TE OGH 1989/8/30 2Ob31/89

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Veröffentlicht am 30.08.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch und Dr.Warta als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard G***, kaufmännischer Angestellter, Leonfeldnerstraße 28, 4040 Linz, vertreten durch Dr.Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien

1) Manfred H***-W***, Kraftfahrer, niederholzham 26, 4690 Schwanenstadt, 2) L*** S***

reg.Gen.m.b.H., Lagerhausstraße 1, 4690 Schwanenstadt, und

3) V*** DER Ö*** B***

V***-AG, Praterstraße 1-7, 1021 Wien, alle vertreten durch Dr.Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 373.333,-- sA und Feststellung (S 30.000,--), Revisionsstreitwert S 183.333,33 hinsichtlich der klagenden Partei und S 150.000,-- hinsichtlich der beklagten Parteien, infolge Revision der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 14.Dezember 1988, GZ 2 R 147/88-74, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 23.Feber 1988, GZ 5 Cg 105/84-67, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 4.982,07 (darin Barauslagen von S 857,47 und Umsatzsteuer von S 687,34) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 26.3.1981 ereignete sich um ca 4.15 Uhr auf der Westautobahn (Richtungsfahrbahn Salzburg) im Gemeindegebiet von Schörfling bei Kilometer 232 ein Serienauffahrunfall mehrerer Schwerfahrzeuge, an dem unter anderem der Kläger als Lenker des LKW mit dem Kennzeichen O-21.071 und der Erstbeklagte als Lenker des LKW-Zugs mit den Kennzeichen O-177.290 (Zugfahrzeug) und O-237.682 (Anhänger) beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Halter, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer dieses LKW-Zugs. Dabei wurde der Kläger verletzt.

Der Kläger begehrte im vorliegenden Rechtsstreit aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 373.333,-- sA; überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand (der Drittbeklagten im Rahmen des den LKW-Zug der Zweitbeklagten betreffenden Haftpflichtversicherungsvertrags) für ein Drittel seiner Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren.

Dem Grund nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, der Erstbeklagte habe dadurch, daß er den Serienunfall ausgelöst habe, auch den Auffahrunfall des Klägers verschuldet. Zwei Drittel des Verschuldens am Zustandekommen seines Unfalls rechne sich der Kläger allerdings selbst zu. Die Beklagten hätten ihm daher zu einem Drittel für seine Ansprüche aus dem Unfall zu haften. Auf Grund seiner Verletzungen sei ein Schmerzengeld von S 1,000.000,-- gerechtfertigt. Da er durch seine verletzungsbedingte Verunstaltung in seinem besseren beruflichen Fortkommen behindert sei, gebühre ihm eine Verunstaltungsentschädigung von S 120.000,--. Entsprechend der Verschuldensquote errechne sich das Leistungsbegehren daher mit S 373.333,-- sA. Die zu erwartenden Spät- und Dauerfolgen rechtfertigten das Feststellungsbegehren. Die Beklagten wendeten im wesentlichen ein, das Verhalten des Erstbeklagten sei für die folgenden Auffahrunfälle nicht kausal gewesen. Mit Ausnahme des Franz J*** seien alle nachfolgenden Fahrzeuglenker, insbesondere auch der Kläger, mit überhöhter Geschwindigkeit und unaufmerksam gefahren und hätten dadurch ihr jeweiliges Auffahren selbst verschuldet. Im übrigen bestritten die Beklagten die Höhe der geltend gemachten Ansprüche und das Feststellungsinteresse des Klägers.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 310.000,-- sA und gab dem Feststellungsbegehren statt. Das auf Zahlung eines weiteren Betrags von S 63.333,-- sA gerichtete Leistungsmehrbegehren wies es ab.

Die Feststellungen des Erstgerichts lassen sich, soweit für die im Revisionsverfahren noch strittigen Fragen von Interesse, im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Im Unfallsbereich vorläuft die Autobahn annähernd gerade und eben. Zur Unfallszeit war es dunkel und es herrschte starker Nebel. Dadurch wurde die Sicht auf 2 bis 20 m eingeschränkt. Der Erstbeklagte fuhr mit dem von ihm gelenkten LKW-Zug mit einer Geschwindigkeit von 35 bis 45 km/h in Richtung Salzburg. Als er einen von Johann R*** gelenkten LKW-Zug, der mit 20 km/h unterwegs war, vor sich wahrnahm, versuchte er nach rechts auszulenken, konnte aber nicht mehr verhindern, daß er mit dem Zugfahrzeug das von ihm gelenkten LKW-Zugs gegen den Anhänger R*** stieß. Das Zugfahrzeug des Erstbeklagten stürzte in den Straßengraben und brannte dort aus, während der Anhänger nahe der Leitplanke noch am Pannenstreifen verblieb. Um bei einer Sicht von 20 m noch innerhalb der Sichtstrecke anhalten zu können, hätte der Erstbeklagte höchstens eine Geschwindigkeit von 31 km/h einhalten dürfen. R*** brachte sein Fahrzeug nach dem Anstoß nach 14 bis 18 m zum Stillstand.

Hinter dem Erstbeklagten war Karl U*** mit einem Autobus in einem Abstand von 8 bis 10 m nachgefahren. Nachdem U*** stark abgebremst hatte, stieß er etwa 3 Sekunden nach der Kollision der beiden LKW-Züge mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h und voller Überdeckung gegen den von R*** gelenkten LKW-Zug. Hinter dem Autobus folgte Franz J*** mit einem LWK-Zug nach, der mit 5 m langen Baumstämmen beladen war. J*** hielt eine Geschwindigkeit von 5 bis 20 km/h ein. Er konnte sein Fahrzeug nach einer starken Bremsung hinter dem Autobus anhalten. 5 bis 10 Sekunden, nachdem U*** gegen den von R*** gelenkten LKW-Zug geprallt war, stieß ein von Ewald S*** gelenkter 38 Tonnen schwerer LKW-Zug mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 bis 40 km/h gegen den stehenden LKW-Zug J***. Dadurch wurde dieser LKW-Zug ca 1,2 bis 1,5 m nach vorne geschoben; es kam jedoch auch dadurch zu keiner Berührung mit dem von U*** gelenkten Autobus. Hinter S*** folgte der Kläger mit einem 11 Tonnen schweren LKW nach. Er hatte zunächst eine Geschwindigkeit von 85,5 km/h eingehalten und sein Fahrtempo über eine Strecke von 335 m allmählich auf 80,5 km/h verringert. Als er das bereits zum Stillstand gekommene Fahrzeug des S*** wahrnahm, bremste er 68 m vor der späteren Kollision seinen LKW sehr stark ab, fuhr aber dennoch mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h auf den LKW-Zug S*** auf. Um seinen LKW kollisionsfrei anhalten zu können, hätte der Kläger noch eine Restbremsstrecke von 9,2 m benötigt. Dadurch, daß S*** auf den LKW-Zug J*** aufgefahren war, wurde dem Kläger der Anhalteweg um etwa 5 m verkürzt. Der Kläger wäre auch dann gegen den Anhänger S*** gefahren, wenn dieser eine Kollision mit dem von J*** gelenkten LKW-Zug vermeiden hätte können. In diesem Fall hätte die Kollisionsgeschwindigkeit des vom Kläger gelenkten LKW aber nur etwa 35 km/h betragen. S*** hätte ein Auffahren durch eine starke Bremsung dann knapp verhindern können, wenn J*** mit 20 km/h gefahren und nicht zum Abbremsen gezwungen worden wäre.

Bei diesem Unfall wurde der Kläger schwer verletzt. Vorübergehend bestand für ihn Lebensgefahr. Der Kläger erlitt einen Unfallsschock, eine Kopfprellung sowie eine Gehirnerschütterung, eine durchdringende Rißquetschwunde an der Unterlippe, eine Bauchprellung mit Einriß des Dickdarms und Zerreißung des Dünndarms, einen Bruch der rechten Hüftgelenkspfanne mit Teilverrenkung des Hüftgelenks, einen Bruch des rechten Oberschenkelhalses, einen Oberschenkelschaftbruch und Bruch des Oberschenkelknorrens des rechten Beins, einen Schienbeinkopfbruch und Bruch des Unterschenkels unterhalb des rechten Kniegelenks mit Teillähmung der Wadenbeinnerven sowie Rißquetschwunden am rechten Handrücken und am rechten Unterschenkel. Diese Verletzungen des Klägers wurden im LKH Vöcklabruck bis 16.7.1981 stationär behandelt. Anschließend wurde der Kläger in das Rehabilitationszentrum Bad Häring verlegt und dort mit einer kurzen Unterbrechung bis 8.10.1981 und dann nochmals vom 18.10. bis 6.11.1981 ärztlich betreut. Wegen eines Darmverschlusses mußte sich der Kläger einer weiteren stationären Behandlung im AKH Linz vom 16. bis 31.12.1981 unterziehen, wobei ein 50 cm langes Stück des Dünndarms entfernt werden mußte. Sodann wurde der Kläger vorerst in ambulante Pflege entlassen. Vom 9.2. bis 16.3.1982 folgte ein weiterer Aufenthalt im Rehabilitationszentrum Bad Häring. Sodann wurde der Kläger bei ambulanten Kontrollen in der Unfallabteilung des LKH Vöcklabruck versorgt. Zur Entfernung des Fixationsmaterials im rechten Bein wurde er vom 13. bis 21.4.1982 neuerlich stationär im LKH Vöcklabruck aufgenommen. Nachdem die Hautnähte am 29.7.1982 entfernt worden waren, wurde die Behandlung des Klägers in der Unfallabteilung des LKH Vöcklabruck am 21.9.1982 abgeschlossen. Der Kläger weist verletzungsbedingt eine zarte Narbe an der Oberlippe sowie ausgedehnte Narben in der Bauchdecke und am rechten Bein auf. Sein rechtes Kniegelenk ist verklumpt, die Konturen des Kniegelenks sind verstrichen. Sein rechtes Bein ist um ca 5 cm verkürzt und deutlich muskelschwächer. Bedingt durch eine Teillähmung der Nerven des rechten Wadenbeins, die zu einer beträchtlichen Bewegungseinschränkung der Zehen und Sprunggelenke geführt hat, besteht beim kläger eine beträchtliche Gangstörung. Auch das rechte Kniegelenk und die rechte Hüfte sind in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist auf Grund der Unfallsfolgen um 50 % vermindert. Das Auftreten von Spätfolgen ist nicht auszuschließen; insbesondere kann auch in Zukunft das Auftreten von Darmverschlüssen nicht ausgeschlossen werden. Folgeschäden sind auch auf Grund einer beim Kläger bestehenden sehr schweren posttraumatischen Arthrose des "rechten Gelenks" zu erwarten. Bis zum 29.4.1985 erlitt der Kläger verletzungsbedingt 2 bis 3 Tage sehr starke und 3 bis 4 Wochen starke Schmerzen. Er hatte 11 Wochen mittelstarke Schmerzen und 6 bis 7 Monate leichte Schmerzen zu erdulden. Dazu kommen bis Mitte 1988 eine Woche mittelstarke und ca 2 Monate leichte Schmerzen. Pro Lebensjahr wird der Kläger in Zukunft, bedingt durch seine Arthrose, 10 bis 14 Tage leichte Schmerzen zu ertragen haben. Eine Verschlimmerung der Arthrose ist nicht auszuschließen. Der Kläger war vor dem Unfall als Kraftfahrer beschäftigt. Danach war er vorerst arbeitslos. Nunmehr übt er als kaufmännischer Angestellter eine sitzende Tätigkeit aus. Durch seine Bewegungseinschränkung und die vorhandene Gangstörung - der Kläger ist mit einer Stützkrücke gehfähig und hinkt stark - ist er bei vielen Berufsausübungen beträchtlich behindert. Auf Grund seiner Verletzungen kann er keinen Sport betreiben.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, der Erstbeklagte habe gegen § 20 Abs 1 StVO verstoßen, weil er seine Fahrgeschwindigkeit nicht der auf Grund des starken Nebels schlechten Sicht angepaßt habe. Dieses Fehlverhalten des Erstbeklagten sei nicht nur für seine Kollision mit dem Anhänger R***, sondern auch für alle Folgeunfälle kausal gewesen. Die Kausalkette sei auch durch den Zeugen J*** nicht unterbrochen worden, dem es als einzigen gelungen sei, unter Vermeidung einer Kollision anzuhalten. Da sich die Folgeunfälle unmittelbar aus der vom Erstbeklagten geschaffenen risikoerhöhenden Gefahrenlage ergeben hätten und da § 20 Abs 1 StVO auch solche Folgeauffahrunfälle verhindern solle, sei der Risikozusammenhang zwischen dem Vorunfall des Erstbeklagten und den Folgeunfällen - insbesondere auch jenem des Klägers - zu bejahen. Der aus dem Unfall des Klägers resultierende schädliche Erfolg sei dem Erstbeklagten daher zuzurechnen. Dem Verstoß des Erstbeklagten gegen § 20 Abs 1 StVO stehe ein Fehlverhalten des Klägers gegenüber, der seinerseits gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen habe und unaufmerksam gewesen sei. Das Fehlverhalten des Klägers überwiege jenes des Erstbeklagten bei weitem, was eine Verschuldens- und Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Klägers rechtfertige. Unter Berücksichtigung der vom Kläger bisher erlittenen und in Zukunft zu erwartenden körperlichen und seelischen Schmerzen erscheine ein Schmerzengeld von S 850.000,-- angemessen. Weil der Kläger auf Grund der Verletzungsfolgen verunstaltet und ihm daher ein besserer beruflicher Aufstieg verwehrt sei, stehe ihm gemäß § 1326 ABGB auch eine Verunstaltungsentschädigung von S 80.000,-- zu. Entsprechend der Verschuldensquote hätten die Beklagten dem Kläger daher S 310.000,-- (ein Drittel des Betrages von S 930.000,--) zu bezahlen. Da Spät- und Dauerfolgen nicht auszuschließen seien, bestehe auch das Feststellungsbegehren im ausgesprochenen Umfang zu Recht. Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichts gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, daß es die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, dem Kläger S 132.000,-- sA zu bezahlen; dem Feststellungsbegehren gab es in Ansehung von einem Fünftel der Unfallschäden des Klägers statt. Das auf Zahlung eines weiteren Betrags von S 241.333,-- sA gerichtete Leistungsmehrbegehren des Klägers und sein Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und führte rechtlich im wesentlichen aus, § 20 StVO sei ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB, das auch Auffahrunfälle verhindern wolle. Daß ein Auffahrunfall auf der Autobahn insbesondere bei Nebel häufig einen oder sogar mehrere weitere Auffahrunfälle zur Folge habe, sei allgemein bekannt. Ausgehend von der unmittelbaren zeitlichen Aufeinanderfolge der hier erfolgten Auffahrunfälle sei es daher sehr wahrscheinlich, daß auch die Folgeunfälle durch das Fehlverhalten des Erstbeklagten verursacht worden seien. Prima facie sei also an der Kausalität des vom Erstbeklagten verschuldeten ersten Unfalls auch für das Auffahren des Klägers nicht zu zweifeln. Es wäre daher an den Beklagten gelegen, zu beweisen, daß die Kausalitätskette im vorliegenden Fall entgegen dem Anschein durchbrochen worden und daher der Schaden des Klägers auch dann eingetreten (bzw im vorliegenden Ausmaß eingetreten) wäre, wenn sich der Erstbeklagte vorschriftsmäßig verhalten hätte.

Dieser Beweis wäre den Beklagten dann gelungen, wenn sie nachweisen hätten können, daß Franz J*** lediglich mit Schrittgeschwindigkeit (5 bis 7 km/h) gefahren wäre. In diesem Fall wäre nämlich ein Auffahren des von Ewald S*** gelenkten LKW-Zuges auch ohne ein Bremsmanöver J*** unvermeidbar gewesen und dem Kläger wäre sein Anhalteweg etwa in gleicher Weise verkürzt worden, wie dies tatsächlich geschehen sei. Es stehe aber fest, daß J*** mit 5 bis 20 km/h gefahren sei. Ausgehend davon, daß also auch ein Fahrtempo J*** von 20 km/h möglich sei, müsse daher zum Nachteil der beweispflichtigen Beklagten auch ein solcher Wert ins Kalkül gezogen werden. Dies führe zu der vom Erstgericht unbekämpft getroffenen Feststellung, daß der Kläger nur mit etwa 35 km/h aufgefahren wäre, falls S*** ein Auffahren auf J*** vermeiden hätte können, was wiederum vorausgesetzt hätte, daß Franz J*** sein Fahrtempo von 20 km/h ungehindert beibehalten hätte können. Die Unfallsfolgen seien aber bei einem Anprall mit 50 km/h in der Regel ungleich schwerer als bei einem solchen mit nur 35 km/h, das durch den Erstunfall ausgelöste Anhalten des von J*** gelenkten LKW-Zugs habe daher die Unfallsfolgen beim Kläger ohne Zweifel wesentlich verschärft.

Den Erstbeklagten treffe somit zufolge seines Verstoßes gegen § 20 Abs 1 StVO ein Verschulden am Unfall des Klägers. Dieses Verschulden des Erstbeklagten sei gegen das (von diesem von vornherein eingestandene) Mitverschulden des Klägers abzuwägen. Führe man sich vor Augen, daß der Kläger bei Dunkelheit angesichts einer sehr dichten Nebelwand seine Fahrgeschwindigkeit von ursprünglich über 80 km/h bis zur Kollision nur auf 50 km/h herabgesetzt habe und zumindest mit diesem oder sogar noch einem etwas höheren Tempo in den Nebel - praktisch ins

Nichts - hineingefahren sei, so müsse ihm der Vorwurf gemacht werden, sich außerordentlich leichtsinnig verhalten und dadurch eine äußerst gefahrenträchtige Situation geschaffen zu haben. Seine Fahrweise sei grob fahrlässig gewesen. Dem gegenüber trete das Verhalten des Erstbeklagten doch sehr in den Hintergrund. Der Erstbeklagte habe zwar auch dem Gebot des Fahrens auf Sicht nicht entsprochen; er habe aber die ihm bei den herrschenden Verhältnissen erlaubte Geschwindigkeit von 31 km/h nur sehr geringfügig überschritten. Der Grad der dem Erstbeklagten zur Last fallenden Fahrlässigkeit sei im Verleich mit dem Kläger demnach so deutlich geringer, daß eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 4 zu Lasten des Klägers gerechtfertigt erscheine.

Im Hinblick auf die erlittenen Verletzungsfolgen gebühre dem Kläger ein Schmerzengeld von (ungekürzt) S 600.000,--; die ihm zustehende Verunstaltungsentschädigung sei mit (ungekürzt) S 60.000,-- zu bemessen. Im Hinblick auf die vorgenommene Verschuldensteilung sei daher dem Kläger ein Betrag von S 132.000,-- sA zuzusprechen und seinem Feststellungsbegehren in Ansehung eines Fünftels seiner Unfallschäden stattzugeben, sein Leistungs- und Feststellungsmehrbegehren aber abzuweisen.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger bekämpft sie im Umfang der Abweisung seines Leistungsbegehrens mit einem Betrag von S 171.333,33 sA und der Abweisung seines Feststellungsbegehrens aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Kläger ein Betrag von S 303.333,33 sA zugesprochen und seinem Feststellungsbegehren vollinhaltlich stattgegeben werde. Die Beklagten bekämpfen die Entscheidung des Berufungsgerichts in ihrem klagsstattgebenden Teil aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Der in der Revision des Klägers geltend gemachte Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Was die Frage des Anspruchsgrunds anlangt, versuchen die Beklagten in ihrer Revision zunächst darzutun, daß das Fehlverhalten des Erstbeklagten für den dem Kläger entstandenen Schaden nicht kausal sei.

Dem ist nicht zu folgen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist, wenn nach einem Unfall ein am Unfall beteiligtes Fahrzeug den Verkehr auf der Fahrbahn behindert, das Zustandekommen weiterer Auffahrunfälle nicht als atypische Folge anzusehen. Daß dazu Aufmerksamkeitsfehler der Lenker auffahrender Fahrzeuge wesentlich mit beitragen, ändert an der grundsätzlichen Verantwortung desjenigen, der den Primärunfall verschuldet hat, nichts. Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen der ersten Unfallsursache und dem schließlich eingetretenen Erfolg kann dadurch nicht berührt werden (ZVR 1970/245; ZVR 1977/238; ZVR 1983/19; ZVR 1984/37; ZVR 1984/338 ua). Dies gilt auch für Unfälle durch Auffahren auf Fahrzeuge, die infolge des Hindernisses auf der Fahrbahn zum Anhalten veranlaßt werden (ZVR 1983/19; 2 Ob 97/88) und auch in Fällen, in denen zwischen Primär- und Folgeunfall ein Zeitraum von einigen Minuten verging (ZVR 1984/338). Der Einwand der Beklagten, daß sich der Unfall in gleicher Weise auch ohne das Fehlverhalten des Erstbeklagten ereignet hätte, weil der Kläger auch dann auf das vor ihm fahrende Fahrzeug aufgefahren wäre, ist in den Feststellungen der Vorinstanzen nicht gedeckt, weil danach die Anprallgeschwindigkeit in einem solchen Fall nur etwa 35 km/h betragen hätte, nicht aber 50 km/h, wie sie tatsächlich betragen hat. Es liegt daher kein Fall überholender Kausalität (siehe dazu Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 14 zu § 1302 und die dort zitierte Judikatur) vor. Mit Recht haben die Vorinstanzen im Sinn der herrschenden Adäquanztheorie (SZ 51/58 mwN uva) die Kausalität zwischen dem Fehlverhalten des Erstbeklagten und dem eingetretenen Schaden des Klägers bejaht.

Was die Frage der Veschuldensteilung anlangt, versucht der Kläger in seiner Revision darzutun, daß eine solche im Verhältnis von 1 : 2 zu seinen Lasten den Umständen angemessen sei, während sich die Beklagten in ihrem Rechtsmittel auf den Standpunkt stellen, daß das dem Erstbeklagten anzulastende Fehlverhalten überhaupt zu vernachlässigen sei, höchstens aber eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 5 zu Lasten des Klägers rechtfertige. Beidem kann nicht gefolgt werden.

Nach der Sachlage ist sowohl dem Kläger als auch dem Erstbeklagten ein Verstoß gegen den im § 20 Abs 1 StVO normierten fundamentalen Grundsatz des Fahrens auf Sicht, der auch auf Autobahnen gilt (ZVR 1977/238 ua), anzulasten. Während aber der Erstbeklagte bei den gegebenen durch Dunkelheit und Nebel bedingten schlechten Sichtverhältnissen nach den Feststellungen der Vorinstanzen eine Fahrgeschwindigkeit von 35 bis 45 km/h einhielt, näherte sich der Kläger der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von über 80 km/h; er vermochte das von ihm gelenkte Fahrzeug nach Erkennbarkeit des vor ihm bereits zum Stillstand gekommenen von S*** gelenkten LKW-Zugs nur noch soweit abzubremsen, daß er mit einer Restgeschwindigkeit von immerhin noch 50 km/h gegen dieses Hindernis stieß.

Aus diesen feststellten im vorliegenden Fall gegebenen Umständen ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ein so hoher Grad der dem Kläger anzulastenden Fahrlässigkeit, daß sie das dem Erstbeklagten vorwerfbare Verschulden, das keinesfalls zu vernachlässigen ist, doch bei weitem überwiegt und die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung rechtfertigt. Zur Frage der Höhe des dem Kläger gebührenden Schmerzengelds vertritt er selbst in seinem Rechtsmittel die Ansicht, daß es mit (ungekürzt) S 850.000,-- zu bemessen sei; dem gegenüber stellen sich die Beklagten in ihrer Revision auf den Standpunkt, daß dem Kläger nur ein Schmerzengeld von (ungekürzt) S 400.000,-- gebühre. Auch hier kann den Rechtsmittelausführungen beider Streitteile nicht gefolgt werden.

Der Kläger hat nicht nur vielfache und an sich schwere Verletzungen erlitten, die mehrfache Operationen notwendig machten und zu einem langwierigen und mit schwerwiegenden Unannehmlichkeiten verbundenen Heilungsverlauf führten; es sind auch schwerwiegende Dauerfolgen zurückgeblieben, die das Wohlergehen des Klägers in hohem Maße beeinträchtigen. Diesen im vorliegenden Fall festgestellten schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers kann durch das von den Beklagten zugestandene Schmerzengeld von S 400.000,-- keinesfalls ausreichend Rechnung getragen werden. Andererseits erreicht im vorliegenden Fall das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers durch die Unfallsfolgen nicht ein solches Ausmaß, daß es gerechtfertigt erschiene, ihm dafür ein Schmerzengeld zuzusprechen, das sich den bisher in der Rechtsprechung bei erheblich schwereren Verletzungsfolgen erfolgten Höchstzusprüchen auch nur annähert. Überblickt man die im vorliegenden Fall festgestellten Verletzungsfolgen in ihrer Gesamtheit und berücksichtigt man Art und Ausmaß der verbliebenen gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers durch diese Verletzungsfolgen, dann ist in der vom Berufungsgericht vorgenommenen Schmerzengeldbemessung ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Was letztlich die Bemessung der dem Kläger zustehenden Verunstaltungsentschädigung durch das Berufungsgericht anlangt, wird sie vom Kläger in seiner Revision nicht bekämpft. Die Beklagten bestreiten in ihrem Rechtsmittel nicht, daß dem Kläger eine Verunstaltungsentschädigung im Sinn des § 1326 ABGB gebührt; sie wenden sich ausdrücklich nur gegen ihre Bemessung durch das Berufungsgericht mit S 60.000,--. Da die Beklagten aber nicht einmal ausführen, welcher Betrag dem Kläger aus diesem Titel bei ihrer Meinung nach richtiger rechtlicher Beurteilung zuzusprechen wäre, kann auf ihr Rechtsmittel in diesem Umfang nicht sachlich eingegangen werden.

Es muß daher den Revisionen beider Streitteile ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Kosten ihrer erfolglosen Revisionen haben beide Streitteile selbst zu tragen; hingegen gebührt den Beklagten der Ersatz der Differenz der Kosten der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Revisionsbeantwortungen.

Anmerkung

E18061

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00031.89.0830.000

Dokumentnummer

JJT_19890830_OGH0002_0020OB00031_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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