TE Vwgh Erkenntnis 2005/11/3 2002/15/0168

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Veröffentlicht am 03.11.2005
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Index

61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

FamLAG 1967 §8 Abs4;
FamLAG 1967 §8 Abs5;
FamLAG 1967 §8 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde der R in K, vertreten durch Dr. Candidus Cortolezis, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Hauptplatz 14, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 26. März 2002, GZ. RV 856/2-9/011, betreffend die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 908 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte für ihren am 4. März 1988 geborenen Sohn D. im September 2001 die erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 FLAG ab Februar 1997. Die dabei vorgelegte Bescheinigung mit dem Vermerk "594/596" über einen Behinderungsgrad von 40 % auf Grund einer "Lese-Rechtschreibschwäche seit Februar 1997" wies keine Unterschrift, aber den Abdruck eines Amtssiegels auf.

Das Finanzamt wies den Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe mit der Begründung ab, dass dieser Anspruch nur für Kinder bestehe, deren Grad der Behinderung mindestens 50 v.H. betrage.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid äußerte die Beschwerdeführerin Zweifel an der Richtigkeit des amtsärztlichen Gutachtens. Die Ärztin habe ihrem Sohn in einer 15-minütigen Untersuchung einige Fragen bezüglich seines schulischen Befindens gestellt, ihm drei Zeilen Lesestoff gegeben und drei Fragen zum Ein-Mal-Eins gestellt. Dass dadurch eine kompetente Beurteilung der Schwere der Legasthenie erfolgen könne, bezweifle die Beschwerdeführerin. Laut international gültiger Auffassung stelle Legasthenie keine Krankheit dar, sondern sei eine Lernbehinderung, welche in schwere, mittelschwere und leichte Legasthenie eingeteilt werde. Die "Einstufung mit 40 %" erscheine unter Berücksichtigung der erwähnten Befunde als grober Widerspruch, weil eine schwere Legasthenie im Normalfall "100 % bedeuten" müsse oder "zumindest über der 50 %-Grenze" liegen müsse. Ihrer Berufung legte die Beschwerdeführerin einen Brief der behandelnden Kinderärztin an den Amtsarzt vor. Demnach leide D. unter einer "schweren Lese- und Schreibschwäche mit Teilfunktionsstörungen im akustischen Bereich und der Serialität". Weiters legte die Beschwerdeführerin ihrer Berufung ein psychologisches Gutachten bei, wonach das intellektuelle Begabungsniveau von D. verglichen mit der Altersnorm im durchschnittlichen Leistungsbereich liege. Individuelle Schwächen seien im akustischen Kurzzeitgedächtnis und in der leichten Ablenkbarkeit zu erkennen. Die Lese-Rechtschreibleistungen seien selbst im Vergleich mit der Referenzpopulation der vierten Schulstufe signifikant unterdurchschnittlich und würden sein mittleres Intelligenzniveau deutlich unterschreiten. Gemäß der Definition der internationalen Klassifikation könne eine Legasthenie stärkeren Ausmaßes verifiziert werden.

Die belangte Behörde übermittelte die Berufung samt Beilagen dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Steiermark und ersuchte um ein Gutachten über den Grad der Behinderung.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Steiermark erstellte ein "klinisch-psychologisches" Gutachten. Auf Grund der Leistungsbefunde zeige sich bei D. eine deutlich ausgeprägte Legasthenie. Das intellektuelle Leistungsniveau liege im Durchschnittsbereich der Altersnorm. Die im Persönlichkeitstest erhobenen Werte würden deutliche Hinweise auf psychosomatische Beschwerden, verbunden mit depressiven Zügen und Selbstschuldzuweisungen zeigen. Neben dispositionellen Faktoren seien die Gründe in der belastenden schulischen Leistungssituation, aber auch in den interfamiliären Konflikten zu suchen. Es werde die Beigabe eines Erziehungshelfers empfohlen, der eine Hilfestellung bei der Bewältigung der schulischen Aufgaben und ein positives männliches Identifikationsmodell darstellen solle. Mit dem baldigen Beginn dieser Fördermaßnahme könne die Prognose, sowohl die Verbesserung der Mutter-Kind-Interaktion als auch die sich bereits abzeichnende Depression betreffend, als positiv bewertet werden. Zu einer "Prozentbewertung" hinsichtlich der erhöhten Familienbeihilfe verwies das Gutachten auf einen Kinderfacharzt.

In einem Gutachten vom 16. Jänner 2002 hielt der Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde fest, dass D. aktuell von einer starken Schulunlust betroffen sei, wobei die Selbstwertproblematik in der Peergruppe und eine Sinnleere im Vordergrund stünden. Die Schulleistungen seien besonders in Deutsch und in den Fremdsprachen ungenügend geworden. Die Hauptsorgen im Sozialbereich in der Schule seien ein Stören des Unterrichts, motorische Unruhe und das Ignorieren von ausgemachten Grenzen. Zuhause gebe es einen Pubertätskonflikt, wofür ein Rückzug und eine Antriebslosigkeit sowie ein Sinnverlust neben der Auseinandersetzung mit den Eltern bedeutend seien. Das neuropsychologische Screening ergebe eine schwere Legasthenie sowie eine mittelschwere Aufmerksamkeitsstörung. D. leide unter diesen zwei "Teilleistungsstörungen". Sekundär und bei hereditärer Belastung sei eine depressive Symptomatik entstanden. Psychosoziale Belastungen (Pubertät, Trennung der Eltern) wirkten verstärkend. Prognostisch sei von der Legasthenie anzunehmen, dass sie auch weiterhin relevant bleiben werde. Über die Aufmerksamkeitsstörung könne, ohne die Wirkungen der Psychopharmakatherapie und der Verhaltenstherapie zu kennen, weniger gesagt werden. Eine Besserung sei jedenfalls möglich. Die Depression sei eher reaktiv zu bewerten und könne bei Besserung der Teilleistungsstörungen sowie unter einer Therapie abklingen. Unter Berücksichtigung aller Gutachten und Befunde bestehe der Behinderungsgrad für D. bei 30 %. Diese Einschätzung könne mit dem Behinderungsgrad für Kinder, die nach dem allgemeinen Sonderschullehrplan beschult werden müssen und auch mit 30 % eingeschätzt würden, begründet werden.

Die belangte Behörde hielt der Beschwerdeführerin die Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Steiermark und des Kinderfacharztes mit Schreiben vom 19. Februar 2002 vor und stellte ihr in Aussicht, die Berufung als unbegründet abzuweisen, sofern sie nicht innerhalb eines Monats ein anderslautendes Gutachten beibringe. Der Behinderungsgrad des Kindes betrage weniger als 50 % und es handle sich nicht um ein Kind, das voraussichtlich dauerhaft außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Als erheblich behindert gelte ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung bestehe. Als nicht nur vorübergehend gelte ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung seien die Vorschriften der §§ 7 und 9 des Kriegsopferversorgungsgesetzes und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965 anzuwenden. Eine schwere Legasthenie sei nicht mit 100- oder mehr als 50 %-iger Erwerbsminderung gleichzusetzen. Der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche dauernde Erwerbsminderung müssten durch einen inländischen Amtsarzt, eine inländische Universitätsklinik, eine Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder einen Mobilen Beratungsdienst eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen bescheinigt werden. Die ärztliche Bescheinigung bilde jedenfalls die Grundlage für die Entscheidung, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung daraus eindeutig hervorgingen. In der amtsärztlichen Bescheinigung sei ein Behinderungsgrad von 40 % festgestellt worden. In einem im Zuge des Berufungsverfahrens erstellten Sachverständigengutachten vom 16. Jänner 2002 sei festgestellt worden, dass für D. ein Grad der Behinderung von 30 % gegeben sei. Dieses Gutachten sei der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht worden. Da die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nicht erfüllt seien, sei die erhöhte Familienbeihilfe nicht zu gewähren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder. § 8 Abs. 4 FLAG sieht in seinen jeweiligen Fassungen erhöhte Familienbeihilfenbeträge für jedes Kind vor, das erheblich behindert ist.

§ 8 Abs. 5 FLAG lautet:

"(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen."

Nach § 8 Abs. 6 FLAG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der Änderung durch das BG BGBl. I Nr. 105/2002 war der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines Mobilen Beratungsdienstes der Landesinvalidenämter (nunmehr Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen) nachzuweisen und hatte das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen, wenn auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden konnte. Die Finanzlandesdirektion hatte zur Entscheidung über eine Berufung gegen diesen Bescheid ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Landesinvalidenamtes (nunmehr: Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) einzuholen.

§§ 7 und 9 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 lauten:

"§ 7. (1) Der Beschädigte hat Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn und insolange seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung um mindestens 25 v.H. vermindert ist. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Abs. 1 ist nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Das Bundesministerium für soziale Verwaltung ist ermächtigt, hiefür nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates (§§ 8 bis 13 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990) verbindliche Richtsätze aufzustellen.

....

§ 9. (1) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wird nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festgestellt, die Durchschnittssätze darstellen. Eine um fünf geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit wird von ihnen mitumfasst.

(2) Beschädigte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. oder darüber heißen Schwerbeschädigte. Als erwerbsunfähig gelten Schwerbeschädigte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 v.H. und 100 v.H."

Die Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verantwortung vom 9. Juni 1965 über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 150/1965 lautet auszugsweise:

"§ 1. (1) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 ist nach den Richtsätzen einzuschätzen, die nach Art und Schwere des Leidenszustandes in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage festgelegt sind. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Leiden, für die Richtsätze nicht festgesetzt sind, ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter Bedachtnahme auf die Richtsätze für solche Leiden einzuschätzen, die in ihrer Art und Intensität eine zumindest annähernd gleiche körperliche Beeinträchtigung in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben bewirken.

§ 2. (1) Bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen weder die festen Sätze noch die Rahmensätze unterschritten oder überschritten werden. Soweit in der Anlage nicht anderes bestimmt ist, hat sich die Festsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit innerhalb eines Rahmensatzes nach der Schwere des Leidenszustandes zu richten, für den der Rahmensatz aufgestellt ist. Das Ergebnis einer Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen.

(2) Sofern für ein Leiden mehrere nach dessen Schwere abgestufte Richtsätze festgesetzt sind, kann die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch in einem Hundertsatz festgestellt werden, der zwischen diesen Stufen liegt. Diesfalls ist das Ergebnis der Einschätzung im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen.

§ 3. Treffen mehrere Leiden zusammen, dann ist bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt. Fällt die Einschätzung der durch ein Leiden bewirkten Minderung der Erwerbsfähigkeit in mehrere Fachgebiete der ärztlichen Wissenschaft, ist sinngemäß in gleicher Weise zu verfahren."

Auf Grund von Abschnitt V lit. f Z 594ff der Anlage zu dieser Verordnung beträgt der Richtsatz für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei

"Alexie (Lesestörung):

     594. Leichte Form ...................................... 10-30

     595. Schwere Form .................................... 40-50

     Agraphie (Schreibstörung):

     596. Leichte Form ...................................... 10

     597. Schwere Form .................................... 40".

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 2005, 2003/14/0105, mwN).

Dass der Sohn der Beschwerdeführerin voraussichtlich dauernd außerstande wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, behauptet die Beschwerdeführerin auch mit ihrem Vorbringen nicht, ihr Sohn bedürfe "gezielter Förderung" und werde ohne "gezielte kostenpflichtige" Betreuung nicht in der Lage sein, einen schulischen Abschluss zu erreichen und in weiterer Zukunft ein geregeltes Einkommen zu erzielen.

Die Beschwerdeführerin steht wie bereits im Verwaltungsverfahren auf dem Standpunkt, der Grad der Behinderung ihres Sohnes überschreite 50 %. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei "der Vergleich bzw. die Anwendung" der §§ 7 und 9 des Kriegsopferversorgungsgesetzes insbesondere durch "unrichtige Anwendung der vorgenannten Paragraphen" im Beschwerdefall fehlgeschlagen. Die Krankheit des Sohnes der Beschwerdeführerin sei "losgelöst und eigenständig" zu beurteilen.

Damit legt die Beschwerde nicht dar, weshalb die von den begutachtenden Ärzten diagnostizierte und von der Beschwerdeführerin behauptete Legasthenie nicht von der erwähnten Verordnung (etwa Abschn. V lit. f Z 594 und 596 - Leseschwäche und Schreibschwäche) erfasst sein sollte.

In Ausführung der Verfahrensrüge trägt die Beschwerdeführerin vor, die belangte Behörde stütze sich auf die Gutachten des Bundessozialamtes und des Kinderfacharztes, ohne sich mit ihren Einwänden in der Berufung und dem tatsächlichen Leiden des mj. D. ausreichend auseinander zu setzen und Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie die konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit zu treffen. Dem ärztlichen Zeugnis sei zwar die Art des Leidens zu entnehmen, nicht jedoch das Ausmaß des Leidens, also wie sich das Leiden im Alltag bemerkbar mache und welche konkreten Auswirkungen die Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des mj. D. habe. Dabei übersieht die Beschwerdeführerin, welche eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ihres Sohnes nicht behauptet, dass das in Rede stehende Gutachten ausdrücklich die Art des Leidens mit schwerer Legasthenie und mittelschwerer Aufmerksamkeitsstörung bezeichnet und dessen Ausmaß mit 30 v.H. angibt, was dem Behinderungsgrad für Kinder entspreche, die nach dem allgemeinen Sonderschullehrplan beschult werden müssten. In Bezug auf die Auswirkungen spricht dieses Gutachten von Schulunlust, Selbstwertproblematik, ungenügenden Schulleistungen, Stören des Unterrichts, motorischer Unruhe und Ignorieren von ausgemachten Grenzen in der Schule.

Allerdings ist das in Rede stehende Gutachten, welches die belangte Behörde ohne weitere Erläuterung dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegt hat, unschlüssig. Darin wird u. a. schwere Legasthenie und ein Behinderungsgrad von 30 v.H. angenommen. Welcher Bestimmung der erwähnten Verordnung dies entsprechen soll, bleibt offen. Sollte der Gutachter (worauf etwa die seinerzeitige amtsärztliche Bescheinigung mit dem Vermerk "594/596" hinweist) eine Lesestörung im Auge haben, sähe die Verordnung unter Abschn. V lit. f Z 595 bei "Lesestörung - Schwere Form" einen Behinderungsgrad von "40-50 v.H." vor. Bereits deshalb ist ein Behinderungsgrad von mindestens 50 v.H. (iSd § 8 Abs. 6 FLAG) nicht ausgeschlossen.

Im Zusammenhalt mit § 3 der erwähnten Verordnung ergibt sich darüber hinaus bei Vorliegen eines neben der Leseschwäche in den Unterlagen des Verwaltungsverfahrens (amtsärztliche Bescheinigung mit dem Vermerk "594/596"; Gutachten vom 16. Jänner 2002 über "zwei Teilleistungsstörungen", nämlich "schwere Legasthenie und mittelschwere Aufmerksamkeitsstörung") angesprochenen Leidens, allenfalls der Schreibstörung (Abschn. V lit. f Z 596 der Anlage der erwähnten Verordnung), noch die Möglichkeit, bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zu einem höheren Grad der Behinderung zu gelangen.

Die belangte Behörde hat sich damit nicht auseinandergesetzt.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 3. November 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002150168.X00

Im RIS seit

13.12.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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