insgesamt zu einer (für ihn günstigeren) anderen Beurteilung der mehrfach genannten Belastungszeugin in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit gelangt wäre. Ebensowenig läßt die Eventualbegründung zur Antragsabweisung (S 243) erkennen, aus welchen Gründen die vom Verteidiger (laut S 238) bekanntgegebenen Anschriften des Zeugen G*** in 8020 Graz, Keesgasse 1 oder 3, ehemaliges Cafe "F***", und der Zeugin S*** in Graz, Griesgasse, Cafe S***, unter der ihr die Vorladung zur Hauptverhandlung für den 20.Jänner 1987 (laut Rückschein ON 36) - obgleich durch Hinterlegung - sogar zugestellt wurde, nicht "ladungsfähig" sein sollten.

Im Interesse einer beruhigenden Aufklärung des - für den Beschwerdeführer, der mit dem angefochtenen Urteil zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, im Fall eines Schuldspruchs mit schwerwiegenden Konsequenzen verbundenen - Sachverhalts hätte daher das Schöffengericht die beantragte Vernehmung der Zeugen G*** und S*** nicht ablehnen dürfen. Schon die mit der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Angeklagten verbundene Urteilsnichtigkeit (Z 4) läßt eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz als unumgänglich erscheinen, ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedarf. Zu den Anklage(und Urteils-) Fakten I. A. 2. und 3. im besonderen werden im zweiten Rechtsgang (gegebenenfalls) eindeutige und zureichend begründete Feststellungen darüber zu treffen sein, ob der Angeklagte im einen Fall mit den (ihm angelasteten) Tätlichkeiten gegen Roswitha L*** vorsätzlich eine nötigende, also - um sie zu einem ihren wahren Intentionen zuwiderlaufenden, aber zur Vermeidung weiterer derartiger Beschwernisse zu fassenden, ihm genehmen Willensenschluß zu veranlassen - willensbeugende Gewalt ausübte oder sie jeweils (bloß) gegen ihren ihm weiterhin widerstrebenden Willen festhielt (vgl RZ 1979/48 ua) und ob er im anderen Fall die Genannte mit den (inkriminierten) Tätlichkeiten und Drohungen tatsächlich zu einem bestimmten Verhalten nötigen oder (lediglich) in Furcht und Unruhe versetzen (§ 107 StGB) wollte.

Anmerkung

E10814

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0100OS00056.87.0526.000

Dokumentnummer

JJT_19870526_OGH0002_0100OS00056_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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