TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/27 2005/18/0196

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Veröffentlicht am 27.09.2005
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §68 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des B, geboren 1981, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstraße 20/1/6b, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Mai 2005, SD 998/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. Mai 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 30. Juni 2000 mit einer bis zum 30. September 2000 gültigen Aufenthaltserlaubnis als Saisonarbeiter nach Österreich eingereist. Er habe am 26. September 2000 die österreichische Staatsbürgerin Anna Maria P. geheiratet. Anschließend habe er vom 9. Oktober 2000 bis 31. Juli 2004 Niederlassungsbewilligungen für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erhalten.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 24. August 2003 sei die Ehe des Beschwerdeführers gemäß § 23 EheG rechtskräftig für nichtig erklärt worden. In der Urteilsbegründung sei ausgeführt worden, dass Frau P. den Beschwerdeführer über Vermittlung in einem Lokal am Südbahnhof kennen gelernt und mit ihm vereinbart hätte, zu heiraten, aber keine sexuelle Beziehung einzugehen und keinen gemeinsamen Haushalt zu gründen. Der Beschwerdeführer hätte dafür in Raten S 50.000,-- zu bezahlen. Nach der Trauung hätte Frau P. die letzte Rate der vereinbarten Zahlung vom Vater des Beschwerdeführers bar erhalten. Der Beschwerdeführer hätte sich zwar an der Adresse seiner Ehegattin angemeldet, wäre dort jedoch nie wohnhaft gewesen. Er hätte mit seiner Ehegattin auch zu keiner Zeit sexuell verkehrt. Der Zweck der Ehe wäre die Erlangung der Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung durch den Beschwerdeführer gewesen.

Die belangte Behörde führte weiters aus, dass der Beschwerdeführer mit seiner Gattin eine Scheinehe geschlossen habe. Es erübrige sich, die vom Beschwerdeführer beantragte Einvernahme seines Vaters Dagestan K. durchzuführen, weil auf Grund der gerichtlichen Ausführungen feststehe, dass für die Eheschließung S 50.000,-- bezahlt worden seien. Der Beschwerdeführer habe die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen, ohne mit seiner Ehegattin ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Er habe für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG seien erfüllt. Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die nach wie vor gegeben sei, weil seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung erst ca. 4 1/2 Jahre vergangenen seien. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sei gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer sei knapp fünf Jahre in Österreich aufhältig. Er verfüge hier über familiäre Bindungen zu seinem Vater, mehreren Onkeln und Cousins. Außerdem sei er regelmäßig einer Beschäftigung nachgegangen. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Der Eingriff sei jedoch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes sei auch gemäß § 37 Abs. 2 FrG zu bejahen. Von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes habe auch nicht im Rahmen des der belangten Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können. Ein Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit könne nicht vor Verstreichen der festgesetzten Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen eine der in den Z. 1 und 2 umschriebenen Annahmen gerechtfertigt ist.

Gemäß § 36 Abs. 2 leg. cit. hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder (Z. 9) eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eine Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet hat.

2.1. Nach den Feststellungen im Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 24. August 2003 betreffend die Nichtigerklärung der Ehe gemäß § 23 Ehegesetz wurde die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau ausschließlich zu dem Zweck geschlossen, ihm in Österreich eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft ist nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer sollte für die Eheschließung S 50.000,-- bezahlen. Nach der Trauung habe die Ehefrau des Beschwerdeführers die letzte Rate der vereinbarten Zahlung vom Vater des Beschwerdeführers bar erhalten.

2.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe im Verwaltungsverfahren stets bestritten, für die Eheschließung einen Geldbetrag gezahlt zu haben. Zum Beweis dafür habe er seine Einvernahme und die seines Vaters Dagestan K. beantragt. Die belangte Behörde habe sich bei der diesbezüglichen Feststellung lediglich auf das Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 24. August 2003 gestützt und selbst kein Ermittlungen angestellt. Hätte sie dies getan, wäre sie zur Feststellung gelangt, dass für die Eheschließung kein Vermögensvorteil geleistet worden sei.

2.3. Damit zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Durch das rechtskräftige Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 24. August 2003 ist bindend lediglich festgestellt, dass der Beschwerdeführer die Ehe ausschließlich zu einem der in § 23 Abs. 1 zweiter Fall Ehegesetz genannten Zwecke (hier: um dem Beschwerdeführer in Österreich eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen), geschlossen hat, ohne dass eine eheliche Lebensgemeinschaft hätte begründet werden sollen (zur Bindung an ein rechtskräftiges Ehenichtigkeitsurteil vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2000/18/0095, und vom 31. August 2004, Zl. 2004/21/0182). Eine darüber hinausgehende Bindungswirkung geht von Tatsachenfeststellungen des Urteils (wonach der Beschwerdeführer S 50.000,-- für die Eheschließung bezahlen sollte und die Ehefrau des Beschwerdeführers die letzte Rate der vereinbarten Zahlung von dessen Vater bar erhalten habe) nicht aus (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2000/18/0095).

Die belangte Behörde hätte daher über diese Umstände Beweis erheben müssen. Dem Verfahrenskonzept des AVG liegt grundsätzlich nicht das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu Grunde (vgl. z.B. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E. 80, 95 und 96 zu § 46 AVG). Auf Grund des Prinzips der Unbeschränktheit der Beweismittel (§ 46 AVG) kann die Behörde daher auch amtliche Niederschriften über die bereits vor der Unterbehörde, vor anderen Verwaltungsbehörden, aber auch vor Gerichten erfolgten Einvernahmen von Zeugen dem Beweisverfahren zu Grunde legen. Sie hat die Beweismittel nach Gewährung von Parteiengehör hiezu zu würdigen und allfällige Widersprüche - soweit sie Tatsachen betreffen, die für die Wahrheitsfindung im konkreten Fall bedeutsam sind - auf geeignete Weise aufzuklären oder im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu verwerten. Die neuerliche Einvernahme von Zeugen ist nur zu neuem, für die Entscheidung wesentlichen Vorbringen der Parteien geboten. Auch das Auftreten von Ungereimtheiten oder gar Widersprüchen mit anderen zwischenzeitig vorliegenden Beweisergebnissen verpflichtet die Behörde nicht zur neuerlichen Einvernahme der Zeugen. Es ist vielmehr Aufgabe der Behörde, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit solchen Beweisergebnissen auseinander zu setzen. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 15. März 2005, Zl. 2001/08/0096, m. w.N.)

Das Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 24. August 2003 verweist darauf, dass neben der Ehefrau des Beschwerdeführers auch dieser selbst sowie die Zeugen Emma S., Norbert G. und Dagestan K., der Vater des Beschwerdeführers, vernommen worden seien. Die belangte Behörde hätte daher den Akt des Bezirksgerichts Leopoldstadt beischaffen müssen und ihren Feststellungen die in den Verhandlungsprotokollen enthaltenen Aussagen der genannten Personen beweiswürdigend zu Grunde legen müssen. Der Urkundenbeweis, dass das Bezirksgericht Leopoldstadt in Bezug auf die Leistung eines Vermögensvorteils die zitierten Feststellungen getroffen hat, reicht in Anbetracht dessen, dass diese vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahrens ausdrücklich bestritten worden sind und er dazu sowohl in seiner Stellungnahme vom 5. April 2004 als auch in seiner Berufung vom 12. Juli 2004 seine Einvernahme und die seines Vaters beantragt hat, nicht aus.

3. Da die belangte Behörde dem Beweisantrag des Beschwerdeführers infolge Verkennung der Rechtslage hinsichtlich des Ausmaßes der Bindungswirkung des Ehenichtigkeitsurteiles nicht entsprochen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. September 2005

Schlagworte

Grundsatz der GleichwertigkeitSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisGrundsatz der UnbeschränktheitBesondere RechtsgebieteBeweiswürdigung Wertung der BeweismittelRechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005180196.X00

Im RIS seit

24.10.2005

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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