TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/29 2002/20/0180

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Veröffentlicht am 29.09.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AVG §66 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der R in W, geboren 1975, vertreten durch Mag. Dieter Hauser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Marc Aurel-Straße 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Dezember 2001, Zl. 223.968/0-VI/42/01, betreffend § 6 Z 2 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. August 2001, mit dem der am 17. Juni 2001 gestellte Asylantrag der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen der Russischen Föderation, gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin "nach Russland" für zulässig erklärt worden war, "gemäß §§ 6, 8 AsylG" ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 6 Z 1 und 2 AsylG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) lautete:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

..."

Der Begründung des angefochtenen Bescheides ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde die Meinung des Bundesasylamtes, im vorliegenden Fall seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Z 1 AsylG erfüllt, nicht teilte. Die belangte Behörde bestätigte die Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet vielmehr - erkennbar unter dem Gesichtspunkt der Z 2 der zitierten Bestimmung - mit ihrer Auffassung, die von der Beschwerdeführerin "behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" sei nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin offensichtlich "nicht auf asylrelevante Gründe (im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) zurückzuführen".

Die belangte Behörde durfte ihre Entscheidung zwar auf eine andere Ziffer des § 6 AsylG stützen als das Bundesasylamt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2001, Zl. 2001/20/0161, mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0320, dem ein - wie hier - nur § 6 AsylG, jedoch nicht die herangezogene Ziffer im Spruch erwähnender Berufungsbescheid zugrundelag). Die Einschätzung der belangten Behörde, der erforderliche Zusammenhang zwischen der behaupteten Bedrohung und den in der FlKonv genannten Gründen fehle offensichtlich, wird allerdings dem - bei der Beurteilung nach § 6 Z 2 AsylG maßgeblichen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2003, Zl. 2002/20/0151) - Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht gerecht. Dieses Vorbringen im Asylverfahren lässt sich - bei harmonisierender Betrachtung der zum Teil (v.a. in zeitlicher Hinsicht) abweichenden Angaben der Beschwerdeführerin - in seinen wesentlichen Punkten wie folgt zusammenfassen:

Die 1975 in der (heutigen) Ukraine geborene Beschwerdeführerin sei im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern in die tschetschenische Hauptstadt Grosny gezogen. Dort sei sie aufgewachsen und habe bis 1991 die Schule besucht. Da die Situation in diesem Krisenherd "furchtbar" gewesen sei und die Bfrin keine Arbeit habe finden können, habe sie in der Folge "eigentlich immer" bei ihrer Großmutter in der Ukraine (in Sewastopol) unangemeldet gewohnt und von illegalen Gelegenheitsarbeiten gelebt. Die (in Grosny gebliebenen) Eltern der Beschwerdeführerin seien 1995 und 1997 verstorben. Die der Beschwerdeführerin hinterlassene Wohnung - an dieser Anschrift in Grosny sei sie nach wie vor "offiziell" gemeldet - werde von einer Nachbarin betreut. Bei ihrem letzten, etwa einen Monat dauernden Besuch in Grosny um den Jahreswechsel 2000/2001 habe die Beschwerdeführerin festgestellt, dass die Wohnung zwar noch existiere, aber leer und unbewohnbar sei. Es sei aber überhaupt unmöglich, in Grosny zu leben. Dort gebe es nichts mehr, es werde "immer noch bombardiert". Es gebe in Grosny "keinen städtischen Verkehr, kein Gas, nichts". In diesem Zusammenhang hatte die Beschwerdeführerin beim Bundesasylamt auch betont, in Grosny könne sie "unmöglich leben, dort werden Russen umgebracht". Dem wurde in der Berufung hinzugefügt, "nach den Kriegswirren in Grosny" könne die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer russischen Abstammung nicht mehr dorthin zurück. Aufgrund ihrer russischen Abstammung habe die der Beschwerdeführerin drohende Verfolgung in Grosny "zudem Asylrelevanz".

Die Großmutter der Beschwerdeführerin sei im März 2001 verstorben. In der Ukraine hätte die Beschwerdeführerin kein Aufenthaltsrecht. Vor ihrer Ausreise im Juni 2001 habe sich die Beschwerdeführerin einige Monate in Moskau aufgehalten. Um eine Meldung habe sie sich nicht gekümmert, weil das dort "ohne Geld" aussichtslos sei. Hätte sie Geld, könnte sie sich in Moskau eine polizeiliche Meldung "kaufen". Sie habe aber gar nie in Erwägung gezogen, in Moskau zu bleiben, sie habe dort nur "zwischenzeitlich" Arbeit finden wollen. Sie werde "nirgends (in Russland) eine andere Meldung erhalten, man sagt mir höchstens, geh zurück nach Grosny". Die Beschwerdeführerin habe ihr Heimatland verlassen, weil sie keinen Ort mehr gehabt habe, an dem sie hätte wohnen können, "nachdem Grosny für sie ausgeschieden" sei. Bei einer Rückkehr nach Russland befürchte sie daher "Obdachlosigkeit".

Vorweg ist klarzustellen, dass als Heimatregion der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat - das ist aufgrund ihrer russischen Staatsangehörigkeit die Russische Föderation - Grosny, die Hauptstadt der Teilrepublik Tschetschenien, anzusehen ist. Dem entsprechend bezog sich die Beschwerdeführerin in erster Linie auch auf (aktuelle) Gefahren in diesem Gebiet und es war daher auch davon ausgehend die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin zu prüfen. Dass die Beschwerdeführerin nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt in der Ukraine von dort kommend für einige Monate in die Russische Föderation (nach Moskau) zurückgekehrt und nicht aus Tschetschenien geflüchtet ist, ändert an dieser Beurteilung - anders als die belangte Behörde in der Gegenschrift meint - nichts. Bezogen auf von der Beschwerdeführerin behauptete aktuelle Gefahren in Grosny stellt sich hinsichtlich anderer Gebiete in der Russischen Föderation nur die Frage nach einer - zur Begründung einer Asylantragsabweisung nach § 6 AsylG allerdings nicht geeigneten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 2000/20/0443, mwN) - zumutbaren inländischen Fluchtalternative.

Entgegen der Meinung der belangten Behörde hat die Beschwerdeführerin "die geltend gemachte Unmöglichkeit, in Grosny zu leben," aber nicht nur "evidentermaßen auf die allgemeine Zerstörung der Stadt und der Wohnung sowie auf die allgemeine Sicherheitssituation" zurückgeführt. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin - was die belangte Behörde auch erkannte - schon vor dem Bundesasylamt die Unmöglichkeit, nach Grosny zurückzukehren, auch damit erklärt, dass dort Russen umgebracht werden, und in der Berufung offenbar darauf Bezug nehmend wiederholt, dass sie in Grosny wegen ihrer russischen Abstammung verfolgt werde und für sie (auch deshalb) ein Leben dort unmöglich sei. Die belangte Behörde hat dazu die Auffassung vertreten, diese Berufungsausführungen fänden im (sonstigen) Vorbringen keine Deckung, wobei auch die erwähnte Aussage im erstinstanzlichen Verfahren "bei verständiger Würdigung des Gesamtvorbringens nur als Hinweis auf die allgemeine Sicherheitslage anzusehen" sei.

Dem kann im Hinblick auf die - (auch) bezogen auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung gegebenen und allgemein bekannten -

bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Tschetschenien, insbesondere in Grosny, bei denen es u.a. auch immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen der tschetschenischen Rebellen auf russische Volksgruppenzugehörige gekommen ist, nicht gefolgt werden (siehe dazu etwa den der Feststellung im angefochtenen Bescheid über die mangelnde Sicherheit der Zivilbevölkerung in Grosny zugrundeliegenden Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 28. August 2001, Beilage ./2, in dem auch die massiven Menschenrechtsverletzungen, u.a. die willkürliche Tötung von Zivilisten, durch "tschetschenische Kämpfer" erwähnt werden; vgl. in diesem Zusammenhang auch das ein ähnliches Vorbringen behandelnde hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2000/20/0111). Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht nur als "Hinweis auf die allgemeine Sicherheitslage anzusehen", sondern es ist dahin zu verstehen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in ihre Heimatregion - wegen ihrer russischen Volksgruppenzugehörigkeit - Gewalttätigkeiten, die ihrer Einschätzung nach sogar zum Tod führen könnten, befürchtet. Davon ausgehend lässt sich keinesfalls mit der erforderlichen "Offensichtlichkeit" sagen, die behauptete Verfolgung knüpfe an den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv erwähnten Grund "Nationalität" im Sinne des § 6 Z 2 AsylG nicht an.

Das hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 29. September 2005

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002200180.X00

Im RIS seit

10.11.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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