TE OGH 1988/6/21 15Os70/88

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Veröffentlicht am 21.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Juni 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Forsthuber als Schriftführer, in der Strafsache gegen Erik D*** wegen des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 5.März 1987, GZ U 47/87-3, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Erlassung der Strafverfügung des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 5.März 1987, GZ U 47/87-3, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 460 Abs. 1 StPO.

Diese Strafverfügung wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Kitzbühel die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufgetragen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

I. Aus dem Akt AZ U 47/87 des Bezirksgerichtes Kitzbühel ergibt sich:

Auf Grund eines vom Bezirksanwalt gestellten Antrages auf Bestrafung (§ 451 Abs. 1 StPO) erließ das Bezirksgericht Kitzbühel am 5.März 1987 gegen den norwegischen Staatsangehörigen Erik D*** eine Strafverfügung wegen des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB, weil er am 14. Jänner 1987 in Kitzbühel gegenüber einem Gendarmeriebeamten wissentlich vorgetäuscht habe, es sei ihm seine Fotokamera im Wert von 12.000 S gestohlen worden.

In der an den Bezirksanwalt erstatteten Gendarmerieanzeige wurde berichtet, daß D*** am 14.Jänner 1987 beim Gendarmeriepostenkommando Kitzbühel angezeigt habe, ihm sei am Vortag in der Zeit zwischen 17 und 18 Uhr im Lokal "T*** L***" in Kitzbühel seine wertvolle, neuwertige Fotokamera gestohlen worden; beim Verlassen des Lokals habe er das Fehlen des auf einen Tisch gelegten Fotoapparates festgestellt, der mit Sicherheit gestohlen worden sei, weil er die Räumlichkeiten ergebnislos abgesucht habe; anläßlich des Kaufes der Kamera in Norwegen habe er eine Diebstahlsversicherung abgeschlossen, die er in Anspruch nehmen wolle (S 9/10). Im Zuge der darauf angestellten Erhebungen habe er nach längerer Befragung gestanden, daß seine Kamera nicht gestohlen worden sei, sondern er sie nach dem Lokalbesuch verloren habe; Diebstahlsanzeige habe er erstattet, weil die Versicherung nur bei Diebstahl, nicht aber bei Verlust Eratz leiste; auch vier weitere Mitgliedern der norwegischen Reisegesellschaft, der der Anzeiger angehörte, hätten angegeben, daß er mit dem Apparat nach dem Lokalbesuch noch Aufnahmen gemacht habe (S 10 bis 12).

Das Gendarmeriepostenkommando Kitzbühel erstattete außer dieser erwähnten Strafanzeige gegen D*** wegen Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung auch noch eine weitere bei der Staatsanwaltschaft gegen unbekannte Täter wegen Fundunterschlagung zum Nachteil des D*** (S 12).

In der hier aktuellen (ersterwähnten) Anzeige wird festgehalten, daß "auf Grund der mangelnden Deutschkenntnisse" weder mit D***, noch mit den vier norwegischen Auskunftspersonen Niederschriften aufgenommen werden konnten (S 12); an anderer Stelle hingegen wird zwar von einer niederschriftlichen Einvernahme D*** gesprochen (S 11), doch ist die Niederschrift der Anzeige nicht angeschlossen. Die an Erik D*** mit beglaubigter Übersetzung im Rechtshilfeweg zugestellte Strafverfügung wurde (mangels Einspruchs) am 2.Juni 1987 rechtskräftig. Anläßlich der Zustellung der Aufforderung zur Zahlung der verhängten Geldstrafe erklärte D*** am 8.Jänner 1988 im Polizeirevier Ökern in Oslo, daß er wegen Sprachschwierigkeiten keine Gelegenheit gehabt habe, zufriedenstellend auszusagen, und daß er mißverstanden worden zu sein glaube (S 43).

Rechtliche Beurteilung

II. Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 5. März 1987 steht mit § 460 Abs. 1 StPO nicht im Einklang. Nach dieser Gesetzesstelle ist die Erlassung einer Strafverfügung nur dann zulässig, wenn (unter anderem) der Beschuldigte von einer Behörde oder von einem Sicherheitsorgan auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmungen oder eines Geständnisses angezeigt wird oder die durchgeführten Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände ausreichen. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. Dienstliche Wahrnehmungen über den von D*** angezeigten Vorgang, die eine Beurteilung des Wahrheitsgehalts seiner (ersten) Anzeige zuließen, wurden nicht gemacht. Vom Vorliegen eines Geständnisses jedoch könnte nur dann gesprochen werden, wenn die Angaben des Beschuldigten bei der Behörde oder dem Sicherheitsorgan (oder später bei Gericht) verläßlich als solches zu verstehen wären; auch davon kann im vorliegenden Fall wegen der Möglichkeit von aus der mangelhaften Sprachbeherrschung resultierenden Mißverständnissen keine Rede sein (vgl Art 6 Abs. 3 lit e MRK). Der Bericht, daß der Angezeigte ein "Geständnis" abgelegt habe, war daher hier nach der Lage des Falles (mangels der erforderlich gewesenen Beiziehung eins Dolmetschers) von vornherein nicht geeiget, diese Prämisse mit der nötigen Verläßlichkeit darzutun.

Ausreichende Erhebungen schließlich wären auch nur dann vorgelegen, wenn der Grundsatz des beiderseitigen Gehörs in einer der Erforschung der materiellen Wahrheit dienenden Weise gewahrt worden wäre (Mayerhofer/Rieder, StPO2, E 9 zu § 460), was vorliegend im Hinblick auf die fehlenden Deutschkenntnisse des Beschuldigten (und der befragten Auskunftspersonen) gleichfalls nicht der Fall war. Die Beachtung dieses letztgenannten Erfordernisses liegt aber nicht im Ermessen des Bezirksgerichtes und ist daher insoweit einer Anfechtung gemäß § 33 Abs. 2 StPO zugänglich.

Aus den aufgezeigten Gründen war die in der Erlassung der Strafverfügung gelegene Gesetzesverletzung in Stattgebung der von der Generaprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde festzustellen und wie im Spruch zu beheben. III. Darüberhinaus begehrte die Generalprokuratur die Feststellung einer Verletzung des Gesetzes auch in der Bestimmung des § 298 Abs. 1 StPO mit dem Antrag, damit eine Verfahrenseinstellung zu verknüpfen, weil die Strafverfügung auch in materiellrechtlicher Hinsicht verfehlt sei. Sie führte hiezu aus:

"Der Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB setzt unter anderem voraus, daß eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung wissentlich vorgetäuscht wurde, welches Erfordernis dann zutrifft, wenn die Straftat überhaupt nicht begangen, also erfunden wurde (Foregger-Serini, StGB3 Erl I; WK RZ 2; Leukauf-Steininger, StGB2 RN 2 jeweils zu § 298 StGB). Demnach reicht das bloße Vortäuschen unwesentlicher oder doch nur eine geänderte rechtliche Beurteilung der Tat bedingender Nebenumstände zur Tatbestandsverwirklichung

nicht aus (Ö*** 1981/62 = JBl 1981, 603 = SSt 51/60; SSt 52/30;

Ö*** 1982/142 = JBl 1982, 607 = EvBl 1982/192 = SSt 53/29).

Grundlage dieser Auslegung ist der primäre Zweck dieser Strafnorm, der im Schutz der Strafverfolgungsbehörden (Rechtspflege) gegen ihre mißbräuchliche (unnütze) Inanspruchnahme besteht (Leukauf-Steininger, StGB2, RN 1 zu § 298; JBl 1981, 603; Ö*** 1986/46 = EvBl 1986/133; Burgstaller, RZ 1977, 3; Erl zur RV 30 d.Blg. XIII. GP 448).

Im vorliegenden Fall "- so argumentiert die Generalprokuratur -" mußten die Angaben des Anzeigers von den von ihm in Anspruch genommenen Sicherheitsorganen zum Anlaß genommen werden, bei der Anklagebehörde eine Strafanzeige gegen unbekannte Täter zu erstatten, weil tatsächlich der Verdacht der rechtswidrigen - als Fundunterschlagung nach § 134 Abs. 1 erster Fall StGB zu wertenden - Zueignung des dem Erik D*** abhandengekommenen Fotoapparates durch einen Unbekannten besteht. Da sohin auch die bloße Verlustmeldung die betroffene Behörde zu einer Amtshandlung wegen einer strafbedrohten Tat (Fundunterschlagung) veranlaßt hätte," sei deren mißbräuchliche Inanspruchnahme durch die zunächst erfolgte Diebstahlsanzeige nach Ansicht der Generalprokuratur zu verneinen. Die möglicherweise (infolge der mangelnden Deutschkenntnisse könne auch ein bloßes Mißverständnis vorliegen) vorerst unrichtige Bezeichnung der näheren Umstände der angezeigten Tat berühre letztlich nur deren rechtliche Qualifikation (Diebstahl - Fundunterschlagung), sodaß das zunächst behauptete Tatgeschehen (iS JBl 1987, 194) gegenüber dem tatsächlichen Ereignis im Ergebnis kein aliud darstelle.

Eine wissentlich unrichtige Behauptung einer tatsächlich nicht stattgefundenen Straftat liege somit nicht vor, weshalb die gegenständliche Anzeigeerstattung des Erik D*** aus den dargelegten Erwägungen den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB nicht erfülle. Die in Rede stehende Strafverfügung werde sohin (iS Ö*** 1977/104; RZ 1982/7 uam) aufzuheben und die Einstellung des Verfahrens auszusprechen sein.

IV. Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Argumentation nicht anzuschließen.

Gewiß erfüllt das bloße Vortäuschen unwesentlicher Umstände oder bloßer Nebenumstände, die nur eine geänderte rechtliche Qualifikation der Tat bedingen, nicht den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB. Sehr wohl hingegen ist dies der Fall bei einer derart wesentlichen Veränderung der Umstände, daß sich das erfundene Substrat gegenüber dem tatsächlichen historischen Geschehen als faktisches und strafrechtliches aliud darstellt (JBl 1987, 194 ua). Gerade dies lag aber nach dem bisherigen Substrat der (mangels Beiziehung eines Dolmetschers unzulänglichen) Erhebungen vor:

Angezeigt wurde ein im Lokal "T*** L***" am 14.Jänner 1987 zwischen 17 und 18 Uhr durch einen unbekannten Täter durch Wegnahme der auf einem Tisch abgelegten Fotokamera verübter Diebstahl, wogegen in Wahrheit nicht dieser Gewahrsamsverlust stattgefunden haben soll, sondern ein erst nach dem Lokalbesuch an anderer Stelle in Kitzbühel vorgefallener Verlust des Apparates mit einer (möglicherweise wieder erheblich späteren) Fundverheimlichung (durch einen unbekannten Täter), wobei nichts konkret darauf hindeutet, daß es sich bei jenem Täter um eine Person aus demselben Kreis handelte, der bereits im Lokal in einem Gelegenheitsverhältnis für die Verübung des angezeigten Diebstahls gestanden wäre. Der Umstand, daß sich die Erhebungshandlungen in beiden Fällen jeweils gegen "unbekannte Täter" richteten, die jedoch der Sachlage nach augenscheinlich jeweils verschiedenen potentiellen Täterkreisen zuzurechnen waren, ändert demnach nichts daran, daß es sich bei der angezeigten Tat gegenüber jener, die (nach den bisherigen Erhebungsergebnissen) tatsächlich stattgefunden hatte, um ein faktisches und strafrechtliches aliud handelte. Auch angesichts der (keineswegs bloß abstrakten) Möglichkeit, daß - etwa bei einem Verlust der Kamera an schwer einsehbarer Stelle - eine Fundunterschlagung zum Zeitpunkt der Diebstahlsanzeige noch gar nicht begangen worden sein könnte, kann keineswegs davon gesprochen werden, daß durch letztere nur unwesentliche Nebenumstände einer Tat vorgetäuscht worden wären.

Demzufolge war die inkriminierte falsche Anzeigeerstattung sehr wohl geeignet, den Zweck der in Rede stehenden Strafnorm, nämlich der Hintanhaltung mißbräuchlicher (unnützer) Inanspruchnahme von Strafverfolgungsorganen, zu beeinträchtigen, weil sie schon im Hinblick auf die Notwendigkeit von Erhebungen in jenem Personenkreis, der im behaupteten Tatzeitraum im Lokal in einem Gelegenheitsverhältnis gestanden war, naheliegenderweise zu weitaus intensiveren Ermittlungen geführt hätte als eine - als solche noch gar nicht den Verdacht einer strafbaren Handlung zwingend implizierende - Verlustanzeige.

Aus den angeführten Erwägungen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde mit ihrem Begehren, auch eine Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 298 Abs. 1 StGB festzustellen, zu verwerfen.

Anmerkung

E14320

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00070.88.0621.000

Dokumentnummer

JJT_19880621_OGH0002_0150OS00070_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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