TE OGH 1989/8/29 10ObS208/89

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Veröffentlicht am 29.08.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Theodor Zeh (Arbeitgeber) und Norbert Bartholomay (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann P***, Reisedt 10, 5271 Moosbach, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** D***

A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. März 1989, GZ 12 Rs 8/89-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21.September 1988, GZ 4 Cgs 1007/87-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 22.Oktober 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 10.März 1986 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der am 23.November 1930 geborene Kläger ist in der Lage, alle leichten und fallweise mittelschweren Arbeiten ohne zusätzliche Arbeitspausen in geschlossenen Räumen zu verrichten. Arbeiten, die mit Stehen oder Gehen über eine Stunde hinaus verbunden sind, müssen vermieden werden. Arbeiten im Sitzen können uneingeschränkt ausgeführt werden. Arbeiten in ausgesprochenen Zwangshaltungen oder solche, die im Bücken ausgeführt werden müssen, die mit Heben von schweren Lasten vom Boden über 5 kg und Tragen von Lasten in günstiger Körperposition über 10 kg verbunden sind, sind nicht zumutbar. Kälte und Nässe müssen ebenso vermieden werden, wie Arbeiten mit extremen psychischen Belastungen wie Nachtschicht oder Akkordarbeit. Arbeiten, die besondere greifmotorische Feingeschicklichkeit erfordern, können nicht geleistet werden. Die Wege von und zur Arbeitsstätte sind auf eine Gehdauer von einer Stunde zu begrenzen. Der Kläger ist umschulbar, anlern- und unterweisbar und kann eingeordnet werden.

Der Kläger hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, dem 1. April 1986 folgende Tätigkeiten verrichtet: Er war von April 1971 bis Dezember 1972 20 Monate selbständiger Landwirt, von Dezember 1972 bis Mai 1974 17 Monate Hilfsarbeiter bei der Firma H***, im Mai 1974 eine Woche Hilfsarbeiter bei der Firma R***, von Mai 1974 bis Juni 1974 zwei Monate Hilfsarbeiter bei der Firma W***, im Juli 1974 einen Monat Vertreter, von August 1974 bis Oktober 1974 drei Monate wiederum Hilfsarbeiter bei der Firma H***, von Oktober 1974 bis April 1979 54 Monate Verschieber im Bahnbetrieb der Firma A*** M*** AG, anschließend von Mai 1979 bis November 1981 31 Monate ebenfalls bei der Firma A*** M*** AG Kranführer und Staplerfahrer, zuletzt von Dezember 1981 bis 7. Dezember 1985 48 Monate Tischlereihilfsarbeiter bei der Firma H*** (Zuschneiden von Hartfaser- und Spannplatten). Seither ist der Kläger nicht mehr berufstätig.

Die Tätigkeit eines Verschiebers gehört zur Berufsgruppe der Verkehrsberufe, jene eines Kranführers zur Berufsgruppe der Maschinisten, die Tätigkeit des Staplerfahrers zu den Hilfsberufen allgemeiner Art, im speziellen Fall zu den Magazineur- und Lagerarbeitertätigkeiten. Während ein Kranführer oder Staplerfahrer im Sitzen arbeitet, wird die Tätigkeit eines Verschiebers im Stehen, Gehen und teilweise im Laufen ausgeübt, wobei auch auf Waggons auf- und abgesprungen werden muß. Bei allen genannten Tätigkeiten ist erhöhte Konzentration und Verantwortung erforderlich. Der Kläger ist auf Grund seines medizinischen Leistungskalküls nicht mehr in der Lage, die Tätigkeiten eines Kranführers, Staplerfahrers, Verschiebers oder Tischlereihilfsarbeiters, der mit dem Zuschneiden von Platten beschäftigt ist, auszuüben, er kann aber beispielsweise noch als Bürohausportier, Kontrollarbeiter oder als Verpacker arbeiten.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, Invalidität nach § 255 Abs. 4 ASVG liege vor, wenn der Versicherte, der nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesen sei, das 55. Lebensjahr vollendet habe, in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt habe und eine solche nicht mehr verrichten könne. Der Kläger sei in den letzten 15 Jahren überwiegend, nämlich insgesamt 85 Monate bei der Firma A*** M*** AG beschäftigt gewesen, davon 54 Monate als Verschieber und 31 Monate als Kranführer und Staplerfahrer. Gleichartig seien Tätigkeiten, die im wesentlichen ähnliche psychische und physische Anforderungen unter anderem an die Handfertigkeit, Intelligenz, Kenntnisse für die überwiegend ausgeübten Tätigkeiten, Umsicht, Verantwortungsbewußtsein, Körperhaltung, Durchhaltevermögen und Konzentration stellten und auch hinsichtlich der Schwere der Arbeit gleich zu achten seien. Dies treffe auf den Beruf eines Verschiebers einerseits und jenen eines Kranführers und Staplerfahrers andererseits nicht zu, da eine gewisse Gleichartigkeit nur hinsichtlich der psychischen Belastung und der Konzentration gefunden werden könne. Die Invalidität des Klägers sei daher nach § 255 Abs. 3 ASVG zu beurteilen, wegen der bestehenden Verweisungsmöglichkeiten sei das Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, sind gleichartige Tätigkeiten im Sinne des § 255 Abs. 4 lit. c ASVG solche, die im wesentlichen ähnliche psychische und physische Anforderungen unter anderem an die Handfertigkeit, Intelligenz, Kenntnisse für die überwiegend ausgeübte Tätigkeit, Umsicht, Verantwortungsbewußtsein, Körperhaltung, Durchhaltevermögen, Schwere der Arbeit und schließlich auch an die Konzentration stellen. Die Gleichartigkeit der während des Beobachtungszeitraumes ausgeübten Tätigkeiten ist nicht erst dann zu bejahen, wenn sie hinsichtlich aller genannten Parameter gegeben ist, es kommt vielmehr auf den Kernbereich der Tätigkeit, also auf jene Umstände an, die ihr Wesen ausmachen und sie von anderen Tätigkeiten unterscheiden. Übereinstimmungen im Randbereich führen ebensowenig zur Bejahung der Gleichartigkeit wie unterschiedliche Anforderungen im letztgenannten Bereich der Annahme der Gleichartigkeit entgegenstehen können (SSV-NF 2/53).

Vergleicht man den Beruf eines Verschiebers und jenen eines Kranführers und Staplerfahrers nach den genannten Grundsätzen so zeigt sich, daß die Kernbereiche der beiden Tätigkeiten, die unterschiedlichen Berufsgruppen zuzuordnen sind, in nahezu allen Punkten, die ihr Wesen ausmachen, so sehr voneinander unterschieden sind, daß von einer Gleichartigkeit keine Rede sein kann. Die Tätigkeiten unterscheiden sich nicht nur in der Schwere der Arbeit und in der Körperhaltung, sondern sehr wesentlich in den für die Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten und in den Arbeitsabläufen. Daß für beide Berufe eine erhöhte Konzentration und Verantwortungsbewußtsein erforderlich sind, reicht nicht aus, um eine Gleichartigkeit anzunehmen; diese Erfordernisse treffen auf eine sehr große Zahl von keineswegs artverwandten Berufen zu. Soweit der Revisionswerber ausführt, die Voraussetzung des § 255 Abs. 4 lit. c ASVG wäre erfüllt gewesen, hätte er nach der gesundheitlich erzwungenen Aufgabe seiner Tätigkeit bei der Firma A*** M*** AG die Invaliditätspension beantragt und nicht als Tischlereihilfsarbeiter weitergearbeitet, dies könne ihm rechtlich nicht zum Nachteil gereichen, ist ihm entgegenzuhalten, daß die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung einer Invaliditätspension nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur zum Stichtag zu erfolgen hat. Ohne Antragstellung und damit ohne einen bestimmten Stichtag könnte gar nicht geklärt werden, ob gemäß § 255 Abs. 4 lit. c in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt wurde. Entschließt sich daher ein Versicherter trotz Eintrittes der Invalidität weiterhin berufstätig zu bleiben, insbesondere um weitere Versicherungszeiten zu erwerben und damit die Versicherungsleistung entweder überhaupt erst zu ermöglichen oder diese der Höhe nach zu verbessern, so ist die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit vorliegen, ausschließlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der (späteren) Antragstellung abzustellen (10 Ob S 31/89). Geht man von diesem Grundsatz aus, dann sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 255 Abs. 4 ASVG nicht gegeben. Daß aber nach der - hier anzuwendenden - Bestimmung des § 255 Abs. 3 ASVG der Kläger wegen der gegebenen Verweisungsmöglichkeiten nicht invalide ist, wird in der Revision nicht bestritten.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E18197

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00208.89.0829.000

Dokumentnummer

JJT_19890829_OGH0002_010OBS00208_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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