TE OGH 1989/12/21 6Ob715/89

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Veröffentlicht am 21.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Friedrich Hans M***, geboren am 27. März 1949 in Linz, Bildender Künstler, Wien 9., Porzellangasse 12/15, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch und Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Sylvia Maria M***, geboren am 15. Januar 1945 in Graz, Freischaffende Künstlerin, Graz, Beethovenstraße 18, vertreten durch Dr. Friedrich Piffl-Percevic, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 19. Juni 1989, GZ 6 R 244/88-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 27. Juli 1988, GZ 17 Cg 114/86-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 617,70 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 9. Oktober 1980 die Ehe geschlossen. Für den damals 31 Jahre alten Mann handelte es sich um die erste, für die um vier Jahre ältere Frau um die dritte Eheschließung. Bereits wenige Wochen nach der Eheschließung zog der Mann Mitte November 1980 aus der Wohnung der Frau fort. Seither ist die eheliche Gemeinschaft der Streitteile aufgehoben. Ihrer Verbindung entstammen keine Kinder.

Am 3. April 1986 stellte der Mann klageweise ein auf § 55 EheG gegründetes Scheidungsbegehren. Diesem reihte er in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 19. Juni 1986 ein auf § 49 EheG gestütztes Scheidungsbegehren als Hauptbegehren voran. Dabei machte er persönliche Vernachlässigung des Ehepartners bei interesselosem und lieblosem Verhalten als schwere Eheverfehlung der Frau geltend. Nach dem Vorbringen des Mannes habe jeder der beiden Eheleute verschiedene Beziehungen zu Personen des anderen Geschlechtes unterhalten und dies dem Ehepartner auch nicht verhehlt. Eine länger dauernde, zumindest seit Herbst 1987 aufrechte ehewidrige Beziehung der Frau zu einem Mann erhob der Kläger ausdrücklich zum Scheidungsgrund.

Die Beklagte bestritt die ihr angelasteten Verfehlungen, widersetzte sich dem Scheidungshauptbegehren, stellte diesbezüglich den Antrag, die überwiegende Mitschuld des Klägers auszusprechen, und machte dabei als Eheverfehlungen des Mannes böswilliges Verlassen, Tätlichkeiten und eine Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau geltend. Darauf gründete die Beklagte auch einen zum Scheidungshilfsbegehren gestellten Antrag, das Alleinverschulden des Ehemannes gemäß § 61 Abs 3 EheG auszusprechen.

Das Prozeßgericht erster Instanz wies das auf § 49 EheG gegründeten Hauptbegehren ab, gab dem auf § 55 Abs 3 EheG gestützte Hilfsbegehren ebenso statt wie dem Antrag auf Ausspruch des Verschuldens nach § 61 Abs 3 EheG und schied die Ehe unter Ausspruch des alleinigen Zerrüttungsverschuldens des Klägers. Das Berufungsgericht ordnete eine Beweiswiederholung an, brachte gemäß § 281 a Z 1 ZPO die Beweisaufnahmeprotokolle über die im erstinstanzlichen Verfahren vernommenen Zeugen zur Verlesung und beschloß die neuerliche Vernehmung der Parteien. Dazu lud es auch die Beklagte mit ZPForm 44 zu der auf den 21. März 1989 erstreckten Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung. Im Verlaufe dieser Tagsatzung wurde der Kläger als Partei vernommen. Die Beklagte war dieser Tagsatzung ungeachtet postamtlicher Hinterlegung ihrer Ladung ferngeblieben. Ihr Vertreter entschuldigte dieses Fernbleiben mit einer bei der Beklagten aufgetretenen Backenschwellung und dem Warten auf den Abruf zu einer Kieferoperation. Das Berufungsgericht trug der Beklagten auf, bis 31. März 1989 durch ärztliche Bescheinigung die von ihr geltend gemachte Vernehmungsunfähigkeit nachzuweisen, beschloß für den Fall des Nachweises eine Erstreckung der mündlichen Berufungsverhandlung und schloß für den gegenteiligen Fall die mündliche Berufungsverhandlung. Die Beklagte unterließ die ihr aufgetragene Bescheinigung. Das Berufungsgericht sah sich nicht bestimmt, das Erscheinen der Beklagten zu ihrer Vernehmung durch Anwendung der im § 87 GOG vorgesehenen Beuge- und Zwangsmittel durchzusetzen, sondern erklärte vielmehr, das prozessuale Verhalten der Beklagten einer Würdigung gemäß § 381 ZPO zu unterziehen. Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil im Sinne einer Stattgebung sowohl des Scheidungshauptbegehrens als auch des Mitschuldantrages derart ab, daß die Ehe gemäß § 49 EheG aus dem Verschulden der Beklagten geschieden, gleichzeitig aber gemäß § 61 Abs 1 und 2 EheG bei einem Überwiegen der Mitschuld der Beklagten die Mitschuld des Klägers ausgesprochen wurde.

Dieser Entscheidung legte das Berufungsgericht einen in entscheidenden Punkten von den erstinstanzlichen Feststellungen abweichenden Sachverhalt zugrunde. Daraus ist hervorzuheben:

Die Beklagte war in den Jahren 1970 bis 1972 in erster Ehe mit einem Schriftsteller verheiratet. Dieser Verbindung entstammt ein Kind. Zur Zeit der Eröffnung der Veranstaltungsreihe Steirischer Herbst des Jahres 1979 heiratete sie zum zweiten Mal. Sie war freischaffende Fotografin.

Der Kläger war teilzeitbeschäftigter Assistenzlehrer an einer Kunstgewerbeschule, arbeitete freischaffend gemeinsam mit zwei Architekten in einem Atelier und oblag noch einem Architekturstudium.

Im August 1980 lernten die Streitteile einander durch den ersten Ehemann der Beklagten kennen. Die Beklagte war damals noch in zweiter Ehe verheiratet. Die Streitteile traten dessenungeachtet sofort zueinander in intime Beziehungen. Die Beklagte äußerte bald, nachdem sie den Kläger kennengelernt hatte, ihn zur Eröffnung der Veranstaltungsreihe Steirischer Herbst des Jahres 1980 zu ehelichen, weil sie ihren damaligen Ehegatten das Jahr zuvor auch zur Eröffnung dieser Veranstaltungsreihe geheiratet habe.

Dieser Ehemann traf die Streitteile in der Ehewohnung im Bett liegend an. Dabei stellte sich die Beklagte ihrem damaligen Ehemann gegenüber auf den Standpunkt, in ihrer Wohnung könne sie tun, was sie wolle, überdies wäre dessen Jahr um. Es sei an der Zeit, daß sie wieder heirate. Sie forderte ihren damaligen Ehemann zum Auszug aus der Ehewohnung auf.

Nach einvernehmlicher Scheidung ihrer zweiten Ehe heiratete die Beklagte den Kläger. Dazu äußerte sie, der Kläger wäre nun ihr Ehemann für das nächste Jahr. Sie nannte auch bereits einen Dramatiker als ihren nächsten Ehemann.

Demgemäß stellte sich der Kläger von vornherein ohne Einwand darauf ein, mit der Beklagten nur eine Ehe auf verhältnismäßig kurze Zeit einzugehen.

Ein dreitägige Hochzeitsreise nach Jugoslawien unternahmen die Streitteile unter Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Auf der Autobusrückfahrt waren beide alkoholisiert. Die Beklagte begann mit einem fremden Busfahrgast Streit. Der Kläger versuchte, sie zu beruhigen und davon abzubringen, auf ihren Widerpart mit ihrem Schuh einzuschlagen. Daraufhin schlug die Beklagte mit dem Schuh dem Kläger mehrmals auf den Kopf. Sie hielt ihm vor, ihre beiden ersten Ehemänner hätten sich für sie "durchgesetzt", er dagegen tue nichts. In diesem Zusammenhang beschimpfte die Beklagte den Kläger als Arschloch. Der Kläger empfand das Verhalten der Beklagten als ungewöhnlich und unverständlich. Die Beklagte aber fühlte sich dem Kläger gegenüber vollauf im Recht und bedauerte ihre Vorgangsweise keineswegs.

Ab Mitte Oktober 1980 hatte der Kläger wieder seinen Lehrverpflichtungen, von denen er bis dahin freigestellt gewesen war, an drei Tagen in der Woche nachzukommen. Infolge seiner freiberuflichen Tätigkeit und seiner Studien konnte er sich nicht länger der Beklagten in dem von ihr erwarteten Ausmaß widmen. Sie sah die mit der Berufstätigkeit des Klägers verbundenen Unvermeidlichkeiten nicht ein. Sie hielt dem Kläger dabei wiederholt ihren ersten Ehemann vor, der nach ihrer Darstellung 14 Tage arbeitete und davon einige Monate habe leben können. Die Beklagte nahm auch daran Anstoß, daß der Kläger an seinen Unterrichtstagen schon um 7 Uhr morgens die Wohnung verlassen mußte. Sie wollte sich mit den beruflichen Notwendigkeiten ihres Mannes nicht abfinden. Darüber kam es zu lautstark ausgetragenen Zerwürfnissen. Die Beklagte forderte vom Kläger, er möge sich eine andere Arbeit suchen.

Während der Kläger beruflich außer Haus weilte, hielt sich der von der Beklagten gerufene zweite Ehemann bei ihr in der Ehewohnung auf, um ihr bei den verschiedensten Verrichtungen an die Hand zu gehen. Dem Kläger erklärte die Beklagte dazu, ihr zweiter Ehemann besorge verschiedene Arbeiten für sie, bei Einkäufen trage er ihr die Tasche. Sie fügte hinzu, in ihrem Leben noch nie eine Tasche getragen zu haben. Der Kläger nahm die Anwesenheit des zweiten Ehemannes der Beklagten bei ihr hin.

Die Beklagte erschwerte dem Kläger ein Arbeiten in der Ehewohnung durch laute Lebensführung, insbesondere hohe Radiolautstärke. Auf Vorhaltungen des Klägers erklärte sie, er hätte ohnedies eine eigene Wohnung oder er möge in das Atelier gehen. Der Kläger hatte seine Mietwohnung im Hinblick auf die Eheschließung auf ein Jahr untervermietet.

Die Beklagte unterlag starken Stimmungsschwankungen. Sie war nicht gewillt, ihren Lebensrhythmus dem Berufsleben des Klägers anzupassen. Das führte zu immer heftigeren Streitigkeiten. Die Beklagte warf dem Kläger wiederholt seine berufliche Abwesenheit vor und erklärte in solchen Zusammenhängen, sie heirate den schon bei der Eheschließung als nächsten Heiratskandidaten genannten Dramatiker oder einen ihrer beiden ersten Ehemänner. Einem Kulturstadtrat, der als Auftraggeber den Kläger fernmündlich zu sprechen wünschte, herrschte die Beklagte bei einem Telefonanruf an, wie er dazu käme, sie so früh zu wecken; er möge den Kläger im Atelier suchen. Dem Kläger war dies als Auftragnehmer unangenehm. Die Beklagte erklärte ihm dazu aber lediglich, ein guter Künstler könne sich so etwas erlauben, er der Kläger, sei eben kein so guter Künstler wie sie.

Die Beklagte hielt dem Kläger vor, er sei weniger gescheit als ihr erster Mann, und bezeichnete den Kläger als letzten Arsch, Arschloch, Sauschädel. Sie hielt ihm vor, weil er kein Künstler sei, sei er so blöd und müsse arbeiten gehen.

Die Beklagte beschimpfte auch andere Telefonanrufer, die den Kläger zu sprechen wünschten.

Wiederholt äußerte sich die Beklagte gegenüber dem Kläger, bei der Wohnung handle es sich um ihre Wohnung.

Auf eine Äußerung der Beklagten, was er denn in ihrer Wohnung suche, sie hätte ihn nicht gerufen, er solle ihr die Wohnungsschlüssel geben und verschwinden, folgte ihr der Kläger die Wohnungsschlüssel aus und begab sich in das Atelier. Die Beklagte holte ihren Mann aber nach zwei Tagen wieder zurück. Nach einem gemeinsamen Gasthausbesuch war für den Kläger "die Sache erledigt". Die Beklagte fügte dem Kläger wiederholt blutende Kratzwunden zu. Einmal schnitt sie dem schlafenden Kläger den von ihm getragenen Schlafanzug auf, fügte dem Kläger Kratzspuren am Oberkörper zu und fotografierte ihn dann.

Die Beklagte störte durch laute Schallplatten- oder Radiomusik sowohl die Nachtruhe als auch häusliche Büroarbeiten des Klägers. In den darüber geführten Auseinandersetzungen pflegte die Beklagte dem Kläger vorzuhalten, es sei ihre Wohnung, der Kläger könnte ja in das Atelier gehen. Auf den Einwand des Mannes, daß sie sich dann ja sofort scheiden lassen könnten, erklärte ihm die Beklagte, dies könne er nicht, täte er es, würde er "seine Wunder erleben", es müsse alles so geschehen wie sie es wolle. Mitte November 1980 kam es in der Ehewohnung über das Ersuchen des Klägers, die Beklagte möge etwas Ruhe geben, damit er lesen könne, zu einer Auseinandersetzung. In deren Verlauf drehte die Beklagte dem Kläger den linken Arm nach rückwärts, so daß er mit der linken Hand einige Tage nicht richtig zeichnen konnte. Der Kläger trug auch blutende Kratzwunden am Rücken davon.

Da die unterschiedlichen Lebensweisen der Streitteile nicht aufeinander abzustimmen waren, entschloß sich der Kläger zum Verlassen der Wohnung. Mitte November 1980 gab er der Beklagten die Schlüssel zu deren Wohnung zurück und übersiedelte in das Atelier. Die Streitteile trafen einander in der Folge noch fallweise und unterhielten solcherart auch noch bis Pfingsten 1981 intime Beziehungen.

Zu Pfingsten 1981 verbrachte der Kläger mit Freunden ein paar Tage in Istrien. Während eines abendlichen Strandfestes erschien überraschend die Beklagte und gesellte sich zu den Männern. Mit der Erklärung, der Kläger sei noch ihr Ehemann, sie hätte ein Recht darauf, einmal im Jahr mit ihm geschlechtlich zu verkehren, begann sie ihn vor seinen Freunden zu entkleiden. Der Kläger widersetzte sich der Handlungsweise der Beklagten. Er streckte sich neben einem Lagerfeuer hin. Die Beklagte nahm einen großen Stein auf und machte Anstalten, diesen gezielt auf den Kopf des liegenden Klägers fallen zu lassen. Dies wurde nur durch die Dazwischenkunft eines aufmerksamen Freundes des Klägers abgewendet.

Im April 1982 versuchte die Beklagte durch Eintreten der Tür, sich gewaltsam Zutritt zum Atelier des Klägers zu verschaffen. Der Kläger drängte die Beklagte aus dem Atelier. Dabei entwickelte sich ein Handgemenge. Dazu hielt das Berufungsgericht fest, es habe nicht festgestellt werden können, daß der Kläger sich zu nennenswerten Tätlichkeiten gegenüber der Beklagten habe hinreißen lassen. Der Kläger trat nach seinem Auszug aus der Ehewohnung zu verschiedenen Frauen in intime Beziehung. Seit 1984 lebt er mit einer Frau in Lebensgemeinschaft.

Im August 1987 lernte die Beklagte einen Diplomingenieur kennen. Mit diesem unterhielt sie auch intime Beziehungen.

In rechtlicher Beurteilung dieses Sachverhaltes folgerte das Berufungsgericht:

Die Beklagte habe durch die festgestellten Tätlichkeiten und schweren Beschimpfungen, die wiederholte Aufforderung an den Mann, die Wohnung zu verlassen, und durch den offen bekundeten Mangel jeder Rücksichtnahme auf die beruflichen Verpflichtungen des Mannes schwere Eheverfehlungen begangen und damit ein gedeihliches Zusammenleben mit dem Kläger von Beginn der Ehe an unmöglich gemacht. Damit habe sie eine Zerrüttung der Ehe eingeleitet. Die Ehe sei seit dem Vorfall zu Pfingsten 1981 nicht wieder herstellbar. Infolge Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sei der Anspruch des Klägers auf Ehescheidung wegen der festgestellten Verfehlungen der Beklagten nicht erloschen. Andererseits sei es dem Kläger nicht als Eheverfehlung anzulasten, daß er unter den festgestellten Umständen Mitte November 1980 aus der Ehewohnung ausgezogen sei. Wohl aber sei ihm als schwere Eheverfehlung zuzurechnen, daß er nach seinem Auszug aus der Ehewohnung intime Beziehungen zu anderen Frauen aufgenommen habe, während er noch fallweise geschlechtlichen Kontakt mit seiner Frau aufrecht erhalten habe. Das ehebrecherische Verhalten des Klägers sei nicht ohne Einfluß für die schließlich eingetretene Unheilbarkeit der Ehezerrüttung geblieben. Es müsse aber nach den vorausgegangenen, die Zerrüttung auslösenden schuldhaften Verhaltensweisen der Beklagten ungeachtet der Schwere der Verfehlung an sich gegenüber dem Gesamtverhalten der Beklagten milder gewertet werden. Gleiches gelte für die seit 1984 aufrechterhaltene Lebensgemeinschaft des Klägers mit einer anderen Frau. Das Hauptbegehren des Klägers auf Scheidung der Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen der Beklagten gemäß § 49 EheG bestehe entgegen der erstrichterlichen Beurteilung zu Recht. Auch der von der Beklagten gestellte Mitschuldantrag sei berechtigt. Entgegen dem Prozeßstandpunkt der Beklagten sei aber nicht ein Überwiegen des Verschuldens des Klägers, sondern ein Überwiegen ihres Verschuldens auszusprechen.

Die Beklagte ficht das abändernde Berufungsurteil unter Geltendmachung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen, an.

Der Kläger strebt die Bestätigung der angefochtenen Enscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin stellt ihren Ausführungen zur Rechtsrüge, ohne ausdrücklich den Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend zu machen, Bemerkungen zur Parteienvernehmung im Rahmen der berufungsgerichtlichen Beweiswiederholung voran. Zu den damit aufgeworfenen Verfahrensfragen ist zu entgegnen:

Im Zuge des erstinstanzlichen Beweisverfahrens wurden unter anderem beide Streitteile als Parteien vernommen. Der Kläger bemängelte in seiner Berufung mit den Ausführungen zur Beweisrüge nahezu sämtliche für die Beurteilung des Klagebegehrens erheblichen Feststellungen. Das Berufungsgericht beschloß eine Beweiswiederholung, begnügte sich in Ansehung der Zeugenaussagen im Sinne des § 281 a ZPO mit einer Verlesung der Beweisaufnahmeprotokolle, lud aber beide Streitteile zur Parteienvernehmung zu einer erstreckten Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung. Bei dieser wurde der Kläger vernommen. Die Beklagte war ungeachtet ausgewiesener Ladung nicht erschienen. Ihr Vertreter brachte vor, daß sie eine Backenschwellung habe, auf den Abruf zu einer Kieferoperation warte und deshalb der Ladung nicht habe Folge leisten können. Das Berufungsgericht trug der Beklagten auf, ihre Vernehmungsunfähigkeit durch eine bis 31. März 1989 vorzulegende ärztliche Bescheinigung nachzuweisen. Für den Fall, daß diese Bescheinigung ausbleiben sollte, schloß es die Berufungsverhandlung. Damit gab das Berufungsgericht unmißverständlich zu erkennen, daß es sich nicht veranlaßt sah, von der gemäß § 460 Z 1 zweiter Satz ZPO bestehenden Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Beklagte unter Anwendung der im § 87 GOG vorgesehenen Ordnungsstrafen zum Erscheinen vor dem Berufungsgericht zu nötigen oder ihre zwangsweise Vorführung anzuordnen. Die durch das Bundesgesetz vom 11. November 1983 über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechtes, BGBl. Nr. 566 formulierte Fassung des § 460 Z 1 ZPO bezweckte zwar die Übernahme der Regelung nach § 12 JMV vom 9. Dezember 1897 betreffend das Verfahren in streitigen Eheangelegenheiten, RGBl. Nr.283, erfuhr aber gleichzeitig gegenüber der Vorgängerbestimmung insofern eine wesentliche Einengung des praktischen Anwendungsbereiches, als das im § 12 JMV umschriebene Erfordernis des persönlichen Erscheinens der Parteien (Wichtigkeit für die amtliche Untersuchung) in den nicht im § 460 Z 4 ZPO erwähnten Verfahren, also insbesondere im Verfahren über ein Scheidungsbegehren, nur noch höchst ausnahmsweise gegeben sein wird (etwa bei der amtswegigen Prüfung der Prozeßfähigkeit, der Prüfung von Prozeßvoraussetzungen, unter Umständen auch von Statusfragen im Zusammenhang mit einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung). Soweit also, wie im vorliegenden Fall der berufungsgerichtlichen Beweiswiederholung, das Erscheinen der Partei vor Gericht ausschließlich Beweisaufnahmezwecken dienen soll, besteht im Scheidungsverfahren (seit dem Wegfall einer dem § 10 JMV entsprechenden Regelung) grundsätzlich kein Bedarf, das Erscheinen einer Partei zwangsweise durchzusetzen. Die Regelung des § 460 Z 1 ZPO ist damit vornehmlich (vgl. die oben erwähnten Fälle amtswegiger Prüfung) auf die im § 460 Z 4 ZPO genannten Verfahren beschränkt. Das Ausbleiben einer zu ihrer Vernehmung geladenen Partei ist im Scheidungsverfahren, wie im allgemeinen Zivilprozeß auch, gemäß § 381 ZPO zu würdigen. War die Anordnung der Beweisaufnahme fehlerfrei, ist die gebotene Würdigung aller Umstände reine Beweisfrage, die einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen bleibt.

Die Revisionswerberin hätte sich daher nicht dadurch beschwert erachten können, daß das Berufungsgericht aufgrund ihres Ausbleibens von der zu ihrer Vernehmung erstreckten Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung ihre Aussage als nicht mehr zur Verfügung stehendes Beweismittel im Sinne des § 281 a Z 2 ZPO oder zumindest analog diesem Fall behandelt und das Protokoll über ihre im erstinstanzlichen Verfahren abgelegte Aussage vor dem Berufungsgericht zur Verlesung gebracht hätte. Daß dies unterblieb, wurde nicht als Verfahrensmangel gerügt. Inhaltlich hat das Berufungsgericht der im Zuge der Beweiswiederholung abgelegten Aussage des Klägers Glauben geschenkt, weil es das Ausbleiben der Beklagten unter Berücksichtigung aller im Verfahren hervorgekommenen Umstände zu ihrem Nachteil würdigte. Darunter ist auch die Würdigung der Tatsache und des Inhaltes der von der Beklagten in erster Instanz abgelegten Aussage zu verstehen.

Zu der der Sache nach angedeuteten Nichtigkeit des angefochtenen Urteiles wegen Verstoßes gegen die Rechtskraft sei lediglich angemerkt:

Das Prozeßgericht erster Instanz hat das auf § 49 EheG gestützte Hauptbegehren des Klägers abgewiesen und dem auf § 55 EheG gestützten Scheidungshilfsbegehren stattgegeben. Der Kläger hat die Abweisung seines Hauptbegehrens erfolgreich mit Berufung bekämpft. Mit der Stattgebung des Hauptbegehrens entfiel die Voraussetzung für eine Entscheidung über das hilfsweise, nur für den Fall der Abweisung des Hauptbegehrens, gestellte Begehren. Mit der Abweisung des Hauptbegehrens bekämpfte der Kläger daher zwangsläufig auch die angenommene Voraussetzung für eine Entscheidung über sein Hilfsbegehren. Entgegen der in der Revision im Abschnitt A dargelegten Erwägungen ist der Ausspruch über die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 3 EheG nicht in Rechtskraft erwachsen. Die Rechtsrüge ist nicht stichhältig.

Schon das Prozeßgericht erster Instanz hat zutreffend ausgeführt, daß im anhängigen Scheidungsverfahren eine etwaige zeitliche oder inhaltliche Einschränkung der Willenserklärungen zur Eheschließung als solche für die sich aus der Eingehung der Ehe ergebenden wechselseitigen Rechtspflichten unerheblich bliebe. Daß der Kläger ehewidriges Verhalten der Beklagten gar nicht als kränkend empfunden hätte, wurde nicht eingewendet.

Wohl aber machte die Beklagte Verzeihung und Verlust des Scheidungsanspruches durch Fristablauf geltend.

Nach der eindeutigen und keiner weiteren Ergänzung bedürftigen Feststellung ist der Kläger wenige Wochen nach der Eheschließung bereits Mitte November 1980 aus der Wohnung der Beklagten ausgezogen. Seither leben die Streitteile voneinander getrennt. Damit ist ihre häusliche Gemeinschaft seit November 1980 aufgehoben. Daran ändern auch fallweise intime Beziehungen der Eheleute bis Pfingsten 1981 nichts. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsirrtum von einer Hemmung des Fristenlaufes nach § 57 Abs 1 dritter Satz EheG ausgegangen.

Die festgestellten fallweisen geschlechtlichen Beziehungen der in ihrer getrennten Lebensführung verharrenden Streitteile gestatteten für sich allein entgegen den Revisionsausführungen keinesfalls den Schluß auf eine Verzeihung.

Das Berufungsgericht hatte den von ihm im Rahmen des Parteienvorbringens als erwiesen festgestellten Sachverhalt rechtlich zu würdigen. Bei der sich daraus ergebenden Rechtsgestaltung oder Feststellung hatte es sich innerhalb der durch die Entscheidungsanträge gezogenen Grenzen zu halten. Die Rechtsmittelwerberin kritisiert die berufungsgerichtliche Wendung, daß bei der neuen Tatsachengrundlage auch der Rechtsrüge des Klägers teilweise Berechtigung zukomme. Die Schlüssigkeit dieser Formulierung kann auf sich beruhen. Entscheidend ist lediglich, daß das Berufungsgericht den ihm funktionell zustehenden Aufgabenkreis nicht überschritten, seine Entscheidungspflicht voll wahrgenommen und dabei ohne Rechtsirrtum entschieden hat.

Nach den getroffenen Feststellungen ist der Beklagten vor allem als schwere Eheverfehlung anzulasten, daß sie nicht gewillt war, ihren gewohnten Tagesrhythmus und allgemeinen Lebensstil an die durch das Erwerbsleben ihres Ehepartners gegebenen Notwendigkeiten auch nur im geringsten anzupassen, in einer egoistischen, jeden partnerschaftlichen Sinn vermissenden Weise ausschließlich ihre eigenen Meinungen und Interessen gelten ließ und ihren Ehemann nicht zuletzt durch kränkende Vergleiche mit ihren früheren Ehemännern herabsetzte und schließlich aus der Wohnung wies, wobei sie bezeichnenderweise ihr selbstsüchtiges Verhalten - wie schon beim Ehebruch mit dem Kläger gegenüber ihrem zweiten Ehemann - damit zu rechtfertigen suchte, daß sie in ihrer Wohnung tun und lassen könne, was ihr beliebe.

Diese Verhaltensweisen stellen sich nach dem zugrundezulegenden Sachverhalt weder als unmittelbare Folge einer Alkoholisierung eines der beiden Streitteile oder beider dar, noch steht dieses Gesamtverhalten mit einer solchen Alkoholisierung in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die diesbezüglich gerügten Feststellungsmängel liegen nicht vor. Das Unterbleiben von Feststellungen ungeachtet vorliegender Beweisergebnisse vermag im übrigen entgegen den Revisionsausführungen niemals den Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit zu erfüllen.

Soweit sich die Anschauungen beider Ehepartner decken, bestimmen sie innerhalb der durch das Strafgesetz gezogenen Grenzen ihren Lebensstil autonom. Aus dem zugrundezulegenden Sachverhalt kann aber nicht der Schluß gezogen werden, daß der Kläger mit der oben charakterisierten Grundeinstellung der Beklagten ihm gegenüber jemals einverstanden gewesen sei. Die Rechtsmittelausführungen gehen an diesem entscheidenden Punkt vorbei, wenn sie sich darüber verbreitern, daß der Kläger den bohemienhaften Lebensstil der Beklagten schon vor der Eheschließung gekannt, diesen nicht nur hingenommen, sondern auch selbst angenommen habe, so daß er ihn der Beklagten nicht zum Vorwurf machen könne. Unabhängig von der Lebensweise eines Ehepaares, die im oben erwähnten Umfang der höchstpersönlichen Gestaltung unterliegen mag, bleibt immer die eherechtliche Verpflichtung jedes Eheteiles zur Rücksichtnahme auf die Person des anderen in partnerschaftlicher Gesinnung aufrecht. Daran hat es die Beklagte mit ihrem vom Beginn der Ehe an bekundeten Gesamtverhalten gegenüber dem Kläger in einer so grundlegenden Weise fehlen lassen, daß die durch einen beiderseits nur eingeschränkt vorhandenen Willen zur dauerhaften Partnerschaft gekennzeichnete Bereitschaft zur gemeinsamen Lebensführung schon nach wenigen Wochen nahezu gänzlich geschwunden war und nach der bereits anläßlich der Eheschließung geäußerten Einstellung der Beklagten, bloß eine Ehe auf Zeit zu beabsichtigen, nur noch theoretische Chancen auf eine (Wieder-)Herstellung einer echten Lebensgemeinschaft bestanden.

Aus diesem Grunde liegt auch in der Abwägung der beiderseitigen zerrüttungskausalen Eheverfehlungen durch das Berufungsgericht kein Rechtsirrtum. Ungeachtet des Umstandes, daß wiederholte Verletzung der ehelichen Treue im allgemeinen von besonderer Nachhaltigkeit für den Eintritt oder die Vertiefung einer Ehezerrüttung und die Eingehung einer ehebrecherischen Lebensgemeinschaft von besonderem Einfluß auf die Endgültigkeit einer Ehezerrüttung zu sein pflegen, ist das für den schon wenige Wochen nach der Eheschließung erfolgten Auszug des Klägers aus der Ehewohnung ursächliche ehewidrige Verhalten der Beklagten augenfällig von viel entscheidender Bedeutung gewesen.

Der Revision war aus diesen Erwägungen in jeder Hinsicht ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E19527

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0060OB00715.89.1221.000

Dokumentnummer

JJT_19891221_OGH0002_0060OB00715_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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