TE OGH 1987/9/1 2Ob624/87

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Veröffentlicht am 01.09.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers und Gegner der gefährdeten Partei Johann H***, Pensionist, Resthofstraße 17, 4400 Steyr, vertreten durch Dr. Walter Christl, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte und gefährdete Partei Klara H***, Hausfrau, Resthofstraße 15, 4400 Steyr, vertreten durch Dr. Maximilian Polak, Rechtsanwalt in Enns, wegen Ehescheidung und einstweiligen Unterhaltes, infolge Revisionsrekurses des Klägers und Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 16.März 1987, GZ 5 R 39/87-32, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Steyr vom 16.Jänner 1987, GZ 2 Cg 15/86-21, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Estgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte und gefährdete Partei hat dem Kläger und Gegner der gefährdeten Partei die mit S 2.357,85 bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin enthalten S 214,35 Umsatzsteuer) und die mit S 2.549,25 bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten S 231,75 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die beklagte und gefährdete Partei (in der Folge: Beklagte) begehrt die Zuerkennung eines einstweiligen Unterhaltes in der Höhe von S 3.000 monatlich.

Der Kläger und Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Kläger) wendete ein, die Beklagte habe ihren Unterhaltsanspruch verwirkt, weil sie ihn grundlos verlassen habe und keine Haushaltsarbeiten mehr verrichte.

Das Erstgericht wies den Antrag der Beklagten ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der am 28.8.1908 in Rumänien geborene Kläger und die am 1.1.1932 in Ungarn geborene Beklagte schlossen am 21.9.1985 in Österreich die Ehe. Der Kläger ist Österreicher, die Beklagte Konventionsflüchtling. Seit Juli 1982 lebt bei der Beklagten deren am 12.4.1981 in Australien geborene Enkelin. Die Streitteile heirateten nach relativ kurzer Bekanntschaft. Die Beklagte wollte mit der Eheschließung primär erreichen, daß ihre Enkeltochter, deren Rückkehr nach Australien bereits behördlich gefordert wurde, weiterhin bei ihr in Österreich bleiben könne. Außerdem erhoffte die Beklagte eine gewisse finanzielle Absicherung, die ihr der Kläger als Gegenleistung dafür zugesichert hatte, daß sie für ihn koche, den Haushalt versorge und seinen sexuellen Bedürfnissen nachkomme. Nach der Eheschließung zog die Beklagte mit der Enkeltochter zum Kläger in dessen Wohnung in der Resthofstraße 17, behielt aber ihre eigene Wohnung in der Resthofstraße 15 weiter. Der Kläger hatte ausgeprägte sexuelle Bedürfnisse und verlangte von der Beklagten, die vor einigen Jahren einen Herzinfarkt erlitten hatte, "mehr oder minder täglich geschle htliche Betätigungen ab". Dadurch, sowie wegen der Arbeit im Haushalt und durch Belastungen infolge einer Heimarbeit, fühlte sich die Beklagte zunehmend überfordert. Außerdem kam es - insbesondere wegen des Fernsehens - zwischen dem Kläger und dem Kind zu Streitigkeiten. Am 12.12.1985 verließ die Beklagte schließlich mit ihrer Enkelin die Wohnung des Klägers und zog wieder in ihre eigene Wohnung. Der Kläger war aufgrund des doch recht schwierigen Zusammenlebens damit einverstanden, zumal ihm die Beklagte zunächst weiter den Haushalt versorgte und für ihn kochte. Als sie ihm einige Tage später erklärte, künftig nicht mehr zu kommen, auch der Kläger brauche nicht zu ihr zu kommen, sie werde nicht mehr für ihn sorgen, beschloß der Kläger, ihr kein Geld mehr zu geben. Die Beklagte begründete ihr Verhalten damit, daß sich der Kläger an ihrer Enkeltochter in unsittlicher Weise vergangen und sie sogar vergewaltigt habe. Tatsächlich hatte der Kläger die Enkeltochter der Beklagten aber nicht sexuell mißbraucht. Der Kläger bezieht eine Rente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, die nach der Eheschließung wegen der Berufstätigkeit der Beklagten von S 8.931 netto auf S 6.707 reduziert wurde. Die Beklagte war vom 8.10.1985 bis 30.5.1986 als Heimarbeiterin beschäftigt und bezog (ohne Familienbeihilfe) während dieser Zeit insgesamt netto S 19.975. Sie beendete ihre Tätigkeit auf eigenen Wunsch aus gesundheitlichen Gründen und ist seither völlig einkommenslos und auf Sozialhilfe angewiesen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Beklagte habe den Kläger ohne triftigen Grund verlassen, sie komme unberechtigterweise ihren Verpflichtungen nicht mehr nach und könne somit auch keine Ansprüche gegen den Kläger stellen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten teilweise Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, daß der Beklagten mit einstweiliger Verfügung ab 12.7.1986 bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreites wegen Ehescheidung ein einstweiliger Unterhalt von monatlich S 2.000 zugesprochen wurde. Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig und führte aus, nur in besonders krassen Fällen bestehe kein Unterhaltsanspruch. Das Verlassen der Ehewohnung führe nur dann zur Unterhaltsverwirkung, wenn es ohne objektiv zureichenden Grund und subjektiv eindeutig vorwerfbar erfolgt sei. Seien Spannungszustände zwischen den Ehegatten gegeben, die zu einer Zermürbung im Zusammenleben führten, und verfüge der die Ehegemeinschaft verlassende Teil nicht mehr über die psychische Konstitution, um all das verkraften zu können, so verwirke er durch das Verlassen der ehelichen Gemeinschaft den Unterhalt nicht. Die Beklagte habe sich durch die häufigen geschlechtlichen Ansprüche des Klägers in gesundheitlicher Hinsicht überfordert gefühlt. Wenn dies auch kein objektiv hinreichender Grund für die von der Beklagten gezogene Konsequenz - ohne vorherigen Versuch einer anderen Abhilfe - sein möge, sei der Beklagten der Wegzug doch nicht dermaßen vorwerfbar, daß man von einem besonders krassen Fall sprechen könne. Der Kläger bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs und beantragt die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes.

Die Beklagte beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, da die Frage, ob ein Rechtsmißbrauch im Sinne des § 94 Abs 2 ABGB vorliegt, nicht die Unterhaltsbemessung im Sinne des § 502 Abs 2 Z 1 ZPO betrifft (EFSlg.49.362 uva) und die Entscheidung von der Lösung einer Frage des materiellen Rechts abhängt, der erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (§ 528 Abs 2 ZPO) zukommt, da die Entscheidung des Rekursgerichtes nicht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entspricht.

Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Das Rekursgericht führt zwar zutreffend aus, daß nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eine Unterhaltsverwirkung nur bei besonders krassen Verfehlungen eintritt (EFSlg.42.555, 44.853 uva) und daß bei Beurteilung, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ein Rechtsmißbrauch wäre, ein strenger Maßstab anzulegen ist (EFSlg.42.553 uva). Entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes muß im vorliegenden Fall aber von einem Rechtsmißbrauch ausgegangen werden. Ein Mißbrauch des Rechts nach dem zweiten Satz des § 94 Abs 2 ABGB ist nämlich auch dann gegeben, wenn ein Ehegatte sich weigert, alle ihn aus der Ehe treffenden Verpflichtungen zu erfüllen, dessenungeachtet aber vom anderen Ehegatten die Leistung von Unterhalt fordert (vgl. EFSlg.39.981). Es ist sittenwidrig, daß ein Ehegatte, der schuldhaft selbst die gebotene eheliche Gesinnung vermissen läßt, finanzielle Vorteile aus der Ehe zieht, ohne bereit zu sein, die ihn selbst treffenden Verbindlichkeiten aus der Ehe zu erfüllen (EFSlg.37.542). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Ehe war für die Beklagte nach deren eigenen Aussage (ON 8, S.4) nicht von Interesse, sie tat alles wegen des Enkelkindes. Es steht fest, daß die Beklagte mit der Eheschließung primär erreichen wollte, daß das Enkelkind in Österreich bleiben könne, außerdem erhoffte die Beklagte eine gewisse finanzielle Absicherung, wofür sie dem Kläger "Gegenleistungen" zusicherte. Auch wenn man davon ausgeht, daß die Beklagte wegen "sexueller Überforderung" auszog und der Kläger zunächst damit einverstanden war, zumal ihn die Beklagte weiterhin versorgte und für ihn kochte, bestand kein Grund dafür, daß die Beklagte dann nicht mehr zum Kläger ging, ihn nicht mehr versorgte und ihm sagte, auch er solle nicht mehr zu ihr kommen. Der als Grund angegebene sexuelle Mißbrauch der Enkeltochter durch den Kläger entsprach nicht den Tatsachen. Entgegen der in der Beantwortung des Revisionsrekurses vertretenen Ansicht ist nicht nur davon auszugehen, daß ein sexueller Mißbrauch nicht erwiesen ist, vielmehr steht fest, daß ein derartiger Mißbrauch nicht erfolgte. Ein sachlicher Grund, jeglichen Kontakt mit dem Kläger abzubrechen, bestand daher nicht. Trotzdem lehnt es die Beklagte nicht nur ab, zum Kläger zurückzukehren, sondern auch für ihn Haushaltsarbeiten zu verrichten. Nach ihrer Aussage (ON 8, S.7) ändere sich daran auch nichts, wenn das Kind nach Australien zurückkehrt. Die Beklagte weigert sich somit, alle Pflichten, die sie als Ehefrau treffen, zu erfüllen, besteht jedoch darauf, vom Kläger Unterhalt zu erhalten. Dies ist aber - wie oben ausgeführt - sittenwidrig, die Geltendmachung des Unterhaltes stellt einen Rechtsmißbrauch im Sinne des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB dar.

Zu den im Rekurs gegen die Entscheidung des Erstgerichtes gerügten Feststellungsmängeln - das Rekursgericht erachtete die Feststellungen für eine Bejahung des Unterhaltsanspruches für ausreichend - sei bemerkt, daß die Beklagte kein entsprechendes Vorbringen in erster Instanz erstattet hatte, weshalb es sich um im Rekurs unzulässige Neuerungen handelt (EFSlg.46.920 uva). Aus diesen Gründen war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz beruht auf den §§ 41, 50 ZPO und 78, 402 EO. Die für den Revisionsrekurs verzeichnete Pauschalgebühr war nicht zuzusprechen, weil nach dem Gerichtsgebührengesetz 1984 für Revisionsrekurse betreffend einstweilige Verfügungen im Rahmen eines Zivilprozesses keine Pauschalgebühr zu entrichten ist.

Anmerkung

E11543

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00624.87.0901.000

Dokumentnummer

JJT_19870901_OGH0002_0020OB00624_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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