TE OGH 1988/3/16 9ObA54/88

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Veröffentlicht am 16.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dkfm. Reinhard Keibl und Alfred Klair als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarete P***, Geschäftsfrau, Dornbirn, Haldengasse 27 a, vertreten durch Dr. Leonhard Lindner, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 81.095,20 sA (eingeschränkt auf Zinsen und Kosten), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 11. November 1987, GZ 5 Ra 1140/87-37, womit das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 3. Juni 1987, GZ 34 Cga 1040/87-33, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und in der Sache selbst durch Urteil dahin zu Recht erkannt, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 2.768,48 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (davon S 251,68 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der beklagten Partei auf Grund des Sondervertrages vom 21. November 1977 vom 12. September 1977 bis 30. November 1980 als Vertragslehrerin an der Bundestextilschule in Dornbirn beschäftigt. Sie wurde in die Entlohnungsgruppe l 3 des Entlohnungsschemas I l eingestuft. Sie erhielt die im Sondervertrag vereinbarte Entlohnung, beanspruchte aber, so wie andere Vertragslehrer, die mit Sonderverträgen beschäftigt waren, eine Nachzahlung. Zwischen der beklagten Partei und der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst wurde vereinbart, daß der Ausgang eines Musterprozesses über die strittige Einstufung abgewartet und nach dem Ergebnis dieses Prozesses alle Sonderverträge behandelt werden sollten. Die beklagte Partei verzichtete bis zum Abschluß des Musterprozesses auf die Einwendung der Verjährung. Mit Urteil vom 23. Juni 1981, 4 Ob 58/81, entschied der Oberste Gerichtshof, daß Vertragslehrer ungeachtet anderslautender Sonderverträge nach ihrer tatsächlichen Verwendung einzustufen seien. Auf Grund dieser Entscheidung und der mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst getroffenen Vereinbarung zahlte die beklagte Partei der Klägerin nach deren Ausscheiden aus dem Dienst die Unterschiedsbeträge auf die Bezüge der Entlohnungsgruppe l 1 nach. Aus diesem Titel erhielt die Klägerin in den Jahren 1983 und 1984 Nachzahlungen von zusammen S 182.148,90 brutto, wovon Lohnsteuer in Höhe von S 96.168,30 und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von S 1.439,20 abgezogen wurden, so daß S 84.541,40 netto verblieben.

Die Klägerin behauptet, von der beklagten Partei schuldhaft zu niedrig eingestuft worden zu sein. Diese Einstufung und die nach ihrer Änderung schuldhaft unrichtig vorgenommene Lohnsteuerberechnung habe zu einer Schädigung der Klägerin geführt.

Die Lohnsteuer von der Nachzahlung hätte bei richtiger Berechnung

nur S 16.512,30 betragen. Sozialversicherungsbeiträge wären

überhaupt nicht abzuziehen gewesen. Die Klägerin begehrte daher von

der beklagten Partei

an zuviel abgezogener Lohnsteuer             S 79.656,--

und an abgezogenen Sozialver-

sicherungsbeiträgen                          S  1.439,20

zusammen                                     S 81.095,20 sA

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Anspruch der Klägerin auf höhere Einstufung habe sich erst aus der zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 23. Juni 1981, 4 Ob 58/81, und aus Art X BGBl. 1982/350 ergeben. Die Berechnung der Lohnsteuer für die erst längst nach Beendigung des Dienstverhältnisses anzuweisende Nachzahlung habe nicht unter Anwendung des § 67 Abs 8 EStG 1972 erfolgen können, weil es sich nicht um eine Zahlung auf Grund eines außergerichtlichen Vergleiches gehandelt habe. Unterlaufe dem Arbeitgeber bei der Ermittlung der zu entrichtenden Lohnsteuer ein Irrtum, so könne er gemäß § 240 Abs 1 BAO bis zum Ablauf des Kalenderjahres eine entsprechende Berichtigung vornehmen. Durch weitere fünf Jahre habe der Abgabepflichtige die Möglichkeit, beim Finanzamt einen Antrag auf Rückerstattung unrichtig ermittelter Lohnsteuer zu stellen (§ 240 Abs 3 BAO).

Von diesem Recht hat die Klägerin Gebrauch gemacht. Sie wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen. Mit Erkenntnis vom 5. November 1986, Zl. 85/13/0144-6 hob der Verwaltungsgerichtshof den abweisenden Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 5. Juli 1985 im wesentlichen mit der Begründung auf, daß in der Vereinbarung zwischen der R*** Ö*** und der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, wonach ein Einzelfall "durchjudiziert" (ein Musterprozeß geführt) und bis dahin mit der Geltendmachung weiterer Nachzahlungsansprüche der übrigen Betroffenen zugewartet und von der beklagten Partei auf die Verjährungseinrede verzichtet werde, ein außergerichtlicher Vergleich iS des § 67 Abs 8 EStG zu erblicken sei, so daß die nachgezahlten Beträge nach dieser Gesetzesstelle mit jenem Steuersatz zu versteuern seien, der tarifmäßig dem letzten laufenden Arbeitslohn entspreche. Auf Grund dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sprach die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland aus, daß der Klägerin die zu Unrecht einbehaltene Lohnsteuer in Höhe von S 75.712 zu erstatten sei. Dieser Betrag wurde ihr am 2. März 1987 zurückgezahlt, worauf sie aus prozeßökonomischen Gründen den restlichen Klagsbetrag von S 5.383,20 fallen ließ und das Klagebegehren auf Zinsen und Kosten einschränkte.

Das Erstgericht sprach der Klägerin 4 % Zinsen aus S 87.242,50 vom 21. Jänner 1984 bis 11. Mai 1984 und aus S 75.712 vom 12. Mai 1984 bis zum 2. März 1987 zu. Die Abweisung des Mehrbegehrens von 6 % Zinsen aus S 87.242,50 vom 21. Jänner 1984 bis zum 11. Mai 1984 und aus S 75.712 vom 12. Mai 1984 bis zum 2. März 1987 sowie von 10 % Zinsen aus dem weiteren Kapitalbetrag von S 5.383,20 ließ die Klägerin unbekämpft.

Da der Zahlungsverzug der beklagten Partei weder auf böser Absicht, noch auf auffallender Sorglosigkeit beruhe, seien der Klägerin Zinsen nur in gesetzlicher Höhe zuzusprechen. Da die Klägerin das restliche Klagebegehren fallengelassen habe, seien ihr Zinsen nur für den tatsächlich bezahlten Kapitalbetrag zuzuerkennen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und hob das Ersturteil im stattgebenden Teil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurück.

Gemäß § 78 Abs 1 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten. Dieser öffentlich-rechtlichen Pflicht des Arbeitgebers stehe die gleichfalls öffentlich-rechtliche Pflicht des Arbeitnehmers gegenüber, den Steuerabzug zu dulden. Der Bruttolohnanspruch der Klägerin sei durch die Ablieferung von Lohnsteuer an die Abgabenbehörde und die Auszahlung des Restes an die Klägerin abgedeckt worden. Ein Entgeltanpsruch aus dem Dienstvertrag stehe ihr daher nicht mehr zu. Daneben könnte der Klägerin auch ein Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Partei zustehen. Dadurch, daß die Klägerin gegenüber der Abgabenbehörde einen gleich hohen Rückerstattungsanspruch nach § 240 Abs 3 BAO habe, sei aber ein Vermögensnachteil nicht eingetreten. Die Rückerstattung durch die Abgabenbehörde sei nicht als Erfüllung eines Schadenersatzanspruches durch die beklagte Partei anzusehen, so daß die Klägerin die gesetzlichen Verzugszinsen nicht schon auf Grund objektiven Verzuges verlangen könne. Diese Zinsen wären nur als Verzögerungsschaden zu erstatten. Der beklagten Partei könne aber ein Verschulden bei der Berechnung der Lohnsteuer nicht angelastet werden, weil sie von einer vertretbaren Rechtsansicht, die auch die Abgabenbehörden erster und zweiter Instanz geteilt hätten, ausgegangen sei. Ein Schadenersatzanspruch aus unrichtig berechneter Lohnsteuer bestehe daher nicht.

Die Klägerin habe aber auch ein Verschulden der beklagten Partei an ihrer unrichtigen Einstufung behauptet, das im fortgesetzten Verfahren noch zu prüfen sein werde.

Die Klägerin erhebt gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes Rekurs. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Ersturteil wiederhergestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig. Gemäß § 45 Abs 4 ASGG darf das Gericht einen Rechtskraftvorbehalt nach § 519 Abs 1 Z 3 ZPO nur aussprechen, wenn der Rekurs nicht schon nach § 528 Abs 1 Z 2 bis 4 oder 6 ZPO unstatthaft ist und es erachtet, daß die Voraussetzungen des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG gegeben sind, oder wenn der Wert des Streitgegenstandes, über den es entscheidet, an Geld oder Geldeswert S 30.000 übersteigt. Wie das Rekursgericht zutreffend erkannte, ist in § 46 Abs 2 Z 1 ASGG eine betragliche Untergrenze für die Zulässigkeit einer Grundsatzrevision nicht vorgesehen (Kuderna, ASGG 234). Daraus folgt, daß Revisionen oder Rekurse gegen Aufhebungsbeschlüsse bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG auch dann zulässig sind, wenn der Streitgegenstand, über den die zweite Instanz entschieden hat, nur mehr aus Zinsen (und Kosten) besteht.

Der Rekurs ist auch berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ergibt sich aus

§ 78 Abs 1 EStG sowohl die öffentlich-rechtliche Pflicht des

Arbeitgebers, die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung

einzubehalten, als auch die gleichfalls öffentlich-rechtliche

Pflicht des Arbeitnehmers, dies zu dulden. Damit hat aber das

Berufungsgericht nur die Pflichten der beiden Arbeitsvertragspartner

gegenüber der Steuerbehörde beachtet. Aus dem Grundsatz, daß der

Schuldner seine Erfüllungshandlungen so zu setzen hat, daß der

Gläubiger nicht geschädigt wird, folgt, daß der Arbeitgeber den

Betrag, den er bei der Lohnzahlung als Lohnsteuer einzubehalten und

an die Abgabenbehörde abzuführen hat, mit entsprechender Sorgfalt

berechnen muß. Er darf dem Arbeitnehmer nicht mehr abziehen, als

sich aus dem Gesetz ergibt, und er haftet, wenn sich die Höhe des

Steuerabzuges aus dem Gesetz unschwer ermitteln läßt, jedenfalls für

den Verzögerungsschaden, den der Arbeitnehmer auch durch einen

erfolgreichen Rückerstattungsanspruch nach § 240 Abs 3 BAO nicht

abwenden kann. Der Arbeitgeber muß bei Erfüllung dieser

Pflicht - jedenfalls ab einer bestimmten Betriebsgröße - auch den

Mangel der erforderlichen, nicht gewöhnlichen Kenntnisse iS des

§ 1299 ABGB vertreten, weil es ihm nach der Verkehrsübung zumutbar

ist, die Durchführung der Lohnverrechnung entsprechend ausgebildeten

Fachkräften anzuvertrauen.

Im vorliegenden Fall erhielt die Klägerin - so wie andere

Vertragslehrer mit Sonderverträgen - auf Grund des Ergebnisses des zitierten Musterprozesses, wie mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst vereinbart worden war, für die Zeit vom 12. September 1977 bis 30. November 1980 die Nachzahlungen auf die höhere Entlohnungsgruppe l 1. Schon der Rechtsgrund dieser Nachzahlung legte es nahe, daß die Klägerin lohnsteuerrechtlich so zu behandeln war, als wenn ihr die gebührenden höheren Bezüge schon von vornherein zu den entsprechenden Fälligkeiten angewiesen worden wären. Die Bestimmung des § 67 Abs 8 EStG sieht eine solche Berechnungsweise für Vergleichssummen, gleichgültig ob diese auf gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichen beruhen, vor. Die zwischen der beklagten Partei und der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst getroffene Vereinbarung, daß über die strittige Einstufung nur ein Musterprozeß geführt und mit der Geltendmachung der Nachzahlungsforderungen der übrigen Betroffenen zugewartet, von der beklagten Partei auf die Einwendung der Verjährung verzichtet und dann alle Sondervertragslehrer nach dem Ergebnis des Musterverfahrens behandelt werden sollten, war ohne ernsthafte Bedenken als außergerichtlicher Vergleich iS des § 67 Abs 8 EStG auszulegen, durch den, wenngleich erst nach Ende des abgelaufenen Kalenderjahres (vgl. § 67 Abs 8 Satz 1 EStG) Nachzahlungen von laufenden Bezügen geleistet wurden. Der beklagten Partei hätte es auffallen müssen, daß die Klägerin durch die - offenbar gemäß § 67 Abs 10 EStG vorgenommene Lohnsteuerberechnung (AS 83), die zu einer Lohnsteuerbelastung der Nachzahlung von mehr als 50 % führte, im Vergleich zu einer Berechnung nach § 67 Abs 8 Satz 1 und 3 EStG kraß benachteiligt wurde. Die beklagte Partei hat nicht einmal behauptet, daß sie die Möglichkeit der Anwendung des § 67 Abs 8 EStG individuell geprüft und erst dann als nicht zulässig erkannt hätte. Die beklagte Partei haftet daher für den der Klägerin zugefügten Verzögerungsschaden.

Dem Rekurs ist sohin Folge zu geben und in der Sache selbst im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteiles zu erkennen (§ 519 Abs 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E13646

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00054.88.0316.000

Dokumentnummer

JJT_19880316_OGH0002_009OBA00054_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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