TE OGH 1987/11/6 15Os105/87

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Veröffentlicht am 06.11.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat am 6.November 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alfred W*** und Alois S*** wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Alfred W*** und Alois S*** sowie der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich beider Angeklagten), ferner die Berufungen des Angeklagten Alois S*** und der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich beider Angeklagten) gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 13.Mai 1987, GZ 8 Vr 976/85-16, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, der beiden Angeklagten sowie deren Verteidiger Dr. Fried und Dr. Pramer zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches ansonsten unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten Alois S*** laut Punkt 3 des Urteilssatzes, in dem (lediglich in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebrachten) Teilfreispruch des Angeklagten Alfred W*** von der Anklage wegen Veruntreuung von weiteren 68.245,36 S und wegen eines auch darin gelegenen Mißbrauchs der Amtsgewalt (über die Schuldsprüche des Angeklagten W*** laut den Punkten 1 und 2/a hinaus), ferner im Freispruch des Angeklagten S*** laut Punkt 1, des Angeklagten W*** laut Punkt 2 und beider Angeklagten laut Punkt 3 des Urteilssatzes sowie im Strafausspruch über die beiden Angeklagten aufgehoben; die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen.

II. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten W*** wird verworfen.

III. Der Angeklagte S*** wird mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung hinsichtlich des Angeklagten W*** auf diese Entscheidung verwiesen.

IV. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten S*** wird zurückgewiesen.

V. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten W*** auch die Kosten des ihn betreffenden Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Alfred W*** (zu Punkt 1 des Urteilssatzes) des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und (zu Punkt 2) des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB sowie Alois S*** (zu Punkt 3) des Vergehens der falschen Beurkundung im Amt nach § 311 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben in Schärding

1) Alfred W*** in der Zeit vom 13.Jänner 1984 bis 17.Juni 1985 ein ihm anvertrautes Gut in einem 100.000 S übersteigenden Wert, nämlich von ihm als Vollstrecker des Bezirksgerichtes Schärding bei verpflichteten Parteien eingetriebene Schuldbeträge und Gerichtsgebühren im Gesamtbetrag von 200.000 S sich mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er sie nicht an die betreibenden Parteien oder an das Gericht weiterleitete, sondern für sich verwendete;

2) Alfred W*** als Beamter, nämlich als Vollstrecker des Bezirksgerichtes Schärding, mit dem Vorsatz, dadurch andere an ihren Rechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht, indem er

a) in der Zeit vom 13.Jänner 1984 bis 17.Juni 1985 (vgl. Punkt 1) von verpflichteten Parteien im Rahmen von Exekutionsverfahren übernommene Geldbeträge (von 200.000 S) nicht an die betreibenden Parteien weiterleitete oder zur Beibringung von Gerichtskostenmarken verwendete und solcherart teils die Parteien in ihrem Recht auf Übermittlung der eingetriebenen Geldbeträge sowie teils den Staat in seinem Recht auf

Einhebung von Gerichtsgebühren schädigte; und

b) in der Zeit von 1983 bis Juni 1985 von verpflichteten Parteien im Rahmen von Exekutionsverfahren eingetriebene Geldbeträge nicht sofort an die betreibenden Parteien weiterleitete, sondern sie zunächst für sich verwendete und teilweise erst Monate später an die betreibenden Parteien überwies, wodurch diesen Zinsenverluste oder den verpflichteten Parteien zusätzliche Zinsenverpflichtungen entstanden; sowie

3) Alois S*** in der Zeit vom 16.Jänner 1984 bis Juni 1985 als Beamter des Bezirksgerichtes Schärding im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem (diesbezüglich straflosen) Alfred W*** in öffentlichen Urkunden, deren Ausstellung in den Bereich seines Amtes fiel, nämlich im E-Register und im Vollzugsbuch, durch das Abstreichen von Verfahren ohne Nachweis der tatsächlichen Bezahlung (der betriebenen Forderungen) und ohne tatsächliche Erledigung (der Vollzugsaufträge) wiederholt eine Tatsache mit dem Vorsatz fälschlich beurkundet, daß die Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis der Tatsache der ordnungsgemäßen Durchführung von Exekutionsverfahren gebraucht werden.

Hingegen wurden Alois S*** und Alfred W*** vom

Anklagevorwurf, das Verbrechen des Mißbrauchs der Amtsgewalt dadurch

gegangen zu haben, daß

1) Alois S*** in der Zeit vom 16.Jänner 1984 bis Juni 1985 als unmittelbarer Dienstvorgesetzter des Alfred W*** dessen Dienstverfehlungen, und zwar die nicht rechtzeitige Weiterleitung eingetriebener Geldbeträge an die betreibenden Parteien, dem Gerichtsvorsteher nicht meldete und die Quittungsblöcke nicht ordnungsgemäß kontrollierte;

2) Alfred W*** zwischen dem 4.Juni 1984 und dem 13.Mai 1985 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem diesbezüglich nach § 311 StGB schuldig erkannten Alois S*** anhängige Exekutionsverfahren sowohl im Vollzugsbuch als auch im E-Register tatsachenwidrig und ohne daß diese Akten einer weiteren Maßnahme zugeführt wurden, als erledigt abstrich; sowie

3) Alfred W*** und Alois S*** vom 9.Juli 1982 bis 19. Juni 1985 teilweise im bewußten und gewollten Zusammenwirken Aktenstücke in Schreibtischladen, zu Hause oder an anderen Orten aufbewahrten, ohne sie den entsprechenden Akten zuzuführen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Zwar nicht im Urteilsspruch, jedoch inhaltlich der Urteilsbegründung (US 9, 10, 20) der Sache nach ebenfalls mit Freispruch erledigt wurde die zusätzliche Anklage, Alfred W*** habe das Verbrechen der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB sowie das Verbrechen des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB auch im Zusammenhang mit der Zueignung weiterer bei verpflichteten Parteien eingetriebener Bargeldbeträge von insgesamt 68.245,36 S begangen (Mayerhofer-Rieder, StPO2, E 4, 64 a, 82, 84 zu § 259; E 8, 9 zu § 281 Abs 1 Z 7).

Rechtliche Beurteilung

Den freisprechenden Teil des Erkenntnisses (einschließlich des nur den Urteilsgründen zu entnehmenden Freispruchs) sowie den Schuldspruch des Alois S*** wegen § 311 StGB und (zu Gunsten dieses Angeklagten) den darauf gegründeten Strafausspruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der Angeklagte Alfred W*** wendet sich unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO nur gegen den Schuldspruch wegen Verbrechens der Veruntreuung (Punkt 1) und läßt jenen wegen Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt (Punkt 2) ausdrücklich unbekämpft. Der Angeklagte Alois S*** schließlich ficht den ihn betreffenden Schuldspruch (Punkt 3) mit Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO an.

Nur die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet.

Dazu ist zunächst zu resümieren:

Die Anklage zielte inhaltlich auf drei Arten von Amtsmißbrauch:

I. Nichtablieferung (zugleich Veruntreuung) und verspätete Ablieferung einkassierter Beträge; II. Nichterledigung von Akten; und III. Nichterledigung einzelner Anträge. Insoweit richten sich die Anklagevorwürfe

zu I.:

-

gegen W*** wegen Zueignung einkassierter Beträge (Anklagepunkt 2/a in bezug auf Anklagepunkt 1)

-

gegen W*** wegen verspäteter Weiterleitung einkassierter Beträge (Anklagepunkt 2/b);

-

gegen S*** wegen Vernachlässigung der Dienstaufsicht und Abstreichen vollzogener Exekutionen im E-Register ohne Überprüfung der Gebarung mit den kassierten Beträgen, subjektiv allerdings nur mit Bezug auf deren (bloß) verspätete Weiterleitung (Anklagepunkt 2/c);

zu II.:

-

gegen W*** und S*** wegen des Nichtvollzuges von Exekutionen sowie deren Abstreichen im Vollzugsbuch und im E-Register (Anklagepunkt 2/d); und

zu III.:

-

gegen W*** und S*** wegen des Ausschlusses der

betreffenden Aktenstücke von einer geschäftsordnungsgemäßen Erledigung durch ihre Verwahrung außerhalb der Akten (Anklagepunkt 2/e).

Das Erstgericht hat

zu I. und II.

den Angeklagten W***

-

gemäß Anklagepunkt 2/a in bezug auf Anklagepunkt 1 grundsätzlich, jedoch betragsmäßig nicht im vollen Umfang, verurteilt (Schuldspruch 2/a in bezug auf Schuldspruch 1);

-

gemäß Anklagepunkt 2/b verurteilt (Schuldspruch 2/b); hingegen

-

vom Anklagepunkt 2/d freigesprochen, weil er diese Akten im Vollzugsbuch und im E-Register nur zur Verschleierung seiner bereits vorher begangenen strafbaren Handlungen (Veruntreuung und Amtsmißbrauch lt. Schuldspruch 1 und 2/a = Anklagepunkt 1 und 2/a) abgestrichen oder sich am Abstreichen durch S*** beteiligt habe (Freispruch 2), wobei es verkannte, daß es sich hier (Anklagepunkt 2/d) um noch gar nicht vollzogene Exekutionen handelte, wogegen das Abstreichen bereits vollzogener Exekutionen zur Deckung von Veruntreuung und Amtsmißbrauch lt. Schuldspruch 1 und 2/a ohnedies nur S*** (und zwar lt. Anklagepunkt 2/c) und nicht auch W*** angelastet worden war; sowie

den Angeklagten S***

- gemäß Anklagepunkt 2/c, jedoch nur wegen des Abstreichens vollzogener Exekutionen im E-Register ohne Vorliegen eines Zahlungsnachweises, und gemäß Anklagepunkt 2/d, jedoch nur wegen des Abstreichens noch nicht vollzogener Exekutionen im Vollzugsbuch und E-Register, jeweils bloß wegen Vergehens der falschen Beurkundung im Amt nach § 311 StGB verurteilt (Schuldspruch 3), allerdings vom Anklagepunkt 2/c wegen Vernachlässigung der Dienstaufsicht freigesprochen, weil es sich dabei nicht um die Schädigung eines konkreten Rechtes gehandelt habe (Freispruch 1), und in bezug auf Anklagepunkt 2/d den Vorwurf der Verweigerung eines künftigen Vollzuges übergangen, wobei es verkannte, daß es jeweils um konkrete Parteienrechte in konkreten Exekutionsverfahren ging; und

zu III.:

die Angeklagten W*** und S*** vom Anklagepunkt 2/e freigesprochen, weil auch dabei keine konkreten Rechte verletzt worden seien (Freispruch 3), wobei es verkannte, daß die nicht erledigten Anträge sehr wohl konkrete Parteienrechte in konkreten Exekutionsverfahren betrafen.

Im einzelnen ist zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft auszuführen:

              1.              Zum (lediglich in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebrachten) Teilfreispruch des Angeklagten W*** von der Anklage wegen Veruntreuung von weiteren 68.245,36 S und wegen eines auch darin gelegenen Amtsmißbrauchs:

Den Umfang der Veruntreuung und des mit ihr idealkonkurrierenden Amtsmißbrauchs bezifferte die Staatsanwaltschaft (lt. Anklagepunkt 1 und 2/a) mit 268.245,36 S und stützte sich dabei auf die vom Zeugen Josef P*** im Rahmen seines Berichtes über die Amtsuntersuchung beim Bezirksgericht Schärding angestellten Berechnungen (ON 5). Demgegenüber nahm das Erstgericht im Urteil nur einen Schaden von 200.000 S als erwiesen an.

Diese Differenz und den darin gelegenen faktischen Teilfreispruch in Ansehung von 68.245,36 S begründete das Erstgericht mit der Aussage des Zeugen Eduard B***, der sich später zur Ermittlung der Höhe der (aus der Veruntreuung eingetriebener Gelder resultierenden) Amtshaftungsansprüche gegen die Republik Österreich (im Gegensatz zum Zeugen P***) mit den Gläubigern in Verbindung gesetzt hat, und aus der sich ergebe, daß die gesamte Schadenssumme "nur an Kapital" bei ca. 200.000 S liege. Daraus folge, daß W*** auch ohne Belege Zahlungen an betreibende Gläubiger weitergeleitet haben müsse (US 19/20).

Die dagegen erhobene Mängelrüge (Z 5) der Staatsanwaltschaft ist berechtigt: der Zeuge B*** bezifferte die Höhe der geltend gemachten Amtshaftungsansprüche mit 247.185,62, wobei im Hinblick darauf, daß er nur bei den Gläubigern ermittelte, schon ungeklärt bleibt, ob in diesem Betrag jene Fälle mitberücksichtigt sind, in denen die Verpflichteten nach Veruntreuung ihrer ursprünglichen Zahlungen durch den Angeklagten W*** diese ein zweites Mal geleistet haben (US 11; vgl. Pkt. 2 des Berichtes ON 30 im Beiakt Jv 8190-17.5/85 des Oberlandesgerichtes Linz). Vor allem bestätigte aber der Zeuge B*** bloß auf eine gezielte Frage des Vorsitzenden, daß 247.000 S "auf jeden Fall 200.000 S Kapital" seien (S 518/I), wobei aber nach Aussage und Urteil unklar ist, ob damit nur das Kapital der betriebenen Forderungen gemeint ist, welches deshalb unerheblich wäre, weil W*** ja jeweils auch Zinsen und Kosten kassiert und veruntreut hat, oder ohnedies die (alle diese Titel umfassende) Gesamtsumme der veruntreuten Zahlungen (als für die Amtshaftungsansprüche aktuelles, insoweit um die weiterlaufenden Zinsen zu vermehrendes "Kapital"). Die Begründung für die Reduzierung der vom Zeugen P*** ermittelten Schadenssumme, die das Erstgericht als grundsätzlich unbedenklich ansah, ist deshalb in der Tat nur offenbar unzureichend, denn bei der aus der Differenz abgeleiteten Schlußfolgerung, W*** müsse auch ohne Belege Zahlungen an die betreibenden Gläubiger weitergeleitet haben, handelt es sich augenscheinlich nur um einen Zirkelschluß, indem die erst zu beweisende Tatsache (Schadensbetrag) schon als Prämisse vorausgesetzt wird.

Eine zur Abklärung der Frage nach einer allfälligen Mitberücksichtigung von Doppelzahlungen der Verpflichteten bei der Schadensbezifferung durch den Zeugen B*** notwendige wertende Beurteilung des Inhalts der erwähnten Beiakten ist aber dem Obersten Gerichtshof ebenso verwehrt, wie eine Würdigung der Aussage des genannten Zeugen dahin, was er mit dem Begriff "Kapital" in concreto gemeint haben könnte.

              2.              Zum Freispruch (Punkt 2) des Angeklagten W*** vom Anklagevorwurf (Punkt 2/d der Anklageschrift) des Mißbrauchs der Amtsgewalt durch Abstreichen noch anhängiger Exekutionsverfahren im E-Register und im Vollzugsbuch:

Die Feststellung (US 12, 13, 27), daß W*** noch nicht vollzogene Exekutionen im Vollzugsbuch und im E-Register abstrich, um die Veruntreuung oder verspätete Weiterleitung von Zahlungen für bereits vollzogene Exekutionen zu verschleiern, ist denkgesetzwidrig, weil in noch untollzogenen Verfahren eben kein Mißbrauch in Ansehung von (noch gar nicht) eingetriebenen Geldbeträgen stattgefunden haben kann, der durch eine Registerfälschung gedeckt werden könnte. Dieser - von der Staatsanwaltschaft der Sache nach geltend

gemachte - Begründungsmangel (Z 5) kann auch - der Auffassung der Generalprokuratur zuwider - nicht deshalb als irrelevant abgetan werden, weil das Abstreichen auch als "nachbestrafte Vortat" straflos wäre; zum einen hat das Erstgericht demgegenüber ausdrücklich festgestellt, daß es sich um Nachtaten handelte (US 27, 28); zum anderen kann auch faktisch nicht angenommen werden, W*** habe die noch nicht vollzogenen Exekutionen mit dem Vorsatz abgestrichen, sie nachträglich doch noch zu vollziehen (und dabei möglicherweise eingehende Zahlungen zu veruntreuen); und schließlich ist wegen seiner Amtsführung bei diesen (noch nicht vollzogenen) Exekutionen eine Nachbestrafung des W*** gar nicht erfolgt. Von seiner denkgesetzwidrigen Beurteilung des Abstreichens noch nicht vollzogener Exekutionen als Deckungshandlung zu Veruntreuung und Amtsmißbrauch bei schon vollzogenen Exekutionen ausgehend, hat das Erstgericht auch keine Feststellungen zum Freispruch von jenem Teil des Anklagevorwurfs getroffen, wonach diese Akten keiner "weiteren Maßnahme zugeführt" wurden (Z 9 lit a).

Die - der (irreführenden) Anklageformulierung (S 427/I) folgende - Eventualbegründung (US 28, 29), das "Recht der Parteien auf gesetzmäßige Durchführung der Exekutionsverfahren" sei kein durch § 302 StGB geschütztes konkretes Recht, geht an der Sache vorbei, weil hier augenscheinlich nicht ein abstraktes derartiges Recht gemeint ist, sondern unzweifelhaft das jeweilige konkrete Recht einer bestimmten betreibenden Partei auf Vollzug der bewilligten konkreten Exekution.

              3.              Zum Schuldspruch des Angeklagten S*** (entgegen dem lt. Punkt 2/c und 2/d der Anklageschrift wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt erhobenen Anklagevorwurf lediglich) wegen Vergehens der falschen Beurkundung im Amt nach § 311 StGB sowie zu seinem Teilfreispruch vom Vorwurf amtsmißbräuchlicher Dienstaufsichtspflichtverletzungen (Schuldspruch 3 bzw. Freispruch 1):

Auch die Vernachlässigung der Dienstaufsichtspflicht wird dem Angeklagten S*** in der Anklageschrift (Punkt 2/c) nicht bloß ganz allgemein vorgeworfen, sondern konkret in bezug auf "nicht rechtzeitiges Weiterleiten von im Exekutionsverfahren übernommenen Geldbeträgen an die betreibende Partei" durch W*** (vgl. Punkt 2/a und 2/b der Anklageschrift). Auch dadurch in Verbindung mit dem Abstreichen der bereits vollzogenen Exekutionen ohne Überprüfung der Gebarung mit den kassierten Geldern durch W*** sind konkrete Rechte der betreibenden Parteien verletzt worden, nämlich auf (gegebenenfalls im Dienstaufsichtsweg zu veranlassende) Weiterleitung dieser bestimmten Beträge an sie. Die Rechtsansicht des Erstgerichtes, S*** habe hiedurch (Punkt 2/c der Anklage) und durch das Abstreichen noch nicht vollzogener Exekutionen (Punkt 2/d der Anklage) keine konkreten Parteienrechte verletzt, ist demnach gleichfalls verfehlt (Z 9 lit a), zumal zur Verweigerung ihres künftigen Vollzuges - wie beim Angeklagten W*** - auch in Ansehung des Angeklagten S*** keine Feststellungen getroffen worden sind. Die Verletzung der bezeichneten konkreten Parteienrechte ist ungeachtet der Anführung bloß des staatlichen "Rechtes auf Ausübung der Dienstaufsicht und geo.-mäßige Aktenerledigung" im Anklagetenor jedenfalls Gegenstand des aus der Anklageerzählung ersichtlichen historischen Anklagesachverhalts auch in bezug auf Punkt 2/c der Anklageschrift und daher in die rechtliche Beurteilung mit einzubeziehen.

Auf Grund dieser irrigen Rechtsansicht hat das Erstgericht zur Frage, ob S*** - neben seiner Absicht, sich durch sein Tatverhalten seiner eigenen disziplinären Verantwortung zu entziehen (US 12) - auch in Ansehung der relevierten konkreten Parteienrechte mit Schädigungsvorsatz handelte, keine ausreichenden Feststellungen getroffen (Z 9 lit a). Die Konstatierung seines bedingten Vorsatzes dahin, daß die Vollzüge von W*** noch nicht durchgeführt und die Überweisungen an die betreibenden Parteien noch nicht erfolgt waren (US 13/14), genügt nicht, weil ihr nicht deutlich genug zu entnehmen ist, was sich S*** bezüglich einer künftigen Vornahme der Vollzüge und bezüglich des Zeitpunktes der von ihm - zum Teil mit Recht (Schuldspruch 2/b) und zum Teil zu Unrecht (Schuldspruch 1 und 2/a) - erwarteten Weiterleitung der kassierten Zahlungen an die betreibenden Parteien vorgestellt hat.

              4.              Zum Freispruch der Angeklagten W*** und S*** vom Vorwurf des Mißbrauchs der Amtsgewalt (Punkt 2/e der Anklageschrift) durch Nichterledigung einzelner Anträge, indem sie die betreffenden Aktenstücke außerhalb der Akten verwahrten:

Mit Recht rügt die Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf die Anzeige ON 2 (S 147 ff/I), daß es sich bei den außerhalb der Akten und großteils überhaupt außeramtlich verwahrten Aktenstücken nicht nur um (im Urteil allein erwähnte) Urgenzen, sondern - wie schon in der Anklageschrift vorgebracht - zum größten Teil um konkrete Anträge gehandelt hat, durch deren Ausschluß von einer geschäftsordnungsgemäßen Erledigung daher konkrete Parteienansprüche (und nicht bloß abstrakte Verfahrensrechte) verletzt wurden. Auch insoweit wurden über einen Schädigungsvorsatz der Täter keine Feststellungen getroffen (Z 9 lit a).

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher schon aus den dargelegten Erwägungen im vollen Umfang der Anfechtung Folge zu geben, ohne daß es noch einer Erörterung der von ihr geltend gemachten weiteren Beschwerdegründe bedurfte. Mit Rücksicht auf die dadurch bedingte Aufhebung auch des über die Angeklagten ergangenen Strafausspruches erübrigt sich insbesondere ein Eingehen auf die von der Beschwerdeführerin - zu Gunsten des Angeklagten S*** - erhobene Rüge gesetzwidriger Strafbemessung (Z 11). Dagegen ist die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Alfred W*** unbegründet.

In seiner Rechtsrüge (Z 10) vertritt dieser Beschwerdeführer die Auffassung, der Erlag von insgesamt 195.570,78 S durch ihn ab dem 21. Juni 1985 (US 11) sei vom Erstgericht zu Unrecht nur als nachträgliche Schadensgutmachung und nicht als Schadensreduktion angesehen worden. Richtigerweise wäre ihm die (zu Punkt 1 des Schuldspruchs) angelastetete Schadenssumme von 200.000 S dementsprechend zu vermindern gewesen, weil der von ihm erlegte Betrag aus vereinnahmten Parteiengeldern gestammt habe, die schon mit ihrer jeweiligen Übergabe durch die verpflichteten Parteien an ihn als Vollstrecker Vermögensbestandteil der betreibenden Parteien, nicht aber sein Eigentum geworden seien, sodaß von einer Schadensgutmachung "aus dem Vermögen des Erstangeklagten" nicht gesprochen werden könne. In Wahrheit habe es sich dabei nur um eine "verzögerte Hinterlegung" gehandelt. In Ansehung des sohin verbleibenden Restbetrages von 4.429,22 S habe er aber nur das Vergehen nach § 133 Abs 1 StGB begangen, das indes durch das zusammentreffende Verbrechen nach § 302 Abs 1 StGB konsumiert sei. Der Beschwerdeauffassung zuwider ist es nicht entscheidend, ob der Angeklagte W*** an den von ihm zurückbehaltenen Inkassobeträgen zivilrechtlich Eigentum erworben hat. Wesentlich für die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmales der Zueignung ist vielmehr die Überführung des anvertrauten Gutes in das wirtschaftliche (freie) Vermögen des Täters (oder eines Dritten), wodurch es gleichzeitig aus dem wirtschaftlichen Machtbereich des Berechtigten entzogen wird (vgl. EvBl 1977/12; Mayerhofer-Rieder, StGB2, E 58; Leukauf-Steininger, Komm.2 RN 14; Kienapfel BT II, RN 50 f, jeweils zu § 133 StGB). Ist die vom Tätervorsatz erfaßte Zueignung (im Sinne dieses "wirtschaftlichen Zueignungsbegriffes") vollzogen, dann ist die Veruntreuung vollendet. Ein späterer Akt, durch den der Rückstellungs- oder Verwendungspflicht nachträglich entsprochen wird, kann daher nur noch als Schadensgutmachung beurteilt werden und erscheint sohin - abgesehen vom Fall einer Strafaufhebung nach § 167 StGB, deren Voraussetzungen hier aber gar nicht behauptet werden - lediglich für die Strafbemessung von Bedeutung.

Da die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Zueignung von insgesamt 200.000 S im Sinn des soeben Gesagten am 17.Juni 1985 bereits abgeschlossen war (US 2, 9 f., 15 bis 18, 26), hat demnach das Erstgericht die erst ab dem 21.Juni 1985 in mehreren Teilbeträgen zurückgezahlten 195.570,78 S davon zu Recht nicht in Abzug gebracht. Die aus einem derartigen Abzug resultierenden, von ihm reklamierten weiteren Konsequenzen in bezug auf den verbleibenden Restbetrag sind demzufolge nicht aktuell. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Alfred W*** war darnach zu verwerfen.

Im übrigen kann auch dem (zufolge Kassierung des gegen ihn ergangenen Schuldspruchs an sich gegenstandslos gewordenen Beschwerdevorbringen des Angeklagten S*** (Z 9 lit a), das E-Register und das Vollzugsbuch seien (überhaupt) keine Urkunden im Sinn des § 74 Z 7 StGB, nicht beigepflichtet werden. Indem er unter Hinweis auf den allgemeinen Zweck gerichtlicher Register - einen Überblick über die Gesamtheit der angefallenen Sachen und den Stand der einzelnen Angelegenheiten zu bieten (§ 360 Geo) - vermeint, diese und sonstige Behelfe seien nicht zu (begriffsessentiellen) Beweiszwecken im Rechtsverkehr bestimmt, weil lediglich der Akt "den Beweis mache", verkennt er nämlich zum einen, daß das Vorhandensein von weiteren Schriften, aus denen sich der nämliche Erklärungsinhalt einer Urkunde gleichwohl sogar präziser und detaillierter ergibt, die hier aktuelle Widmung eben dieser Urkunde zu Beweiszwecken keineswegs ausschließt; zum anderen aber, daß unter Rechtsverkehr auch der behördeninterne Umgang mit einer Urkunde verstanden werden kann, soferne er darin besteht, deren Inhalt zu Beweiszwecken einem vom Aussteller verschiedenen Beamten zugänglich zu machen. Gerade auf eine solche Verwendung kam es aber dem Angeklagten S*** nach seinem Tatplan an: ging es ihm doch darum, durch unrichtige Vermerke über den Stand der Exekutionsverfahren im allgemeinen und die Ausführung von Vollzugsaufträgen im besonderen (vgl. §§ 393 bis 397, 551, 553 Geo) kontrollierenden Organen gegenüber den Nachweis einer vorschriftsmäßigen und effizienten Amtsführung, sohin einer Tatsache von rechtlicher Bedeutung, zu erbringen.

Dem weiteren Beschwerdeeinwand zuwider kann auch weder dem E-Register noch dem Vollzugsbuch der in § 311 StGB vorausgesetzte Charakter einer öffentlichen Urkunde abgesprochen werden. Denn öffentlich im Sinne dieser Gesetzesstelle (gleichwie der §§ 224, 228 StGB) ist zwar gewiß nicht jede von einem Beamten amtlich ausgestellte Urkunde, sondern nur eine solche, der ihrer Art, ihrem Inhalt und ihrer spezifischen rechtlichen Zweckbestimmung nach eben deswegen, weil sie von einem Beamten kraft Amtes ausgestellt wurde, Beweisgarantie zukommt (SSt. 53/68); doch wäre es umgekehrt mit dem in Rede stehenden Schutzzweck dieser Strafbestimmungen unvereinbar, allen nur für den dienstinternen Bereich bestimmten Urkunden schon deswegen allein regelmäßig den Charakter einer öffentlichen Urkunde abzusprechen: erfaßt doch dieser nicht nur das größere Vertrauen Außenstehender, sondern grundsätzlich auch jenes, welches von anderen (selbst vorgesetzten) Beamten oder Dienststellen in eine von einem Beamten errichtete Urkunde gesetzt wird. Im Einzelfall kann daher sehr wohl auch in diesem Bereich ein qualifizierter strafrechtlicher Echtheits- und Wahrheitsschutz bestehen (idS Steininger in ÖJZ 1984, 173 bis 175; aM Bertel in AnwBl. 1980, 320 f sowie Kienapfel im WK § 224 Rz. 28 f und in JBl 1982/509). Ob eine von einem Beamten im innerdienstlichen Bereich errichtete Urkunde als öffentliche oder bloß als amtliche Urkunde anzusehen ist, muß dementsprechend nach Art, Inhalt und Zweck der betreffenden Schrift stets einzelfallbezogen geprüft werden. Eintragungen in Registern der Gerichte sind darnach im Hinblick auf das ihnen beim internen Gebrauch durch andere (nicht mit dem Registerführer identische) Beamte entgegengebrachte Vertrauen in ihre Echtheit und Richtigkeit in den qualifizierten strafrechtlichen Echtheits- und Wahrheitsschutz einbezogen und deshalb als öffentliche Urkunden anzusehen (vgl. Steininger aaO 175). Die durch die Kassierung der Freisprüche des Angeklagten W*** und des Schuldspruchs des Angeklagten S*** bedingte Aufhebung auch des Strafausspruchs über die Genannten entkleidet die Berufungen der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich des Angeklagten W***) sowie des Angeklagten S*** ihres Gegenstandes. Die von der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten S*** bloß angemeldete, in der Folge aber weder ausgeführte noch ausdrücklich zurückgezogene Berufung war indes zurückzuweisen (§ 294 Abs 4 StPO).

Mangels aufrechten Bestands eines Schuldspruchs über den Angeklagten S*** entfällt ein Ausspruch über dessen Kostenersatzpflicht.

Anmerkung

E12715

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0150OS00105.87.1106.000

Dokumentnummer

JJT_19871106_OGH0002_0150OS00105_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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