TE OGH 1988/10/11 1Ob29/88

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Veröffentlicht am 11.10.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theodor M***, Kaufmann, München 90, Hauensteinstraße 12, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Hans Eckhard Ruby, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei L*** S***, vertreten durch Dr. Benno Oberdanner, Rechtsanwalt in Salzburg, Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Lucette D***-M***,

Pianistin, Barchon, 5 Rue des Forgerons, Belgien, vertreten durch Dr. Paul Lechenauer, Dr. Peter Lechenauer, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Feststellung (Streitwert S 250.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 19. April 1985, GZ 12 R 12, 13/88-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 13. November 1987, GZ 8 Cg 272/87-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung:

Am 15. Juli 1977 kam es im Ortsgebiet von Salzburg an der ampelgeregelten Kreuzung Plainstraße-Jahnstraße zu einer Kollision zweier von Ferdinand G*** und Hermann C*** gelenkter PKWs. Halter des von Ferdinand G*** gelenkten Fahrzeuges war die Firma A. M***, deren Inhaber der Kläger ist. Durch den Zusammenstoß geriet der von Hermann C*** gelenkte PKW auf den Gehsteig und verletzte die dort befindliche Nebenintervenientin schwer. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 10. Juli 1978, 18 U 2193/77-20, wurde Gerhard J*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB rechtskräftig für schuldig erkannt, weil er am 15. Juli 1977 als Organ der Straßenaufsicht dem den PKW vor der Kreuzung Plainstraße-Jahnstraße anhaltenden Ferdinand G*** durch ein Handzeichen die Anordnung gegeben hatte, ungeachtet des Rotlichtes in die Kreuzung einzufahren, wodurch es zur Kollision mit dem von Hermann C*** gelenkten PKW und schließlich zur schweren Verletzung der nunmehrigen Nebenintervenientin gekommen war.

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 30. Juni 1981, 11 Cg 117/79-27, bestätigt mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 19. Jänner 1982, 2 R 182/81-40, wurde festgestellt, daß die Firma A. M*** Wäschereimaschinenfabrik, Inhaber Theodor M***, der nunmehrigen Nebenintervenientin für alle künftigen Schäden zu haften habe, die ihr aus dem Verkehrsunfall vom 15. Juli 1977 in Salzburg entstehen werden. Das Oberlandesgericht Linz sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 60.000,-- übersteige. Eine Revision wurde von der Firma A. M*** nicht erhoben. In diesem Verfahren wurde folgender Sachverhalt festgestellt: Ferdinand G*** hielt das von ihm gelenkte Fahrzeug der Firma A. M*** wegen Rotlichtes vor der Kreuzung Jahnstraße-Plainstraße knapp vor dem dort befindlichen Schutzweg an und legte den Leerlauf ein. Rechts von ihm stand der zur Verkehrsregelung eingesetzte Polizeiwachmann Gerhard J*** auf dem Gehsteig. Gerhard J*** gab Ferdinand G***, der die Kreuzung in gerader Richtung übersetzen wollte, ein Handzeichen, trotz Rotlicht über die Kreuzung zu fahren. Gerhard J*** bot sich hiebei aus seiner Standposition eine Sicht in die Plainstraße Richtung stadteinwärts von rund 110 m. Als Ferdinand G*** auf dieses Zeichen nicht sogleich reagierte, wandte sich Gerhard J*** vom PKW ab und kümmerte sich nicht mehr um das Fahrverhalten des Ferdinand G***. Ferdinand G*** setzte jedoch auf Grund des ihm gegebenen Handzeichens seine Fahrt nach Einlegen des ersten Ganges fort und fuhr bei Rotlicht in die Kreuzung ein. Es kann nicht geklärt werden, wieviel Zeit zwischen dem Handzeichen und dem Wiederanfahren des PKWs vergangen ist. Ferdinand G*** schaute bei seinem Einfahren in die Kreuzung nur geradeaus und nach rechts, er unterließ es, nach links in die Plainstraße Einblick zu nehmen, da er sich darauf verlassen hatte, daß eine allenfalls aus dieser Richtung kommende Gefahr von Gerhard J*** wahrgenommen und ihm rechtzeitig angekündigt würde. Er nahm bis zum späteren Zusammenstoß das von Hermann C*** gelenkte Fahrzeug überhaupt nicht wahr. Bis dorthin legte er eine Strecke von 19 m zurück, seine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes betrug zwischen 24,3 und 27,2 km/h. Bis zum Zusammenstoß verging eine Zeit von etwas mehr als 5 Sekunden. Hätte er nach links geblickt, hätte er 1,5 bis 1,7 Sekunden vor dem Zusammenstoß seinen Bremsentschluß fassen können. In diesem Fall hätte es ihm möglich sein müssen, sein Fahrzeug entweder anzuhalten oder mit einer minimalen Restgeschwindigkeit zu kollidieren. In diesem Fall wäre eine Verletzung der nunmehrigen Nebenintervenientin unterblieben. Der Kläger begehrt die Feststellung, daß das beklagte Bundesland ihm für die Erstattung aller an Lucette D***-M*** auf Grund des Unfalles vom 15. Juli 1977 zu leistenden Beträge hafte. Das Oberlandesgericht Linz habe im Vorprozeß die Vermutung ausgesprochen, daß ein Verschulden des Lenkers des PKWs der Firma A. M*** gegenüber dem Verschulden des Organes der beklagten Partei zu vernachlässigen sei. Sein Haftpflichtversicherer habe zur Schadensabdeckung bisher S 1,171.513,-- bezahlt. Die restliche Haftpflichtversicherungssumme betrage nur mehr S 28.487,--. Die beklagte Partei wendete ein, der Kläger habe im Verfahren 11 Cg 117/79 des Erstgerichtes den Rechtsmittelzug nicht ausgeschöpft, so daß ihm ein Ersatzanspruch nach § 2 Abs 2 AHG nicht zustehe. Im übrigen treffe Ferdinand G*** ein sehr erhebliches Mitverschulden an dem Unfall, so daß die beklagte Partei höchstens zu einem Drittel hafte. Sie habe im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall an die nunmehrige Nebenintervenientin wegen des wenn auch geringfügigen Verschuldens ihres Organes eine Zahlung von S 2,250.000,-- geleistet. Diese Zahlung sei erfolgt, weil sie unwiderruflich erklärt habe, mit diesem Betrag für alle bisherigen und künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall gegenüber der beklagten Partei voll abgefunden zu sein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige; die Revision erklärte es für zulässig. Beide Vorinstanzen vertraten die Rechtsansicht, daß dem Kläger gemäß § 2 Abs 2 AHG wegen Nichtausschöpfens des Instanzenzuges im Vorprozeß Ansprüche gegen die beklagte Partei nicht zustünden. Es habe im Vorverfahren noch die Möglichkeit bestanden, durch das Rechtsmittel der Revision den Schaden, die Feststellung der Schadenersatzpflicht des Klägers, zu verhindern. Eine Beweisführung im Amtshaftungsprozeß, daß ein nicht ergriffenes Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hätte, sei nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist berechtigt.

Haften dem Geschädigten für Schäden aus einem Verkehrsunfall sowohl ein Rechtsträger wegen rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens seines Organs als auch ein weiterer Verkehrsteilnehmer auf Grund der Vorschriften des bürgerlichen Rechts, können Rückgriffsansprüche zwischen Mitschädiger und Rechtsträger zum Entstehen kommen (SZ 54/12; Loebenstein-Kaniak, AHG2 172). Diese Rückgriffsansprüche sind Ansprüche, die nach den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (§§ 896, 1302 ABGB) zu beurteilen und im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen sind (SZ 54/12). Nach der Vorschrift des § 2 Abs 2 AHG entfallen Amtshaftungsansprüche zur Gänze, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abwenden, d.h. verhindern hätte können. Der durch einen hoheitlichen Akt (zB Urteil oder Bescheid) potentiell Geschädigte ist verpflichtet, zunächst die ihm vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten und eine Abwendung seines Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe auszunützen, um einen Schaden gar nicht entstehen zu lassen; Amtshaftung hat nur einzutreten, wenn das von den Gesetzen primär zur Verfügung gestellte Sicherheitsnetz an Rechtsbehelfen nicht ausreicht oder ausreichen könnte, den Schaden noch zu verhindern; nur für unverbesserliche Akte der Vollziehung soll Ersatz gewährt werden (SZ 55/81; Loebenstein-Kaniak aaO 167). Im vorliegenden Fall kann keine Rede davon sein, daß eine Revision des Klägers im Verfahren 11 Cg 117/79 des Erstgerichtes den eingetretenen Schaden noch verhindern hätte können; der Schaden war vielmehr durch den Unfall bereits eingetreten. Eine Revision des Klägers hätte nur noch die Haftung des Klägers und damit auch das Entstehen eines Regreßanspruches gegen die beklagte Partei verhindern können. Solche Ansprüche hat § 2 Abs 2 AHG aber nicht im Auge, sondern nur den Schaden des durch Verletzung von hoheitlichen Pflichten Geschädigten. Nur diesen treffen auch die sich aus § 2 Abs 2 AHG ergebenden Pflichten. Die beklagte Partei könnte sich nur darauf berufen, daß dem Kläger ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB anzulasten sei, weil er im Vorprozeß den Instanzenzug nicht ausgeschöpft habe. Ein solcher Vorwurf kann dem Kläger aber nicht gemacht werden. Abgesehen davon, daß weder behauptet noch festgestellt wurde, der Kläger habe bei Unterlassung der Revision gewußt, daß die beklagte Partei mit der Geschädigten einen Abfindungsvergleich geschlossen habe, behauptete die beklagte Partei selbst, daß der Lenker des Fahrzeuges, dessen Halter die Firma A. M*** war, am Unfall überwiegend schuld sei. Nach ihrem eigenen Prozeßstandpunkt hätte daher die Firma A. M*** im Vorprozeß durch Erhebung der Revision keine günstigere Entscheidung für sich erreichen können.

Ist ein Solidarschuldner vom Geschädigten noch nicht zu Leistungen in Anspruch genommen worden, muß er aber damit rechnen, daß dies in Zukunft der Fall sein könnte, ist ihm ein rechtliches Interesse daran zuzubilligen, im Wege der Feststellungsklage zu begehren, in welchem Umfang ihm für den Fall der Zahlung ein Ausgleichsanspruch gegen den Mitschuldner zusteht (SZ 59/7; ZVR 1978/30; SZ 46/120; SZ 42/172; Gamerith in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 896; Apathy in Schwimann, ABGB, Rz 9 zu § 896).

Die Vorinstanzen haben, von der vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht ausgehend, keine Feststellungen über das dem Kläger zuzurechnende Fahrverhalten des Ferdinand G*** getroffen. Es wird daher zur Abwägung der beiderseitigen Verschuldenskomponenten, sollte der vom Erstgericht im Verfahren 11 Cg 117/79 festgestellte Sachverhalt, allenfalls dahin ergänzt, welcher Zeitraum zwischen dem Handzeichen des Organs der Straßenaufsicht Gerhard J*** und dem Anfahren des Kraftfahrzeuges verstrich, nicht außer Streit gestellt werden, notwendig sein, eigene Feststellungen darüber zu treffen.

Der Revision ist Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Rechtssache gemäß § 510 Abs 1 ZPO an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 50, 52 ZPO.

Anmerkung

E15672

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00029.88.1011.000

Dokumentnummer

JJT_19881011_OGH0002_0010OB00029_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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