TE OGH 1989/5/18 7Ob581/89

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Veröffentlicht am 18.05.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Egermann, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria P***, Pensionistin, Gablitz, Wagner Jauregg-Gasse 9, vertreten durch Dr. Gertraud Schmautzer-Kleinszig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Getrude S***, Kindergartenhelferin, Gablitz, Hauptstraße 35a, und 2.) Melitta S***, Verkäuferin, Purkersdorf, Hauptstraße 24, vertreten durch Dr. Werner Masser u.a., Rechtsanwälte in Wien, wegen Unwirksamkeit eines Kaufvertrages und Einwilligung in die Löschung (Streitwert 1,150.000 S), infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 15.November 1988, GZ 11 R 215/88-51, womit das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 31.Mai 1988, GZ 38 Cg 129/84-45, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt.

Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit 32.112,68 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 38 S Barauslagen) und die mit 20.980,08 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 3.496,68 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 11.1.1899 geborene Klägerin hat mit einem im Frühjahr 1983 abgeschlossenen Vertrag den Beklagten ihre Liegenschaft in Gablitz, Wagner Jauregg-Gasse 9, EZ 698 KG Gablitz, um 50.000 S und eine monatliche Leibrente von 2.500 S, beginnend mit 1.1.1983, verkauft. Bezüglich der Leibrente wurde eine Wertsicherung vereinbart. Die Verkäuferin ist nach dem Vertrag berechtigt, statt der Bezahlung der monatlichen Rente von 2.500 S die Erbringung von Dienstleistungen durch die Käufer bis zu einem Wert von monatlich 500 S zu verlangen. In diesem Falle reduziert sich die monatliche Rente von 2.500 S um den Wert der erbrachten Dienstleistungen, im Höchstfall auf 2.000 S. Die Verkäuferin behielt sich den lebenslänglichen, ausschließlichen und unentgeltlichen Fruchtgenuß an der Liegenschaft samt Inventar vor. Dieses Fruchtgenußrecht ist bücherlich sicherzustellen. Mit der vorliegenden Klage ficht die Klägerin den Kaufvertrag aus allen möglichen Rechtsgründen an, von denen nur mehr die Verletzung über die Hälfte und allenfalls Sittenwidrigkeit von Bedeutung sind. Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Vom Berufungsgericht wurde diese Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben.

Die Vorinstanzen sind von folgendem wesentlichen Sachverhalt ausgegangen:

Die Klägerin war im Jahre 1982 noch als Gymnastiklehrerin und Masseuse tätig. Sie hatte nicht die Absicht, ihr Haus zu veräußern, wollte jedoch vermeiden, daß ihre Verwandten nach ihr etwas erben, weil sich diese um sie nicht kümmerten.

Gegenüber ihrem Hausarzt Dr. Kurt W*** beklagte sich die Klägerin einmal über ihr geringes Einkommen und darüber, daß 1980 ein Antrag auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses abgewiesen worden sei. Sie erklärte, ihr Haus kaum noch erhalten zu können und etwas zur Aufbesserung ihrer Finanzen zu brauchen. Der Arzt riet ihr, wenn sie ein Einkommen aus dem Haus erzielen wolle, dieses gegen eine Leibrente zu veräußern. Diesen Rat mißverstand die Klägerin dahin, daß sie keine Aussicht auf Erlangung eines Hilflosenzuschusses habe, solange sie noch im Besitz des Hauses sei.

Anfang 1983 wurde der Klägerin von mehreren Seiten der Rat erteilt, das Haus gegen eine Leibrente zu verkaufen. Auch zwischen der Klägerin und den beiden Beklagten kam es zu einem Gespräch über eine allfällige Veräußerung des Hauses. Hiebei fragten die Beklagten, was die Klägerin verlange, worauf diese antwortete, ein paar tausend Schilling. Die Erstbeklagte sagte der Klägerin, dies sei zu wenig, sie könne auch noch eine einmalige Barzahlung verlangen. Etwas später machten die Beklagten der Klägerin das Anbot, das Haus gegen eine einmalige Zahlung von 50.000 S und eine monatliche Leibrente von 2.500 S zu erwerben. Die Erstbeklagte fügte hinzu, die Beklagten könnten sich dies leisten, jedoch nicht mehr. Es wurde auch eine Reduktion der monatlichen Leibrente auf 2.000 S im Falle der Ausführung von Arbeiten durch die Beklagten besprochen. Einige Zeit später teilte die Klägerin der Erstbeklagten mit, sie habe sich für diese als Erwerberin entschieden. Sie ersuchte die Erstbeklagte, mit einem Rechtsanwalt zu ihr zu kommen. In Anwesenheit des Anwaltes wurde vorerst der Wunsch der Klägerin, die Liegenschaft der Erstbeklagten gegen Erbringung von Pflegeleistungen unwiderruflich testamentarisch zu übertragen, besprochen. Davon riet der Anwalt ab, weil Unwiderruflichkeit eines Testamentes nicht verbindlich vereinbart werden könne. Bei dem Gespräch brachte die Klägerin zum Ausdruck, sie wolle das Haus der Erstbeklagten gegen Pflegeleistungen überlassen. Das war die Grundidee des beabsichtigten Geschäftes. Keine der Parteien erwähnte, es solle eine Relation zwischen den Werten der beiderseitigen Leistungen hergestellt werden. Es machte sich auch niemand Gedanken über die Werte der Leistungen. Da auch eine Schenkung auf den Todesfall mit Pflege und Fruchtgenußrecht wegen der fehlenden Möglichkeit einer Einverleibung des Veräußerungsverbotes nicht in Frage kam, machte der Anwalt den Vorschlag auf Veräußerung gegen Leibrente. Nachdem der Klägerin ein entsprechender Vertragsentwurf übermittelt worden war, las diese ihn durch und unterschrieb ihn samt sämtlichen Ausfertigungen. Sie hinterließ den Eindruck zu wissen, was sie tat und sagte und war sehr ruhig und zur Erstbeklagten sehr nett. Sie sagte zu dieser auch, sie solle sehr aufpassen, sich den Grund nicht abluchsen lassen, der sei nämlich sehr wertvoll.

Nachdem der Vertrag bereits zustandegekommen war und die Beklagten die im Vertrag vereinbarten Leistungen erbracht hatten, bereute die Klägerin, offenbar unter dem Einfluß von Bekannten, ihre Zustimmung zur Veräußerung. Dies führte zu der nunmehrigen Klage. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war die Klägerin voll orientiert. Sie war in der Lage, das Wesen und die Tragweite ihrer Handlungen abzuschätzen. Irgendwelche Einschränkungen auf geistigem Gebiet bestanden nicht. Es wurde auch kein Druck auf sie ausgeübt. Beide Vorinstanzen verneinten das Vorliegen von Wucher. Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, es handle sich beim Leibrentenvertrag um einen Glücksvertrag, weshalb eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte grundsätzlich ausscheide. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte sei bei Glücksverträgen auch dann zulässig, wenn grobe Äquivalenzstörungen vorlägen. Derartiges müsse hier geprüft werden.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist gerechtfertigt.

Nach den getroffenen Feststellungen scheiden eine Anfechtung wegen Wuchers, Irreführung, Irrtums, eingeschränkter Geschäftsfähigkeit der Klägerin oder allgemeiner Sittenwidrigkeit aus. Es bleibt lediglich zu prüfen, ob eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte möglich ist. Hiezu sei folgendes ausgeführt:

Nach der eindeutigen Bestimmung des § 1269 ABGB ist der Leibrentenvertrag ein Glücksvertrag. Bei derartigen Verträgen wird die Unsicherheit über den endgültigen Wert der beiderseitigen Leistungen in Kauf genommen. Demnach sind Rechtsbehelfe wegen mangelnder Äquivalenz grundsätzlich nicht denkbar. § 1268 ABGB ordnet daher auch an, daß bei solchen Verträgen das Rechtsmittel wegen Verkürzung über die Hälfte des Wertes nicht stattfindet. Die von Reischauer (in Rummel Rz 1 zu § 934) vertretene Rechtsansicht, daß § 934 ABGB bei Glücksverträgen gelte, soweit es sich um Einsatz und Gewinnchancen handelt, ist vereinzelt geblieben und findet in dieser Weise im Gesetz auch keine Deckung. Ebenso ist die Judikatur der Rechtsansicht Krejcis (in Rummel Rz 88 zu §§ 1267 ff), bei entgeltlichen Glücksveträgen solle die Verkürzung über die Hälfte maßgeblich sein, nicht gefolgt. Das Gesetz unterscheidet nämlich nicht zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Glücksverträgen. Vielmehr zählt es den Leibrentenvertrag schlechthin unter den Glücksverträgen auf, also einen Vertrag, der auf jeden Fall notwendig Entgeltlichkeit enthalten muß. Ob das Entgelt nach dem Willen der Vertragsparteien bewußt weit unter dem wahren Wert liegen sollte und demnach eine gemischte Schenkung mit überwiegendem Schenkungscharakter vorliegt, hat mit der Frage der Verkürzung über die Hälfte nichts zu tun. Gerade in einem solchen Fall der bewußten Inkaufnahme der Unterschreitung des wahren Wertes kommt schon begrifflich eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte nicht in Frage.

Daß auch Glücksverträge wegen Wuchers oder Irrtums angefochten werden können, ist allgemein anerkannt. Dagegen wurde grundsätzlich die Anfechtbarkeit derartiger Verträge wegen Verkürzung über die Hälfte verneint (SZ 50/101, EvBl 1961/20, 8 Ob 604/86, 7 Ob 620/87 ua). Nur scheinbar machen davon einige Entscheidungen eine Ausnahme, die nämlich bei der Frage der Anfechtbarkeit darauf abstellen, ob ein durchschnittlicher Wert der unbestimmten Leistungen nach der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte, die Hoffnung des ungewissen Vorteiles aber nur ganz einseitig zugunsten eines Vertragsteiles gegeben war (NZ 1986, 158, EvBl 1958/94, SZ 24/306 ua). In einem solchen Falle bejahen die erwähnten Entscheidungen zwar die Möglichkeit einer Anfechtung, jedoch nicht wegen Verkürzung über die Hälfte, sondern im Hinblick auf eine allfällige Sittenwidrigkeit. Bloße Äquivalenzdifferenzen machen einen Vertrag jedoch noch nicht sittenwidrig, weil wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Leistung bei einem zweiseitigen Vertrag keine Voraussetzung seiner Gültigkeit ist, es sei denn, es läge ein Ausbeutungstatbestand vor (NZ 1974, 126, 7 Ob 543/79 ua). Demnach fordert SZ 24/306, daß der Sachverhalt den Voraussetzungen des Wuchers nahekommt. In EvBl 1958/94, auf welche Entscheidung NZ 1986, 158 verweist, wurde davon ausgegangen, daß der eine Teil die wirtschaftliche Unerfahrenheit des anderen ausgebeutet hat. Das zeigt aber, daß in allen Fällen die Anfechtbarkeit nicht schlechthin wegen Verkürzung über die Hälfte, sondern nur im Falle des Vorliegens eines Sachverhaltes, der in Richtung sittenwidriger Ausbeutung weist, angenommen worden ist.

Im vorliegenden Fall besteht kein Anhaltspunkt für eine sittenwidrige Ausbeutung der Klägerin durch die Beklagten. Die Klägerin war voll zurechnungsfähig und sich ihrer Handlungsweise und deren Tragweite bewußt. Irgendein Druck wurde von den Beklagten auf sie nicht ausgeübt. Nach den getroffenen Feststellungen wurde die Wertrelation der beiderseitigen Leistungen überhaupt nicht in Betracht gezogen. Der Klägerin war aber offensichtlich der im Vergleich zu den Gegenleistungen höhere Wert der Liegenschaft bewußt, weil sie die Erstbeklagte ausdrücklich auf diesen hohen Wert verwiesen hat. Ihre Absicht lag jedoch in der Übertragung ihrer Liegenschaft an eine Person ihres Vertrauens gegen die Gewißheit, von dieser Person im Bedarfsfall auch nicht in Geld bestehende Leistungen zu erhalten. Daß die Klägerin eine Selbstbindung beabsichtigte, ergibt sich aus den festgestellten Verhandlungen mit dem beigezogenen Rechtsanwalt, in denen sie zum Ausdruck brachte, sie wolle ein unwiderrufliches Testament zugunsten der Beklagten errichten. Ihr ging es nur darum, eine Zubesserung zu ihren sonstigen Einkünften zu erhalten. Tatsächlich konnte dieser Vertrag in ihren Lebensumständen in nicht finanzieller Hinsicht nichts ändern, weil sie sich darin schließlich das lebenslängliche unbegrenzte Fruchtgenußrecht an der Liegenschaft und dem Haus vorbehalten hatte. Nach den getroffenen Feststellungen hat also die Klägerin allfällige Äquivalenzstörungen in Kauf genommen. Ob durch diesen Umstand dem Kaufvertrag ein teilweiser Schenkungscharakter zukommt, muß hier nicht erörtert werden. Jedenfalls ist zusätzlich zu der allfälligen Wertdifferenz nichts hervorgekommen, was den abgeschlossenen Vertrag als sittenwidrig erkennen lassen könnte. Im Hinblick auf die Bestimmung des § 1268 ABGB wäre ein solches Element der Sittenwidrigkeit jedoch Voraussetzung für die Anfechtbarkeit des Vertrages.

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ergibt sich aufgrund der von diesem übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen bereits jetzt, daß das Klagebegehren nicht zum Erfolg führen kann. Gemäß § 519 Abs.2 ZPO war daher der Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und in der Sache selbst im Sinne einer Bestätigung des erstgerichtlichen Urteiles zu entscheiden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO, doch waren den Beklagten im Revisionsverfahren keine Barauslagen zuzusprechen, weil ihnen inzwischen für das Revisionsverfahren Verfahrenshilfe gewährt worden ist.

Anmerkung

E17947

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00581.89.0518.000

Dokumentnummer

JJT_19890518_OGH0002_0070OB00581_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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