TE OGH 1988/11/29 15Os38/88 (15Os39/88)

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Veröffentlicht am 29.11.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.November 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Tegischer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hans Peter B*** wegen des Vergehens des Vorwurfes einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung nach § 113 StGB übe die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Strafbezirksgerichtes Wien vom 29.Juli 1987, GZ 11 U 2754/87-3, und des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht vom 11.September 1987, AZ 13 d Bl 1111/87, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, der Privatankläger Harald K*** und Gerd K*** und deren Vertreters Dr. Schmautzer, jedoch in Abwesenheit des (seinerzeitigen) Beschuldigten P*** zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ 11 U 2754/87 des Strafbezirksgerichtes Wien wurde durch die Beschlüsse

1.

dieses Gerichtes vom 29.Juli 1987, ON 3, und

2.

des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.September 1987, AZ 13 d Bl 1111/87, ON 6,

das Gesetz in der Bestimmung des § 113 StGB verletzt.

Text

Gründe:

I. Mit dem unter 1. angeführten Beschluß lehnte das Strafbezirksgericht Wien die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Hans Peter P*** wegen des Vergehens des (gegen Harald K*** und Gerd K*** in zwei Schreiben an die Firmen B*** und A*** erhobenen) Vorwurfs einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung nach § 113 StGB mit der Begründung ab, daß bereits nach dem Inhalt der Privatanklage mangels eines gegenüber den Betroffenen selbst von Person zu Person geäußerten Vorwurfs der Tatbestand dieses Delikts nicht verwirklicht worden sei.

Der dagegen eingebrachten Beschwerde der Privatankläger wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien, welches die bekämpfte Rechtsansicht teilte, mit dem unter 2. bezeichneten Beschluß nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

II. Zur Klärung der in der Literatur umstrittenen Frage, ob das Vergehen nach § 113 StGB tatsächlich nur bei gleichzeitiger Anwesenheit von Täter und Beleidigtem "von Person zu Person" (Foregger im WK § 113 Rz 6), also "dem Betroffenen gegenüber" (Leukauf-Steininger StGB2 § 113 RN 7), oder immerhin "mindestens in seiner Gegenwart" (Kienapfel BT I2 § 113 RN 3) begangen werden kann oder ob doch zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich ist, daß der Vorwurf gegenüber dem Beleidigten selbst (Mayerhofer/Rieder StGB2 § 113 Anm. 3) und/oder in seiner Gegenwart (Leukauf-Steininger StGB1 567; Proske in ÖJZ 1977, 1) erhoben wird, hat die Generalprokuratur die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ergriffen und beantragt, beide auf der zuerst relevierten Rechtsansicht beruhenden Beschlüsse als gesetzwidrig zu erkennen. Dem für das - auch in der Rechtsprechung zum StG überwiegend angenommene (Slg. 1032, 1357, SSt. XI/11, EvBl. 1966/325; aM KH 4456) - strittige Anwesenheitserfordernis ins Treffen geführten Argument, ein "Vorwurf" könne nach der Wortbedeutung dieses Ausdrucks (im Sinn von "vorhalten") nur einem Anwesenden gemacht werden, hält sie (mit Bezug auf Foregger aaO § 111 Rz 7) entgegen, daß unter "vorwerfen" auch das Äußern einer Kritik am Verhalten eines Abwesenden (im Sinn von "zeihen", also etwas "anklagend zur Kenntnis eines Dritten bringen") verstanden werden könne. Dazu komme, daß das Gesetz in § 113 StGB die Anwesenheit des Beleidigten nicht ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal voraussetze, sondern sich ebenso wie in § 111 (Abs. 1) StGB mit dem Publizitätserfordernis der Tatbegehung "in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise" begnüge. Damit schließlich stehe auch der aus den Gesetzesmaterialien (EBRV 1971, 247) erhellende Wille des Gesetzgebers im Einklang, im Interesse der Resozialisierung eines (insoweit geschützten) Rechtsbrechers den solcherart gegen ihn geäußerten Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung ohne Rücksicht darauf unter Strafsanktion zu stellen, ob er in seiner Gegenwart oder in seiner Abwesenheit erhoben werde.

III. Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1. Aus der Wortbedeutung des Begriffs "vorwerfen" allein ist nach heutigem Sprachverständnis in der Tat nicht zwingend abzuleiten, daß der betreffende Vorwurf "von Person zu Person", also (sei es mündlich oder sei es schriftlich) unmittelbar (vgl. 15 Os 144/87) "dem Betroffenen gegenüber", oder gar unbedingt in dessen Anwesenheit erhoben werden müßte. Auch die an einen Dritten adressierte (mit einem Tadel verbundene) schriftliche oder mündliche Bezugnahme auf das Verhalten eines bei der Konfrontation des Adressaten mit dieser Äußerung nicht anwesenden anderen, wie etwa eine bei Gericht eingebrachte oder in Abwesenheit des Angeklagten vorgetragene Anklage, wird nach allgemeinem (und insbesondere nach forensischem) Sprachgebrauch sehr wohl als "Vorwurf" bezeichnet und verstanden. So schon § 332 des Strafgesetz-Entwurfs 1912 ("Wer jemandem gegenüber einem Dritten ... zum Vorwurfe macht, ..."), KH 4456 und Kadecka in DRWrA 1944, 45; ebenso Duden-Bedeutungswörterbuch X2 (1985), 736: ua "jmds Handlungsweise heftig kritisieren", "ankreiden" (54: ua "jmdm etwas übelnehmen und als nachteilig anrechnen") und "anlasten" (55: ua "die Schuld an etwas zuschreiben").

2. Die in bezug auf das Anwesenheitserfordernis strikte Interpretation des vormaligen § 497 StG in der älteren Judikatur und Lehre (Slg. 1032, 1357; Finger II3 325, Lammasch-Rittler5 266) dahin, daß der verpönte Vorwurf, um strafbar zu sein, dem Betroffenen persönlich gemacht werden müsse (vgl. Kinsbrunner in RZ 1905, 326; schon etwas weniger restriktiv Altmann-Jacob I 990:

auch durch Ferngespräch oder Brief, nicht aber durch eine Zeitung), ging dementsprechend auch gar nicht auf die Annahme der Unvereinbarkeit einer extensiveren Auslegung mit der sprachlichen Bedeutung des Wortes "Vorwurf" zurück, sondern einfach auf das Fehlen einer ausdrücklichen Publizitäts-Prämisse in jener Strafbestimmung.

Mit der Wortbedeutung des in Rede stehenden Begriffs hingegen wurde erstmals im hier dargelegten (extensiven) Sinn argumentiert (KH 4456), und selbst die Ablehnung der daraus (in Verbindung mit dem Zweck des Gesetzes, "den Abgestraften vor einer Beeinträchtigung seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage durch einen in Schmähungsabsicht vorgebrachten Vorwurf seiner Abstrafung zu schützen") abgeleiteten Ansicht, der Tatbestand des § 497 StG könne auch in Abwesenheit des Betroffenen verwirklicht werden, wurde primär auf die Systematik des Gesetzes gestützt, wogegen in Ansehung der (nunmehr bloß auf den Begriffs-Kern abgestellten) Bedeutung des Wortes "Vorwurf" immerhin eine im Vergleich zur früheren strengen Auslegung etwas weitere Interpretation dahin konzediert wurde, daß es zur Tatbestandsverwirklichung genüge, wenn die betreffende Äußerung gegenüber einem Dritten, jedoch in Anwesenheit des Beleidigten und für ihn vernehmbar, oder in einer Druckschrift gemacht werde, die letzterer regelmäßig lese (SSt. XI/11 sowie im Anschluß daran Malaniuk II/1 139, 164 und Foregger, Ehrenbeleidigungen und Ehrenkränkungen, 70).

In der jüngeren Lehre schließlich wurde (im Interesse einer teleologisch gebotenen Reduzierung des Tatbestands) abweichend von der Rechtsprechung und vom bisher erwähnten Schrifttum vorwiegend eine Tatbegehung (zumindest) vor einem Dritten als (ungeschriebenes) Publizitätserfordernis postuliert, unter Bezugnahme auf den in KH 4456 verwendeten weiteren (gesamten) Begriffsumfang des Ausdrucks "Vorwurf" sowie auf den dort aufgezeigten Zweck des Gesetzes aber auch als ausreichend angesehen: die Anwesenheit des Betroffenen wurde darnach zur Verwirklichung des Tatbestands nach § 497 StG nicht für erforderlich gehalten (Rittler II1 64, 82 f. und II2 97, 124; Kadecka aaO; Nowakowski 164).

3. Mit dem gezielten Hinweis auf eben jene (damals) "neuere Rechtslehre" in den Materialien zu (§ 119 RV 1971 =) § 113 StGB hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, daß es im Hinblick auf die ratio der erläuterten Strafbestimmung, die Resozialisierung der Täter bereits abgetaner gerichtlich strafbarer Handlungen zu sichern, entgegen der Judikatur zum alten Recht nunmehr zur Tatbestandsverwirklichung nicht bloß keines animus iniuriandi, sondern auch keiner Tatbegehung gegenüber der Person des Geschmähten selbst bedürfe, sodaß ebenso wie bei der üblen Nachrede (§ 111 StGB) die Erhebung des verpönten Vorwurfs in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise genüge (EBRV 247). Mit der solcherart relevierten Angleichung der Publizitätsvoraussetzung wurde der vormals auf den insoweit unterschiedlichen Wortlaut der §§ 496, 497 StG gestützten Argumentation für das umstrittene Anwesenheitserfordernis (SSt. XI/11) der Boden entzogen.

4. Grammatikalische, historisch-systematische und teleologische Interpretation des Gesetzes führen sohin gleichermaßen zum Ergebnis, daß ein Vorwurf im Sinn des § 113 StGB, der in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise geäußert wird, den Tatbestand dieses Vergehens auch dann erfüllt, wenn er weder gegenüber dem Beleidigten selbst noch in seiner Anwesenheit erhoben wird.

IV. In Stattgebung der von der Generalprokurator ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher die Gesetzwidrigkeit der bekämpften Beschlüsse wie im Spruch festzustellen.

Anmerkung

E15897

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00038.88.1129.000

Dokumentnummer

JJT_19881129_OGH0002_0150OS00038_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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