TE OGH 1989/9/6 1Ob607/89

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Veröffentlicht am 06.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Schlosser und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) REPUBLIK ÖSTERREICH, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, diese vertreten durch Dr.Wolfgang Hofer, Rechtsanwalt in Wien, 2.) STADT WIEN, vertreten durch die V*** A*** M*** Gesellschaft mbH, Wien 9., Lazarettgasse 20, diese vertreten durch Dr.Friedrich Grohs, Dr.Andreas Grohs, Dr.Wolfgang Hofer und Dr.Andreas Reiner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei S*** B*** I***, Bad Ischl, Auböckplatz 2, vertreten durch Dr.Karl Kuprian, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen restlicher S 519.781,08 samt Anhang infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 6.Dezember 1988, GZ 4 R 274/87-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 12.Juni 1987, GZ 2 Cg 263/86-13, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 19.108,33 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 3.184,72 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die REPUBLIK ÖSTERREICH und die STADT WIEN haben sich zur Neuerrichtung des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (Universitätskliniken) zu einer Arbeitsgemeinschaft unter der Bezeichnung ARBEITSGEMEINSCHAFT DER REPUBLIK ÖSTERREICH UND DER

STADT WIEN FÜR DEN NEUBAU DES WIENER ALLGEMEINEN KRANKENHAUSES

(UNIVERSITÄTSKLINIKEN; im folgenden ARGE AKH) zusammengeschlossen. Mit der Abwicklung des Bauvorhabens für die ARGE AKH und der Vertretung im dazu erforderlichen Umfang wurde die V*** A*** M*** Gesellschaft mbH (im folgenden V***) beauftragt und bevollmächtigt. Die Firma Wilhelm P*** Hoch- und Tiefbau Gesellschaft mbH & Co KG (im folgenden Firma Wilhelm P***) erhielt am 10.7.1981 von der A*** K*** W*** Planungs- und Errichtungsgesellschaft mbH den am 24.7.1981 angenommenen Auftrag, die Baumeister- und Abdichtungsarbeiten für den Wasserspeicher im Teil 23 der Erweiterungsbauten Ost des Neubaues AKH Wien durchzuführen. Punkt 5 des Auftrages mit der Überschrift "Deckungs- und Haftrücklaß" hat folgenden Wortlaut:

"5.1. Der Deckungsrücklaß von Abschlagsrechnungen gemäß Punkt 15.2 der AVB in der Höhe von 10 % wird vom Auftraggeber bar einbehalten. 5.2. Der Haftrücklaß gemäß Punkt 15.3 der AVB in der Höhe von 3 % der Schlußrechnungssumme wird gegen Vorlage einer Sicherstellung (Bankgarantie eines österreichischen Kreditunternehmens nach Muster BVB Punkt 29) ausbezahlt."

Nachträglich wurde der Firma Wilhelm P*** die Möglichkeit eingeräumt, den Bareinbehalt für den Deckungsrücklaß durch eine Bankgarantie zu ersetzen. Die Firma Wilhelm P*** machte von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die beklagte Partei richtete am 24.4.1984 an die ARGE AKH p.A.V*** nachstehenden Haftungsbrief:

"Wir haben davon Kenntnis, daß in dem zwischen Ihnen und der Firma Wilhelm P*** Hoch- und Tiefbau Gesellschaft mbH & Co KG, 4822 Bad Goisern 202, anläßlich der Übertragung von den Baumeisterarbeiten für die Errichtung der Wasserspeicher

m. Abdichtung Bauteil 23 - laut Auftrag Nr.1543 vom 27.4.1981 beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses Wien abgeschlossenen Vertrag die Zurückbehaltung eines Deckungsrücklasses von der Verdienstsumme vereinbart wurde, der erst nach Überprüfung der Schlußrechnung frei wird. Dieser Rücklaß beträgt für den obbezeichneten Bau bis zum 31.12.1984 S 1,588.000 (Schilling einemillionfünfhundertachtundachtzigtausend). Da uns die Firma Wilhelm P*** Hoch- und Tiefbau Gesellschaft mbH & Co KG mitteilte, daß ihr dieser Deckungsrücklaß in der Höhe von S 1,588.000 von obiger Arbeitsgemeinschaft vorzeitig ausbezahlt wird, wenn Sie für Ihre allfällige Verpflichtung, diesen Deckungsrücklaß zurückzuzahlen, eine Sicherstellung durch Beibringung einer Bankhaftung leisten, verpflichten wir uns, falls die obangeführte Arbeitsgemeinschaft aus diesem Geschäftsfall gegen die Firma Wilhelm P*** Hoch- und Tiefbau Gesellschaft mbH & Co KG, 4822 Bad Goisern 202, oder deren Rechtsnachfolger Forderungen erheben sollte, den uns namhaft gemachten Betrag, höchstens jedoch S 1,588.000, ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses unter Verzicht auf Einwendungen und Kompensation binnen drei Tagen nach Zustellung der Aufforderung der VÖEST-ALPINE MEDIZINTECHNIK GESELLSCHAFT mbH oder deren Rechtsnachfolger auf deren Konto Nr.696 025 303 bei der Z*** und K*** Wien zu überweisen. Diese unsere

Haftung erlischt ohne Rücksicht auf den im vorstehend bezeichneten Termin endgültig erst durch die Rückstellung dieses Haftbriefes an uns. Wir sind jedoch berechtigt, nach Ablauf des oben kalendermäßig bezeichneten Endtermines unsere Haftung mit dreimonatiger Frist zu kündigen. Wirksam wird diese Haftung jedoch erst, wenn der Betrag von S 1,588.000 auf dem Konto Nr.0300 870532 bei unserem Institut, lautend auf Firma Wilhelm P*** Hoch- und Tiefbau Gesellschaft mbH & Co KG, eingelangt ist."

Auf Grund dieses Haftbriefes überwiesen die klagenden Parteien an die Firma Wilhelm P*** den Betrag von S 1,588.000. Mit Schreiben vom 6.11.1985 forderte die V*** im Namen und für Rechnung der ARGE AKH die beklagte Partei auf, auf Grund des Haftbriefes vom 24.4.1984 innerhalb von drei Tagen den Betrag von S 1,588.000 zu überweisen. Mit Schreiben vom 15.11.1985 lehnte die beklagte Partei die Überweisung ab, weil der Masseverwalter im Konkurs der Firma Wilhelm P*** seine Zustimmung zur Überweisung noch nicht erteilt habe. Die V*** antwortete mit Schreiben vom 20.11.1985, daß die Inanspruchnahme des Haftbriefes wegen unrichtiger Leistungsabrechnung erfolge. Im Zuge der umfangreichen Rechnungsprüfung habe sich eine Leistungsüberzahlung durch den Bauherrn abgezeichnet. Daher sei am 6.11.1985 die Garantieinanspruchnahme erfolgt. Seit 13.11.1985 liege die Faktura schlußgeprüft mit einer Überzahlung von S 1,516.450,52 vor. Dieses Prüfungsergebnis werde noch durch die vom Bauherrn bestellte begleitende Kontrolle verifiziert werden. Daher könne sich eine Erhöhung der festgestellten Überzahlung ergeben. Vorläufig werde der Garantieabruf vom 6.November 1985 auf S 1,516.450,52 eingeschränkt, die beklagte Partei werde nochmals um umgehende Überweisung aufgefordert. Die beklagte Partei überwies am 1.4.1986 an die V*** einen Betrag von S 700.000.

Die klagenden Parteien begehren den Zuspruch des Betrages von S 888.000 samt Anhang. Bei Überprüfung der von der Firma Wilhelm P*** gelegten Schlußrechnung habe sich herausgestellt, daß die Summe der bis dahin gelegten Teilrechnungen die Summe des nach den vertraglichen Vereinbarungen mit Schlußrechnungsprüfung fälligen Rechnungsbetrages erheblich überstiegen habe. Die Überzahlung sei mit dem Betrag von S 1,516.450,52 ermittelt worden. Gerade um sich vor derartigen Überzahlungen zu schützen, vereinbare ein Auftraggeber mit dem Werkunternehmer einen Deckungsrücklaß. Dieser habe die für die Auslegung der dazu bestehenden wechselseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten maßgebliche wirtschaftliche Funktion, den Auftraggeber davor zu schützen, von seinem Werkunternehmer durch exzessive Teilabrechnungen in die Rolle des Gläubigers eines Rückforderungsanspruches gedrängt zu werden. Beim Werkbesteller bestehe daher aus guten Gründen, wie die Erfahrung gerade im konkreten Fall lehre, insbesondere wegen des Risikos einer Insolvenz des Werkunternehmers das Bedürfnis, sich vor Schaden aus vor Prüfung der Schlußrechnung nicht feststellbaren Überzahlungen zu bewahren. Nach Punkt 15.2.2 der Allgemeinen Vertragsbedingungen der klagenden Parteien (AVB), die auch dem Auftrag Nr.1543 vereinbarungsgemäß zugrundegelegen seien, sei der Deckungsrücklaß mit der Schlußrechnung abzurechnen. Diese Abrechnung erfolge ganz einfach ohne komplizierte mathematische oder juristische Operationen dadurch, daß dem nach Schlußrechnung fälligen Werklohn die Summe der bis dahin geleisteten Teilzahlungen gegenübergestellt werde. Soweit sich daraus eine Forderung des Werkunternehmers ergebe, werde der Deckungsrücklaß frei, d.h. dieser rechnerische Teil der Werklohnforderung des Werkunternehmers verliere seine Fälligkeitsbeschränkung. Wenn diese Gegenüberstellung eine Überzahlung und somit eine Forderung des Werkbestellers ergebe, rechne der Werkbesteller mit seinem Rückforderungsanspruch gegen den Teil der Werkforderung, der die Etikette "Deckungsrücklaß" führe, auf. Wichtig sei dabei zu beachten, daß der Betrag der geprüften Schlußrechnungssumme in aller Regel mit dem nach Schlußrechnungsprüfung fälligen Werklohn nicht identisch sei. Der Werklohn werde nicht mit Schlußrechnungsprüfung zur Gänze fällig, weil zur Deckung von allfälligen Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen des Werkbestellers ein meist in Prozenten bestimmter Teil des Rechnungsbetrages als Haftrücklaß einbehalten werde. Die beklagte Partei stelle zu Unrecht die geprüfte Schlußrechnungssumme den bis dahin erhaltenen Zahlungen gegenüber. Rechtlich und wirtschaftlich bedeute diese Berechnungsalternative der beklagten Partei, daß der Auftraggeber das Risiko hätte, anschließend an die Deckungsrücklaßabrechnung und die Auszahlung eines solchen Rücklasses vom Werkunternehmer die Rückzahlung oder Sicherstellung des zuviel Bezahlten zu verlangen; es sei nicht einzusehen, daß der Auftraggeber ein Deckungsmittel für die Rückforderung der Überzahlung aus der Hand geben solle, damit er sich dann anschließend um Rückzahlung oder entsprechende Besicherung seiner Forderung bemühen dürfe. Ein derartiges Auslegungsergebnis wäre wohl nur dann erreichbar, wenn nach § 914 ABGB nicht die Absicht von an redlicher Geschäftsabwicklung orientierten Vertragspartnern, sondern der Wille zur wirtschaftlichen Selbstvernichtung des Auftraggebers Auslegungsmaßstab wäre. Der Einbehalt eines Deckungs- bzw Haftrücklasses sei juristisch nichts anderes als ein Hinausschieben der Fälligkeit für einen Teil der Werklohnforderung. Lediglich die wirtschaftliche Begründung für dieses Hinausschieben der Fälligkeit sei bei Deckungs- und Haftrücklaß jeweils verschieden, ändere aber rechtlich nichts am Werklohncharakter der Forderung des Werkunternehmers auf Zahlung dieses Teiles seines Entgeltes nach Eintritt der nur hinausgeschobenen Fälligkeit. Die von der beklagten Partei behauptete Rechtsmißbräuchlichkeit der Garantieinanspruchnahme entbehre jeder Grundlage. Die Einschränkung des Garantieabrufes von S 1.588.000 auf S 1,516.450,52 sei nur unter Vorbehalt der Wiederausdehnung erklärt worden. Dieser Vorbehalt werde hiemit widerrufen. Die Garantie der beklagten Partei sichere auch die mit der Geltendmachung des Deckungsrücklaßanspruches verbundenen Nebengebühren wie Zinsen und Kosten, die den Differenzbetrag auf den ursprünglichen Abruf bei weitem überstiegen.

Die beklagte Partei wendete, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, ein, die von ihr übernommene Bankgarantie beziehe sich ausdrücklich und ausschließlich nur auf den Deckungs-, nicht aber auf den Haftrücklaß. Daraus ergebe sich, daß die beklagte Partei auch nur für Rechnungsdifferenzen zwischen den von der Firma Wilhelm P*** gelegten Teilrechnungen und der Schlußrechnungssumme also nur für eine Überzahlung zu haften habe, die dadurch entstanden sei, daß die Firma Wilhelm P*** in den von ihr gelegten Teilrechnungen zu hohe Beträge geltend gemacht habe, die in der Schlußrechnung korrigiert und reduziert hätten werden müssen. Da die beklagte Partei nur eine Bankgarantie für den Deckungsrücklaß übernommen habe, könne sie nicht auch für den Haftrücklaß haftbar gemacht werden. Eine solche Haftung könne auch nicht dadurch entstehen, daß die klagende Partei den noch nicht fälligen Haftrücklaß in die Schlußrechnung hineinnehme und diesen von der Rechnungssumme in Abzug bringe. Der Haftrücklaß sei durch die abstrakte Garantieverpflichtung der beklagten Partei nicht gedeckt gewesen. Die Bankgarantie werde von den klagenden Parteien rechtsmißbräuchlich in Anspruch genommen, weil sie den 3 %igen Haftrücklaß nicht in Abzug brächten. Das Erstgericht gab mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens dem Klagebegehren statt. Bei einer abstrakten Bankgarantie sei der Garantievertrag vom Bestand der gesicherten Hauptschuld grundsätzlich unabhängig. Im Wesen solcher Bankgarantien liege es, dem Begünstigten auf die bloße Behauptung hin, der Garantiefall sei eingetreten, zunächst einmal Zahlung zu verschaffen und seinen Vertragspartner auf den Weg einer Rückforderungsklage zu verweisen. Die Bank könne keine Einwendungen und Einreden aus dem zwischen Auftraggeber und Begünstigten bestehenden Kausalverhältnis geltend machen, weil es gerade der Sinn einer solchen Garantie sei, die Einstandsverpflichtung der Bank vom Kausalverhältnis zu lösen. Bei solchen Garantieerklärungen dürfe der Garant nur ausnahmsweise die Zahlung verweigern, wenn der Begünstigte die Garantie rechtsmißbräuchlich oder arglistig in Anspruch nehme und der Garant dies liquide und eindeutig nachweisen könne. Die Sicherheit des geschäftlichen Verkehrs erfordere es, daß die mißbräuchliche Inanspruchnahme der Garantie geradezu evident sei. Von einer evident mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Bankgarantie durch die klagenden Parteien könne keine Rede sein. Es stehe fest, daß es tatsächlich zu Überzahlungen der klagenden Parteien gekommen sei. Es sei jedoch nicht Sache der klagenden Parteien, die Höhe der tatsächlichen Überzahlungen nachzuweisen, da dies mit dem wirtschaftlichen Zweck der Bankgarantie nicht vereinbar sei. Da nicht evident sei, daß die von den klagenden Parteien behauptete Überzahlung von S 1,516.450,52 unrichtig sei, sei die beklagte Partei verpflichtet, den Betrag, der unter der von ihr übernommenen Haftungssumme liege, an die klagenden Parteien zu überweisen. Der Deckungsrücklaß habe aber auch die von der Firma Wilhelm P*** zu zahlenden Zinsen ab tatsächlicher Überzahlung gesichert.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es den klagenden Parteien nur den Betrag von S 368.219,92 samt Anhang zusprach, das Mehrbegehren von S 519.781,08 samt Anhang aber abwies. Eine mißbräuchliche Inanspruchnahme der Bankgarantie liege auch dann vor, wenn das durch die Bank garantierte gedeckte Risiko nicht die Inanspruchnahme der gesamten Summe rechtfertige. Da die klagenden Parteien im Verfahren erster Instanz die Art der Berechnung des abgerufenen Betrages offengelegt hätten, stünde der Berechtigung dieses Einwandes seiner Evidenz nichts im Wege. Aus dem Haftungsbrief leuchte der Wille der beklagten Partei hervor, nur für den Deckungsrücklaß zu haften. Die klagenden Parteien hätten angesichts des Vertragsverhältnisses mit der Firma Wilhelm P*** diese Haftungserklärung nur für den Deckungsrücklaß verstehen dürfen. Die klagenden Parteien könnten sich nicht isoliert auf die Formulierung des Haftbriefes "falls die obangeführte Arbeitsgemeinschaft aus diesem Geschäftsfall gegen die Firma Wilhelm P*** Forderungen erheben sollte" stützen. Vielmehr sei der gesamte Urkundeninhalt zu betrachten und die aus dem Vertragsverhältnis der ARGE AKH und der Firma Wilhelm P*** sich ergebende Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen. Die Unterscheidung zwischen Deckungs- und Haftrücklaß sei in der Baubranche allgemein üblich, insbesondere bei Anwendung der ÖNORMEN A 2060 und B 2110. Dem entspreche auch die deutsche Rechtslage, wo zwischen einer von Abschlagszahlungen einzubehaltenden Sicherung und einem Sicherungseinbehalt für Leistungsmängel, ferner zwischen einer Rückzahlungsbürgschaft und einer Gewährleistungsbürgschaft unterschieden werde. Da sich aus dem Vorbringen der klagenden Parteien nicht ergebe, daß die Bankgarantie auch für den Haftrücklaß hätte gegeben werden sollen, sei davon auszugehen, daß sich die beklagte Partei nur verpflichtet habe, eine Bankgarantie für den Deckungsrücklaß abzugeben. Werde anstelle eines baren Deckungsrücklasses eine Bankgarantie gegeben, so solle damit der Begünstigte so gestellt werden, als hätte er den entsprechenden Teil des Entgeltes noch nicht aus der Hand gegeben . Die Bankgarantie solle also dem Begünstigten schon dann Zahlung verschaffen, wenn er den Garantiefall nur einfach behaupte, gleichgültig ob er gegeben sei oder nicht. Folge man der Berechnung der klagenden Parteien, würde sich daraus eine Haftung der beklagten Partei auch für den Haftrücklaß ergeben. Nur soweit die Summe der Abschlagszahlungen die dem Auftragnehmer zustehende Gesamtvergütung übersteige, sei er zur Rückzahlung verpflichtet. Mehr als die sich aus der Verrechnung aller Abschlagszahlungen mit dem Werklohn für die ausgeführten Arbeiten laut der vom Auftraggeber geprüften Schlußrechnung ergebende Überzahlung könne vom Auftragnehmer nicht zurückgefordert werden. Dieser Betrag sei demnach die Obergrenze für die Haftung einer sich für den Anspruch auf Rückgewähr dieser Überzahlung verbürgenden Bank. Die Abschlagszahlung sei eine Anzahlung auf den Werklohn für die erbrachten Bauleistungen. Daher sei sie in der Schlußrechnung mit dem Werklohn für den ausgeführten Teil der Bauleistungen zu verrechnen. Wäre es beim Bareinbehalt des Deckungsrücklasses geblieben, hätte nach Prüfung der Schlußrechnung vom hievon der Firma Wilhelm P*** rechnerisch noch zustehenden Teil der Deckungsrücklaß, auf den die klagenden Parteien vertraglich Anspruch hatten, einbehalten werden können. Dieser Möglichkeit hätten sich die klagenden Parteien durch den nachträglichen Austausch des baren Deckungsrücklasses gegen eine nur diesen besichernden Haftbrief der beklagten Partei begeben, weil die beklagte Partei den klagenden Parteien gegenüber nur für den Deckungsrücklaß, nicht aber für den Haftrücklaß hafte. Das Risiko, daß Anzahlungen oder Abschlagszahlungen zu hoch seien und der Rückzahlungsanspruch nicht durchsetzbar sei, werde von einer Erfüllungs- oder Sachmängelgarantie grundsätzlich nicht gedeckt. Dies bedeute, daß der Einwand der beklagten Partei gegen die Inanspruchnahme der Bankgarantie insoweit berechtigt sei, als durch die abgerufene Summe letztlich die klagenden Parteien den 3 %igen Haftrücklaß, also einen Betrag von S 574.000 und den darauf entfallenden Verzugszinsenanteil hereinbringen wollten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Parteien ist nicht berechtigt. Die Streitteile und die Vorinstanzen gehen übereinstimmend und zutreffend davon aus, daß der Haftbrief der beklagten Partei vom 24.4.1984 eine Bankgarantie ist. Wie für solche Bankgarantien typisch verpflichtete sich die beklagte Partei, "ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses unter Verzicht auf Einwendung und Kompensation" den garantierten Betrag zu überweisen. Damit sind der beklagten Partei grundsätzlich Einwendungen aus dem Valuta- und auch aus dem Deckungsverhältnis versagt (RdW 1986, 340 ua; Canaris in GroßkommHGB4 Bankvertragsrecht Rz 1137). Wie Canaris, Einwendungsausschluß und Einwendungsdurchgriff bei Dokumentenakkreditiven und Außenhandelsgarantien, ÖBA 1987, 769 ff, zutreffend aufzeigt, kann das Valutaverhältnis aber dessen ungeachtet in zweifacher Weise auf das abstrakte Zahlungsversprechen einer Bankgarantie Einfluß gewinnen: Es kann in der Garantieerklärung der Sicherungszweck genau umschrieben sein oder der Begünstigte nimmt trotz Vorliegens der formalen Voraussetzungen der Garantie diese rechtsmißbräuchlich in Anspruch. Wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung WBl 1989, 234 ausgeführt hat, hat die Inanspruchnahme der Bankgarantie nach dem Grundsatz der formellen Garantiestrenge zu erfolgen (vgl BGHZ 90, 287, 292). Der Begünstigte hat den Eintritt des Garantiefalles nicht nur derart zu behaupten, wie dies im Haftungsbrief vorgesehen ist, diese Behauptung hat bei beschränktem Sicherungszweck auch derart substantiiert zu erfolgen, daß der Sicherungszweck schlüssig dargetan wird (Canaris, Großkomm aaO Rz 1130; derselbe in ÖBA 1987, 772 f). Durch Einhaltung des Erfordernisses der formellen Garantiestrenge wird die garantierende Bank davor bewahrt, daß ihre Pflichten dem Begünstigten gegenüber nach einem anderen Maßstab beurteilt werden als ihre Rechte gegen den Auftraggeber (in diesem Sinn bereits WBl 1989, 284; Canaris, Großkomm aaO Rz 1133; Mülbert, Mißbrauch von Bankgarantien und einstweiliger Rechtsschutz 69). Die unter Beachtung der Grundsätze der formellen Garantiestrenge erfolgte Behauptung des Begünstigten, der Garantiefall sei eingetreten, gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen. Einwendungen gegen die Inanspruchnahme der Garantie, die sich aus der Auslegung des Garantietextes selbst ergeben, sind niemals ausgeschlossen (ÖBA 1988, 606).

Eine dem erforderlichen Substantiierungsgebot entsprechende Abrufung des garantierten Betrages erfolgte im Namen der klagenden Parteien erstmals mit Schreiben der V*** vom 20.11.1985. Es mag zutreffen, daß die beklagte Partei zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen wäre, den garantierten Betrag an die klagenden Parteien zu überweisen, weil nicht erkennbar war, daß die klagenden Parteien nicht garantierte Beträge abriefen. Im Zuge des Verfahrens legten aber die klagenden Parteien die Berechnung ihres Anspruches der beklagten Partei und dem Erstgericht gegenüber offen. Damit gaben sie der beklagten Partei die Möglichkeit zur Behauptung, daß ein Teil des geforderten Garantiebetrages nicht von dem in der Garantie genannten Sicherungszweck umfaßt sei. Ob ein solcher Einwand berechtigt ist und welche rechtlichen Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist gemäß § 406 ZPO nach dem Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz zu beurteilen (SZ 52/78; JBl 1974, 426; SZ 26/298 uva; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1456). Überlegungen der Revision, wie die Rechtssache zu beurteilen gewesen wäre, wäre das Verfahren früher geschlossen worden, können daher auf sich beruhen. Stellte sich als richtig heraus, daß der in Anspruch genommene Betrag für einen anderen als den in der Garantie genannten Sicherungszweck verwendet werden sollte, lag rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme der Garantie vor (ÖBA 1988, 609; RdW 1986, 340; SZ 54/189).

Entgegen den Ausführungen in der Revision ergibt sich aus der Garantie nicht, daß die beklagte Partei auch für das Vorhandensein des Haftrücklasses garantierte. Bei der Beurteilung, was die Parteien als Sicherungszweck vereinbarten, kommt es, da außerhalb der Garantieurkunde für die Beurteilung maßgebende Umstände weder behauptet noch festgestellt wurden, ausschließlich auf den Text der Garantie und dessen Auslegung an (Canaris, ÖBA 1987, 771; derselbe in Großkomm aaO Rz 1135). Im vorliegenden Fall wurde der Sicherungszweck der Garantie im Haftbrief deutlich umschrieben: Der Firma Wilhelm P*** sei mitgeteilt worden, daß der Deckungsrücklaß (gemäß Punkt 5.1. des Auftrages von Abschlagsrechnungen gemäß Punkt 15.2. der AVB) in der Höhe von 10 % von S 1,588.000 vorzeitig ausbezahlt werde, wenn für die allfällige Verpflichtung der Firma Wilhelm P***, diesen Deckungsrücklaß zurückzuzahlen, eine Sicherstellung durch Beibringung einer Bankhaftung geleistet wird. Der vereinbarte Deckungsrücklaß hatte die klagenden Parteien berechtigt, von den geforderten Abschlagszahlungen 10 % so lange zurückzubehalten, als nicht die Schlußrechnung eine höhere als die bereits bezahlte Summe ergab. Die Bestellung der Bankgarantie verpflichtete die klagenden Parteien zur vollen Leistung der Abschlagszahlungen, die Bankgarantie der beklagten Partei gab ihnen aber den Anspruch auf Bezahlung der Differenz zwischen den Abschlagszahlungen und einer darunter liegenden Schlußrechnungssumme, aber nicht auf mehr. Die für die Rückzahlung des Deckungsrücklasses gegebene Garantie durfte dann aber nur insoweit in Anspruch genommen werden, als sich bei der Schlußrechnung herausstellte, daß deren anerkannte Summe niedriger war als die Summe aller Abschlagszahlungen.

Den Revisionswerbern ist zuzugeben, daß mit der Rückzahlung des Deckungsrücklasses nicht unbedingt die wirtschaftliche Lage, wie sie ohne Auszahlung des Deckungsrücklasses gegegeben gewesen wäre, wiederhergestellt wurde. Ohne Bankgarantien durften die klagenden Parteien nicht nur von den geforderten Abschlagszahlungen 10 % als Deckungsrücklaß für den Fall, daß die Schlußabrechnung geringer sein sollte als die Höhe der Abschlagszahlunegn, sondern auch von dem nach der Schlußrechnung gebührenden Betrag noch 3 % als Haftrücklaß einbehalten. Letztere Möglichkeit bestand allerdings nur insoweit, als die Schlußrechnung nicht so niedrig war, daß auch der vereinbarte Haftrücklaß bereits zur Gänze oder teilweise ausbezahlt war, und hatte ihre rechtliche Grundlage nicht im vereinbarten Deckungsrücklaß, sondern im getrennt vereinbarten Haftrücklaß. Nur für den Deckungsrücklaß wurde aber eine Bankgarantie der beklagten Partei beigebracht, nicht hingegen für den Haftrücklaß. Garantierte die beklagte Partei aber nur für die Rückzahlung des Deckungsrücklasses durch die Firma Wilhelm P***, ist sie nicht verpflichtet, darüber hinaus auch noch für die Dotierung des Haftrücklasses durch die Firma Wilhelm P*** Sorge zu tragen. Es wäre vielmehr Sache der klagenden Parteien gewesen, gaben sie den gesamten Deckungsrücklaß aus der Hand, auch für eine Sicherstellung des Haftrücklasses Sorge zu tragen. Versäumten sie dies, kann es nicht Aufgabe des Gerichtes sein, die Begünstigten eines weiteren Schutzes teilhaftig werden zu lassen, als ihnen aus der vereinbarten Garantie zusteht (Mülbert, aaO).

War die Inanspruchnahme vom Garantiezweck aber nicht gedeckt, wies das Berufungsgericht zutreffend das Begehren auf Bezahlung des noch offenen Teilbetrages ab.

Der Revision ist nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18641

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00607.89.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19890906_OGH0002_0010OB00607_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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