TE OGH 1988/7/28 7Ob21/88

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Veröffentlicht am 28.07.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*** Österreichische Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 2., Untere Donaustraße 25, vertreten durch Dr. Hermann Graus, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Peter D***, Arbeiter, Innsbruck, Riedgasse 23, vertreten durch Dr. Hans Heißl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 30.426,10 s.A. infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 18. April 1988, GZ 4 R 23/88-16, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. September 1987, GZ 16 Cg 221/87-9, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Text

Begründung:

Dem frei gewählten Rechtsanwalt des Beklagten wurde das Urteil des Erstgerichtes am 8. Oktober 1987 zugestellt. Mit dem am 30. Oktober 1987 beim Erstgericht eingelangten Antrag (ON 10) begehrte der Beklagtenvertreter namens des Beklagten unter Vorlage des Vermögensbekenntnisses nach ZPO-Form 1 und einer Lohnbestätigung die Bewilligung der Verfahrenshilfe für das Berufungsverfahren, wobei ersucht wurde, den bisher frei gewählten Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer zu bestellen. Mit Beschluß vom 30. Oktober 1987, der dem Beklagtenvertreter am 3. November 1987 zugestellt wurde, stellte das Erstgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Verbesserung binnen 14 Tagen durch Ergänzung und Beibringung von Belegen zurück. Am 24. November 1987 langte beim Erstgericht der am 23. November zur Post gegebene Schriftsatz (ON 11) ein, mit dem das ergänzte Vermögensbekenntnis und weitere Belege vorgelegt wurden. Mit Beschluß vom 25. November 1987 (ON 12) bewilligte das Erstgericht dem Beklagten die Verfahrenshilfe nach § 64 Abs. 1 Z 1 lit.a bis f und Z 3 ZPO. Dieser Beschluß und der Bescheid der Rechtsanwaltskammer über die Bestellung des Beklagtenvertreters zum Verfahrenshelfer wurden diesem am 9. Dezember 1987 zugestellt. Am 18. Dezember 1987 wurde die Berufung des Beklagten bei Gericht überreicht.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Nach seiner Ansicht sei zwar durch den Antrag des Beklagten vom 30. Oktober 1987 auf Bewilligung der Verfahrenshilfe der Lauf der Berufungsfrist unterbrochen worden. Da die vom Erstgericht gesetzte Frist zur Verbesserung dieses Antrages nicht eingehalten worden sei, sei mit Ablauf der Verbesserungsfrist, dem 17. November 1987, auch die Berufungsfrist endgültig abgelaufen. Die erst später bewilligte Verfahrenshilfe habe eine Verlängerung der bereits abgelaufenen Berufungsfrist nicht bewirken können.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Rekurs des Beklagten ist berechtigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Rechtslage vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 trat keine Verlängerung (Verlegung) der Berufungsfrist ein, wenn eine Partei, der bisher noch keine Verfahrenshilfe bewilligt worden war, im Falle eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe und Beigabe eines Rechtsanwaltes für das Berufungsverfahren nicht innerhalb der Berufungsfrist auch das im § 66 ZPO vorgeschriebene Vermögensbekenntnis vorgelegt hatte. Daran änderte auch nichts der Umstand, daß das Vermögensbekenntnis innerhalb einer vom Gericht erteilten Frist, aber erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingebracht wurde (EvBl. 1975/77; EvBl. 1976/39; 3 Ob 512/83 uva). Gemäß § 64 Abs.3 ZPO idF vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 traten nämlich die Rechte des § 64 Abs.1 ZPO, also auch das dort unter Z 3 behandelte Recht der vorläufig unentgeltlichen Beigabe eines Rechtsanwaltes, erst mit dem Tag ein, an dem das Vermögensbekenntnis dem Gericht vorgelegt wurde. Erst mit der Vorlage des Vermögensbekenntnisses ist der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wirksam gestellt (Arb. 10.114; 5 Ob 746/80; 1 Ob 606/80).

Durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 wurde § 64 Abs.3 ZPO dahin abgeändert, daß im Falle der Bewilligung der Verfahrenshilfe die Befreiungen und Rechte nach Abs.1 mit dem Tag eintreten, an dem die Verfahrenshilfe beantragt worden ist. Dem letzten Satz des § 66 Abs.1 ZPO (für das Vermögensbekenntnis ist ein vom Bundesminister für Justiz aufzulegendes ... Formblatt zu verwenden) wurde die Bestimmung angefügt, daß nach den §§ 84 und 85 ZPO, immer unter Setzung einer Frist, vorzugehen ist, wenn dem Antrag kein solches Vermögensbekenntnis angeschlossen ist, und der Partei gleichzeitig das Formblatt zuzustellen ist. Durch diese Änderungen sollte das sich aus der bisherigen Rechtsprechung ergebende unbefriedigende Ergebnis beseitigt werden, daß die Parteien, die immer wieder Verfahrenshilfeanträge ohne Vorlage des geforderten Vermögensbekenntnisses stellten, von einem Fristablauf überrascht werden, ohne daß ihnen dann noch irgendein Rechtsbehelf offen steht (669 BlgNR 15. GP 48). Damit ist der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls die Grundlage entzogen. Die Frage, welchen Einfluß die Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses auch innerhalb der der Partei im Sinne des § 66 Abs.1 letzter Satz ZPO gesetzten Frist auf den Lauf der Rechtsmittelfrist gemäß § 464 Abs.3 ZPO hat, kann hier jedoch unerörtert bleiben. Dem innerhalb der Berufungsfrist gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe war nämlich ohnehin ein Vermögensbekenntnis angeschlossen. Das Erstgericht hat lediglich dessen Ergänzung und die Beibringung von Belegen aufgetragen (ON 10). Dieser Auftrag beruht auf der von der Zivilverfahrens-Novelle 1983 unberührt gebliebenen Bestimmung des § 66 Abs.2 ZPO. Danach ist über den Antrag auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden. Hat das Gericht gegen dessen Richtigkeit oder Vollständigkeit Bedenken, so hat es das Vermögensbekenntnis zu überprüfen. Hiebei kann es auch die Partei unter Setzung einer angemessenen Frist zur Ergänzung des Vermögensbekenntnisses und, soweit zumutbar, zur Beibringung weiterer Belege auffordern. Kommt die Partei dem Ergänzungsauftrag nicht nach, dann hat das Gericht bei der zu treffenden sachlichen Entscheidung das Verhalten der Partei entsprechend dem § 381 ZPO frei zu würdigen. Dies muß aber nicht notwendig dazu führen, die ursprünglichen Angaben für unrichtig zu halten (Fasching, ErgBd. 34), sodaß unbeschadet des fruchtlosen Ablaufes der Frist eine dem Antrag stattgebende Entscheidung möglich ist. Daraus folgt aber, daß der fruchtlose Ablauf einer nach § 66 Abs.2 ZPO gesetzten Frist keinesfalls die Wirkung haben kann, daß der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auf den Lauf der Rechtsmittelfrist ohne Einfluß bleibt und die Rechtsmittelfrist ablaufen kann. Es hat für diesen Fall vielmehr, wie der Oberste Gerichtshof schon in einem ganz ähnlich gelagerten Fall ausgesprochen hat (2 Ob 552/86) bei der Anordnung des § 464 Abs.3 ZPO zu verbleiben, daß die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn bzw. mit dem Eintritt der Rechtskraft eines abweisenden Beschlusses beginnt. Davon ausgehend ist aber die Berufung des Beklagten rechtzeitig erhoben worden.

Demgemäß ist dem Rekurs Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.2 ZPO.

Anmerkung

E15246

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00021.88.0728.000

Dokumentnummer

JJT_19880728_OGH0002_0070OB00021_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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