TE OGH 1988/2/9 10ObS166/87

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Veröffentlicht am 09.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Johann Herbst und Reinhold Ludwig als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut M***, Hagenauerstraße 12, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr.Gottfried Wieser, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.September 1987, GZ 12 Rs 1080/87-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 10.April 1987, GZ 38 Cgs 154/87-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 30.Mai 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 18.März 1986 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es stellte fest, daß dem am 22.Dezember 1953 geborenen Kläger, der während seiner beruflichen Laufbahn als Lagerarbeiter und Abwäscher tätig war, noch leichte und mittelschwere Arbeiten in jeder Stellung im Freien und in geschlossenen Räumen während der üblichen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen zumutbar sind. Der Arbeitsplatz sollte staub- und rauchfrei und ohne Belastung durch Gerüche sein. Die mittelschweren Arbeiten sollten die Hälfte der Arbeitszeit nicht überschreiten. Das ständige Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg gelegentlich auch bis 10 kg ist zumutbar. Häufiges Bücken, Treppensteigen sowie Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten sind ebensowenig zumutbar wie Arbeiten unter ständigem stärkeren Zeitdruck. Einschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestehen nicht.

Da der Kläger auf Grund seines Leistungskalküls noch auf eine große Zahl von Arbeitsstellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, so etwa auf die Tätigkeiten eines Fabriksportiers oder Parkgaragenkassiers sei er nicht invalid im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers keine Folge. Es billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, übernahm dessen Feststellungen und führte zur Rechtsrüge aus, bei nach § 255 Abs. 3 ASVG zu beurteilender Invalidität sei die persönliche Berufslaufbahn des Pensionswerbers nicht zu berücksichtigen, dieser könne auf alle nach seinem Gesundheitszustand in Frage kommenden Tätigkeiten verwiesen werden, die abstrakt auf dem Arbeitsmarkt vorhanden seien und noch bewertet werden. Ob konkrete Arbeitsplätze auch zur Verfügung stünden, der Kläger also auch vermittelbar sei, sei bei der Beurteilung, ob Invalidität vorliege, nicht in Betracht zu ziehen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Differenzierung in den Verweisungsmöglichkeiten nach § 255 Abs. 1 und Abs. 3 ASVG verneinte das Berufungsgericht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern, hilfsweise es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Rechtsmittelgericht zurückzuverweisen in eventu nach Art. 140 Abs. 1 BVG vorzugehen.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Der Revisionswerber meint, die Vorinstanzen hätten nicht nur prüfen müssen, in welcher Zahl die als Verweisungstätigkeiten angeführten Berufe eines Fabriksportiers oder Parkgaragenkassiers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt vorkommen, sondern auch die subjektive konkrete Situation, die Möglichkeit des Klägers, einen Arbeitsplatz in den genannten Verweisungsberufen zu finden, berücksichtigen müssen.

Zunächst ist darauf zu verweisen, daß die angeführten Verweisungstätigkeiten nicht taxativ sondern nur beispielsweise genannt wurden. Es bedarf keiner besonderen Ausführungen, daß für einen Versicherten mit dem gegenüber vollständig gesunden Menschen keineswegs gravierend eingeschränkten Leistungskalkül eine sehr große Zahl weiterer möglicher Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden sind.

Der Berücksichtigung der konkreten Arbeitsmarktsituation bei Beurteilung, ob Invalidität vorliegt aber steht, wie der erkennende Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat (10 Ob S 21/87, 10 Ob S 50/87 ua) entgegen, daß der Gesetzgeber die Kompetenzbereiche von Unfallversicherung und Pensionsversicherung einerseits und Arbeitslosenversicherung andererseits exklusiv festgelegt hat. Während in der Unfall- und Pensionsversicherung Leistungen zu erbringen sind, wenn die Fähigkeit zum Erwerb durch Umstände gemindert ist, die auf der persönlichen Eigenart des Menschen beruhen, gehört die fehlende Nachfrage nach Arbeit nicht zu deren Risikobereich, sondern zu jenem der Arbeitslosenversicherung (Tomandl - Grundriß des Österreichischen Sozialversicherungsrechtes3 50; Teschner in Tomandl - System des Österreichischen Sozialversicherungsrechtes 365, FN 1; Schrammel in ZAS 1984, 83).

Der Gesetzgeber hat die Minderung der Arbeitsfähigkeit abstrakt durch Vergleich mit jener von körperlich und geistig gesunden Versicherten und durch Festlegung eines (in den einzelnen Pensionsgesetzen differenzierten) Kreises der Verweisungstätigkeiten, an denen die Restarbeitsfähigkeit gemessen wird, geregelt. Eine Berücksichtigung gesunkener Nachfrage nach Arbeit in der Pensionsversicherung und damit eine Verschiebung von der Leistungszuständigkeit der Arbeitslosenversicherung zu jener der Pensionsversicherung könnte nicht durch Änderung der auf den bestehenden Gesetzen basierenden Rechtsprechung sondern nur durch den Gesetzgeber durch Einschränkung des Verweisungsfeldes erfolgen (vgl. hiezu ausführlich Schrammel - Zur Problematik der Verweisung in der PV und UV, ZAS 1984, 83 f). Zu Recht hat daher das Berufungsgericht die Notwendigkeit, die konkrete Arbeitsmarktsituation zu erheben, verneint.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung in den Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension nach § 255 Abs. 1 und Abs. 3 ASVG bestehen keine Bedenken.

Eine Differenzierung ist sachlich begründet, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen (aus Unterschieden im Tatsächlichen) erfolgt (VfSlg. 2088, 3754, 4140, 4392). Der Gesetzgeber ist demnach durch den Gleichheitsgrundsatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg. 2956, 5727). Wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich müssen zu entsprechenden unterschiedlichen Regelungen führen (VfSlg. 8217, 8806). Nur unterschiedliche Regelungen, die nicht in entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen eine Grundlage haben, sind gleichheitswidrig (VfSlg. 7947, 8600), wobei unter der Sachlichkeit einer Regelung nicht eine "Zweckmäßigkeit" oder "Gerechtigkeit" zu verstehen ist (VfSlg. 4711). Es ist zulässig, von einer durchschnittlichen Betrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen (VfSlg. 5318). Es ist dem Gesetzgeber auch nicht verwehrt, von einem einmal gewählten Ordnungsprinzip abzugehen, soferne nur die betreffende Regelung in sich sachlich begründet ist (VfSlg. 7040, 7705 ua).

Der Gesetzgeber hat nicht nur in den §§ 273 Abs. 1, 255 Abs. 1 einerseits und § 255 Abs. 3 andererseits im Rahmen des ASVG für betimmte Arbeitnehmer nach der Art der ausgeübten Tätigkeit eine Differenzierung vorgenommen (eine weitere ergibt sich nach §§ 273 Abs. 2 und 255 Abs. 4 auch aus dem Alter des Versicherten) sondern die Anspruchsvoraussetzungen aus dem Versicherungsfall geminderten Arbeitsfähigkeit in den einzelnen Pensionsgesetzen (vgl. § 124 BSVG, 133 GSVG) durch Festlegung von in ihrem Umfang sehr voneinander abweichenden Verweisungsfeldern geregelt. Die Differenzierung erfolgt dabei nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen - nach Berufsgruppen -, an gleiche Tatbestände (die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe) aber werden gleiche Rechtsfolgen geknüpft. Für eine Vorgangsweise nach Art. 140 Abs. 1 BVG sieht der Oberste Gerichtshof daher keine Veranlassung.

Der Revision war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E13420

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00166.87.0209.000

Dokumentnummer

JJT_19880209_OGH0002_010OBS00166_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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