TE OGH 1989/8/8 11Os34/89

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Veröffentlicht am 08.08.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.August 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vrabl-Sanda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adelheid A*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 21.Dezember 1987, AZ 11 Bl 148/87, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 21.Dezember 1987, AZ 11 Bl 148/87, wurde in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft das (freisprechende) Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 7.Oktober 1987, GZ U 47/87-18, aufgehoben und Adelheid A*** als Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall StGB zur Last gelegt, am 24.Jänner 1987 in Gilgenberg im Rahmen einer Sportveranstaltung als Lenkerin eines PKWs (mit Frontantrieb) infolge mangelnder Aufmerksamkeit übersehen zu haben, daß sie bereits aus dem Rennen ausgeschieden war, trotzdem beschleunigt und dabei die Herrschaft über ihr Fahrzeug verloren zu haben, welches im Zielraum gegen einen Kleinbus prallte und dabei Christa K*** und Claudia P*** niederstieß, wodurch Christa K*** einen rechtsseitigen Oberschenkelbruch, mehrere Prellungen und eine Rißquetschwunde am rechten Unterschenkel sowie eine mehr als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Claudia P*** Prellungen am rechten Unterschenkel und an der linken Schulter, verbunden mit einer 3 Tage, nicht aber 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung, erlitten.

Nach den wesentlichen, vom Berufungsgericht übernommenen Urteilsfeststellungen des Erstgerichtes ereignete sich der Unfall bei einem sogenannten Skijöring-Rennen. Bei Wettbewerben dieser Art werden die aus je einem PKW-Lenker und einem am Schlepptau nachgezogenen Skifahrer bestehenden Teams jeweils einzeln auf den Rundkurs geschickt, den sie in dieser Formation gemeinsam und möglichst schnell zu durchfahren haben. Die auf einem Acker angelegte Rennstrecke war vorschriftsmäßig abgesichert. In dem für Zuschauer nicht zugänglichen Zielraum war links neben dem Ziel ein Kleinbus aufgestellt, bei dem sich Helfer des Veranstalters aufhielten. In unmittelbarer Nähe des Kleinbusses waren im Unfallszeitpunkt Christa K*** und Claudia P*** damit befaßt, Funktionäre mit Getränken zu versorgen.

Während eines - so das Erstgericht - Probelaufs mit Zeitnehmung geriet Adelheid A*** mit den rechten Rädern des von ihr gelenkten PKWs von der Rennstrecke nach rechts in den Tiefschnee ab, wodurch das Fahrzeug an Geschwindigkeit verlor, sich gegen den Uhrzeigersinn drehend querstellte und in dieser Position fast zum Stillstand kam. Der nachgezogene Skifahrer löste sich dabei vom Seil und ließ die Skier nach links, etwa achsenparallel zum Fahrbahnverlauf auslaufen. In dieser Situation beschleunigte die Verurteilte abrupt, gelangte dadurch auf die Fahrbahn zurück, wo sie den Skifahrer, dessen Lösung vom Zugseil sie nicht bemerkt hatte, (von ihr weiter unbemerkt) zu einem raschen Ausweichen nach links zwang, und setzte die Fahrt zu dem (noch etwa 50 m entfernten) Ziel fort. Durch die jähe Beschleunigung schleuderte ihr Fahrzeug jedoch nach links, fuhr um etwas mehr als eine Wagenlänge nach links versetzt am Ziel vorbei und prallte schließlich gegen den Kleinbus im Zielraum, wobei Christa K*** und Claudia P*** - wie dargelegt - verletzt wurden.

Das Erstgericht fällte bei diesem Sachverhalt einen Freispruch, weil Adelheid A*** ein Verstoß gegen die Sportregeln des Skijörings nicht vorzuwerfen sei. Daß sie in dem "Sekundenbruchteil", in dem dies überhaupt möglich gewesen wäre, das Ausscheiden des Skifahrers nicht bemerkt hatte, sei ihr wegen der schwierigen Rennsituation nicht anzulasten.

Das Berufungsgericht gelangte hingegen nach Beweiswiederholung zu der Auffassung, daß die Angeklagte die Lösung des Skifahrers vom Schlepptau noch vor dem Beschleunigungsmanöver hätte bemerken müssen und erblickte in dem Übersehen dieses Umstands einen Aufmerksamkeitsfehler, welcher der Lenkerin als Sorgfaltsverstoß zur Last falle. Davon ausgehend hielt es das Berufungsgericht für vorwerfbar, daß die Angeklagte trotz ihres durch die Trennung vom Skifahrer bewirkten Ausscheidens aus der (nunmehr als erwiesen angenommenen) Wertungsfahrt noch ins Ziel zu kommen trachtete. Eine "Schrecksekunde" könne der Angeklagten nicht zugebilligt werden, weil sie als Teilnehmerin an einem Rennen zu "gespanntester" Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen wäre. In dem zum Verlust der Herrschaft über das Fahrzeug führenden Beschleunigungsmanöver sah das Berufungsgericht sohin eine weitere verletzungsursächliche Sorgfaltswidrigkeit.

In diesem Schuldspruch erblickt die Generalprokuratur eine Verletzung der Bestimmung des § 88 Abs. 1 StGB im wesentlichen mit der Begründung, der Verurteilten wäre die Fortsetzung der Fahrt, nachdem ihr Wagen rechtsseitig aus der Bahn geraten war, für sich allein selbst dann noch nicht als strafrechtlich relevanter Sorgfaltsverstoß anzulasten, wenn sie ihr Ausscheiden aus dem Lauf zeitgerecht bemerkt hätte. Zu der Frage aber, ob Adelheid A*** in der Folge im Zuge der schleudernden Annäherung an den Zielbereich ein ihr subjektiv als sorgfaltswidrig anzulastender Fahrfehler unterlaufen sei, dessen Verletzungsursächlichkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar gewesen wäre, macht die Generalprokuratur Feststellungsmängel der Berufungsentscheidung geltend, deren Behebung (durch eine allfällige Verfahrenserneuerung) in einem für die Verurteilte nachteiligen Sinn sie jedoch unter Bezugnahme auf einzelne Verfahrensergebnisse für ausgeschlossen hält. Nach dem Gutachten des technischen Sachverständigen wäre nämlich der die inkriminierten Verletzungen auslösende Schleudervorgang nur von einem (mehr als bloß durchschnittlich) geübten Fahrzeuglenker abzufangen gewesen, während die (über kein eigenes Fahrzeug verfügende) Verurteilte erst wenige Monate zuvor die Lenkerberechtigung erworben hätte. Eine Einlassungsfahrlässigkeit durch die Teilnahme an der in Rede stehenden Motorsportveranstaltung trotz geringer Fahrpraxis komme schon deshalb nicht in Betracht, weil sich das Teilnahmeerfordernis ausschreibungsgemäß auf den Besitz der Lenkerberechtigung beschränkt habe. Zudem sei die Vorhersehbarkeit personengefährdender Auswirkungen des verfahrensgegenständlichen Fahrmanövers zweifelhaft, weil sich die Unfallsopfer nur infolge eines "unglücklichen Zufalls" im Zielraum zur Versorgung von Funktionären, sonst aber regelmäßig im Zuschauerraum aufgehalten hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die Argumentation der Generalprokuratur erweist sich als nicht berechtigt.

Wohl ist zunächst davon auszugehen, daß motorsportlichen Wettkämpfen, bei denen es regelmäßig auf eine Maximierung der nach den gegebenen Umständen die Kontrolle über das Fahrzeug noch gewährleistenden Fahrgeschwindigkeit ankommt, ein arttypisches Risiko innewohnt, dessen (selbst regelwidrige) Aktualisierung dann noch als sozialadäquat zulässig anzusehen ist, wenn der unfallsauslösende Regelverstoß als mit der betreffenden Sportart üblicherweise verbundene, praktisch unvermeidbare Fehlleistung allgemein hingenommen werden muß (Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S 54; ZVR 1984/92). Das rennmäßige Herantasten an die fahrtechnisch jeweils noch zu bewältigende Höchstgeschwindigkeit beseitigt auch beim Skijöring die objektive Sorgfaltswidrigkeit gewisser wettkampfbedingter Fahrfehler als spartenspezifisch unumgänglicher Begleiterscheinungen. Die Wahl einer für die Streckenbeschaffenheit (Kurvenradius, Reibungswiderstand der Fahrbahnoberfläche) überhöhten Geschwindigkeit wird daher regelmäßig selbst dann nicht als objektiver Sorgfaltsverstoß zu beurteilen sein, wenn das Fahrzeug dadurch regelwidrig vom vorgegebenen Kurs abkommt, wie das im konkreten Fall Adelheid A*** zunächst im Verlauf der Zielkurve widerfuhr. Im Sinn der rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichtes stellt sich aber das Verhalten der Verurteilten im Anschluß an das Abkommen von der Rennstrecke nicht mehr als Verwirklichung des mit der in Rede stehenden Sportart üblicherweise verbundenen, unumgänglichen (sozialadäquaten) Risikos dar. Nach den (auf einer zufällig verfügbaren Videoaufnahme vom Unfallshergang beruhenden) Feststellungen des Berufungsgerichtes kam der von A*** gelenkte PKW, nachdem er (ca. 50 m vor dem Ziel) über die äußere rechte Begrenzung des Kurvenverlaufs in den Tiefschnee geraten war, ungefähr im rechten Winkel zur Kurslängsachse nahezu zum Stillstand, wobei der Skifahrer, nachdem er das Schlepptau losgelassen hatte, im Zuge eines Abbremsmanövers links vor der Wagenfront - für die Verurteilte zwar erkennbar, von ihr jedoch unbeachtet - die Hände seitlich hielt. Abgesehen davon, daß die solcherart bereits aus dem Bewerb ausgeschiedene Lenkerin (zwar in unwiderlegbarer, jedenfalls aber schuldhafter Unkenntnis dieses Umstands) außerhalb der (vorzeitig beendeten) Wettfahrt nach dem Reglement zu weiteren rennmäßigen Aktionen gar nicht mehr befugt war (die von der Generalprokuratur in diesem Zusammenhang als zweckmäßige Beseitigung eines Bahnhindernisses relevierte Rückfahrt eines bereits ausgeschiedenen Teilnehmers in den Zielbereich ist fahrtechnisch nicht aus der Sicht einer allgemein gebilligten rennspezifischen Risikoerhöhung zu beurteilen), weist das inkriminierte Verhalten der Verurteilten eine weitere - der Auffassung der Generalprokuratur zuwider nach Maßgabe der Urteilsfeststellungen hinreichend zu beurteilende - Komponente faßbarer Sorgfaltswidrigkeit auf, die alle Kriterien (gemäß dem § 88 Abs. 1 StGB) strafbarer Fahrlässigkeit erfüllt.

Da Adelheid A*** durch eine (nach dem Gesagten noch als wettkampftypisch zu tolerierende) Fehleinschätzung der Bahnbedingungen die Herrschaft über das Rennfahrzeug verloren und es (durch den ungewollten Schleudervorgang) in eine Querstellung außerhalb des Bahnverlaufs gebracht hatte, aus der sie sich zu neuerlichem Anfahren in kursfremder Richtung gezwungen sah, lag eine gegenüber dem normalen Rennverlauf gesteigerte Risikolage vor, die sie zu besonderer (nicht ausschließlich an sportlichen Zielsetzungen orientierter) Aufmerksamkeit verpflichtete. Dies gilt nicht nur in bezug auf den Skifahrer, den sie (abgesehen von der rein sportlichen Problematik eines allfälligen Ausscheidens) schon zur Vermeidung seiner körperlichen Gefährdung entsprechend zu beachten hatte, sondern auch für die sonstigen mit der Rückkehr auf den Rundkurs verbundenen Risikofaktoren. Dazu zählte auch die für ein Beschleunigen aus einer Querstellung typische (durch die schlechte Seitenführung der glatten Schneefahrbahn zusätzlich erhöhte) Gefahr der Untersteuerung des Fahrzeuges, welcher mit Rücksicht auf den nahen Zielraum und das dort (selbst unter Vernachlässigung nur sporadisch anwesender Hilfskräfte) organisationsgemäß aufhältige Rennpersonal konkrete Aktualität zukam. Daß ein Beschleunigungsmanöver, das aus einer Position außerhalb des Kurses annähernd rechtwinkelig zum Kursverlauf dermaßen unkontrolliert eingeleitet und (ohne Dazwischenkunft störender Einflüsse von dritter Seite) bis zum Verfehlen der mit Rennfunktionären flankierten Zieleinfahrt fortgesetzt wird, trotz wettkampfspezifischer Erhöhung des sozialadäquaten Risikos einen objektiven Sorgfaltsverstoß darstellt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Aus der Sicht subjektiver Sorgfaltswidrigkeit fällt zunächst der Umstand entscheidend ins Gewicht, daß der Wagenlenkerin im Augenblick der unfallsursächlichen Beschleunigung die fahrbahnbedingt weit reduzierte Kurvenstabilität des für die Konkurrenz bereitgestellten PKWs durch den vorausgegangenen Fahrfehler sinnfällig vor Augen geführt war. Schon deshalb war sie individuell in der Lage, das Erfordernis einer objektiv gebotenen, entsprechend dosierten Fahrzeugbeschleunigung beim Rückschwenken in den Kursverlauf zu erkennen und den Verlust der Kontrolle über das Fahrzeug als Folge unsachgemäßen Zuwiderhandelns vorauszusehen. Dazu kommt aber nach Lage des Falles (dem Rechtsstandpunkt sowohl des Berufungsgerichtes als auch der Generalprokuratur zuwider), daß sich Adelheid A*** an dem notorisch mit hohen Anforderungen an die Lenkerfähigkeiten verbundenen Rennen beteiligte, obwohl sie die Lenkerberechtigung erst ca. zwei Monate zuvor erworben und nur geringe einschlägige Erfahrung hatte. Daß sie das ausschreibungsgemäße Formalerfordernis einer aufrechten Lenkerberechtigung erfüllte, befreite sie nicht davon, ihre Fahrweise dem Können entsprechend auf den Ausschluß wettkampfunüblicher Drittgefährdung auszurichten. So gesehen stehen aber subjektive Sorgfaltswidrigkeit des inkriminierten Verhaltens und subjektive Zurechenbarkeit der in Rede stehenden Verletzungsfolgen ebenso außer Frage, wie die Zumutbarkeit rechtmäßigen (unfallsverhütenden) Alternativverhaltens, das in einem entsprechend kontrolliert beschleunigten Rückschwenken in den Rennkursverlauf bestanden hätte.

Da bei der gegebenen Sachlage somit ein anderes rechtliches Ergebnis auch im Fall der (von der Generalprokuratur vermißten) exakten tatsächlichen Auslotung der zeitlichen und örtlichen Modalitäten der schleudernden Fahrzeugannäherung an den Zielbereich nicht denkbar ist, war über die Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E18206

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0110OS00034.89.0808.000

Dokumentnummer

JJT_19890808_OGH0002_0110OS00034_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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