TE OGH 1988/4/5 5Ob527/88

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Veröffentlicht am 05.04.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Claudia L***, geboren am 5. September 1982, wohnhaft beim Vater Franz L***, Hauptschullehrer, Feldkirch,

Herrenhofgasse 2, infolge Revisionsrekurses der Mutter Ulrike L***, Rentnerin, Tschagguns 109, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 22. Februar 1988, GZ 1 a R 78/88-51, womit infolge Rekurses beider Elternteile der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 20. Jänner 1988, GZ P 209/84-46, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die am 5. September 1982 geborene Claudia ist die eheliche Tochter des Franz und der Ulrike L***. Die am 22. Oktober 1981 geschlossene Ehe der Eltern des Kindes wurde mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 12. Dezember 1985 gemäß § 38 Abs 1 EheG aufgehoben; zugleich wurde gemäß § 42 Abs 2 EheG ausgesprochen, daß Ulrike L*** als schuldig anzusehen ist (ON 19).

Das Kind wird im Haushalt des Vaters betreut, dem auch die elterlichen Rechte und Pflichten zugeteilt wurden (ON 5). Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 11. Februar 1985 (ON 10) wurde der Mutter ein Besuchsrecht in der Weise eingeräumt, daß sie Claudia beginnend ab 13. Februar 1985 an jedem zweiten Mittwoch um 9 Uhr beim Vater abholen kann und um 18 Uhr dem Vater wieder zurückzubringen hat.

Am 23. Juni 1987 beantragte der Vater, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen. Er legte zwei an ihn gerichtete Briefe der Mutter vor und äußerte unter Hinweis auf diese beiden Briefe die Befürchtung, die Mutter könnte sich und dem Kind bei der Ausübung des Besuchsrechtes etwas antun.

Der Brief vom 18. Juni 1987 lautet (AS 133):

"Hallo Franz! Gestern hat Claudia wieder gesagt, daß sie, wenn sie in die Schule geht, nicht mehr zu mir kommen kann. Die Ahna habe gesagt, sie müsse dann Hausaufgaben machen. Ich sagte ihr darauf, daß sie mich dann am Sonntag besuchen kann und die Hausaufgaben könne sie am Samstag Nachmittag machen. Ich würde mir sehr wünschen, daß Claudia in dieser kurzen Zeit, die sie noch bei Dir ist, nicht unnötig belastet wird. Euer Bemühen, sie zu beeinflussen, ist sinnlos, denn eines weiß ich sicher, daß sie in der Ewigkeit bei mir sein wird. Ciau Ulli."

Der dem Erstgericht am 26. Juni 1987 vorgelegte Brief hat folgenden Inhalt (AS 141 f):

"Hallo Göttergatte! Die Jaguare rennen jetzt in ihr eigenes Messer. Der Lockvogel und das Kind aber werden leben. Die Gesichtsoperation konnte Dein "wahres Gesicht" nicht verbergen. Deine erhobene rechte Hand ist schon verdorrt. Meine linke Hand lebt. ... Und er versprach ihr den Himmel auf Erden. Gelobt sei Jesus Christus! P.S. Falls Du diesen Brief wieder für eine Deiner Hinterhältigkeiten verwenden möchtest, denk' daran: Geisteskranke haben Narrenfreiheit."

Der Vater brachte ferner vor, daß das Kind nach dem jeweiligen Besuchstag bei der Mutter stets einen verstörten Eindruck mache; dies könne auch die Kindergartenschwester bestätigen. Die Mutter sprach sich gegen eine Entziehung oder Einschränkung ihres Besuchsrechtes mit der Begründung aus, sie habe in den beiden Briefen keinerlei Tötungsabsichten zum Ausdruck bringen wollen. Sie stehe ständig in ärztlicher Behandlung. Überdies sei ihre Mutter an den Besuchstagen ständig anwesend.

Die mütterliche Großmutter hat sich dem Erstgericht gegenüber zweimal verpflichtet, beim Abholen und Zurückbringen des Kindes sowie während der Besuchszeit ständig bei Mutter und Kind zu bleiben. Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen, ab (Punkt 1) und räumte der Mutter in Abänderung seines Beschlusses ON 10 ein Besuchsrecht in der Weise ein, daß sie die mj. Claudia beginnend ab 26. Jänner 1988 an jedem

4. Dienstag um 9 Uhr beim Vater abholen kann und am selben Tag um 18 Uhr wieder dem Vater zu übergeben hat. Diese Besuchsrechtseinräumung erfolgte unter der Auflage, daß sich die Mutter regelmäßig der vom zuständigen Arzt des Landes-Nervenkrankenhauses Valduna angeordneten ambulanten Kontrolle unterzieht und die verordneten Medikamente einnimmt sowie weiters, daß ihre Mutter Irma S*** beim Abholen und Zubrückbringen des Kindes sowie während der gesamten Dauer des Besuchstages bei der Mutter und dem Kind anwesend ist (Punkt 2).

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

Prim.Dr.H***, bei dem die Mutter im Sommer 1987 vorgesprochen hat, weil sie ihn von früher her kannte, hat über telefonische Anfrage angegeben, daß bei der Mutter zum Zeitpunkt ihrer Vorsprache im Sommer 1987 kein akutes Krankheitsbild vorgelegen habe und keine große Gefahr für das Kind bestehe, wenn die Mutter das Besuchsrecht in Gegenwart der mütterlichen Großmutter ausübe.

Dr. W*** vom Landes-Nervenkrankenhaus Valduna hat bestätigt, daß bei der Mutter kein akuter Schub vorliegt. Er könne aber keine Garantie dafür übernehmen, daß an Besuchstagen nichts passiere. Der Sachverständige Dr. S***, Facharzt für Nerven- und Geisteskrankheiten, kommt in seinem Gutachten vom 14. September 1987 (ON 34) unter Hinweis auf sein Vorgutachten vom 31. Juli 1986 (ON 17) zu dem Schluß, daß man der Mutter, soweit man dies überhaupt sagen könne, das bisherige Besuchsrecht belassen könne, vorausgesetzt, daß sich die mütterliche Großmutter weiterhin verpflichte, an den Besuchstagen jeweils anwesend zu sein, und weiters vorausgesetzt, daß eine Gewähr für regelmäßige psychiatrische Kontrollen gegeben ist, die auch durch Belege entsprechend nachweisbar sein müssen.

Der Sachverständige Dr. M***, Facharzt für Kinderneuropsychiatrie, führt in seinem Gutachten vom 30. Dezember 1987 (ON 40) in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S*** aus, daß eine tatsächliche Gefährdung des Kindes durch die Mutter, soweit überhaupt vorhersehbar, gering sei. Es solle aber in vierteljährlichen Abständen eine Kontrolle des Kindes durch einen Kinderfacharzt erfolgen, damit allfällige Veränderungen beim Kind rechtzeitig festgestellt werden könnten.

Was die allfällige Gefährdung der körperlichen Sicherheit des Kindes betrifft, so ist zu berücksichtigen, daß die Mutter bis zu dem Zeitpunkt, als der Vater den Antrag auf Entziehung des Besuchsrechtes einbrachte, das Besuchsrecht regelmäßig in Gegenwart ihrer Mutter ausgeübt hat, und zwar nunmehr schon seit längerer Zeit. Während dieser ganzen Zeit hat die Mutter weder Selbstmordabsichten geäußert noch irgendwie zum Ausdruck gebracht, daß sie sich selbst und das Kind gemeinsam töten wolle. Sie ist auch regelmäßig zu der ambulanten Behandlung in das Landes-Nervenkrankenhaus Valduna gegangen. Im Anhaltungsverfahren L 79/84 des Erstgerichtes hat die Mutter angegeben, daß sie lieber sich selbst als das Kind umbringe. Vor der seinerzeitigen Einlieferung in das Landes-Nervenkrankenhaus Valduna hat lediglich die Mutter einen Selbstmordversuch unternommen; das Kind blieb unbehelligt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus:

Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt, insbesondere die beiden Sachverständigengutachten, erscheine es zulässig, der Mutter das Besuchsrecht weiter zu belassen. Eine 100 %ige Garantie, daß einem Kind an einem Besuchstag nichts passieren könne, werde nie möglich sein. Nach menschlichem Ermessen könne im vorliegenden Fall gesagt werden, daß unter Einhaltung der erteilten Auflagen für das Kind keine Gefährdung gegeben sei. Aber auch in psychischer Hinsicht erscheine die Einräumung des Besuchsrechtes im eingeschränkten Umfang von einmal pro Monat zulässig. Es könne nicht gesagt werden, daß dadurch für das Kind eine solche Belastung gegeben sei, daß diese zumindest derzeit für das Kind von Nachteil wäre. Der Sachverständige Dr. M*** habe über Befragen ergänzend angegeben, daß gegen die Einräumung des Besuchsrechtes im eingeschränkten Umfang derzeit kein Einwand zu erheben sei und aus beiden Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte zum Vorschein gekommen seien, die den gänzlichen Entzug des Besuchsrechtes rechtfertigen würden. Die Mutter müsse sich aber darüber im klaren sein, daß ihr das Besuchsrecht sofort entzogen werden würde, wenn sie nicht regelmäßig zur ambulanten Behandlung in das Landes-Nervenkrankenhaus Valduna gehen oder die verordneten Medikamente nicht einnehmen sollte. Dasselbe gelte für die Überwachung an den Besuchstagen durch die mütterliche Großmutter, die die Haftung dafür übernommen habe, daß Mutter und Kind nicht unbeaufsichtigt seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter, die sich gegen die Einschränkung ihres bisherigen Besuchsrechtes wendete, nicht Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß in Stattgebung des Rekurses des Vaters dahin ab, daß es der Mutter das Besuchsrecht (gänzlich) entzog.

Das Rekursgericht entnahm den Akten nachstehenden (zusätzlichen) Sachverhalt:

Bei der am 16. Dezember 1957 geborenen Mutter trat erstmals im Jahr 1970 während eines kirchlichen Gottesdienstes ein Anfall auf, bei dem sie einige Zeit ohnmächtig zu Boden fiel. Bis zum Jahre 1982 haben sich diese Anfälle durchschnittlich etwa einmal pro Jahr wiederholt. Bei derartigen Anfällen hatte die Mutter jeweils das Gefühl, schreien zu müssen und einen Kampf zwischen Gut und Böse zu erleben. Am 17. Mai 1974 wurde sie von Dr. N*** erstmals in die Psychiatrie des Landes-Nervenkrankenhauses Valduna in Rankweil eingewiesen, nachdem sie sich seit Ostern 1974 verändert, fremd und beobachtet gefühlt hatte. Die Aufnahmediagnose lautete: "Neurotische Depression mit fraglichen schizophrenen Unterlegungen". Im Zuge dieser ersten Aufnahme wurde die Mutter 14 Elektroschocks unterzogen. Am 15. Oktober 1982 kam es über Zuweisung des Nervenfacharztes Dr. B*** zu einer zweiten Aufnahme der Mutter in die Psychiatrie des Landes-Nervenkrankenhauses Valduna. Die Mutter hatte am 5. September 1982 das Kind Claudia geboren. Unmittelbar nach der Geburt veränderte sich ihr psychischer Zustand und ging es ihr zunehmend schlechter. Am Einweisungstag hatte sie sich selbst Bißwunden zugefügt. Bei dieser Aufnahme wurde die Diagnose "Schwangerschaftspsychose oder medikamentös bedingte Exacerbation einer latenten Psychose" gestellt. Am 23. November 1982 verübte sie während eines Wochenendurlaubes zu Hause einen schweren Selbstmordversuch, bei dem sie sich vom Dachboden des Elternhauses zu Boden stürzte und schwere Verletzungen zuzog. Am 22. Jänner 1983 wurde sie aus der Psychiatrie Valduna entlassen.

Vom 31. Oktober 1983 bis 8. November 1983 wurde die Mutter wegen akuter Exacerbation einer paranoiden halluzinatorischen Erkrankung zum dritten Mal und vom 25. Dezember 1983 bis 3. Jänner 1984 wegen akuter Suizidalität bei paranoider halluzinatorischer Krankheit zum vierten Mal in das Landes-Nervenkrankenhaus Valduna aufgenommen. Die fünfte Aufnahme erfolgte am 6. März 1984, weil sie bei einem Gespräch mit dem Arzt aus vollem Hals geschrien, Tische umgeworfen, Stühle an die Wand geschleudert und erklärt hatte, sie höre Stimmen, die ihr sagen, sie solle ihr Kind umbringen. Von Dr. G***, der die Mutter im Zuge des damaligen Anhaltungsverfahrens begutachtete, wurde dabei erhoben, daß sie sich schon im Alter von 16 Jahren die Pulsadern aufschneiden und bereits öfters das Leben nehmen wollte.

Seit 2. Juli 1984 war die Mutter nicht mehr in stationärer Behandlung im Landes-Nervenkrankenhaus Valduna. Im Juni/Juli 1986 war die Mutter jedoch wegen einer Exacerbation der paranoiden Psychose (Rückfall in paranoische Äußerungsarten) krankgeschrieben. Aufgrund der Auswirkungen ihrer Erkrankung konnte die Mutter nur teilzeitbeschäftigt sein; sie bleibt mehr oder weniger zu Hause, wo sie einer gewissen Betreuung durch ihre Mutter und einer medikamentösen Behandlung bedarf.

Aus den im bisherigen Pflegschaftsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich weiters, daß bei der Mutter nach wie vor eine defekt-schizophrene Symptomatik gegeben ist und grundsätzlich jederzeit eine Verschlechterung des Grundleidens eintreten kann. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß es bei der Ausübung des Besuchsrechtes krankheitsbedingt zu einer Gefährdung des Kindes kommt.

Aus der Darstellung des bisherigen Krankheitsverlaufes bei der Mutter ergibt sich, daß in der Vergangenheit sehr wohl eine krankheitsbedingte Eigengefährdung der Mutter, aber auch eine Gefährdung des Kindes gegeben war. Vor diesem Hintergrund können die Äußerungen der Mutter in den vom Vater zum Anlaß für seinen Entziehungsantrag genommenen Briefen - wie auch immer sie tatsächlich gemeint gewesen sein mögen - auch als Ausdruck einer durchaus in das Krankheitsbild passenden Aggressionstendenz gegen das Kind gedeutet werden. Wie diese Äußerungen damals tatsächlich gemeint waren, läßt sich nicht objektivieren. In Verbindung mit dem bei der Mutter gegebenen Krankheitsbild kann dabei aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß sie möglicherweise auch Ausdruck einer krankheitsbedingten, sich gegen das Kind richtenden Verhaltenstendenz der Mutter waren.

In rechtlicher Beziehung führte das Rekursgericht aus:

Es stehe fest, daß die Erkrankung der Mutter nach wie vor gegeben sei, auch wenn ihr Zustand derzeit eher als besser zu beurteilen sei als früher. Der weitere Verlauf dieser Krankheit sei nicht verläßlich abschätzbar. Das sich aus der Art der Erkrankung der Mutter für das Kind ergebende Gefährdungsrisiko könne damit für die Zukunft weder ausgeschlossen noch mit hinreichender Verläßlichkeit eingeschätzt werden. Dieses Risiko könne auch im Hinblick auf die vom Erstgericht angeordneten Auflagen nicht vernachlässigt werden und falle bei der Beurteilung der Frage, ob es unter diesen Umständen dem Wohl des Kindes entspreche, weitere Besuchskontakte zur Mutter zu unterhalten, doch derart erheblich ins Gewicht, daß diese Frage zu verneinen sei. Die vom Erstgericht erteilte Auflage, daß die mütterliche Großmutter bei der Ausübung des Besuchsrechtes ständig anwesend zu sein habe, sei in der Praxis nicht völlig realisierbar und würde auch die Besuchskontakte von Mutter und Kind unter eine Atmosphäre permanenter Kontrolle und Beobachtung stellen, die der Entwicklung einer unbefangenen Mutter-Kind-Beziehung nicht zuträglich wäre. Das Rekursgericht sei sich dessen bewußt, daß durch die Entziehung des Besuchsrechtes in schwerwiegender Weise in die Elternrechte der Mutter eingegriffen werde. Ein solcher Eingriff sei nur aus schwerwiegenden Gründen vertretbar. Im vorliegenden Fall erachte es das Rekursgericht jedoch im Hinblick auf das konkret nicht abschätzbare krankheitstypische Gefährdungspotential für geboten, zum Schutz des Kindes das tatsächlich gegebene, aber nicht wägbare Gefährdungsrisiko durch gänzliche Entziehung des Besuchsrechtes der Mutter auszuschließen. Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß ihr ein Besuchsrecht in der Weise eingeräumt werde, daß sie das Kind an jedem 4. Dienstag eines Monats um 9 Uhr beim Vater in dessen Wohnung abholen und am selben Tag um 18 Uhr dem Vater wieder übergeben kann. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Gemäß § 148 Abs 1 Satz 1 ABGB hat der Elternteil, dem die Pflege und die Erziehung des mj. Kindes nicht zustehen, das Recht, mit dem Kind persönlich zu verkehren. Nach § 148 Abs 1 Satz 2 ABGB hat das Gericht auf Antrag die Ausübung dieses Rechtes in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln oder

nötigenfalls - besonders wenn die Beziehungen des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es aufwächst, unerträglich gestört würden - ganz zu untersagen. Das Recht auf persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern ist ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht. Darüber hinaus ist ein Mindestmaß an persönlichen Beziehungen eines Kindes zu beiden Elternteilen höchst erwüscht und wird im Interesse der gesunden Entwicklung des Kindes allgemein gefordert (EFSlg 48.275, 48.287, 51.146, 51.148 uva, zuletzt etwa 2 Ob 595/87). Ausschlaggebend ist das Kindeswohl. Im Falle eines Konfliktes zwischen dem Kindeswohl und dem Besuchsrechtsanspruch des Elternteiles, dem die Pflege und die Erziehung des Kindes nicht zustehen, ist dem Kindeswohl der Vorzug zu geben; die Eigeninteressen der Eltern haben zurückzutreten. Ein solcher Konfliktfall ist aber nur dann gegeben, wenn die Auswirkungen des Konfliktes über das sich aus der Trennung der Eltern üblicherweise ergebende Ausmaß hinausgehen (EFSlg 45.721, 45.722, 48.276, 51.147, 51.157 uva). Eine Einschränkung oder Entziehung des Besuchsrechtes darf nur in Ausnahmefällen aus besonders schwerwiegenden Gründen, etwa bei konkreter Gefährdung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes, erfolgen; abstrakte Befürchtungen einer Beeinträchtigung des Kindeswohls oder etwa eine seelische Irretation des Kindes, wie sie häufig nach der Auflösung der Ehe der Eltern zu beobachten ist, reichen für eine Einschränkung oder Entziehung des Besuchsrechtes nicht aus (EFSlg 45.766, 45.767, 48.336, 48.343 bis 48.345, 51.182, 51.190, 51.194, 51.197, 51.199, 51.200 uva, zuletzt etwa 2 Ob 595/87, 7 Ob 649/87). Es trifft beide Elternteile die Verpflichtung, alles zu tun, um die störungsfreie Ausübung des Besuchsrechtes zu sichern, und alles zu unterlassen, was die Aufnahme oder Aufrechterhaltung des zum Wohl des Kindes notwendigen Kontaktes auch zum anderen Elternteil beeinträchtigen könnte. Dazu gehört es auch, daß der die Pflege und Erziehung ausübende Elternteil das Kind in einer seiner Altersstufe und seiner Entwicklung entsprechenden geeigneten Weise auf das Beisammensein mit dem anderen Elternteil vorbereitet und eigene Gefühle dem früheren Partner gegenüber zurückstellt, um die als natürliche Folge der Zerreißung des Familienbandes durch die Trennung der Eltern unvermeidbaren nachteiligen Auswirkungen auf das Kind möglichst gering zu halten (EFSlg 45.734, 48.345 ua).

Die Mutter macht nun zusammengefaßt geltend: Der vom Rekursgericht angenommene Sachverhalt sei zum Teil aktenwidrig, zum Teil nicht schlüssig begründet. Der Akteninhalt hätte mit der Mutter eingehend erörtert werden müssen, sodaß im einzelnen angeführte Unrichtigkeiten aufgeklärt hätten werden können. Es sei davon auszugehen, daß sie zwar an einer derzeit nicht aktuellen psychischen Krankheit leide, aber höchstens sich selbst, niemals jedoch das Kind gefährdet habe. Eine konkrete Gefährdung des Kindes sei im Hinblick auf die vom Erstgericht erteilten Auflagen - die noch durch weitere Auflagen, etwa durch die Anordnung der kinderpsychologischen Untersuchung des Kindes in gewissen Abständen, ergänzt werden könnten - auch für die Zukunft auszuschließen. Die Schwierigkeiten seien zum Großteil auf die starre und uneinsichtige Haltung des Vaters zurückzuführen, der den Kontakt zwischen Mutter und Kind massiv ablehne, sodaß zu erwägen wäre, ihm bei weiterer Uneinsichtigkeit Konsequenzen im Sinne des § 176 ABGB anzudrohen. Wenn der Mutter ihr Ein und Alles, sozusagen der einzige Bezugspunkt, nämlich das Kind, genommen werden sollte, müßte es zweifellos zu einer Verschärfung und Aktualisierung ihres Leidens kommen. Die vom Rekursgericht ausgesprochene Entziehung des Besuchsrechtes sei daher in keiner Weise gerechtfertigt. Es ist weder die Aktenwidrigkeits- noch die Mängel- noch die Rechtsrüge berechtigt.

Ob bereits der "Anfall" der Mutter im Jahre 1970 mit ihrer Geisteskrankheit zu tun hatte, ist nicht wesentlich. Auch wenn man zugrundelegt, daß sich die Mutter am 15. Oktober 1982 freiwillig in das Landes-Nervenkrankenhaus Valduna begab, bleibt die Tatsache, daß ihre weitere Anhaltung am 8. November 1982 aufgrund des Sachverständigengutachtens wegen Eigengefährdung für zulässig erklärt wurde (L 782/82 des Erstgerichtes). Die Mutter hatte unter anderem angegeben, Stimmen gehört zu haben, die ihr gesagt hätten, daß sie sich mit dem Messer in den Bauch schneiden, vom Balkon springen oder dem Kind, wenn es schreit, den Hals zudrücken solle. Darauf, ob sie sich damals vorhandene Bißwunden selbst zugefügt hat oder ob diese vom Hund ihrer Eltern herrühren, kommt es nicht entscheidend an. Mag auch der Akteninhalt in bezug auf den Selbstmordversuch der Mutter (Sprung vom Dachboden), was den genauen Zeitpunkt und den Umstand betrifft, ob er im Hause des Vaters der mj. Claudia oder der Eltern der Mutter stattfand, nicht klar und eine nähere Erörterung der Motive hiefür unterblieben sein, so steht doch fest, daß die Mutter insgesamt bereits mehrere Selbstmordversuche unternommen hat. Aus dem Sachverständigengutachten, aufgrund dessen 2. April 1984 ihre weitere Anhaltung wegen Selbst- und Fremdgefährdung für zulässig erklärt wurde, geht hervor, daß sich die Mutter kurz nach ihrer

5. Aufnahme in das Landes-Nervenkrankenhaus Valduna am 6. März 1984 Schnittverletzungen am Handgelenk und an beiden Halsseiten zufügte, weil die Stimmen verlangt hätten, sie solle ihr Kind töten; sie bringe sich jedoch lieber selbst um, als das Kind zu gefährden. Das Rekursgericht konnte seine Entscheidung auf eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage stützen. Die Mutter wurde vom Erstgericht selbst und von den Gerichtssachverständigen, deren Gutachten im Akt erliegen, ausführlich befragt; dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der beiden Briefe, auf die der Vater seinen Antrag auf Entziehung des Besuchsrechtes stützte (AS 135 f, 254, 261 f).

Der Gerichtssachverständige Dr. S***, der die Mutter wiederholt untersucht hat, gelangt in seinem (die beiden Briefe berücksichtigenden) Gutachten vom 14. September 1987 (ON 34) zu dem Ergebnis, daß bei der Mutter eine akute Erkrankung nicht vorliege und eine imminente Selbstmord- oder Morddrohung nicht bestehe, sodaß unter den bisherigen Gegebenheiten, soweit man dies überhaupt sagen könne, eine Gefahr nicht drohe. Angesichts der bei der Mutter vorliegenden psychiatrischen Problematik könnte das Gericht auf der Meinung beharren, daß das bisherige Besuchsrecht nur dann aufrecht erhalten werde, wenn Gewähr für regelmäßige psychiatrische Kontrollen gegeben sei und diese Kontrollen auch in gewissen Abständen durch entsprechende Belege bewiesen werden. Der Gerichtssachverständige Dr. M*** hält in seinem Gutachten vom 30. Dezember 1987 (ON 40) eine tatsächliche Gefährdung des Kindes durch die Person der Mutter - soweit überhaupt vorhersagbar - für gering. Die Gefährudng des Kindes liege seiner Ansicht nach im Kampf um das Kind, in den enormen Spannungen zwischen der väterlichen und der mütterlichen Familie, wobei die rigide Haltung des Vaters und der mütterlichen Großmutter eine große Rolle spiele. Ein solcher Kampf um das Kind müßte zum Wohl des Kindes unterbrochen werden; im Hinblick auf die bestehenden primären Bindungen müsse dem Vater und der väterlichen Großmutter der Vorzug gegeben werden. Im gegenwärtigen Zeitpunkt müßte unter den bereits bestehenden Bedingungen ein einmaliges Besuchsrecht pro Monat von 9 Uhr bis 18 Uhr möglich sein. Dies reduziere die Belastungen für das Kind wesentlich und berücksichtige auch das Recht des Kindes auf Kontakt zur leiblichen Mutter. Anzuregen wäre eine etwa vierteljährlich vorzunehmende kinderpsychiatrische Untersuchung des Kindes, um bei einer Veränderung des Gesundheitszustandes reagieren zu können. Aus dem Amtsvermerk des Erstgerichtes vom 26. Juni 1987 (ON 33) ergibt sich, daß nach Meinung des Prim. Dr. H*** von Seiten der Mutter keine große Gefahr für das Kind bestehe und Dr. W*** vom Landes-Nervenkrankenhaus Valduna keine Garantie dafür übernehmen könne, daß nichts passieren könne, wenn die Mutter das Kind am Besuchstag bei sich habe. Beide Ärzte konnten allerdings bei der Mutter keinen akuten Schub feststellen.

Geht man nun von den eingangs wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen, vom aktenkundigen bisherigen Geschehensablauf und von den aktuellen Auffassungen der vorerwähnten Ärzte aus, dann kann in der Ansicht des Rekursgerichtes, im Interesse des Schutzes des Kindes sei das tatsächlich gegebene, aber nicht abwägbare Gefährdungsrisiko durch gänzliche Entziehung des Besuchsrechtes der Mutter auszuschließen, keine rechtliche Fehlbeurteilung erblickt werden. Selbst wenn daraus, daß es seit der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft der Eltern des Kindes im Jahre 1984/85 zu keiner stationären Aufnahme der Mutter in das Landes-Nervenkrankenhaus Valduna mehr gekommen ist, abzuleiten wäre, daß die Mutter die Anforderungen, die an sie in der Ehe gestellt wurden, nicht verkraften konnte und dieser Umstand zu einem erhöhten Leidensdruck und zum Ausbruch der Krankheitssymptome führte, und selbst wenn man berücksichtigt, daß die Mutter nach der Aktenlage nie gegen das Kind aggressiv wurde und der Vater einen Kontakt des Kindes mit der Mutter entschieden ablehnt, ist doch eine gewisse konkrete Gefährdung des Kindes durch die Geisteskrankheit der Mutter zu bejahen und sind die gerade deshalb das übliche Maß überschreitenden Spannungen zwischen den Eltern und deren Familien nicht zu übersehen. Dies zeigen insbesondere die von den Gerichtssachverständigen empfohlenen und vom Erstgericht zum Teil auch ausgesprochenen Auflagen, die aber, wie dem Rekursgericht beizupflichten ist, nicht geeignet sind, die bestehende Gefährdung in dem vom Kindeswohl geforderten Ausmaß auszuschalten.

Da das Rekursgericht demnach das Vorliegen besonders schwerwiegender Gründe, die eine Entziehung des Besuchsrechtes der Mutter nötig machen, zutreffend bejaht hat, war dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E13789

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0050OB00527.88.0405.000

Dokumentnummer

JJT_19880405_OGH0002_0050OB00527_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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