TE OGH 1989/11/23 12Os131/89

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Veröffentlicht am 23.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.November 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Edelmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz C*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 31.Mai 1989, GZ 5 c Vr 3723/89-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, und des Verteidigers Dr. Stöhr, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 8.Juli 1946 geborene Franz C*** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB (I) und des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 (§§ 83 Abs. 1, 223 Abs. 2, 224) StGB (II) schuldig erkannt.

Darnach hat er in der Nacht zum 16.Jänner 1987 in Wien Frank M*** eine schwere Körperverletzung absichtlich dadurch zugefügt, daß er ihm mehrere Messerstiche versetzte, was bei diesem ausgedehnte Schnittwunden im Bereich des Schädels, eine Stichwunde am linken Oberschenkel, eine Schnittverletzung am linken Vorderarm, eine Stichwunde am rechten Brustkorb mit Eröffnung desselben, eine Stichwunde im Bereich des linken Brustkorbes in der Höhe der vierten Rippe mit Durchtrennung des großen Brustmuskels, sowie eine Stichwunde unterhalb des Nabels mit Eröffnung der Bauchhöhle und Verletzung des Dünndarms, sohin an sich schwere Verletzungen, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, zur Folge hatte (I) und sich in der Nacht zum 13.Oktober 1988 in Düsseldorf (BRD), wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und in diesem Rausch dadurch, daß er

1. teilweise im einverständlichen Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Anton H***, Jürgen R*** und Silke K*** am Körper verletzte und an ihrer Gesundheit schädigte, sowie dadurch,

2. daß er eine verfälschte inländische öffentliche Urkunde, nämlich einen Personalausweis, ausgestellt auf Helmut P*** durch die Bundespolizeidirektion Wien, welchen er mit seinem Lichtbild versehen hatte, vorsätzlich im Rechtsverkehr zum Beweise einer rechtserheblichen Tatsache gebrauchte, indem er sich vor deutschen Polizeibeamten damit legitimierte, Handlungen begangen, welche ihm außer diesem Zustand als das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und als Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zugerechnet würden (II). Diese Schuldsprüche ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a, 9 lit. b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an.

Zum Schuldspruch wegen § 87 Abs. 1 StGB (I):

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen stellte der zwar alkoholisierte, aber nicht volltrunkene Angeklagte in der Nacht zum 16. Jänner 1987 in Wien den im selben Lokal als Gast anwesenden Frank M*** zur Rede, weil dieser sich über eine bei ihm sitzende Prostituierte abfällig geäußert hatte. Wenngleich nicht festgestellt werden konnte, wer von den beiden Männern den ersten Schlag führte, kam es jedenfalls zwischen dem Angeklagten und Frank M*** zu einem Raufhandel, in dessen Verlauf Frank M*** zum Sturz und hinter der Schank zu liegen kam. In diesem Moment, möglicherweise auch schon früher, hatte Franz C*** ein scharfes auf der Theke liegendes Messer an sich genommen, mit dem er nun in der Absicht, schwer zu verletzen, auf den am Boden liegenden Kontrahenten wiederholt einstach und ihm die im Spruch genannten schweren Verletzungen zufügte. Entgegen der Verantwortung des Angeklagten ging das Gericht davon aus, daß Frank M*** zumindest phasenweise unter dem Angeklagten am Boden lag, konnte aber nicht mit Sicherheit ausschließen, daß im Zuge dieser Auseinandersetzung Frank M*** den Angeklagten auch einmal würgte (S 368 bis 370 iVm S 373 bis 376). Gestützt auf die relevierten Nichtigkeitsgründe (siehe oben) strebt der Angeklagte mit seiner Beschwerde an, daß ihm ein Handeln in Notwehr, gegebenenfalls in Überschreitung einer vermeintlichen Notwehr, zugestanden werde (S 424).

Dem Beschwerdevorbringen ist vorweg - gleichzeitig in Beantwortung eines Teiles der Rechtsrüge (Z 9 lit. b) - entgegenzuhalten, daß Franz C*** seinem Kontrahenten Frank M*** die Verletzungen nach den eindeutigen und auch von ihm (auch noch in der Beschwerde: S 423) als richtig zugestandenen Urteilsannahmen im Zuge eines Raufhandels zugefügt hat. Wer sich aber aktiv an einem - von wem immer begonnenen - Raufhandel, der naturgemäß aus einer Aufeinanderfolge wechselseitiger Angriffs- und Abwehrhandlungen besteht, beteiligt, kann sich grundsätzlich nicht mit Notwehr verantworten. Selbst wenn er einem unbewaffnet agierenden Gegner zu unterliegen droht, berechtigt dies noch nicht zur Verwendung einer lebensgefährlichen Waffe, solange er (der Täter) nicht vollkommen wehrlos am Boden liegt, der Raufhandel sohin einseitig zu seinem Nachteil eskaliert ist (siehe hiezu die bei Mayerhofer-Rieder3 E 17 bis 22 dargestellte Judikatur zu § 3 StGB). Es bedurfte daher über die getroffenen hinaus keiner weiteren Feststellungen, um den Sachverhalt erschöpfend rechtlich beurteilen zu können.

Die im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) als unzureichend begründet hingestellte Konstatierung der absichtlichen Verletzungszufügung unter Ablehnung einer tatsächlichen oder vermeintlichen Notwehrsituation kann daher rechtslogisch unabhängig davon bestehen, ob und wann es zu einem Würgen des Franz C*** durch Frank M*** gekommen ist, sodaß die darauf abzielenden Beschwerdeeinwände - abgesehen davon, daß die dem Gericht glaubwürdig erscheinenden Aussagen der Zeugin M*** bei der Polizei am 19.Jänner 1987 (S 71) für den Beschwerdestandpunkt tatsächlich nichts hergeben - keine entscheidenden Tatsachen betreffen.

Auch die als aktenwidrig gerügte, die Beweiswürdigung zu diesem Faktum abschließende Begründungspassage, der Angeklagte habe eine schwere Verletzung zufügen wollen, "da er davon spricht, er wollte M*** die Hand abschneiden" (S 376 iVm S 317), stellt kein für die Entscheidung der Schuldfrage maßgebliches Begründungselement dar, weil damit die tragende, mit der Art und Intensität der Stichführung denkrichtig begründete Feststellung, der Beschwerdeführer habe im Zuge des Raufhandels gezielte Messerstiche gegen den Rumpf des Frank M*** geführt, um ihn schwer zu verletzen, ersichtlich nur unterstrichen werden sollte.

Im Lichte der - wie dargestellt - für die rechtliche Beurteilung allein relevanten absichtlichen Verletzungszufügung im Rahmen eines Raufhandels können auch die in der Tatsachenrüge (Z 5 a) unter Hinweis auf abweichende Aussagen der Zeugin M*** über Art und Weise des Zubodenfallens der Raufenden erhobenen Einwände unter weiterer Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts, insbesondere des Umstandes, daß Frank M*** unbewaffnet und insoweit jedenfalls der schwächere Teilnehmer am Raufhandel war, keine erheblichen Bedenken an den eine tatsächliche oder vermeintliche Notwehrsituation ausschließenden Tatsachenfeststellungen erwecken. Soweit der Beschwerdeführer schließlich dem Erstgericht in Geltendmachung der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO vorwirft, zu Unrecht das Vorliegen der Vorsatzform der Absichtlichkeit nach § 5 Abs. 2 StGB angenommen zu haben, weicht er in einer bei der Darstellung einer Rechtsrüge unzulässigen Weise von den Urteilsfeststellungen ab, sodaß die Rüge diesbezüglich nicht gesetzgemäß ausgeführt ist.

Zum Schuldspruch wegen § 287 Abs. 1 StGB (II):

Nach den - im Rahmen der Anfechtung nur des Punktes II 2 - relevanten Urteilsfeststellungen hatte sich der Angeklagte, nachdem er wegen der unter I angeführten Tat nach Deutschland geflüchtete war, einen durch Einfügung seines Lichtbildes verfälschten Personalausweis lautend auf den Namen Helmut P*** besorgt. In der Nacht zum 13.Oktober 1988 befand sich Franz C*** gemeinsam mit Anton H*** in der Altstadt von Düsseldorf und war nach dem Genuß von größeren Mengen alkolischer Getränke stark berauscht. Das Schöffengericht nahm im Zweifel an, daß er bereits außer Stande war, das Unrecht seiner Taten einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln. In diesem Zustand beging er nicht nur Körperverletzungen (II 1), sondern wies sich den einschreitenden Polizeibeamten gegenüber mit dem zu diesem Zweck mitgeführten verfälschten Personalausweis aus (II 2). Nach Auffassung des Schöffengerichtes besteht kein Zweifel daran, daß hiebei ein Willensentschluß des Franz C*** vorlag, sich gegenüber den Polizeibeamten mit diesem verfälschten Dokument auszuweisen (S 371, 372 unten, 373 oben).

Die nur gegen die Annahme auch des verdeckten Delikts nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB (II 2) gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde stützt der Angeklagte auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. b (richtig wohl Z 10: siehe SSt. 47/35) StPO.

Mit der Mängelrüge (Z 5) behauptet er in bezug auf die Annahme eines den Gebrauch des gefälschten Ausweises erfassenden Vorsatzes das Fehlen einer Begründung bzw. das Vorliegen einer bloßen Scheinbegründung. Dem Urteil sei nämlich nicht zu entnehmen, wieso er in der Lage gewesen sein soll, einen derartigen Vorsatz zu fassen, wenn ihm andererseits Zurechnungsunfähigkeit infolge Volltrunkenheit zuerkannt werde. Dementsprechend vertritt er in der Rechtsrüge die Meinung, daß im Zustand voller Berauschung ein vorsätzliches Handeln gar nicht in Frage komme.

Auch diesem Vorbringen kommt keine Berechtigung zu. Beim Vergehen nach § 287 StGB muß die Rauschtat als Betätigung eines auf die Herbeiführung des strafgesetzwidrigen Erfolges gerichteten Willens erscheinen, sohin auch alle subjektiven Tatbestandsmerkmale des betreffenden Grunddelikts verkörpern. Dem Volltrunkenen fehlt nicht der deliktsspezifische Willensentschluß, sondern bloß die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und/oder nach dieser Einsicht zu handeln. Hinter der im Zustand voller Berauschung begangenen Straftat muß demgemäß zwar ein Willensentschluß stehen; dem Volltrunkenen fehlt es lediglich an der Fähigkeit, die Bedeutung und Tragweite seines Verhaltens einzusehen (Mayerhofer-Rieder3 E 10 bis 13 zu § 287 StGB). Ein derartiger Willensentschluß wurde aber vom Schöffengericht ausdrücklich festgestellt. Bei der vorliegenden Fallgestaltung, wo sich der Beschwerdeführer durchaus noch situationsgerecht verhalten hatte und nur im Zweifel als volltrunken angesehen wurde, bedurfte es auch keiner umfänglichen Begründung. Setzte der Angeklagte doch dadurch, daß er sich im Zuge der polizeilichen Amtshandlung mit dem verfälschten Ausweis legitimierte, unzweifelhaft einen bewußten, wenngleich nicht von voller Einsicht in die Folgen getragenen Willensakt. Davon ausgehend konnte das Gericht im Hinblick auf die im Urteil ohnehin hervorgehobene eigene Verantwortung des Beschwerdeführers (S 376, 377), das Falsifikat besorgt und mit sich geführt zu haben, um sich damit auszuweisen (S 324, 325; auch S 71 R in ON 47) schlüssig auf einen den Tatbestandserfordernissen der §§ 223 Abs. 2, 224 StGB entsprechenden deliktischen Gebrauchsvorsatz folgern. Auf der Grundlage dieser sohin mängelfreien Urteilsannahme haftet, da die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen gleichfalls gegeben sind, der Subsumierung des diesbezüglichen Tatverhaltens ebenfalls unter den Tatbestand des § 287 Abs. 1 StGB kein Rechtsirrtum an.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zur Gänze zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über Franz C*** nach §§ 28 Abs. 1, 87 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Bei der Strafzumessung waren das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen und der rasche Rückfall erschwerend, während als mildernd berücksichtigt wurde, daß der Angeklagte hinsichtlich der schweren Verletzung des Frank M*** ein Tatsachengeständnis ablegte und von M*** zur Tat provoziert wurde.

Mit seiner Berufung beantragt der Angeklagte, die "Strafe wesentlich herabzusetzen".

Zur Begründung dieses Berufungsbegehrens wird ausschließlich auf den durch Alkoholisierung beeinträchtigten Zustand zum Zeitpunkt der Tat hingewiesen. Da dem Schuldspruch wegen § 287 Abs. 1 StGB Volltrunkenheit als Tatbestandsmerkmal inhärent ist, kann sich dieser Einwand nur auf den Schuldspruch wegen § 87 Abs. 1 StGB beziehen; bei der diesem Schuldspruch zugrunde liegenden Tat war der Angeklagte wohl alkoholisiert, hat sich aber in keinem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand befunden. Im Hinblick auf die ihm bekannte Wirkung des Alkohols, die ihn angeblich (S 152) veranlaßt hatte, zwei Monate vor dem Vorfall vom 16. Jänner 1987 den Alkoholgenuß zu meiden, wiegt der Vorwurf, sich wieder betrunken zu haben, wesentlich schwerer als die durch die Alkoholisierung bewirkte Minderung der Zurechnungsfähigkeit. Gemessen an diesen Kriterien des § 35 StGB kann der alkoholbedingten Beeinträchtigung des Zustandes des Angeklagten zum Tatzeitpunkt eine strafmildernde Wirkung nicht zuerkannt werden. Die vom Erstgericht unter besonderem Hinweis auf die Zahl und Schwere der Vorstrafen sowie die Gefährlichkeit der Gewalttat verhängte Strafe erscheint daher auch dem Obersten Gerichtshof tat- und tätergerecht, weshalb der Berufung der Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E18968

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0120OS00131.89.1123.000

Dokumentnummer

JJT_19891123_OGH0002_0120OS00131_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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