TE Vfgh Erkenntnis 2008/3/5 V44/07 ua

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Veröffentlicht am 05.03.2008
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litb
GeschwindigkeitsbeschränkungsV der Stadt Feldkirch vom 31.03.04 betr eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h in bestimmten Zonen
StVO 1960 §20 Abs2a, §43, §94d

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer vom Bürgermeister im übertragenenWirkungsbereich erlassenen Geschwindigkeitsbeschränkung in bestimmtenZonen der Stadt Feldkirch wegen Unzuständigkeit derverordnungserlassenden Behörde; Zuständigkeit der Gemeinde zurErlassung einer solchen Verordnung im eigenen Wirkungsbereich

Spruch

Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch vom 31. März 2004, Z04 00725, mit der in bestimmten Zonen in der Stadt Feldkirch eine Geschwindigkeitsbeschränkung erlassen wurde, war gesetzwidrig.

Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch

vom 19. Jänner 1994 wurde in bestimmten Zonen in der Stadt Feldkirch eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h erlassen.

1.2. In der Folge erließ der Bürgermeister der Stadt Feldkirch am 31. März 2004 eine Verordnung folgenden Inhalts:

"Verordnung

des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch in Anwendung der Bestimmungen des §94 c Abs1 StVO 1960 iVm der Verordnung der Vlbg. Landesregierung über den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde in Angelegenheiten der Straßenpolizei, LGBl. Nr. 30/1995, sowie des §67 Abs1 GG LGBl. Nr. 40/1985.

Die Verordnung vom 19.01.1994, 220-125/93-Wa-Je, wird gem. §43 Abs1 litb StVO 1960 wie folgt geändert:

In der Anlage zu §1 sind nach der 'Zone Ortszentrum Gisingen' die Straßenzüge 'Rüttenenstraße bis Höhe Kreisverkehr mit der Ketschelenstraße, Tomalagasse, Schleipfweg bis Haus Nr. 11', anzuführen und beim Straßenzug 'Runastraße' ist der Wortlaut 'bis zur Kreuzung mit der Tomalagasse' hinzuzufügen.

Diese Verordnung ist durch das Aufstellen des Verkehrszeichen 'Zonenbeschränkung - 30 km Zone' nach §52 a Abs11a StVO 1960 und das Verkehrszeichen nach §52 a Abs11b StVO 1960 'Ende einer Zonenbeschränkung' kundzumachen.

Der Bürgermeister:

... "

1.3. Mit Verordnung des Stadtrates der Stadt Feldkirch vom 18. Juli 2005 wurde die Erweiterung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h mit dem gleichen Wortlaut wie die Verordnung des Bürgermeisters vom 31. März 2004 erlassen.

Mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch vom 11. August 2005 wurde die angefochtene Verordnung aufgehoben.

2. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (im Folgenden: UVS) sind mehrere Verwaltungsstrafverfahren anhängig, in welchen den Beschuldigten jeweils vorgeworfen wird, als Lenker näher bezeichneter Kraftfahrzeuge in Feldkirch die im Bereich der Rüttenenstraße zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten zu haben. Die Tatorte und Tatzeiträume liegen jeweils innerhalb des örtlichen und zeitlichen Geltungsbereiches der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch vom 31. März 2004.

Aus Anlass dieser Verfahren entstanden beim UVS Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung. Gestützt auf Art139 Abs1 B-VG iVm Art129a Abs3 und Art89 Abs2 und 3 B-VG stellte er die zu V44/07 und V45/07 protokollierten Anträge. Begründend wird ausgeführt:

"... Der Unabhängige Verwaltungssenat hat den entsprechenden

Verordnungsakt der Stadt Feldkirch eingeholt. Aus diesem Akt ergibt sich, dass der Bürgermeister der Stadt Feldkirch in Anwendung der Bestimmung des §94c Abs1 StVO 1960 iVm der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde in Angelegenheiten der Straßenpolizei, die Verordnung

vom 19.01.1994 ... insofern geändert hat, als ua auch die

Rüttenenstraße (gegenständlicher Tatort) einbezogen wurde.

Seit der am 14.07.1994 in Kraft getretenen 19. StVO-Novelle muss eine solche Verordnung über 'Zonenbeschränkung' (§52a Z11a StVO) nach §94d Z4 d StVO von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erlassen werden. Die gegenständliche Verordnung wurde vom Bürgermeister der Stadt Feldkirch im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde anstelle der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen (§94c StVO).

        Die gegenständliche Verordnung vom 31.03.2004 ... wurde mit

Verordnung vom 11.08.2005 ... aufgehoben und mit Verordnung vom

11.08.2005 (Erweiterung der Tempo 30 Zone 'Ortszentrum Gisingen')

wurde die Verordnung vom 19.01.1994 ... geändert. Zum Tatzeitpunkt

... war jedoch eine gesetzwidrige Verordnung in Kraft."

3. Der Bürgermeister der Stadt Feldkirch legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der er ausführt, dass mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch vom 31. März 2004 die mit Verordnung des Bürgermeisters vom 19. Jänner 1994 in bestimmten Zonen in der Stadt Feldkirch erlassene Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h erweitert worden sei. Unter anderem sei in der "Zone Ortszentrum Gisingen" der Straßenzug "Rüttenenstraße bis Höhe Kreisverkehr mit der Ketschelenstraße" aufgenommen worden. Bei Erlassung dieser Verordnung sei übersehen worden, dass mit der 19. StVO-Novelle die Zuständigkeit zur Erlassung von Verordnungen nach §20 Abs2a Straßenverkehrordnung 1960 (im Folgenden: StVO 1960) in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde übertragen worden sei. Zum Tatzeitpunkt sei die am 31. März 2004 vom Bürgermeister im übertragenen Wirkungsbereich erlassene Verordnung zur Erweiterung der Geschwindigkeitsbeschränkung "Ortszentrum Gisingen" in Kraft gewesen. Der Stadtrat von Feldkirch als zuständige Behörde habe jedoch in der Sitzung vom 18. Juli 2005 eine entsprechende Änderung der angefochtenen Verordnung beschlossen, welche am 11. August 2005 kundgemacht worden sei.

4. Die Vorarlberger Landesregierung erstattete keine Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).

1.2. Beide Verordnungsprüfungsanträge sind auf die Aufhebung der gesamten Verordnung gerichtet.

Es ist offenkundig, dass der UVS bei seinen Entscheidungen über die bei ihm anhängigen Berufungsverfahren, die den Anlass für die vorliegenden Verordnungsprüfungsanträge bilden, die vom Bürgermeister der Stadt Feldkirch erlassene Verordnung vom 31. März 2004 anzuwenden hat. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind sohin insoweit gemäß Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 und 3 sowie Art139 Abs1 B-VG zulässig. Im Hinblick auf das unter Punkt 3. dargestellte Ergebnis des Verordnungsprüfungsverfahrens und die daraus gezogene Schlussfolgerung erübrigt sich eine nähere Abgrenzung des präjudiziellen Teiles der Verordnung (vgl. VfSlg. 13.943/1994, 14.985/1997).

2. In der Sache:

2.1. Gemäß dem unter der Überschrift "Übertragener Wirkungsbereich der Gemeinde" stehenden §94c Abs1 1. und 2. Satz StVO 1960 kann die Landesregierung "durch Verordnung von der Bezirksverwaltungsbehörde zu besorgende Angelegenheiten (§94b), die nur das Gebiet einer Gemeinde betreffen, wenn und insoweit dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit gelegen ist, dieser Gemeinde übertragen. Bei der Besorgung der übertragenen Angelegenheiten tritt die Gemeinde an die Stelle der Bezirksverwaltungsbehörde".

§94d StVO 1960, der die Überschrift "Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde" trägt, zählt jene Angelegenheiten auf, die von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen sind. §94d StVO 1960 idF der 18. StVO-Novelle, BGBl. I 522/1993, sah die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen durch die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich nicht vor. Seit der 19. StVO-Novelle, BGBl. I 518/1994, enthält §94d StVO 1960 die Zuständigkeit der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich u.a. zur Erlassung von Verordnungen nach §20 Abs2a StVO 1960 sowie zur Erlassung von Verordnungen nach §43 StVO 1960, mit denen Geschwindigkeitsbeschränkungen erlassen werden.

2.2. Angesichts dieser Rechtslage war die Erlassung der angefochtenen Verordnung im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde offenkundig gesetzwidrig. Der antragstellende UVS ist somit im Recht, die Verordnung wurde von einer unzuständigen Behörde erlassen.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art139 Abs3 litb B-VG "die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben", wenn er zu der Auffassung gelangt, dass diese von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde und die Aufhebung der ganzen Verordnung offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei nicht zuwiderläuft. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Gemäß Art139 Abs4 B-VG gilt Abs3 leg.cit. sinngemäß bei der Feststellung, dass eine Verordnung gesetzwidrig war.

Da die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch vom 31. März 2004 nicht mehr in Kraft ist, hat sich der Verfassungsgerichtshof auf den Ausspruch zu beschränken, dass die Verordnung zur Gänze gesetzwidrig war.

Die Verpflichtung zur Kundmachung dieser Feststellung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Straßenpolizei örtliche,Wirkungsbereich übertragener, Geschwindigkeitsbeschränkung,Behördenzuständigkeit, Verordnungserlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:V44.2007

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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