TE OGH 1988/11/30 9ObA264/88

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Veröffentlicht am 30.11.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Dr. Bernhard Schwarz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. Andreas B***, Angestellter, Fieberbrunn, Tirol, vertreten durch Dr. Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei I*** Gesellschaft mbH & Co KG, St.Johann i.T., Neubauweg 27, vertreten durch Dr. Albert Feichtner, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen 381.360,62 S sA (Revisionsstreitwert 184.105,13 S sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 1988, GZ 5 Ra 74/88-40, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 20.September 1987, GZ 42 Cga 1023/87-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.360,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 669,15 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 12.5.1975 bei der beklagten Partei zunächst als technischer Angestellter und schließlich als Leiter des Konstruktionsbüros beschäftigt. Während der letzten 12 Monate seiner Beschäftigung bezog er ein monatliches Durchschnittsgehalt von S 60.964,-- brutto. Anfang 1985 nahm der Unternehmer Arthur T*** Verhandlungen mit der Geschäftsführerin der beklagten Partei, Doris S***, über den Ankauf des "know-how" der beklagten Partei auf. Im Sommer 1985 wurde die I*** C*** Gesellschaft mbH

gegründet und zwar als 100-%ige Tochterfirma der Firmengruppe T*** Holdinggesellschaft mbH. Um die Verwertung des "know-how" zu ermöglichen, wurde Doris S*** als Geschäftsführerin der I*** C*** Gesellschaft mbH eingestellt. Es war auch notwendig, die Angestellten der beklagten Partei bei der neugegründeten Gesellschaft einzustellen. Am 5.8.1985 kam es zu einem Gespräch zwischen Arthur T***, Doris S*** und dem Kläger. Diesem Gespräch entnahm der Kläger, daß er bei der I*** C***

Gesellschaft mbH "soziallastenfrei" angestellt werden sollte, womit er aber nicht einverstanden war, weil er bereits einen fünfwöchigen Urlaubsanspruch erworben hatte. Einigkeit bestand von vornherein darüber, daß der Kläger mit dem bisherigen Gehalt bei der neuen Firma beschäftigt werden sollte. Arthur T*** erklärte sich dann einverstanden, auch den erworbenen Urlaubsanspruch des Klägers durch die I*** C*** Gesellschaft mbH zu übernehmen. Dann

traf sich der Kläger mit Doris S***, welche ihn fragte, ob er auf einen Teil der Abfertigung gegenüber der beklagten Partei verzichte. Sie übergab ihm dann ein diesbezügliches mit 31.7.1985 datiertes Schreiben, wonach sich die beklagte Partei dafür bedankt, daß der Kläger sich bereiterklärt habe, 30 % der berechneten Abfertigung zu akzeptieren. Der Kläger unterfertigte daraufhin dieses Schreiben. Dieser Betrag wurde dem Kläger in der Folge auch ausgezahlt. Am 6. oder 7.8.1985 unterfertigte der Kläger eine Erklärung folgenden Inhalts:

"Ich akzeptiere hiemit, daß mein Dienstverhältnis bei der Fa I*** Gesellschaft mbH & Co KG, St.Johann/T., beendet ist und bestätige, daß ich keine wie immer gearteten Ansprüche an die Firma I*** Gesellschaft mbH & Co KG, St.Johann/T., habe."

Auch dieses Schreiben wurde mit 31.7.1985 datiert. Arthur T*** hatte beträchtliche Mittel in dieses neue Unternehmen investiert. Er ging davon aus, daß das Unternehmen einen längeren Bestand haben würde und daß daher die Arbeitsplätze der Angestellten gesichert seien. Anfang 1986 konstatierte er aber, daß sich die Auftragslage nicht erwartungsgemäß entwickelte. Auf Grund der schlechten Auftrags- und Ertragslage wurde der Kläger mit anderen Dienstnehmern am 31.7.1986 zum 30.9.1986 gekündigt.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Zahlung der aushaftenden 70 % der Abfertigung im Betrag von S 184.105,13 und weiters die Kündigungsentschädigung von S 197.255,49, insgesamt daher einen Bruttobetrag von S 381.360,62. Er und die anderen Mitarbeiter hätten sich bei ihrer Entscheidung, gegenüber der beklagten Partei auf 70 % der Abfertigungsansprüche zu verzichten, durch die Zusage einer Arbeitsplatzgarantie bei der I*** C*** Gesellschaft mbH leiten lassen, seien aber durch diese unrichtige Zusage in Irrtum geführt worden. Überdies seien die Verzichtserklärungen im Hinblick auf § 40 AngG rechtsunwirksam. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Eine Arbeitsplatzgarantie sei nicht abgegeben worden. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation der beklagten Partei hätte der Kläger seinen Arbeitsplatz ohnehin in absehbarer Zeit verloren, so daß er zufrieden habe sein müssen, eine andere Anstellung zu finden. Der Verzicht auf bereits erworbene Ansprüche sei durchaus zulässig, weil § 40 AngG lediglich festlege, daß nicht von vornherein auf bestimmte Ansprüche verzichtet werden dürfe. Der Kläger sei vor der freien Entscheidung gestanden, ob er bei voller Abfertigung zumindest vorübergehend beschäftigungslos sei oder ob er bei einer Abfertigung von 30 % sofort eine neue Anstellung mit weitgehend gleichartigem Aufgabenbereich am selben Betriebsort finde. Die Ansprüche seien überdies nach dem Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe verfallen.

Das Erstgericht gab dem Begehren hinsichtlich des begehrten Abfertigungsbetrages von S 184.105,13 samt 4 % Zinsen seit 1.12.1985 statt und wies das Mehrbegehren (unangefochten) ab. Der Anspruch des Klägers auf Abfertigung beruhe auf zwingendem Recht. Auf diesen Anspruch könne vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht wirksam verzichtet werden, weil der Arbeitnehmer in dieser Zeit unter wirtschaftlichem Druck stehe und den Verlust des Arbeitsplatzes befürchten müsse. Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses müsse der aus der Arbeitsabhängigkeit resultierende wirtschaftliche Druck nicht unbedingt weggefallen sein. Dies sei erst dann anzunehmen, wenn die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im wesentlichen befriedigt seien. Hier habe der Kläger rückwirkend mit 31.7.1985 der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt und gleichzeitig die Verzichtserklärung auf 70 % der Abfertigung unterzeichnet. Hätte er dies nicht getan, so hätte er mit dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen müssen. Unter diesen Umständen sei der Verzicht unwirksam. Die Kündigungsentschädigung stehe hingegen dem Kläger nicht zu, weil das Dienstverhältnis zwischen den Parteien einvernehmlich aufgelöst worden sei. Ein relevanter Irrtum des Klägers bei Abgabe dieser Erklärung sei nicht vorgelegen. Überdies seien diese Ansprüche gemäß § 34 Abs 1 AngG verfallen.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen den stattgebenden Teil dieses Urteils erhobenen Berufung nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes. Aus der Unabdingbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften folge, daß auch ein Verzicht auf derartige unabdingbare Ansprüche Beschränkungen unterworfen sei. Die Judikatur gehe bei der Abgrenzung nunmehr von der Drucktheorie aus, wonach der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnissses unter wirtschaftlichem Druck stehe und daher auf unabdingbare Ansprüche, auch wenn sie bereits fällig sind, nicht verzichten könne. Auf eine konkrete Drucksituation komme es nicht an; die Drucksituation sei in abstracto zu unterstellen. Hier sei gleichzeitig mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zum Abschluß eines im wesentlichen inhaltsgleichen Arbeitsvertrages mit einer neuen Gesellschaft gegeben worden, bei der die Geschäftsführerin der bisherigen Arbeitgeberin Geschäftsführerin gewesen sei. Dies müsse zumindest einem faktischen Weiterwirken des bisherigen Arbeitsverhältnisses gleichgehalten werden, weil der Arbeitnehmer bei Abgabe der Verzichtserklärung davon habe ausgehen können, daß ein unliebsames Verhalten gegenüber der bisherigen Arbeitgeberin durch Verweigerung des begehrten Verzichtes auf einen Teil der Abfertigung seine Chancen vermindert hätte, bei der neuen Gesellschaft einen entsprechenden Arbeitsvertrag zu erhalten. Unter dem Gesichtspunkt des für den Arbeitnehmer bestehenden wirtschaftlichen Durckes sei die genaue zeitliche Abfolge der insgesamt doch in einem Zusammenhang verhandelten Einstellung beim neuen Unternehmen und des Abfertigungsverzichtes gegenüber dem bisherigen Arbeitgeberunternehmen unentscheidend. Der Kläger sei daher im Zeitpunkt der Abgabe seiner Verzichtserklärung noch unter wirtschaftlichem Druck gestanden, sodaß diese Erklärung unwirksam sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 23 Abs 1 AngG gebührt dem Angestellten, dessen Dienstverhältnis ununterbrochen 3 Jahre gedauert hat, eine Abfertigung. Gemäß § 23 Abs 7 leg.cit. besteht ein Anspruch auf Abfertigung vorbehaltlich des § 23 a AngG dann nicht, wenn der Angestellte kündigt, wenn er ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder wenn ihn ein Verschulden an der vorzeitigen Entlassung trifft. Im Fall der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses sind daher die Voraussetzungen für den Abfertigungsanspruch erfüllt. Gemäß § 40 AngG kann dieses Recht des Angestellten durch den Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Der Anspruch auf Abfertigung ist daher nicht abdingbar.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers zur beklagten Partei wurde nach den Feststellungen am 6. oder 7.8.1985 einvernehmlich aufgelöst. Wenn auch die entsprechende Erklärung mit 31.7.1985 datiert wurde, konnte ihr doch keine Rückwirkung zukommen, weil das Arbeitsverhältnis tatsächlich bis zum Zeitpunkt der Abgabe der auf die einvernehmliche Auflösung gerichteten Erklärungen aufrecht war. Bereits am 5.8.1985, sohin noch während des aufrechten Arbeitsverhältnisses, hatte der Kläger einem Vorschlag der Geschäftsführerin der beklagten Partei, auf 70 % seiner Abfertigungsansprüche zu verzichten, zugestimmt. Da zu diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis noch aufrecht war, war der Abfertigungsanspruch noch nicht fällig. Der Kläger erklärte daher nicht etwa einen Verzicht auf einen bereits erworbenen und fälligen Anspruch. Sein Verzicht auf einen Teil des künftigen Abfertigungsanspruches ist aber schon gemäß § 40 AngG unwirksam, so daß es eines Eingehens auf die vom Berufungsgericht im Zusammenhang mit der sogenannten Drucktheorie erörterten Fragen nicht bedarf. Dem Umstand, daß der Kläger in der am 6. oder 7.8.1985 unterfertigten Erklärung bestätigte, daß er keine wie immer gearteten Ansprüche gegen die beklagte Partei habe, kommt eine entscheidende Bedeutung nicht zu. Eine derartige Erklärung bringt nur die Meinung des ausscheidenden Arbeitnehmers zum Ausdruck, die gebührenden Leistungen im vollen Umfang erhalten zu haben. Sie ist eine Wissenserklärung, aus der in der konkreten Situation nicht mit Recht geschlossen werden kann, daß der Arbeitnehmer mit dieser "Entfertigungserklärung" einen schlüssigen Verzicht auf bestimmte Ansprüche abgeben wollte (Schwarz-Löschnig Arbeitsrecht, 52 f mwN). Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E16070

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00264.88.1130.000

Dokumentnummer

JJT_19881130_OGH0002_009OBA00264_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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