TE OGH 1988/6/28 2Ob66/88

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Veröffentlicht am 28.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei

P*** DER A***, vertreten durch die Landesstelle Linz, 4021 Linz, Volksgartenstraße 14, diese vertreten durch Dr. Josef Weixelbaum, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei V*** DER Ö*** B***

V***-AG, 1020 Wien, Praterstraße 7, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 376.152,20 s.A. und Feststellung (Streitwert S 30.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 4. März 1988, GZ 5 R 135/87-34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 6. Juli 1987, GZ 3 Cg 189/85-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.604,25 (darin keine Barauslagen und S 1.236,75 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 7. April 1982 ereignete sich gegen 15.45 Uhr auf der Alberndorfer Bezirksstraße nächst dem Hause Grasbach Nr. 13 in Alberndorf ein Verkehrsunfall, bei welchem Franz S*** von dem von Rudolf K*** gelenkte LKW Steyr mit dem Kennzeichen L-17.331 überfahren und getötet wurde. Außer Streit gestellt wurde, daß Halter des LKW die "Republik Österreich/Bundesstraßenverwaltung" war. Die Klägerin begehrte als Legalzessionar den Rückersatz ihrer an die Witwe Margarethe S*** in der Zeit vom 1. Jänner 1983 bis 31. März 1987 erbrachten Pensionsleistungen und Krankenversicherungsbeiträge von insgesamt S 376.152,20. Weiters begehrte sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Pensionsleistungen im Rahmen des jeweiligen Deckungsfonds unter Bedachtnahme auf allenfalls konkurrierende Ansprüche anderer Sozialversicherungsträger und unter Beschränkung auf den zwischen der Beklagten und der Republik Österreich für den LKW abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag. Sie brachte vor, K*** und S*** hätten einer gemeinsamen Arbeitspartie angehört. Beide seien zum Unfallszeitpunkt mit 2,27 bzw. 2,24 Promille erheblich alkoholisiert gewesen. Der von K*** gelenkte LKW habe beim Losfahren den auf dem Gehsteig seitlich rechts neben dem Fahrzeug befindlichen Franz S*** erfaßt und mit den rechten hinteren Rädern überfahren. K*** sei zwar im Strafverfahren freigesprochen worden, da der genaue Unfallshergang und seine Ursachen nicht mehr hätten nachvollzogen werden können, dies ändere jedoch nichts an der Haftung des Fahrzeuglenkers, für welchen die Beklagte als Haftpflichtversicherer einzustehen habe. Die - im einzelnen näher angeführten - Pensionsleistungen einschließlich der Krankenversicherungsbeiträge fänden im jeweiligen Unterhaltsentgangsanspruch der Witwe Deckung.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, S*** sei von K*** im LKW nach Arbeitsschluß von der Baustelle zum Gasthaus G*** in Grasbach gefälligkeitshalber mitgenommen worden, weil die Arbeiter und Kraftfahrzeuglenker dort ihren Wohnwagen mit Werkzeug und Umkleidemöglichkeit stehen gehabt hätten. Nach dem Aussteigen habe S*** von der Ladefläche des LKW sein Arbeitszeug (Schaufel und Besen) geholt, habe nochmals die rechte Fahrzeugtür geöffnet, sich von K*** verabschiedet, und die Tür wieder geschlossen. Von diesem Augenblick an sei er für K*** nicht mehr sichtbar gewesen. K*** habe seine Aufmerksamkeit der Fahrbahn zugewendet, in den linken Rückspiegel geblickt, den linken Blinker betätigt und das Fahrzeug in Richtung Gallneukirchen in Bewegung gesetzt. Das weitere Verhalten S*** sei für K*** in keiner Weise erkennbar gewesen. S*** sei infolge seiner Alkoholisierung ausgerutscht und mit dem Kopf vor dem Hinterrad zu liegen gekommen, infolge seiner Alkoholisierung habe er sich auch nicht sofort wieder aufgerichtet. Die Berechnung des klägerischen Anspruches sei auch insoferne unrichtig, als nicht einmal ein Mitverschulden des Getöteten angerechnet werde. Kaiser sei als Kraftfahrzeuglenker vorübergehend gegenüber S*** weisungsberechtigt gewesen, "also insbesondere, wann er aussteigen durfte und so weiter". K*** sei daher formell als "Aufseher im Betrieb" vorübergehend anzusehen, weshalb gemäß § 334 ASVG ein Regreß nur bei - hier nicht vorliegender - grober Fahrlässigkeit möglich sei. Für den Fall der "Anwendung des KFG (richtig wohl EKHG) werde eingewendet, daß ein unabwendbares unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des KFG vorliege", auch nach dem EKHG bestehe keinerlei Haftung der Beklagten. Selbst wenn K*** vorübergehend, aus welchem Grund immer, beispielsweise auf Zuruf der Zeugin S***, stehengeblieben sein sollte, habe er seiner Sorgfaltspflicht dadurch Genüge getan, daß er in den linken Außenspiegel geblickt habe, beispielsweise wegen eines allfälligen nachfolgenden Überholverkehrs. Andere Gründe für einen Zuruf habe er nicht zu vermuten gebraucht. Selbst wenn er in den rechten Außenspiegel geblickt hätte, wäre der auf dem Boden vor dem rechten Hinterrad liegende S*** nicht zu sehen gewesen. Das Überfahren des Getöteten habe in der ersten 8 m langen Fahrphase stattgefunden, das Zurufen sei erst nach dem Überfahren erfolgt.

Das Erstgericht gab der Klage statt, wobei es zum Unfallshergang folgende Feststellungen traf:

Am 7. April 1982 waren Rudolf K***, Franz S*** und drei weitere Arbeiter mit Straßenreinigungsarbeiten neben der Alberndorfer Bezirksstraße beschäftigt. Zu Mittag konsumierte K*** in einem Gastlokal zwei Halbe Bier, nachdem er bereits in der vorangegangenen Nacht bis 3.00 Uhr früh Alkohol konsumiert hatte. Der Restalkohol und der am Mittag des 7. April 1982 genossene Alkohol ergaben zum Unfallszeitpunkt einen Blutalkoholspiegel bei K*** von 2,27 Promille, bei S*** einen solchen von 2,24 Promille. K*** Aufgabe bestand darin, den LKW zu bedienen. S*** hatte im Zuge der Erhaltungsarbeiten auf der Alberndorfer Bezirksstraße in diesem Bereich das Werkzeug einzusammeln. K*** hatte über das Lenken des LKW hinausgehend weder Befugnisse noch Pflichten gegenüber seinen Arbeitskollegen; insbesondere war er nicht Führer der Arbeitspartie. Lediglich aus Gefälligkeit nahm er S*** im LKW mit. S*** hatte neben der Unfallsstelle einen Wohnwagen, sodaß es für K*** von vornherein klar war, daß S*** an der Unfallsstelle aussteigen wollte, um in den Wohnwagen zu gehen. Es bedurfte daher keines Gebotes seitens K***, um S*** zum Verlassen des LKWs zu bewegen. Die Unfallsstelle befindet sich auf der Alberndorfer Bezirksstraße in Richtung Gallneukirchen. Die Fahrbahn ist dort asphaltiert, 6 m breit und liegt im Freilandgebiet. In der Fahrbahnmitte ist eine Leitlinie. Kurz vor dem links der Straße gelegenen Gasthaus "Grazewirt" sind rechts und links Einmündungstrichter zu Güterwegen vorhanden. Auf der linken Seite folgt sodann die parallel zum Gasthaus angeordnete, ebenfalls asphaltierte Parkfläche außerhalb der Fahrbahn. Rechts beginnt nach dem Einmündungstrichter des Güterweges ein Gehsteig, der am Beginn angeschrägt ist und kurz nach Trichterende gegenüber der Fahrbahn eine Höhe von etwa 12 bis 14 cm erreicht. Die Abgrenzung gegenüber der Fahrbahn ist durch eine Granitsteinkante hergestellt. Der Gehsteig selbst ist ca. 1,4 m breit und geht sodann in eine Grasnarbe über, die zum daran anschließenden Feld um etwa 50 cm abfällt. K*** hielt den LKW nach dem rechten Einmündungstrichter etwa 1,5 m vom Beginn des Gehsteiges in Richtung Gallneukirchen entfernt an. Nicht festgestellt werden kann dabei, ob er mit den rechten Rädern am Gehsteig oder noch auf der Fahrbahn zum Stehen kam. Steinegger stieg aus, nahm seine Arbeitsgeräte von der Ladefläche des LKW, kam nochmals zur Beifahrertür zurück und verabschiedete sich von K***. K*** überzeugte sich durch einen Blick in den linken Außenspiegel, daß kein Nachfolgeverkehr kam und fuhr los, ohne S*** weiter Beachtung zu schenken. Die Stillstandsphase des LKW hatte 21,5 Sekunden gedauert. K*** fuhr sodann in 6,3 Sekunden 8 m weit, wobei er eine Spitzengeschwindigkeit von 9,1 km/h erreichte, und kam dann 13,9 Sekunden lang neuerlich zum Stillstand, um sodann in 15,7 Sekunden 28 m zurückzulegen. Nicht festgestellt werden kann, aus welchem Grund K*** mit dem LKW neuerlich zum Stillstand kam. S*** war inzwischen, nachdem er sich von K*** entfernt hatte, so unglücklich zu Sturz gekommen, daß er schräg am Gehsteig mit dem Kopf teils über die Gehsteigkante auf die Fahrbahn ragend zu liegen kam. Die Ursache des Sturzes kann nicht festgestellt werden, insbesondere kann nicht festgestellt werden, daß S*** Alkoholisierung dafür ursächlich war. K***, der S*** nicht liegen sah, überfuhr mit den rechten hinteren Zwillingsrädern den Kopf des S***, der dadurch augenblicklich getötet wurde. Der Körper wurde 1,4 m weit mitgeschleift. Als K*** merkte, daß er S*** überfahren hatte, brachte er den LKW zunächst zum Stillstand und fuhr schließlich etwa 7,6 m zurück.

Das Monatseinkommen des S*** stellte das Erstgericht zur Zeit seines Todes mit S 11.299,20 fest, die jährlichen fixen Haushaltskosten mit S 27.949,23. Mit Bescheid vom 3. Juli 1982 wurde der Witwe ab 7. April 1982 eine monatliche Pension von S 4.557,90 zuerkannt. Weiters entrichtet die Klägerin an die Gebietskrankenkasse die Krankenversicherungsbeiträge. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß mangels Erweislichkeit eines rechtswidrigen und schuldhaften, für den Unfall ursächlichen Verhaltens K*** die Gefährdungshaftung des EKHG zum Tragen komme. Ein Haftungsausschluß nach § 3 EKHG greife nicht ein, da der Getötete zur Zeit des Unfalles nicht beim Betrieb des Kraftfahrzeuges tätig gewesen sei. Der Beweis eines Mitverschuldens S*** sei der Klägerin ebensowenig gelungen wie der Beweis eines unabwendbaren Ereignisses. K*** sei gegenüber S*** auch nicht vorübergehend weisungsberechtigt gewesen, er sei weder Dienstgeber noch Aufseher im Betrieb gewesen. Die Klägerin könne daher die von ihr erbrachten bzw. zu erbringenden Pensionsleistungen regressieren; ihre Deckungsfondberechnung sei unbestritten. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei; übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

In der Rechtsrüge führt die Beklagte aus, daß S*** nach dem Aussteigen aus dem LKW für dessen Lenker K*** nicht mehr "direkt sichtbar" gewesen sei. Dieser habe in diesem Zusammenhang darauf vertrauen dürfen, daß sich S*** im Sinn des § 3 StVO verkehrsgerecht verhalten und nicht vor ein im Wegfahren begriffenes Fahrzeug treten werde. K*** sei daher gar nicht dazu verpflichtet gewesen, in den rechten Außenspiegel zu blicken, nachdem sich sein Beifahrer verabschiedet und die rechte Fahrzeugtür von außen geschlossen hatte. Er sei vielmehr verpflichtet gewesen, sich dem fließenden Verkehr zuzuwenden und insbesondere in den linken Außenspiegel und durch die Windschutzscheibe nach vorne in seine beabsichtigte Fahrtrichtung zu blicken. Dazu komme, daß der letzte Blick vor dem Anfahren mit dem LKW jedenfalls nach links hinten erfolgen mußte, da hier die größte Gefahr durch das Nahen von Fließverkehr vorhanden gewesen sei. Selbst wenn also K*** verpflichtet gewesen wäre, in den rechten Außenspiegel zu blicken und dort tatsächlich S*** stehen sehen hätte können, so wäre ein Sturz während des anschließenden Blickes in den linken Außenspiegel nicht aufgefallen. Diesfalls hätte derselbe Unfall stattgefunden. Da ein Blick in den rechten Außenspiegel somit den Unfall auch theoretisch nicht verhindern hätte können, liege im Unterlassen desselben auch kein Sorgfaltsverstoß. Da der Sturz S*** jedenfalls ein objektiv unsachgemäßes Verhalten darstellte, ergebe sich im Zusammenhang mit den weiteren vorliegenden Voraussetzungen die Haftungsbefreiung gemäß § 9 EKHG. Der Beklagten erscheine zudem die Annahme, wonach der Sturz S*** ohne dessen (Mit-)Verschulden erfolgt sein sollte, lebensfremd. Gerade wenn eine Person mit einem Blutalkoholspiegel, wie er bei S*** in etwa vorlag (2,24 Promille), aus der sitzenden Position auf dem Beifahrersitz aufstehe, seien Gleichgewichtsstörungen und ein Torkeln, wie dies auch vom medizinischen Sachverständigen im Strafverfahren festgestellt wurde, gegeben. Ein Sturz ohne Zusammenhang mit der Alkoholisierung erscheine diesfalls undenkbar. Es sei daher davon auszugehen, daß die Ursache des Sturzes in der Alkoholisierung und daher im Bereich S*** lag. Die von der Klägerin ins Treffen geführte Gefährdungshaftung komme somit nicht zum Tragen. Nach den getroffenen Feststellungen hatte die Alkoholisierung des LKW-Lenkers keine Auswirkungen auf den Geschehensablauf. Die Handlungsweise K*** sei völlig rational und situationsangepaßt gewesen. Es bestehe kein Hinweis darauf, daß bei fehlender Alkoholisierung der Unfall verhindert hätte werden können. S*** sei zwar mit dem LKW-Lenker den Unfallstag über gemeinsam mit Arbeiten beschäftigt gewesen. Dennoch sei er aber nur aus Gefälligkeit und somit in seinem ausschließlichen oder überwiegenden wirtschaftlichen Interesse befördert worden. Ein Interesse K*** an der Beförderung sei im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen. Er habe insbesondere auch keinen Auftrag seines Dienstgebers gehabt, S*** mitzunehmen. Die Beklagte sei daher auch der Auffassung, daß ein Haftungsausschluß gemäß § 3 EKHG vorliege.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 9 Abs 1 EKHG ist die Ersatzpflicht des Halters ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Die Unabwendbarkeit eines Ereignisses iS des § 9 Abs 2 EKHG setzt voraus, daß der Halter und die mit seinem Willen beim Betrieb des Fahrzeuges tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Die Sorgfaltspflicht iS dieser Gesetzesstelle umfaßt nicht die gewöhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt. Als Maßstab ist die Sorgfalt eines besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrers heranzuziehen. Die erhöhte Sorgfaltspflicht iS dieser Gesetzesstelle setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß auch schon vorher vermieden wird, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann (ZVR 1977/306; 1980/225 uva). Allerdings darf die Sorgfaltspflicht auch nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung vermieden werden (ZVR 1987/22 ua). Bei der Erbringung des Entlastungsbeweises hat der Halter zu beweisen, daß ein unabwendbares Ereignis vorliegt. Jede nicht aufklärbare Ungewißheit über wesentliche Einzelheiten geht daher zu seinen Lasten (ZVR 1983/306; ZVR 1984/22 uza). Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß der LKW-Lenker K*** bei Anwendung der äußersten nach den Umständen des Falles möglichen Sorgfalt verpflichtet gewesen wäre, S*** auch noch nach Schließen der Fahrzeugtüre sein Augenmerk zuzuwenden, und erst nach Erlangen der Gewißheit über dessen Entfernung aus dem Gefahrenbereich anzufahren. Nach den Feststellungen beachtete aber K*** vor dem Anfahren nur noch den Nachfolgeverkehr durch den linken Außenspiegel und fuhr los, ohne S*** weiter Beachtung zu schenken. Darüber hinaus konnte nach den Feststellungen auch nicht ausgeschlossen werden, daß K*** bei einem Blick in den rechten Außenspiegel zumindest den Sturz S*** und die daraus resultierende Gefahrensituation für diesen hätte wahrnehmen können.

In der Auffassung, daß der Beklagten ein Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen sei, kann daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden.

Dem Berufungsgericht ist auch beizupflichten, daß der Beklagten der Beweis eines Mitverschuldens des Getöteten nicht gelungen ist, weil nach den Feststellungen die Ursache des Sturzes S*** nicht festgestellt werden konnte, insbesondere, daß der Sturz eine Folge der Alkoholisierung des Getöteten war. Soweit die Revision ausführt, daß die Ursache des Sturzes S*** dessen Alkoholisierung gewesen sei, weicht sie von den Tatsachenfeststellungen ab und bringt insoweit die Rechtsrüge nicht zur gesetzmäßigen Darstellung.

Schließlich vermögen auch die Ausführungen der Revision hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für den Haftungsausschluß nach § 3 Z 2 EKHG dem Rechtsmittel nicht zu einem Erfolg zu verhelfen. Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 3 Z 2 zweiter Fall EKHG tritt die Haftung des Halters insofern nicht ein, als der Verletzte zur Zeit des Unfalles durch das Kraftfahrzeug nur auf sein, des Verletzten, Ersuchen in seinem ausschließlichen oder überwiegenden wirtschaftlichen Interesse und ohne ein dem Halter zufließendes, wenn auch unangemessenes Entgelt befördert wurde. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (abgedruckt in MGA EKHG3 § 3 Anm. 5) bezweckt die Gesetzesbestimmung im wesentlichen, dann (und nur dann), wenn sich der Fahrgast in den Gefahrenkreis des Halters eindrängt, diesen nicht mit der strengeren Haftung nach dem EKHG zu belasten (vgl. SZ 56/45 ua). Nach den Feststellungen bestand die Aufgabe K*** in der Lenkung des LKWs, S*** hatte im Zuge der Erhaltungsarbeiten auf der Alberndorfer Bezirksstraße in diesem Bereich das Werkzeug einzusammeln. K*** hatte über das Lenken des LKW hinausgehend weder Befugnisse noch Pflichten gegenüber seinen Arbeitskollegen; insbesondere war er nicht Führer der Arbeitspartie. Lediglich aus Gefälligkeit nahm er S*** im LKW mit. S*** hatte neben der Unfallsstelle einen Wohnwagen, sodaß es für K*** von vornherein klar war, daß S*** an der Unfallsstelle aussteigen wollte, um in den Wohnwagen zu gehen. Unter diesen Umständen kann aber keine Rede davon sein, daß sich S*** als Fahrgast in den Gefahrenkreis des Halters eingedrängt hätte und daß die Mitnahme seines Arbeitskollegen S*** durch den LKW-Lenker K*** zum Wohnwagen, in dem unter anderem die Werkzeuge aufbewahrt wurden, im ausschließlichen oder überwiegenden wirtschaftlichen Interesse S*** erfolgt sei. Entgegen der Auffassung der Revision kommt daher im vorliegenden Fall der Beklagten der Haftungsausschluß nach § 3 Z 2 EKHG nicht zugute. Die zutreffende Auffassung des Berufungsgerichtes, daß sich die Beklagte auch nicht auf das Haftungsprivileg nach den §§ 333 Abs 4, 334 ASVG berufen kann, wird in der Revision nicht mehr bekämpft.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E14616

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00066.88.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19880628_OGH0002_0020OB00066_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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