TE OGH 1988/1/12 2Ob66/87

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Veröffentlicht am 12.01.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Walter H***, Autobusunternehmer, 6465 Nassereith, vertreten durch Dr. Peter Riedmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Karl D***, Pensionist, 6464 Tarrenz, vertreten durch Dr. Franz Pegger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen

S 292.153,35 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 7. Juli 1987, GZ 1 R 109/87-95, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Dezember 1986, GZ 16 Cg 28/80-83, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die unterinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil zu lauten hat:

1. Die Klagsforderung besteht mit einem Betrag von S 192.153,35 samt 4 % Zinsen seit 27. Juni 1979 bis 4. September 1985 und 10,5 % Zinsen seit 6. September 1985 zu Recht.

2.

Die eingewendete Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3.

Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 192.153,35 samt 4 % Zinsen vom 27. Juni 1979 bis 4. September 1985 und 10,5 % Zinsen seit 5. September 1985 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren von S 323.353,15 samt 15 % Zinsen seit 27. Juni 1979 sowie 11 % Zinsen aus S 392.153,35 vom 27. Juni 1979 bis 4. September 1985 und 4,5 % Zinsen ab 5. September 1985 wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat dem Beklagten die mit S 56.251,29 (darin enthalten S 5.113,74 Umsatzsteuer) bestimmten Prozeßkosten zu ersetzen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Beklagte hat der klagenden Partei die mit S 3.399,55 (darin enthalten S 309,05 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bei einem am 4. August 1978 auf der Fernpaß-Bundesstraße in Nassereith erfolgten Verkehrsunfall wurde ein Omnibus des Walter H*** beschädigt. In der vorliegenden Klage behauptete dieser das Alleinverschulden des Beklagten am Unfall und erhob Schadenersatzforderungen in der Höhe von zuletzt S 515.506,50 s.A. Nach dem zwischenzeitigen Tod des Klägers wird das Verfahren von dessen Verlassenschaft geführt.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung mit der Behauptung, das überwiegende Verschulden am Unfall treffe den Lenker des Omnibusses; im übrigen sei der Haftungsanteil des Beklagten durch Zahlung eines Betrages von S 700.000,-- voll abgegolten worden. Aufrechnungsweise werde auch eine Gegenforderung von S 5.776,10 eingewendet. Das Erstgericht stellte die Klagsforderung als mit

S 396.534,33 s.A. zu Recht, die Gegenforderung dagegen als nicht zu Recht bestehend fest, sprach der klagenden Partei demgemäß den vorgenannten Betrag zu und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht gab der vom Beklagten erhobenen Berufung insoweit teilweise Folge, als es die Klagsforderung mit

S 292.153,35 s.A. als zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend erkannte.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt der Beklagte eine auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise gerechtfertigt.

Bei der Beurteilung der vom Beklagten bekämpften unterinstanzlichen Annahme seines alleinigen Verschuldens am Unfall sowie der einzelnen Klagsansprüche hat der Oberste Gerichtshof von folgenden ihn bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen auszugehen: Die einen Rauhasphaltbelag aufweisende Fahrbahn der Fernpaß-Bundesstraße ist im Unfallsbereich 6,3 m breit, verläuft in der Fahrtrichtung der unfallsbeteiligten Fahrzeuge auf einer Gesamtsichtweite von ca. 535 m gerade, die Sicht auf entgegenkommende Fahrzeuge wird durch eine leichte Fahrbahnkuppe etwas beeinträchtigt. Johann K***, ein Fahrer des Omnibusunternehmers Walter H***, fuhr am 4. August 1978 um ca. 11 Uhr 20 mit dem 2,5 m breiten Omnibus Neoplan Jetliner 216 auf einer Linienfahrt von Nassereith in Richtung Imst, holte dabei den unter Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von rund 53 km/h in gleicher Richtung fahrenden, 1,58 m breiten PKW Marke VW-Käfer des Beklagten ein und fuhr in einem Abstand von ca. 35 m hinter diesem nach. Vor dem Beklagten fuhr mit etwa der gleichen Geschwindigkeit ein Fahrzeug mit belgischem Kennzeichen. Als sodann kein Gegenverkehr herrschte, entschloß sich Johann K*** bei der Einfahrt in den geraden und übersichtlichen Straßenteil, die vor ihm fahrenden Fahrzeuge zu überholen. Er beschleunigte den Omnibus auf zunächst 61,9 km/h, schloß hiedurch zu den beiden voranfahrenden Fahrzeugen auf, gab sodann Blinkzeichen, machte auf seine Überholabsicht durch Betätigung der Lichthupe und des Doppeltonhornes aufmerksam, führte auf einer Strecke von 63 m durch 3,6 Sekunden einen Fahrstreifenwechsel durch und beschleunigte sodann auf der Überholspur über eine Strecke von 40 m durch 2,2 Sekunden auf eine Fahrgeschwindigkeit von rund 69 km/h (siehe berufungsgerichtliche Berichtigung des erstgerichtlichen Schreibfehlers "60 km/h"). Als sich der Omnibus nur noch 10 m hinter dem PKW des Beklagten und in Überholstellung befand, leitete dieser plötzlich ohne jede Anzeige seinerseits einen Fahrstreifenwechsel ein, um das vor ihm fahrende Fahrzeug zu überholen. K*** reagierte sofort durch Einleitung einer Bremsung, wobei er zunächst auf einer Wegstrecke von 13 m die Geschwindigkeit auf 68,5 km/h und in weiterer Folge mit einer Bremsverzögerung von 3 m/sec2 über 7 m auf 64,2 km/h verringerte. Er konnte jedoch eine Streifung der rechten Vorderseite des Omnibusses mit dem linken hinteren Kotflügel des PKW des Beklagten nicht verhindern. Aufgrund der eingeleiteten Vollbremsung geriet der Omnibus hierauf über den linken Fahrbahnrand hinaus und prallte gegen einen Baum, wodurch das Fahrzeug schwer beschädigt wurde. Walter H*** betrieb in Nassereith einen Hotelbetrieb, eine Tankstelle, einen Kiosk, ein Verkaufsgeschäft und ein Omnibus- und Taxiunternehmen mit vier Omnibussen, welche im Linienverkehr und im Werbe- und Ausflugsverkehr eingesetzt waren. Für alle diese Betriebe wurde nur eine gemeinsame Buchhaltung geführt. Während der Reparaturzeit des beim Unfall beschädigten Omnibusses konnte Walter H*** kein Ersatzfahrzeug bekommen, sodaß ein Omnibus, manchesmal auch zwei der übrigen Omnibusse, im Linienverkehr eingesetzt werden mußten und solcherart nicht im Ausflugsverkehr verwendet werden konnten. Walter H*** hatte im Jahr 1978 intensiv mit sogenannten Werbefahrten begonnen, die ein gutes Geschäft darstellten, während der Linienverkehr keine besondere, aber eine ständige und regelmäßige Einnahmequelle war. Feststellungen, welche Umsätze Walter H*** in den Jahren 1977 bis 1979 und insbesondere in den Monaten vor dem Unfall und sodann nach dem Ausfall des Omnibusses erzielte, konnten nicht getroffen werden, weil die Buchhaltungsunterlagen nach dem Tode des Walter H*** im Jahre 1986 anläßlich der Veräußerung des Hotelbetriebes "verlegt" wurden. Im einzelnen stellte das Erstgericht fest, welche Fahrten während der reparaturbedingten Stehzeit des Omnibusses von den anderen Fahrzeugen des Walter H*** im Linienverkehr durchgeführt wurden. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens, das vom Tarif für Gelegenheitsverkehr mit Autobussen - dieser sieht bei Ausfall eines Linienbusses grundsätzlich einen durchschnittlichen Verdienstentgang von 70 % vor - ausging, die hier im erheblichen Zeitraum mit Ersatzbussen im Linienverkehr zurückgelegte Gesamtstrecke von rund 34.000 km berücksichtigte und solcherart zu einem tarifmäßigen Entgangsbetrag von rund S 586.000,-- kam, wurde vom Erstgericht für die Zeit vom 4. August 1978 bis 3. Dezember 1978 unter Anwendung des § 273 ZPO ein Verdienstentgang von S 350.000,-- ermittelt. In welchem Umfang tatsächlich eine Auslastung der Fahrzeuge des Walter H*** im Ausflugsverkehr für Werbefahrten gegeben gewesen wäre, konnte nicht festgestellt werden. Die Reparaturkosten des beschädigten, mit dem 3. Dezember 1978 wieder zur Verfügung stehenden Omnibusses betrugen S 704.484,44, wobei bei neu eingebauten Einzelteilen Abzüge "neu für alt" berücksichtigt erscheinen. Von der Haftpflichtversicherung des Beklagten wurde ein Betrag von S 700.000,-- zur Abgeltung der Klagsansprüche bezahlt. Am 19. Juni 1979 forderte Walter H*** den Beklagten zur Bezahlung der noch offenen Klagsansprüche auf. Im einzelnen stellte das Erstgericht weiters fest, welche Zinssätze für den bei der Bank des Walter H*** bestehenden und laufend überzogenen Kreditrahmen eines Kontokorrentkredites jeweils galten.

In seiner rechtlichen Beurteilung erachtete das Erstgericht das Überholmanöver des Omnibuslenkers Johann K*** als insgesamt vorschriftsmäßig durchgeführt und lastete das Alleinverschulden am Unfall dem Beklagten an, weil dessen in der Folge durchgeführtes Überholmanöver gravierend gegen die Vorschriften des § 15 StVO verstoßen habe. Zum Verdienstentgang führte das Erstgericht aus, eine konkrete Schadensberechnung sei hier mangels entsprechender Feststellungsgrundlage nicht möglich, sodaß dieser Entgang einzuschätzen sei. Dabei werde davon ausgegangen, daß Walter H*** seine Fahrzeuge "in etwa" entsprechend dem Einsatz im Linienverkehr hätte zum Einsatz bringen können, weshalb die vom Sachverständigen angestellten Berechnungen der Ermittlung des Schadens gemäß § 273 ZPO zugrundegelegt werden könnten.

Das Berufungsgericht hielt die Verfahrensrüge und Rüge der unrichtigen Beweiswürdigung sowie unrichtigen Tatsachenfeststellung des Beklagten im wesentllichen nicht und seine Rechtsrüge teilweise für gerechtfertigt. Die erstgerichtliche Feststellung, Walter H*** habe im Jahre 1978 "intensiv" mit Werbefahrten begonnen, sei jedenfalls im Sinne von "ständigen Werbefahrten" gerechtfertigt. Die unfallsbedingte Stehzeit des Omnibusses habe jedoch nur bis zum 28. November 1978 gedauert. Hinsichtlich der Zinssätze sei die Feststellungsrüge durch die im Berufungsverfahren getroffene Außerstreitstellung, daß der in Anspruch genommene Kontokorrenkredit seit 1. Jänner 1985 mit 10,5 % verzinst werde, erledigt. Im Hinblick auf die - auch nach Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens - rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten wegen des gegenständlichen Unfalles stehe dessen Verschulden an diesem für die Zivilgerichte bindend fest. Die Frage eines Mitverschuldens des Johann K*** sei vom Erstgericht zutreffend verneint worden. Die eingehaltene Überholgeschwindigkeit des Omnibusses von rund 70 km/h sei auch im Hinblick auf die regennasse Fahrbahn und deren Breite von 6,3 m sowie die leichte Fahrbahnkuppe nicht zu beanstanden, weil die Summenbreite der beiden Fahrzeuge lediglich 4,08 m betragen habe und die Fahrbahn auf hunderte Meter geradeaus und hinreichend übersichtlich verlaufen sei. Johann K*** habe mit dem gegen § 15 Abs 3 StVO verstoßenden Verhalten des Beklagten in keiner Weise rechnen müssen. Selbst wenn die Bremsreaktion des Johann K*** rückblickend betrachtet als unrichtige Abwehrmaßnahme gewertet werde, müsse davon ausgegangen werden, daß im Augenblick der Streifung der beiden Fahrzeuge die Gefährlichkeit der Situation für K*** nicht klar erkennbar und er zu einer sofortigen Reaktion gezwungen gewesen sei. Die beiden kfz-technischen Sachverständigen hätten seine Bremsreaktion und das Nach-links-Lenken des Omnibusses als in dieser Situation normale Abwehrreaktion bezeichnet, welcher Ansicht das Berufungsgericht beitrete. Nach ständiger Rechtsprechung liege kein Verschulden vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer bei einer plötzlich auftretenden, insbesondere durch grob verkehrswidriges Verhalten anderer Straßenbenützer bewirkten, Gefahr eine unrichtige Maßnahme zur Abwendung derselben setze. Eine Schadensteilung nach § 11 Abs 1 EKHG mangels allfälliger Erfüllung eines Befreiungsbeweises komme im Hinblick auf das eindeutige Verschulden des Beklagten am Unfall nicht in Betracht. Teilweise, nämlich hinsichtlich Bremsbelägen und Bremstrommeln, sei die Rüge eines nicht berücksichtigten Abzuges "neu für alt" gerechtfertigt, sodaß der Zuspruch von Reparaturkosten auf insgesamt S 700.403,46 herabzusetzen sei. Beim Schaltgetriebe komme ein solcher Abzug allerdings nur in dem vom Erstgericht bereits festgestellten Ausmaß von 50 % in Betracht, weil nach dem Akteninhalt der eingelegte Gang durch den Anprall verklemmt und deshalb der Ausbau und die Überholung des Schaltgetriebes notwendig gewesen sei. Bei der Verdienstentgangsfestsetzung nach § 273 ZPO sei zunächst zu berücksichtigen, daß ein solcher wegen der bis zum 28. November 1978 gegebenen unfallsbedingten Stehzeit des Omnibusses nur bis zu diesem Zeitpunkt eingetreten sein könne. Daß mangels der Möglichkeit, Ausflugsfahrten durchzuführen, Verdienstentgang grundsätzlich vorliege, könne hier nach der Lebenserfahrung nicht bezweifelt werden. Der Verlust der diesbezüglichen Buchhaltungsunterlagen führe nicht dazu, daß eine derartige Festsetzung nich erfolgen könne. Der Tarif des Fachverbandes für Autobusunternehmen für den Gelegenheitsverkehr mit Autobussen könne dort, wo eine genaue Erfassung des konkreten Verdienstentganges nicht möglich sei, wohl eine Richtlinie darstellen, zumal er offenbar auf konkreten Untersuchungen beruhe. Bei seiner 70 %-Klausel sei nach dem klaren Wortlaut ein echter Gewinnausfall unter Berücksichtigung auch fixer Kosten gemeint. Unter Bedachtnahme auf im einzelnen dargelegte, bei der Berechnung erforderliche Differenzierungen und unter der erstgerichtlichen Annahme einer Tagesleistung von 200 km bzw. von täglich 6 Stunden sowie 117 Ausflugstagen errechne sich nach dem Tarif ein Betrag von S 378.846,--, wovon 70 % einen Verdienstentgang von S 265.192,20 ergäben. Die Übernahme dieses Rechenergebnisses sei aber problematisch, weil der Verdienstentgang vorliegendenfalls nicht durch einen Umsatzverlust im Linienverkehr, sondern im Ausflugsverkehr eingetreten sei. Sowohl die tatsächlichen Umsatzverluste im Ausflugsverkehr als auch die erhöhten variablen Kosten im Linienverkehr seien unbekannt und könnten nicht ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten erhoben werden. Somit sei eine Bemessung nach § 273 ZPO erforderlich. Erfahrungsgemäß sei der Ausflugsverkehr gegen Ende der Hauptsaison nicht mehr so stark, daß von einer vollen Auslastung ausgegangen werden könne. Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheine die Bemessung des Verdienstentganges mit S 250.000,-- gerechtfertigt. Daß die Buchhaltungsunterlagen durch das der klagenden Partei anzulastende Verhalten nicht mehr zur Verfügung stünden, könne dabei im Sinne Faschings (III, Anm.8 zu § 273) zwar mitberücksichtigt werden, aber nicht mehr zu einer noch weiteren Herabsetzung führen, weil diese Unterlagen immerhin jahrelang während des Verfahrens eingesehen hätten werden können. Eine Schadenminderungspflicht hinsichtlich der anerlaufenen Zinsenbeträge durch Senkung der Kreditüberziehungsbeträge habe die klagende Partei nur im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten getroffen. Daß sie hiezu in der Lage gewesen wäre, könne nicht festgestellt werden. Ab dem Zeitpunkt, da die klagende Partei im Prozeß diese Zinssätze geltend gemacht habe, müsse der Beklagte als Schädiger diese Zinsen mangels Zahlung des Kapitals jedenfalls tragen.

In der Revision wird zur Verschuldensfrage zunächst die vom Omnibuslenker Johann K*** eingehaltene Fahrgeschwindigkeit als im Hinblick auf die gegebenen Umstände überhöht bezeichnet und weiters die Ansicht vertreten, aufgrund der Fahrzeuggesamtbreiten und der Fahrbahnbreite sei der Überholvorgang überhaupt gefährlich und daher unzulässig gewesen. Die in der Folge von Johann K*** durchgeführte Vollbremsung und Linkslenkung stelle im Hinblick auf die regennasse Fahrbahn für einen erfahrenen Autobuslenker auch eine falsche Reaktion und jedenfalls ein den Unfall mitverursachendes Verhalten dar.

Entgegen diesen Ausführungen ist der unterinstanzlichen Beurteilung, wonach Johann K*** kein Mitverschulden am gegenständlichen Unfall angelastet werden kann, zu folgen. Festgestelltermaßen hat er seine Überholabsicht dem Beklagten mehrfach kundgetan und sodann in vorschriftsmäßiger Weise zum Überholen der vor ihm fahrenden Fahrzeuge angesetzt. Unter den hier gegebenen Fahrbahn-, Sicht-, Verkehrs- und Geschwindigkeitsverhältnissen war das folgende Überholmanöver grundsätzlich zulässig. Die Überholgeschwindigkeit von 69 km/h war im Hinblick auch auf die nasse Fahrbahn noch keineswegs überhöht und die Gesamtfahrbahnbreite für den Überholvorgang jedenfalls hinreichend. Zur Streifung der Fahrzeuge ist es festgestelltermaßen durch den vom Beklagten vorgenommenen Fahrstreifenwechsel und nicht wegen eines zu geringen Seitenabstandes des Omnibusses zum PKW gekommen. Nach dieser Streifung hat Johann K***, welcher im Sinn der Ausführungen im berufungsgerichtlichen Urteil von seiner Position aus sodann keine Sicht mehr auf den PKW hatte, durch eine auch von den beiden kfz-technischen Sachverständigen für die gegebene Situation als normal bezeichnete Vollbremsung und eine Linkslenkung reagiert. Ein Verschulden ist in diesem Reaktionsverhalten keinesfalls gelegen.

Die Revisionsausführung, die Reparaturkosten des Schaltgetriebes seien insgesamt nicht unfallskausal, erscheint wegen der entgegenstehenden, den Obersten Gerichtshof bindenden Annahme der Unterinstanzen, diesbezüglich läge ein unfallskausaler Schaden vor, nicht gesetzesgemäß und daher unbeachtlich.

Hinsichtlich des Verdienstentganges meint der Revisionswerber, der Buchhalter des Walter H*** hätte aus dem Gedächtnis nähere Angaben über die Höhe dieser Entgänge "machen können und müssen", seine als Zeuge abgelegte "nur mehr ungenaue Aussage über den finanziellen Erfolg des Unternehmens" lege den Schluß auf schlechtere Betriebsergebnisse nahe. Doch auch auf andere Weise hätten Unterlagen rekonstruiert und Vergleichszahlen errechnet werden können. Im Hinblick auf die unachtsame Preisgabe der Berechnungsunterlagen könne § 273 ZPO nicht angewendet werden, zumindest müsse auf die Art der Herbeiführung dieses "Beweisnotstandes" Bedacht genommen werden. Der Tarif für den Gelegenheitsverkehr mit Autobussen stelle auch keine geeignete Berechnungsgrundlage dar, der zugesprochene Betrag von S 250.000,-- sei solcherart jedenfalls weit überhöht.

Dem ist zunächst zu entgegnen, daß die Anwendung des § 273 ZPO nicht wegen unrichtiger Beweiswürdigung bekämpft werden kann (2 Ob 242/74, 4 Ob 109/83 ua). Im Falle der Unmöglichkeit oder besonderer Schwierigkeit des Beweises der Höhe einer Forderung kann das Gericht nach der vorgenannten Gesetzesstelle den Betrag nach freier Überzeugung festsetzen, ohne daß den Kläger diesbezüglich eine unbedingte Beweislast trifft (2 Ob 64/80, 5 Ob 799/81 ua). Ob § 273 Abs 1 ZPO anzuwenden ist, entscheiden richterliche Erfahrung, allgemeine Lebenserfahrung oder auch die Zwischenergebnisse des bereits durchgeführten Beweisverfahrens (2 Ob 323/70, 3 Ob 654/81 ua). Die Anwendung des § 273 ZPO wird selbst durch eine schuldhafte - fahrlässige oder sogar vorsätzliche - Herbeiführung des Beweisnotstandes nicht ausgeschlossen (4 Ob 8/74, 3 Ob 654/81, 2 Ob 714/86 ua).

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegendenfalls die Heranziehung des § 273 ZPO zur Bemessung des Verdienstentganges durch die Unterinstanzen zu billigen. Bei der Überprüfung des Ergebnisses dieser Anwendung sind die für die Schadenshöhe maßgebenden Faktoren, zu denen die Tatsacheninstanzen Feststellungen treffen konnten, zugrunde zu legen. In jenem Rahmen, in dem der Beweis der Höhe des Schadens nicht erbracht werden konnte, ist der Schaden nach Ermessen festzusetzen (4 Ob 109/83, 2 Ob 205/83 ua).

Es ist dem Revisionswerber zuzugeben, daß den zur Schadensermittlung herangezogenen Ansätzen des Tarifes des Fachverbandes der Autobusunternehmungen für den Gelegenheitsvekehr mit Autobussen nur eine geringe Hilfsfunktion zukommen kann, weil entscheidend der mögliche Auslastungsgrad des Unternehmens des Walter H*** in der Zeit vom August bis Ende November 1978 erscheint. Diesbezüglich liegt lediglich die Feststellung der seit dem Jahre 1978, also erst kurze Zeit "ständig durchgeführten Werbefahrten" und des mit den Ausflugsfahrten verbundenen "guten Geschäftes" vor. Diese Feststellung beruht auf der Aussage des Buchhalters des Walter H***, der als Zeuge bekundete (AS 399 f) "Wir haben damals im August 1979 (richtig: 1978) mit Werbefahrten begonnen. Diese sind damals sehr gut gegangen und es war vorgesehen, den 54-Sitz-Bus heranzuziehen. Dies war dann nicht mehr möglich, da dieser für die Linienfahrt eingesetzt werden mußte. Im Jahre 1978 hatte man mit den Werbefahrten begonnen und es war dies ein gutes Geschäft".

Wird die vorgenannte Feststellung im Lichte dieser Beweisergebnisse gesehen, nämlich, daß gerade erst mit dem Werbefahrtengeschäft begonnen worden war - der Unfall ereignete sich am 4. August 1978 - dann kann aller Erfahrung nach wohl keinesfalls davon ausgegangen werden, daß hiedurch sogleich eine tägliche Auslastung eines Busses gegeben gewesen wäre. Bei dieser Sachlage vermag der Senat unter Bedachtnahme auch auf den von der klagenden Partei zu vertretenden Untergang der Beweismittel keinesfalls die Überzeugung zu gewinnen, daß während der rund 4-monatigen, teilweise bereits außerhalb der Saison liegenden unfallsbedingten Stehzeit eines Omnibusses ein Nettoverdienstentgang von mehr als insgesamt S 150.000,-- entstanden sein kann. Gemäß § 273 Abs 1 ZPO war demnach in teilweiser Stattgebung der Revision aus diesem Titel ein Betrag in der vorgenannten Höhe zuzuerkennen.

Schließlich bemängelt der Beklagte unter neuerlichem Hinweis auf die Schadenminderungspflicht den Zuspruch von Überziehungszinsen. Da ihm die Zinssätze während des Verfahrens im Wege der Klagsausdehnung bekanntgegebenen wurden, hätte er die Möglichkeit gehabt, durch Zahlung den Schaden gutzumachen und das Anlaufen derartiger Zinsen ab diesem dem Zinsenzuspruch zugrundegelegten Zeitpunkt der Klagsausdehnung zu vermeiden. Im übrigen war nicht feststellbar, daß die klagende Partei die Möglichkeit der Aufnahme eines zinsengünstigeren Kredites hatte.

Der Revision war somit teilweise Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten stützt sich auf § 43 Abs 1 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf die §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO.

Anmerkung

E13164

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00066.87.0112.000

Dokumentnummer

JJT_19880112_OGH0002_0020OB00066_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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