TE OGH 1987/12/17 12Os133/87

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Veröffentlicht am 17.12.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Dezember 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Samek als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef M*** und andere wegen des Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit a FinStrG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 26 b Vr 8807/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12.Februar 1987, AZ 27 Bs 54/87 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Jerabek, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12.Februar 1987, AZ 27 Bs 54/87, verletzt in dem in seiner Begründung enthaltenen Ausspruch, wonach bei der für die Anwendung des § 180 Abs. 3 StPO maßgeblichen Strafdrohung auch die Höhe der für die nach dem Finanzstrafgesetz und nach dem Devisengesetz primär vorgesehenen Geld- und Wertersatzstrafen angedrohten Ersatzfreiheitsstrafen zu berücksichtigen ist, das Gesetz in der Bestimmung des § 180 Abs. 3 StPO.

Text

Gründe:

Aus den Akten 26 b Vr 8807/86 und 24 c Vr 2632/87 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ergibt sich folgender Sachverhalt:

Beim Landesgericht für Strafsachen Wien sind gegen eine Reihe von Beschuldigten Strafverfahren wegen Verdachtes der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs. 2 lit a, 38 lit a FinStrG, des gewerbsmäßigen Schmuggels nach §§ 35 Abs. 1, 38 lit a StGB und der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs. 1, 38 lit a StGB, sowie wegen des Vergehens nach § 24 Abs. 1 lit a und b DevG anhängig, welche den Export von Goldmünzen und deren nachfolgenden Schmuggel nach Österreich zum Zwecke der Verkürzung von Umsatzsteuer(-vorauszahlungen) zum Gegenstand haben. Unter anderem wurde gegen Peter H*** am 13.Oktober 1986 die Voruntersuchung wegen Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung sowie Vergehens nach § 24 Abs. 1 lit a und b DevG eingeleitet (vgl einbezogener Akt 27 b Vr 11.823/86) und diese am 29. Oktober 1986 auf das Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei sowie auf weitere im Zuge der Erhebungen hervorgekommene Fakten ausgedehnt (vgl S 3 k verso und 3 l des Aktes 26 b Vr 8807/86). Am 30.Oktober 1986 wurde Peter H*** auf Grund eines gegen ihn erlassenen Haftbefehles festgenommen (vgl Band IV/ S 396 des vorgenannten Aktes) und über ihn gemäß § 180 Abs. 2 Z 1 und 2 StPO die Untersuchungshaft verhängt (vgl Band IV/ S 405). Am 29. Dezember 1986 wurde sodann vom Oberlandesgericht Wien ausgesprochen, daß die über den Genannten verhängte Untersuchungshaft, soweit sie sich auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 2 StPO stützt, bis zu drei Monate dauern darf (vgl Band IV, ON 222).

Mit Beschluß vom 27.Jänner 1987 hob die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien in Stattgebung eines Enthaftungsantrages des Beschuldigten Peter H*** die Untersuchungshaft gemäß § 193 Abs. 2 StPO auf (vgl Band VII, ON 294). Über Beschwerde der Staatsanwaltschaft und des Zollamtes Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz änderte jedoch das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 12.Februar 1987, AZ 27 Bs 54/87 (vgl Band VIII, ON 341), diesen Beschluß dahin ab, daß die auf dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 2 StPO beruhende Untersuchungshaft bei Peter H*** nur gegen Anwendung der gelinderen Mittel nach § 180 Abs. 5 Z 1, 4, 5 und 7 StPO, mithin insbesondere erst gegen Erlag einer von der Ratskammer zu bestimmenden Kaution, aufgehoben wurde. Das Beschwerdegericht teilte hiebei die Ansicht der Staatsanwaltschaft, wonach die Strafdrohung für jene Taten, deren Peter H*** verdächtigt sei, fünf Jahre übersteige, weil das Höchstmaß der nach §§ 24 Abs. 1, 25, 29 DevG und § 38 Abs. 1 FinStrG angedrohten Freiheitsstrafen und für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geld- und Wertersatzstrafen angedrohten Ersatzfreiheitsstrafen insgesamt 8 1/2 Jahre betrage, sodaß die Ausschlußbestimmung des § 180 Abs. 3 StPO nicht angewendet werden könne. Bei einem Zusammentreffen von Finanzvergehen und strafbaren Handlungen anderer Art sei nämlich zufolge der in § 22 FinStrG angeordneten Strafenkumulierung nicht auf die Strafdrohung der einzelnen konkurrierenden Delikte, sondern auf das insgesamt drohende Strafausmaß abzustellen, wobei auch die Höhe von Ersatzfreiheitsstrafen für die nach dem Finanzstrafgesetz und nach dem Devisengesetz primär angedrohten Geld- und Wertersatzstrafen zu berücksichtigen sei, weil der Fluchtanreiz mit der Summe der zu erwartenden Strafen korrespondiere. Dazu komme, daß "geordnete Lebensverhältnisse" im Sinne des § 180 Abs. 3 StPO nicht vorlägen, weil Peter H*** wegen des Verdachtes der gegenständlichen Malversationen seinen bisherigen inländischen Arbeitsplatz (im Juli 1986) verloren habe und zufolge seiner überall verwertbaren beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen sich im Ausland nicht schwerer als im Inland wirtschaftlich fortbringen könne; verstärkt werde der Fluchtanreiz noch dadurch, daß Peter H*** eine Auslieferung aus einem Fluchtstaat nicht zu befürchten haben würde. Die Kaution wurde hierauf von der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit 10 Millionen Schilling bestimmt (vgl Band VIII, ON 348), über Beschwerde des Beschuldigten Peter H*** jedoch vom Oberlandesgericht Wien auf 8 Millionen Schilling herabgesetzt (vgl Band III, ON 30 des Aktes 24 c Vr 2632/87 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien); mangels Erlages blieb der Beschuldigte H*** weiterhin in Haft. Inzwischen ist von der Staatsanwaltschaft Wien am 28.Juli 1987 gegen Peter H*** die Anklage wegen Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit a FinStrG als Beteiligter gemäß § 11 zweite und dritte Alternative FinStrG eingebracht worden. Dem Anklagevorwurf zufolge hat Peter H*** von Anfang 1985 bis Juli 1986 in Wien mit Hans Dieter R*** und allenfalls auch anderen Personen eine Absprache getroffen, unter Ausnützung seiner Stellung als stellvertretender Direktor der K***-B*** und unter Einschaltung der im wirtschaftlichen Verfügungsbereich des Hans Dieter R*** stehenden M*** AG als ausländischem Abnehmer zum Zwecke des Umlaufes eine künstlich gesteigerte Nachfrage nach Goldmünzen zu erzeugen, darauf den umsatzsteuerpflichtigen Verkauf nach Österreich geschmuggelter Goldmünzen durch inländische Firmen an die K***-B*** und den anschließend von dieser vorgenommenen umsatzsteuerfreien Export dieser Münzen zwecks nachfolgendem Schmuggel nach Österreich zur neuerlichen Einbringung in den Handel zu gründen und solcherart einen "Goldmünzenkreislauf" zu betreiben, der es ermöglichen sollte, die anfallende Umsatzsteuer durch ihre Verkürzung bei den Lieferfirmen als Gewinn abzuschöpfen; sodann habe er namens der K***-B*** Goldmünzen bei bestimmten Firmen des inländischen Marktes angekauft, entsprechende Exportgeschäfte mit Hans Dieter R*** als Vertreter der ausländischen M*** AG abgeschlossen, den Geldfluß durch Annahme von im Inland als Erlös aus den Goldmünzenumsätzen angefallenen Zahlungsmitteln und Vortäuschung ihrer ausländischen Herkunft bei Gutschrift auf das zur Abrechnung gebrauchte Freie-Schilling-Konto der M***-AG vereinfacht und den Zahlungsverkehr im Rahmen entsprechender, die Zusammenhänge und Vorgänge verschleiernder Transaktionen über Konten bei der K***-B*** abgewickelt und überwacht; hiedurch habe er vorsätzlich Verantwortliche der Firma T*** Handelsgesellschaft mbH (später Peter Hugo H*** GesmbH), S*** Metallwarenhandelsgesellschaft mbH und M*** GesmbH, welche vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen, deren Abgabe unterlassen wurde oder unrichtig erfolgte, eine Verkürzung der selbst zu berechnenden Umsatzsteuervorauszahlungen in Höhe von 82,348.900 S, 118,731.150 S und 115,084.480 S bewirkt haben, wobei sie dies nicht nur für möglich, sondern für gewiß hielten, zur Ausführung dieser Finanzvergehen bestimmt bzw zu deren Ausführung beigetragen. Hinsichtlich der übrigen Straftaten, deren Peter H*** verdächtigt wird, ist die Voruntersuchung noch nicht abgeschlossen. Mit Beschluß vom 4.September 1987 hob die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die über Peter H*** verhängte Untersuchungshaft mit der Begründung auf, daß hinsichtlich weiterer strafbarer Handlungen kein dringender Tatverdacht mehr gegeben sei, der in geordneten Verhältnissen lebende Angeklagte mithin nur noch einer strafbaren Handlung verdächtigt sei, die nicht strenger als mit 5-jähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, und die bisherige Untersuchungshaft im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe unangemessen wäre (vgl Band IX, ON 181). Zufolge der von der Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde hat das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 3.November 1987 die Untersuchungshaft gemäß § 193 Abs. 3 und 4 StPO aufgehoben und mit der am gleichen Tag gefällten Entscheidung (27 Bs 428/87) der Anklage Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12.Februar 1987, AZ 27 Bs 54/87, steht - wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz insofern nicht im Einklang, als in seiner Begründung ausgesprochen wird, daß bei der Frage, ob der Beschuldigte Peter H*** einer strafbaren Handlung verdächtigt ist, die nicht strenger als mit 5-jähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 180 Abs. 3 StPO), auch die Höhe der für die nach dem Finanzstrafgesetz und nach dem Devisengesetz primär vorgesehenen Geld- und Wertersatzstrafen angedrohten Ersatzfreiheitsstrafen zu berücksichtigen sei.

Das Strafgesetz knüpft verschiedentlich an das Ausmaß der angedrohten Freiheitsstrafe bestimmte Rechtsfolgen. Im Bereich des materiellen Strafrechtes geschieht dies in den §§ 17 Abs. 1, 21, 37, 41, 42, 43 Abs. 1 letzter Satz, 57 StGB. In all diesen Fällen ist es niemals zweifelhaft gewesen, daß auch dann, wenn Strafbestimmungen neben einer Freiheitsstrafe fakultativ (vgl Art V Abs. 3 und 4 StRAG) zusätzlich eine Geldstrafe vorsehen oder eine Wertersatzstrafe androhen, ausschließlich von der Freiheitsstrafdrohung auszugehen ist (vgl zu § 21 FinStrG ausdrücklich Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, Komm zum FinStrG, Anm 8 zu § 21). Auch soweit für die Zuständigkeit und für die Besetzung der Strafgerichte die Höhe der angedrohten Freiheitsstrafe maßgebend ist (§§ 8 ff StGB), sind darunter nur die für die Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar (primär) vorgesehenen Freiheitsstrafen, nicht aber auch die für den Fall der Uneinbringlichkeit angedrohter Geldstrafen oder Wertersatzstrafen an deren Stelle tretenden Ersatzfreiheitsstrafen zu verstehen (EvBl 1976/134). Nichts anderes hat zu gelten, wenn die Strafprozeßordnung bei den Haftvoraussetzungen und bei der zulässigen Haftdauer (§§ 175 Abs. 2, 180 Abs. 3 und Abs. 7, 190, 193 Abs. 4 StPO) an die Freiheitsstrafdrohung anknüpft. Denn abgesehen davon, daß schon der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung eine einheitliche Auslegung der in ein und demselben Gesetz oder in verwandten Gesetzen verwendeten Rechtsbegriffe nahelegt, ist die gegenteilige Auslegung des Oberlandesgerichtes Wien auch mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht in Einklang zu bringen. Dieser stellt darauf ab, daß der Verdacht einer Straftat gegeben ist, bei der die Freiheitsstrafdrohung ein bestimmtes Höchstmaß nicht übersteigt oder bei der nach dem Gesetz auf eine bestimmte Mindestfreiheitsstrafe zu erkennen ist, ohne daß auf andere strafrechtliche Sanktionen Bezug genommen wird.

Im Gegensatz dazu ist die Frage offenbarer Unangemessenheit einer Untersuchungshaft nach ihrer Dauer im Verhältnis zu den zu erwartenden Strafen zu beurteilen (§ 193 Abs. 2 zweiter Halbsatz StPO). Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß es insoweit - und nur insoweit - (ausnahmsweise) nicht bloß auf die Freiheitsstrafen, sondern auch auf andere zu erwartende strafrechtliche Sanktionen ankommen soll, auf welche die Vorhaft im Falle eines Schuldspruches gleichermaßen anzurechnen ist. Soweit es hingegen die Haftvoraussetzungen und die zulässige Haftdauer betrifft, ist ausschließlich das Ausmaß der angedrohten Freiheitsstrafen maßgebend; Ersatzfreiheitsstrafen für kumulativ zu verhängende Geld- und Wertersatzstrafen haben dabei außer Betracht zu bleiben. Für diese Auffassung spricht letztlich auch, daß Ersatzfreiheitsstrafen erst im Fall der Uneinbringlichkeit der Geld- bzw Wertersatzstrafen zu vollziehen sind und es auf die bloß hypothetische Möglichkeit ihres Vollzugs im gegebenen Zusammenhang nicht ankommen kann.

Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes Wien ist sohin bei einem Beschuldigten, der sich in geordneten Lebensverhältnissen befindet, einen festen Wohnsitz im Inland hat und bisher keine Anstalten zur Flucht getroffen hat, Fluchtgefahr dann nicht anzunehmen, wenn er im Verdacht strafbarer Handlungen steht, für die primär Freiheitsstrafen angedroht sind, deren Ausmaß auch unter Berücksichtigung der im § 22 FinStrG angeordneten Strafkumulierung fünf Jahre nicht übersteigt (§ 180 Abs. 3 StPO). Daraus folgt ferner, daß eine (bei Peter H*** bezüglich der noch im Stadium der Voruntersuchung befindlichen Fakten allenfalls aktuelle) Verlängerung einer nicht bloß aus dem Grunde der Verdunkelungsgefahr verhängten Haft nur bis zu einem Jahr statthaft wäre (§ 193 Abs. 4 StPO).

In Stattgebung der Beschwerde war sohin die aufgezeigte Gesetzwidrigkeit des erwähnten, in der Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien enthaltenen Ausspruches über die Berechnung der nach § 180 Abs. 3 StPO maßgebenden Freiheitsstrafdrohung festzustellen.

Anmerkung

E12692

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0120OS00133.87.1217.000

Dokumentnummer

JJT_19871217_OGH0002_0120OS00133_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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