TE OGH 1989/12/5 4Ob616/89

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Veröffentlicht am 05.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** R***, Reutte, Obermarkt Nr. 51, vertreten durch Dr.Hansjörg Beirer, Rechtsanwalt in Reutte, wider die beklagten Parteien 1. Georg S***, Installationsmeister,

2. Anna S***, Angestellte, beide Breitenwang, Dorfstraße 4, beide vertreten durch Dr.Werner Beck, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 2,880.456,60 s.A. (Berufungsinteresse S 1,580.456,60), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 11.Oktober 1989, GZ 2 R 213/89-18, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 31.Jänner 1989, GZ 7 Cg 245/88-10, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben; dem Berufungsgericht wird aufgetragen, über die Berufung unter Abstandnahme von dem herangezogenen Zurückweisungsgrund zu entscheiden.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Das der Klage stattgebende Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 31.Jänner 1989, 7 Cg 245/88-10, wurde dem Rechtsanwalt Dr.Werner Beck, der für die Beklagten unter Berufung auf die ihm erteilte Bevollmächtigung (§ 30 Abs. 2 ZPO) im Verfahren eingeschritten war, am 22.Februar 1989 zugestellt. Am 21.März 1989 - also noch innerhalb der Berufungsfrist (§ 464 Abs. 1 ZPO) - beantragten beide Beklagte persönlich die Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Beigebung eines Rechtsanwaltes; ihrem Antrag hatten sie u.a. ein Schreiben ihres bevollmächtigten Rechtsanwaltes beigelegt, in welchem er ihnen über das Ersturteil Mitteilung gemacht und erklärt hatte, daß er nicht in der Lage sei, die Berufung einzubringen, wenn nicht in seiner Kanzlei ein Kostenvorschuß von S 50.000 erlegt würde. Mit Beschluß vom 22.März 1989, ON 13, bewilligte das Erstgericht den Beklagten die Verfahrenshilfe; Dr.Werner Beck wurde - auf ihren Wunsch - zum Vertreter der Beklagten bestellt. Nachdem ihm dieser Bescheid (§ 67 ZPO) am 11.April 1989 zugestellt worden war, überreichte er die Berufungsschrift am 9.Mai 1989.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Gericht zweiter Instanz die Berufung als verspätet zurück. Die in § 464 Abs. 3 ZPO vorgesehene Fristerstreckung komme nur jenen Parteien zustatten, die nicht in der Lage sind, selbst einen Bevollmächtigten zu wählen; sei aber die die Verfahrenshilfe beantragende Partei schon durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten, dann sei § 464 Abs. 3 ZPO nicht anzuwenden. Für eine Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zwischen den Beklagten und Dr.Beck fehle jeder Hinweis.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von den Beklagten erhobene Revisionsrekurs (richtig: Rekurs) ist zulässig (§ 519 Abs. 1 Z 1 ZPO) und berechtigt. Für eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei, die innerhalb der Frist des § 464 Abs. 1 ZPO die Bestellung eines Rechtsanwaltes beantragt hat, beginnt die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Urteilsausfertigung zu laufen (§ 464 Abs. 3 ZPO). Durch diese Schutzbestimmung soll die Partei vor denjenigen Nachteilen bewahrt werden, die sich für sie im Nichtanwaltsprozeß dadurch ergeben können, daß im Berufungsverfahren die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist (Fasching, ErgBd 54). Diese Nachteile drohen aber der Partei nicht nur dann, wenn sie bisher noch nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war, sondern - selbst im Anwaltsprozeß - auch dann, wenn das Vertretungsverhältnis mit ihrem bisherigen Rechtsvertreter durch Kündigung oder Widerruf vor der Urteilszustellung erloschen ist (Fasching aaO 55); das gleiche muß auch dann gelten, wenn der frei gewählte Rechtsanwalt die Vollmacht erst während des Laufes der Rechtsmittelfrist gekündigt hat. Nach dem Schutzzweck des § 464 Abs. 3 ZPO kommt es nämlich nicht darauf an, ob der bisherige Rechtsvertreter der Parteien nach § 36 Abs. 2 ZPO verpflichtet ist, für sie weiter einzuschreiten, um sie vor Rechtsnachteilen zu bewahren, sondern darauf, daß die Partei im Hinblick auf ihre Vermögenslage außerstande ist, die mit einer weiteren rechtsfreundlichen Vertretung verbundenen finanziellen Lasten ohne Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts zu tragen (SZ 48/93). Ob in der Erklärung des Beklagtenvertreters, er werde die Berufung nur dann einbringen, wenn ihm die Beklagten innerhalb der Rechtsmittelfrist einen Kostenvorschuß zahlen, nicht schon eine (bedingte) Kündigung des Vollmachtsverhältnisses gelegen war, braucht aber hier nicht untersucht zu werden: Nach ständiger Rechtsprechung hat das Prozeßgerichh eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei, welche die Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragt, über die allfällige Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter zu befragen; unterläßt dies - wie hier - das Prozeßgericht und entscheidet es sofort im Sinne des von der Partei gestellten Antrages, so ist davon auszugehen, daß der vorgenannte Antrag der Partei auch die Anzeige des Erlöschens des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter in sich schließt, ginge es doch nicht an, einen dem Gericht unterlaufenen Fehler der Partei anzulasten (SZ 48/93; RZ 1987/9 u.a.). Ob dann, wenn das Vollmachtsverhältnis zu dem frei gewählten Anwalt aufrecht bleibt, § 464 Abs. 3 ZPO nicht anwendbar ist (in diesem Sinne Fasching aaO 54; 1 Ob 744/78; 6 Ob 799/80; gegenteilig 3 Ob 551/89), muß hier nicht beantwortet werden.

Da im vorliegenden Fall § 464 Abs. 3 ZPO jedenfalls anzuwenden ist und die Berufung innerhalb der mit der Zustellung des Bestellungsbescheides an den Rechtsanwalt Dr.Werner Beck in Lauf gesetzten Frist überreicht wurde, war der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz die Entscheidung über das Rechtsmittel aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E19489

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0040OB00616.89.1205.000

Dokumentnummer

JJT_19891205_OGH0002_0040OB00616_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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