TE OGH 1988/3/1 11Os161/87

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Veröffentlicht am 01.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.März 1988 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Legradi als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann K*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Johann K*** gegen das Urteil des Geschwornengerichtes am Sitze des Landesgerichtes Salzburg vom 2. September 1987, GZ 21 Vr 3.414/84-104, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 23.Februar 1913 geborene Pensionist Johann K*** auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 18.Oktober 1984 in St. Martin am Tennengebirge Franz R*** getötet zu haben, indem er ihm durch wiederholte Stiche mit einem Schlachtmesser von 12 cm Klingenlänge gegen die rechte Brusthälfte Durchtrennungen der Haut, des großen Brustmuskels, der dritten bis fünften Rippe mit einem Anstich der sechsten Rippe, mehrfache Stich- und (ausgedehnte) Schnittverletzungen des rechten Lungenoberlappens sowie des Mittel- und Unterlappens mit einer Durchtrennung im Bereich der Lungenwurzel zufügte.

Die Geschwornen bejahten die (anklagekonforme) Hauptfrage nach Mord (§ 75 StGB) stimmeneinhellig, verneinten demgegenüber die bezügliche Zusatzfrage 1 (fortlaufende Zahl 2 des Fragenschemas) in Richtung eines sämtliche Tatphasen erfassenden, die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustands einhellig und die Zusatzfrage 2 (Zahl 4) nach einer erst ab der ersten Stichführung wirksamen Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) mehrheitlich mit fünf gegen drei Stimmen. Die weiteren Schuldfragen nach versuchtem Mord (§§ 15, 75 StGB - Eventualfrage 2, fortlaufende Zahl 5), Totschlag (§ 76 StGB - Eventualfrage 3, Zahl 6), versuchtem Totschlag (§§ 15, 76 StGB - Eventualfrage 5, Zahl 10), absichtlicher schwerer Körperverletzung (§§ 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB - Eventualfrage 6, Zahl 11), versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung (§§ 15, 87 Abs 1 tGB - Eventualfrage 8, Zahl 15), Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 1, 86 StGB - Eventualfrage 9, Zahl 16), schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB - Eventualfrage 11, Zahl 20) sowie nach dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 Abs 1 StGB) jeweils in bezug auf Mord (Eventualfrage 1, Zahl 3), Totschlag (Eventualfrage 4, Zahl 8), absichtliche schwere Körperverletzung (Eventualfrage 7, Zahl 13) und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (Eventualfrage 10, Zahl 18) ließen die Geschwornen dementsprechend ebenso unbeantwortet wie die (im Sinne der Zusatzfragen 1 und 2) eine umfassende bzw. bloß phasenweise Zurechnungsunfähigkeit betreffenden Zusatzfragen 3 und 4 in bezug auf Totschlag (Zahlen 7 und 9), 5 und 6 in bezug auf absichtliche schwere Körperverletzung (Zahlen 12 und 14) sowie 7 und 8 hinsichtlich Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (Zahlen 17 und 19).

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Ziffern 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch in keinem Punkt Berechtigung zukommt.

Als Verfahrensmängel im Sinn des erstbezeichneten Nichtigkeitsgrundes rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seiner in der Hauptverhandlung gestellten Anträge auf Erörterung des Fakultätsgutachtens mit einem oder mehreren Vertretern des Fakultätskollegiums, auf Ergänzung dieses Gutachtens in mehrfacher Hinsicht sowie auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens aus dem Fachgebiet der Internen Medizin (Band III/S 101 ff), weil ihm dadurch die angestrebte, seiner Auffassung nach entscheidungswesentliche Erweiterung der Beurteilungsgrundlagen zur Frage tataktueller Zurechnungsfähigkeit verwehrt worden sei. Da Fakultätsgutachten das Ergebnis auf dem Fachwissen sämtlicher Mitglieder des Fakultätskollegiums beruhender, allenfalls auch unter Überstimmung divergierender Standpunkte ergehender Beschlußfassungen von Kollegialorganen darstellen, bleibt folgerichtig kein Raum für eine - deshalb gesetzlich auch nicht vorgesehene - Erörterung von Gutachten mit einzelnen Kollegiumsmitgliedern, welche zwangsläufig nur als eigenständige Sachverständige ihre (dem Gutachten allenfalls zum Teil oder sogar zur Gänze widersprechende) persönliche Überzeugung zum Ausdruck bringen können. Die - durch gefestigte oberstgerichtliche Rechtsprechung gedeckte (vgl. ua SSt. 50/73; EvBl 1984/47) - Abweisung des nach dem Gesagten vorweg nicht zielführenden Antrags, das Fakultätsgutachten mit einem Vertreter des Gutachterkollegiums zu erörtern, stellt dem Beschwerdestandpunkt zuwider auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens ("fair trial") im Sinne des Art. 6 Abs 3 lit. d MRK dar. Dem entsprechenden Gebot wurde vorliegend nämlich schon dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß die dem Verfahren zunächst als Sachverständige beigezogenen Universitätsprofessoren Dr. L*** und Dr. H*** ihre (infolge teilweiser Divergenzen für die Befassung der medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck ausschlaggebenden) Gutachten in der Hauptverhandlung vortrugen und auch auf Grund von Fragen des Angeklagten erläuterten, wobei Univ.Prof. Dr. H*** das Fakultätsgutachten in dem seinen Standpunkt widersprechenden Teil einer kritischen Wertung unterzog. Hiedurch wurde gewährleistet, daß die Geschwornen das ihrer freien Beweiswürdigung unterlegene Fakultätsgutachten auch unter Berücksichtigung der dagegen erhobenen Einwände in Verbindung mit den anderen Verfahrensergebnissen auf seine innere Schlüssigkeit und Beweiskraft prüfen konnten.

Auch für die vom Beschwerdeführer in mehrfacher Hinsicht vermißte Ergänzung des Fakultätsgutachtens bestand nach Lage des Falles kein Anlaß:

Das Vorbringen, dem Fakultätsgutachten fehle es an jeglicher Begründung für die Ablehnung eines die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten ausschließenden sogenannten Blutrauschs, negiert die unmißverständlichen (im übrigen mit dem Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. L*** im Einklang stehenden) Erwägungen des Fakultätskollegiums, wonach sich das in Rede stehende Tatverhalten nach den Verfahrensergebnissen als Einheit darstellt, die der vom Beschwerdeführer reklamierten Annahme eines im Anschluß an die erste Stichführung wirksamen (pathologischen) "Blutrauschs" zwingend entgegensteht (Band III/S 51 f).

Zu dem Umstand hinwieder, daß sich der Angeklagte während der Tatausführung in einem hochgradigen Erregungszustand befunden haben muß, nahmen die Sachverständigen Univ.Prof. Dr. L*** und Univ.Prof. Dr. H*** wie auch das Fakultätskollegium eingehend, und zwar durchwegs ohne Bejahung eines paranoiden Wahnzustandes, Stellung. Wenn nun der Beschwerdeführer aus den Angaben des Zeugen Matthias R*** in der letzten Hauptverhandlung vom 2. September 1987, wonach der Angeklagte jeden, der in das Schlafzimmer hineingegangen wäre, mit dem Messer attackiert hätte (Band III/S 88), eine "völlig ungezielte Aggression", welche im Gegensatz zur Annahme der Gutachter "nur als Darstellung einer Paranoia verstanden werden könnte", abzuleiten sucht, so stützt er sich dabei (angesichts der nach den Verfahrensergebnissen evidenten Identifizierung des Tatopfers durch den Angeklagten als seinen - seit geraumer Zeit gehaßten - Schwiegersohn) bloß auf eine persönliche Vermutung des Zeugen, dessen Aussage vorweg allein im Umfang wahrgenommener Tatsachen, nicht aber subjektiver Wertungen Entscheidungsgrundlage sein konnte (vgl. ua SSt. 29/26; 31/10). Rein spekulativen Mutmaßungen, welches Verhalten der Angeklagte in vergleichbarer Situation gegenüber einer anderen Person gesetzt hätte, ermangelt es mithin - ganz abgesehen davon, daß auch eine anderweitig orientierte Angriffshandlung für sich allein noch keinen Schluß auf ein gemäß dem § 11 StGB zu berücksichtigendes paranoides Zustandsbild zuließe - an jedweder entscheidungswesentlichen Erheblichkeit. Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, daß weder der Angeklagte selbst noch sein Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 2.September 1987 Anlaß fanden, die Sachverständigen Univ.Prof. Dr. L*** und Univ.Prof. Dr. H*** im Sinn der Beschwerdeargumentation gezielt zu der in ihrem Beisein abgelegten Zeugenaussage zu befragen. Der nunmehr im Rahmen der Verfahrensrüge erhobene Vorwurf, die genannten Sachverständigen hätten die Angaben des Zeugen Matthias R*** unberücksichtigt gelassen und einen paranoiden Wahn lediglich auf Grund der besonderen Täter-Opfer-Beziehung verneint, erweist sich mithin auch unter diesem Gesichtspunkt als nicht stichhältig.

Daß von einer Ergänzung des Fakultätsgutachtens Abstand genommen wurde, obgleich die - dem Fakultätskollegium nicht

bekannte - Aussage des Zeugen Matthias R*** in der Hauptverhandlung vom 2.September 1987 nach dem Beschwerdestandpunkt eine sturzbedingte Gewalteinwirkung gegen den Schädel des Angeklagten ergeben habe und davon ausgehend ein der ersten Stichführung nachfolgendes (schuldausschließendes) Schädel-Hirn-Trauma indiziert gewesen wäre - kann vom Beschwerdeführer schon deshalb nicht mit Erfolg gerügt werden, weil es diesbezüglich an einer entsprechend konkretisierten Antragstellung in der Hauptverhandlung als unabdingbarer formeller Voraussetzung für die Inanspruchnahme des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes mangelt. Davon abgesehen fehlt es diesem Vorbringen auch an jedem sachlichen Substrat, weil der Beschwerdeführer einerseits jenen Teil der Aussage des Zeugen R*** übergeht, mit dem dieser ein sturzbedingtes

traumatisches Einwirken gegen den Kopf des Angeklagten ausschloß (Band III/S 87), andererseits aber einer offenkundigen Fehlinterpretation des Fakultätsgutachtens in dem Punkt unterliegt, in dem - objektiv unmißverständlich - ein Handeln des Angeklagten in einer posttraumatischen Bewußtseinsstörung in Anbetracht seines zielgerichteten Tatverhaltens selbst unter der Annahme eines Schädel-Hirn-Traumas als "ganz unwahrscheinlich" und durch "keine Anknüpfungstatsachen gestützt" erachtet wird (Band III/S 51). Auch die - im übrigen früheren Angaben zuwiderlaufende (Band I/S 264, 272 f) - Behauptung des Zeugen Matthias R*** in der Hauptverhandlung vom 2.September 1987, der Angeklagte habe hinter der Schlafzimmertür "gelauert", ließ das vor diesem Vorbringen erstattete Fakultätsgutachten entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht ergänzungsbedürftig erscheinen. Daß der Angeklagte kurz vor der Tat imstande war, den Weg vom Zimmerfenster zur Tür "sehr schnell und sturzfrei" zurückzulegen, fand nämlich im Fakultätsgutachten im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage eines allfälligen rauschbedingten Ausschlusses der Zurechnungsfähigkeit ersichtlich nur am Rande Berücksichtigung. Die auf eine Mehrzahl von Indizien gestützte (in diesem Punkt zudem mit den Gutachten der Sachverständigen Univ.Prof. Dr. L*** und Univ.Prof. Dr. H*** uneingeschränkt konforme) gutächtliche Schlußfolgerung des Fakultätskollegiums, daß die alkoholisierungsbedingte Beeinträchtigung des Angeklagten nach Lage des Falles mit Sicherheit keine die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit ausschließende Intensität erreichte, bliebe daher auch von dem vom Beschwerdeführer (im übrigen unter Außerachtlassung diesbezüglich wechselnder Angaben des Zeugen Matthias R***) reklamierten Wegfall der bekämpften Prämisse unberührt.

Zu einer vom Beschwerdeführer vermißten Stellungnahme des Fakultätsgutachtens zum "notorischen Magenleiden" sowie der "möglichen Einnahme" einer - die Wirkung des Alkohols verstärkenden - (richtig:) Mogadon-Tablette hinwieder bestand schon deshalb kein Anlaß, weil sich der bezügliche gerichtliche Prüfungsauftrag auf die von den Sachverständigen Univ.Prof. Dr. L*** und Univ.Prof. Dr. H*** unterschiedlich gelöste Problematik eines allfälligen Blutrausches beschränkte (siehe S 1 p des Antrags- und Verfügungsbogens). Die in diesem Zusammenhang in der Verfahrensrüge relevierten Umstände fanden in den Gutachten beider genannten Sachverständigen ohnedies Berücksichtigung und stellten für die in der Verneinung eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustandes übereinstimmenden Gutachter ersichtlich keinen hinreichenden Anlaß zu anderen Schlußfolgerungen dar (Band I/S 293; II/S 95, 99; vor allem auch III/S 92 ff). Da sich sohin eine Befassung des Fakultätskollegiums mit in den Vorgutachten widerspruchsfrei geklärten Teilfragen erübrigte, war auch der auf eine "Ergänzung" des Fakultätsgutachtens ausgerichteten Antragstellung der Boden entzogen, dies umso mehr als die in der Verfahrensrüge ins Treffen geführten Passagen des von Univ.Prof. Dr. H*** in der Hauptverhandlung vom 28.November 1985 (Band II/S 99 ff) erstatteten Gutachtens lediglich allgemeine Ausführungen ohne konkreten Sachbezug zum Gegenstand hatten. Schließlich bedeutete der Beschwerdeauffassung zuwider auch die Abweisung des (nach seiner Formulierung im übrigen auf einen bloßen Erkundungsbeweis abzielenden) Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Internen Medizin (Band III/S 104, 105 in Verbindung mit Band II/S 102) keine Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten. Für die Beurteilung einer rauschbedingten Aufhebung der Diskretions- bzw. Dispositionsfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt gab nämlich nicht die in die fachliche Kompetenz (auch) der Internen Medizin fallende Frage der Relevanz des in der Beschwerdeargumentation bezogenen Magenleidens in bezug auf die Resorption von Alkohol, vielmehr die Summe jener Verhaltenssymptome den Ausschlag, die sich als Ausdruck einer während der Tatausführung wirksamen rauschbedingten psychischen Zustandsveränderung darstellten. Deren graduelle Zuordnung zum Stadium bloß beeinträchtigter, nicht aber aufgehobener Zurechnungsfähigkeit mußte jedoch (infolge dominierender fachlicher Kompetenz ohne Nachteil für den Angeklagten) der (in diesem Punkt wie dargelegt konformen) Beurteilung gerichtspsychiatrischer Sachverständiger vorbehalten bleiben.

Gestützt auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO macht der Angeklagte zunächst geltend, die "von den Sachverständigen diskutierte Paranoia" und der nach den Ausführungen der Sachverständigen gleichfalls "nicht auszuschließende pathologische Rausch" hätten eine Zusatzfrage nach einer durch die aufgezeigten Umstände indizierten Zurechnungsunfähigkeit nahegelegt, deren Unterbleiben ebenso eine Verletzung der die Fragestellung an die Geschwornen betreffenden Vorschriften darstelle, wie die Nichtaufnahme einer weiteren Zusatzfrage nach irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 StGB - "Putativnotwehr") sowie einer Eventualfrage in Richtung eines angstbedingten fahrlässigen (Putativ-) Notwehrexzesses (§ 80 StGB) in das Fragenschema. Eine entsprechende verfahrensaktuelle Indikation dieser Fragen versucht der Beschwerdeführer gleichfalls aus den Ausführungen der Universitätsprofessoren Dr. L*** und Dr. H*** abzuleiten, ist damit aber nicht im Recht.

Unabdingbare Voraussetzung der Stellung von Zusatz- bzw. Eventualfragen ist, daß in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - würden sie als erwiesen angenommen - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben (§ 313 StPO) bzw. zur rechtlichen Unterstellung der Tat unter eine andere (im Vergleich zur Anklagesubsumtion nicht strengere) strafgesetzliche Bestimmung führen (§ 314 StPO). Ein derartiges Vorbringen ist nach ständiger Rechtsprechung aber nur dann gegeben, wenn die im Zuge des Beweisverfahrens hervorgekommenen Umstände die Annahme derartiger Tatsachen in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken. Bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen bieten mithin keine Grundlage für Zusatz- oder Eventualfragen (Foregger-Serini, StPO3, Erl. II bzw. Mayerhofer-Rieder, StPO2, EGr. 17 jeweils zu § 314). Vorliegend haben sich jedoch der Beschwerdeargumentation zuwider im gesamten Beweisverfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit auf Grund einer paranoiden Psychose oder eines pathologischen Rauschzustandes fraglich gewesen wäre. Sowohl die Sachverständigen Univ.Prof. Dr. L*** und Univ.Prof. Dr. H*** als auch das Fakultätskollegium haben unmißverständlich nicht einmal die mögliche Wirksamkeit eines der erwähnten Schuldausschließungsgründe eingeräumt (vgl. insbesondere Band I/S 148, 227 ff, 293 ff; II/S 61 ff, 111 ff; III/S 41 ff, 92 ff, 99 f).

Im Beweisverfahren kamen aber auch keine konkret faßbaren Umstände hervor, welche die vom Beschwerdeführer vermißte Fragestellung in Richtung einer Putativnotwehr bzw. einer Putativnotwehrüberschreitung geboten hätten. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Zusammenhang relevierten (zudem von erheblichen Vorbehalten gekennzeichneten - Band I/S 297, III/S 99) Ausführungen der Universitätsprofessoren Dr. L*** und Dr. H*** bringen bloß die hypothetische und abstrakte Möglichkeit zum Ausdruck, der Angeklagte habe sich allenfalls - neben anderen, durchwegs sthenisch dominierten Motiven - auch aus Angst vor seinem Schwiegersohn zu den inkriminierten Tathandlungen hinreißen lassen, ohne daß in den Beweisergebnissen entsprechend konkrete Anhaltspunkte erkennbar wären. Insbesondere mangelt es an jedwedem Beweissubstrat in der Richtung, daß der Angeklagte - der sich an den Tathergang nicht mehr erinnert (Band III/S 83, 84) und daher auch selbst keine derartige Behauptung aufstellte - irrtümlich das Vorliegen einer den Voraussetzungen des § 3 StGB entsprechenden Notwehrsituation angenommen und sich in dieser Annahme (unangemessen) verteidigt hätte. Der in sämtlichen Gutachten hervorgehobene, jahrelang aufgestaute Haßaffekt des unter Alkoholeinfluß zu Gewalttätigkeiten neigenden Angeklagten, sein Angriff gegen den unverkennbar ohne Anzeichen einer tätlichen Aggressionstendenz im Bereich der Zimmertür verbliebenen Schwiegersohn und insbesondere die Modalitäten der Tatausführung durch wiederholtes Einstechen mit einem Schlachtmesser auf das nach dem ersten Stich bereits wehrlos auf dem Boden liegende Opfer schließen vielmehr die Annahme, daß sich der Angeklagte irrtümlich durch seinen Schwiegersohn angegriffen wähnte bzw. einen derartigen Angriff als unmittelbar bevorstehend erachtete, geradezu zwingend aus.

Die - nach dem Gesagten rechtsrichtige - Ablehnung der vom Beschwerdeführer (schon in der Hauptverhandlung vom 2.September 1987 angestrebten) Aufnahme einer Zusatzfrage nach Putativnotwehr bzw. einer Eventualfrage nach (gemäß dem § 80 StGB strafbarer) Putativnotwehrüberschreitung kann dem Beschwerdestandpunkt zuwider auch nicht auf den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO gestützt werden, weil Verletzungen von Vorschriften über die Fragestellung auch dann ausnahmslos nur aus der Z 6 der angeführten Gesetzesbestimmung zu bekämpfen sind, wenn ein die Fragestellung betreffender Antrag mit Zwischenerkenntnis des Schwurgerichtshofes abgelehnt wurde (vgl. Mayerhofer-Rieder, StPO2, EGr. 5 zu § 345 Z 5). Soweit der Beschwerdeführer abschließend rügt, daß im Anschluß an die Eventualfrage 11 nach schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB) nicht (analog zu den Zusatzfragen 1 und 2) Zusatzfragen nach umfassender bzw. phasenweiser Zurechnungsunfähigkeit bzw. (sinngemäß der Eventualfrage 1 entsprechend) auch eine Eventualfrage nach Begehung der schweren Körperverletzung im Zustand voller Berauschung - § 287 Abs 1 (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z 1) StGB - gestellt wurden, verkennt er den rechtslogischen Aufbau des vorliegenden Fragenschemas. Eine Beantwortung der Eventualfrage 11 hätte nämlich die Verneinung der Zusatzfrage 8 (und damit auch die Hinfälligkeit der Eventualfrage 10) sowie die Bejahung der Zusatzfrage 8, mithin insgesamt vorausgesetzt, daß die Geschwornen durch die Beantwortung vorangegangener Fragen bereits über die vom Beschwerdeführer relevierten Umstände abgesprochen hätten.

Die wie dargelegt zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Johann K*** war daher zu verwerfen. Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 75 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren. Dabei wertete es die Brutalität und die in der Überraschung des solcherart abwehrunfähigen Tatopfers erblickte "Heimtücke" der Tatausführung als erschwerend, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, die von ihm gezeigte Reue sowie eine zur Tatzeit wirksame Einschränkung seiner Zurechnungsfähigkeit. Von diesen Strafzumessungserwägungen ausgehend und unter Mitberücksichtigung, daß sich der Angeklagte im Bewußtsein seiner Aggressionstendenzen in alkoholisiertem Zustand übermäßigem Alkoholkonsum hingab, die über ihn verhängte Freiheitsstrafe jedoch altersbedingt im Vergleich zu jüngeren Verurteilten härter empfinden muß, schloß das Erstgericht zwar die Anwendbarkeit der außerordentlichen Strafmilderung aus, erachtete aber den Ausspruch der gesetzlichen Mindeststrafe für hinreichend.

Diesen Strafausspruch bekämpft der Angeklagte mit Berufung, mit der er eine Herabsetzung des Strafausmaßes unter außerordentlicher Strafmilderung (§ 41 Abs 1 Z 1 StGB) im wesentlichen mit der Begründung anstrebt, die Tatbegehung sei auf eine alkoholisierungs-, affekt- und krankheitsbedingt weitgehende Einschränkung seiner Zurechnungsfähigkeit zurückzuführen, stelle trotz seines hohen Lebensalters die erste kriminelle Auffälligkeit dar und lasse unter besonderer Berücksichtigung des Wegfalls der tatauslösenden familiären Konfliktsituation und der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, wie sie sich aus seinem im Lebenslängsschnitt gezeigten Verhalten ergebe, eine Anwendung des § 41 StGB zu. Die Art der Tatausführung hinwieder sei ausschließlich auf den singulären tataktuellen psychischen Ausnahmezustand zurückzuführen, nicht aber als Ausdruck einer besonders verwerflichen Gesinnung des Angeklagten zu verstehen, weshalb sie vom Erstgericht zu Unrecht als erschwerend berücksichtigt worden sei.

Auch der Berufung war der Erfolg zu versagen.

Von dem (im Ergebnis für die Straffrage nicht ausschlaggebenden) Umstand abgesehen, daß die Modalitäten der Tatausführung (frontaler Angriff mit einem Messer) der erstgerichtlichen Auffassung zuwider den Vorwurf einer als besonderer Erschwerungsgrund zu wertenden "Heimtücke" nicht zu rechtfertigen vermag, beruht der bekämpfte Strafausspruch auf einer im wesentlichen richtig und vollständigen Würdigung der vorliegend aktuellen Strafzumessungsgründe, in deren Rahmen die vom Berufungswerber relevierten Gesichtspunkte ohnedies entsprechend sachgerechte Berücksichtigung fanden. Treten doch der bisher ordentliche Lebenswandel des (betagten) Angeklagten und die (auf komplexe Ursachen zurückzuführende) Beschränkung seiner Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt gegenüber dem außergewÄhnlichen Gewicht des Tatunrechts, wie es in der von exzessivem Tötungswillen gekennzeichneten Deliktsverwirklichung zum Ausdruck kommt, bedeutungsmäßig in den Hintergrund. Solcherart kann aber schon von einem im Sinne des § 41 Abs 1 StGB beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe nicht die Rede sein, weshalb die angestrebte außerordentliche Strafmilderung vorweg nicht in Betracht kommt, ohne daß es eines Eingehens auf deren weitere Voraussetzungen bedarf. Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E13437

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0110OS00161.87.0301.000

Dokumentnummer

JJT_19880301_OGH0002_0110OS00161_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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