TE OGH 1990/2/22 7Ob519/90

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Veröffentlicht am 22.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Agnes B***, Gastwirtin, St. Georgen in der Klaus Nr. 2, vertreten durch DDr. Peter Stern, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Franz B***, Kraftfahrer, St. Georgen in der Klaus Nr. 2, vertreten durch Dr. Wolfgang Pils, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 9. Mai 1989, GZ 15 R 70/89-28, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 30. Dezember 1988, GZ 3 Cg 427/86-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich weiteren Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Die Streitteile haben am 12. April 1976 die Ehe geschlossen. Der Ehe, die für beide Parteien die erste war, entstammen die Kinder Hubert, geb. am 12.8.1976, und Irmgard, geb. am 15.3.1982. Ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten die Streitteile, die österreichische Staatsbürger sind, in St. Georgen in der Klaus, Niederösterreich.

Die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge nur Klägerin genannt) begehrte mit der am 17.11.1986 eingelangten Klage die Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG. Der Beklagte und Widerkläger (in der Folge nur Beklagter genannt) verhalte sich ihr gegenüber lieblos und aggressiv. Er beschimpfe sie, verbringe seine Freizeit außer Haus und vernachlässige seine Unterhaltspflicht sowohl ihr, als auch den Kindern gegenüber.

Der Beklagte hat zunächst die Abweisung der Klage, für den Fall der Ehescheidung den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin beantragt. Am 11.2.1988 erhob er Widerklage und begehrte seinerseits die Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG. Die Klägerin habe ohne Wissen des Beklagten große Schulden gemacht und dadurch die wirtschaftliche Existenz der Familie gefährdet. Versuche des Beklagten, die Schulden durch den Verkauf eines Teils des Liegenschaftsbesitzes der Streitteile abzuwehren, seien an der ablehnenden Haltung der Klägerin gescheitert. Die Klägerin beschimpfe den Beklagten; sie habe ihn mehrfach aus der ehelichen Wohnung ausgesperrt und habe mehrfach für ihn nicht gekocht und gewaschen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden beider Teile und traf folgende Feststellungen:

Die Streitteile waren je zur Hälfte Eigentümer eines landwirtschaftlichen Grundbesitzes. Das Nutzungsrecht an den Liegenschaften stand der Klägerin allein zu; die Klägerin betrieb darauf auch eine Gastwirtschaft. Die monatlichen Einkünfte aus der Landwirtschaft betrugen S 7.000,-- an Milchgeld. Im Juli 1986 stellte die Klägerin die Viehwirtschaft allerdings ein. Die Einkünfte aus der Gastwirtschaft - in der auch die Mutter der Klägerin und ihre beiden Schwestern mitarbeiteten - betrugen im monatlichen Durchschnitt S 4.500,--. Der Beklagte war als Kraftfahrer tätig, sein Einkommen betrug S 20.000,-- bis S 25.000,-- vierzehnmal jährlich. An den Wochenenden arbeitete der Beklagte im Gasthaus der Klägerin. Während der Jagdzeit von Juni bis Mitte August und von September bis Ende Dezember ging der Beklagte an Samstagen und Sonntagen jedoch jeweils jagen. Im Winter ging er an den Wochenenden zur Fütterung in das Revier. Am Sonntagvormittag besuchte der Beklagte regelmäßig den "Jägerstammtisch". Deswegen, und weil der Beklagte am Sonntag manchmal länger liegen blieb, machte ihm die Klägerin wiederholt Vorwürfe; sie beschimpfte ihn als "faulen Hund", der nichts arbeiten wolle.

1978 begannen die Streitteile auf der gemeinsamen Liegenschaft mit dem Bau eines Hauses. Die Klägerin überzog den Kontokorrentkredit, der ihnen bei der Raiffeisenkasse Waidhofen a.d. Ybbs eingeräumt worden war. Als im Juni 1982 die offenen Schulden auf S 2 Mio. gestiegen waren, suchten Vertreter der Bank die Streitteile auf, um die Besicherung des Saldos und dessen Abdeckung zu erörtern. Der Beklagte erklärte den Vertretern des Institutes, er habe von den Schulden nichts gewußt.

Daueraufträge, die die Streitteile zur Abdeckung der Schulden gaben, verringerten diese kaum: Der Beklagte widerrief den von ihm erteilten Auftrag, auf seinem Konto einlangende Beträge zur Rückführung des Kredites zu verwenden, nach wenigen Monaten. Der Auftrag der Klägerin konnte schon nach zwei oder drei Buchungen nicht mehr durchgeführt werden, weil keine Beträge mehr auf ihrem Konto einlangten.

1984 wurden zwei Grundstücke der Streitteile zur Abwendung einer bereits damals drohenden Zwangsversteigerung verkauft; mit weiteren Veräußerungen waren die Klägerin und deren Mutter, die ein auf den Liegenschaften bücherlich eingetragenes Ausgedinge besaß, nicht einverstanden.

1983 oder 1984 entzog der Beklagte der Klägerin die Verfügungsberechtigung über sein Gehaltskonto. Ab diesem Zeitpunkt erhielt die Klägerin vom Beklagten kein Geld mehr. Im Juli 1984 zahlte der Beklagte S 108.000,--, um Exekutionen zur Einstellung zu bringen, und vereinbarte mit der Klägerin, daß er aus diesem Grund zwei Jahre hindurch keinen Unterhalt für die Kinder zahlen müsse. Wegen der finanziellen Schwierigkeiten kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen. Beide beschuldigten einander, zu wenig zur Schuldenabdeckung beizutragen. Im Zuge der Streitigkeiten beschimpfte vor allem die Klägerin den Beklagten, wobei sie Ausdrücke wie "fauler Hund", "Trottel", "Spinner" und wiederholt das Götzzitat gebrauchte. Es gab auch Meinungsverschiedenheiten zwischen der Mutter und den Schwestern der Klägerin einerseits und dem Beklagten anderseits, wobei die Klägerin stets gegen den Beklagten Partei ergriff und zu diesem sagte, er habe nichts zu reden, er gehöre unter den Tisch. Der Beklagte bezeichnete die Klägerin als "dumm".

Ab 1986 machte die Klägerin dem Beklagten Vorhaltungen, weil er keinen Unterhalt für die Kinder leiste. Der Beklagte erwiderte darauf: "Du kriegst von mir kein Geld, Deine Kinder können im Straßengraben verhungern".

Der Beklagte war zweimal zur Hirschjagd in Polen und unternahm fünf Jagdausflüge nach Ungarn.

In einem Verfahren vor dem Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs wurde der Beklagte 1988 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 5.400,-- ab dem 21.4.1987 an die Klägerin verurteilt. Zur Hereinbringung eines Unterhaltsrückstandes für die Zeit vom 21.4.1987 bis 1.10.1988 sowie auch zur Hereinbringung des Unterhalts für die Kinder wird gegen den Beklagten Gehaltsexekution geführt.

Am 28.11.1988 wurden die Liegenschaften der Streitteile über Betreiben der Raiffeisenkasse Waidhofen an der Ybbs zwangsversteigert. Der Zeitwert des Neubaues (Wohngebäude; der Hausbau war 1983 wegen der finanziellen Schwierigkeiten eingestellt worden) wurde im Zwangsversteigerungsverfahren mit rund S 3,800.000,-- ermittelt.

In der Folge stellte die Klägerin ihre Haushaltstätigkeit für den Beklagten zumindest teilweise ein. Sie kochte und wusch nicht oder nur in geringem Ausmaß für ihn. Der Beklagte zahlte der Klägerin kein Wirtschaftsgeld.

Im Mai 1988 nahm der Beklagte die Klägerin zu einem Jagdausflug nach Ungarn mit. Dabei nahmen die Streiteile ihre geschlechtlichen Beziehungen wieder auf und setzten sie auch danach fort. Mitte Juni 1988 kam es zwischen der Klägerin und dem Bruder des Beklagten zu einer Auseinandersetzung. Dabei ergriff der Beklagte zugunsten seines Bruders Partei, während die Schwester der Klägerin auf den Beklagten losging. Seither ist der Kontakt der Streitteile zueinander wieder abgerissen.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, es hätten beide Teile Eheverfehlungen iS des § 49 EheG begangen und dadurch schuldhaft die Ehe so tiefgreifend zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne. Die kurzfristigen Versöhnungsbemühungen im Mai/Juni 1988 hätten zur Wiederherstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht ausgereicht. Bei einer Abwägung der beiderseitigen Eheverfehlungen könne nicht gesagt werden, daß das Verschulden eines Teiles jenes des anderen weit überwiege.

Gegen die Entscheidung des Erstgerichtes beriefen beide Parteien jeweils mit dem Antrag, auszusprechen, daß den anderen Teil das überwiegende Verschulden treffe.

Die zweite Instanz gab nur der Berufung der Klägerin Folge und erkannte, daß das Verschulden den Beklagten allein treffe. Sie befaßte sich nicht mit den beiderseitigen Berufungsausführungen, sondern ging allein von der (unbekämpft gebliebenen) Feststellung des Erstgerichtes aus, die Streitteile hätten im Mai 1988 einen Jagdausflug nach Ungarn unternommen, dabei die geschlechtlichen Beziehungen wieder aufgenommen und bis Mitte Juni 1988 fortgesetzt. Das Berufungsgericht vertrat den Standpunkt, daß bei der Aufnahme einer mehrere Wochen dauernden Geschlechts- und Lebensgemeinschaft nicht davon gesprochen werden könne, es habe sich nur um einen Versöhnungsversuch gehandelt, der durch einen von einem Verwandten des Beklagten vom Zaun gebrochenen Streit fehlgeschlagen sei. Ein derartiges Zusammenleben stelle vielmehr ein Verhalten dar, das nicht nur dem Partner, sondern auch Dritten gegenüber in Erscheinung trete. Es sei deshalb davon auszugehen, daß die Streitteile einander verziehen hätten. Eine Verzeihung sei unwiderruflich. Zwar seien Eheverfehlungen für die Folgezeit nicht festgestellt worden, sodaß das Erstgericht die Scheidung der Ehe rechtsirrtümlich ausgesprochen habe. Doch wende sich die Klägerin erfolgreich gegen die unrichtige rechtliche Auffassung des Erstgerichtes, indem sie jegliches Verschulden an der Zerrüttung bestritten habe. Der Beklagte dagegen gestehe in seiner Berufungsschrift ein Mitverschulden zu. Dies führe zur Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes insoweit, als sein alleiniges Verschulden und nicht das überwiegende oder doch gleichteilige Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen worden sei, mit Revision aus den Revisionsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das überwiegende Verschulden der Klägerin, in eventu das gleichteilige Verschulden der Streitteile an der Ehescheidung ausgesprochen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Beklagte führt in der Revision aus, es hätten sich weder er, noch die Klägerin auf die kurzfristige Wiederaufnahme geschlechtlicher Beziehungen berufen und kein Vorbringen in Richtung einer Versöhnung oder Verzeihung erstattet. Beide Teile hätten vielmehr ihr Vorbringen vollinhaltlich aufrecht erhalten, die tiefgreifende und unheilbare Zerrüttung der Ehe zugestanden und die Ehescheidung aus dem alleinigen oder doch überwiegenden Verschulden des anderen Ehegatten angestrebt. Das Erstgericht habe keineswegs festgestellt, daß das von beiden Teilen festgestellte Verhalten, wie etwa die Beschimpfungen und Herabsetzungen der Klägerin gegenüber dem Beklagten, nach dem Mai 1988 ein Ende gefunden hätten. Gehe das Berufungsgericht davon aus, daß es im zweiten Halbjahr 1988 zu keinen schweren Eheverfehlungen der Klägerin mehr gekommen sei, weiche es von den erstgerichtlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung ab, so daß eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vorliege. Die kurzfristige Wiederaufnahme geschlechtlicher Beziehungen reiche nicht aus, um eine Verzeihung iS des § 56 EheG annehmen zu können. Abgesehen davon, daß es offensichtlich beiden Teilen am Bewußtsein, Eheverfehlungen zu verzeihen, völlig gefehlt habe, lasse die zweite Instanz außer Acht, daß das Wesen der Verzeihung in einem inneren Vorgang liege, wonach die Ehegatten vorbehaltlos bereit sein müssen, das Fehlverhalten des anderen nicht mehr als solches zu betrachten und die Ehe fortzusetzen. Die Wiederaufnahme geschlechtlicher Beziehungen allein rechtfertige nicht die Annahme einer Verzeihung. Darüber hinaus habe nach den Feststellungen des Erstgerichtes das Verhalten der Streitteile nach Mitte Juni 1988 keine Veränderung gegenüber der Zeit vor Mai 1988 erfahren. Es sei daher auch nach diesem Zeitpunkt zu Eheverfehlungen der Klägerin gekommen, die selbst unter der Annahme einer Versöhnung im Zusammenhang mit den vor Mai 1988 vorgefallenen pravierenden Eheverfehlungen (§ 59 Abs 2 EheG) zum Ausspruch eines Mitverschuldens der Klägerin führen müßten. Unter Ablehnung früherer gegenteiliger Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung RZ 1980/29 die Ansicht vertreten, es sei nicht nur auf Grund einer dahingehenden Einwendung des Beklagten, sondern auch von Amts wegen festzustellen, ob der auf Scheidung klagende Ehegatte das dem beklagten Teil zur Last gelegte Verhalten als ehezerstörend empfunden oder es verziehen habe, wenn eine solche Feststellung auf Grund des in Erscheinung getretenen Verhaltens des Klägers getroffen werden könne (ebenso Pichler in Rummel, ABGB, Rz 8 zu § 56 EheG). Dies wurde mit der grundsätzlichen Amtswegigkeit des Eheverfahrens, wie sie in den gemäß § 108 EheG anzuwendenden Vorschriften des Hofdekretes JGS Nr. 1595/1814 und der Verordnung des Justizministers vom 9.12.1897, RGBl. Nr. 283, zum Ausdruck komme, und mit der Regelung des § 77 der ersten DVzEheG über die Berücksichtigung von den Parteien nicht vorgebrachter Tatsachen insoweit, als sie geeignet sind, der Aufrechterhaltung der Ehe zu dienen, begründet.

Durch das Bundesgesetz über die Änderung des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechtes, BGBl. 1983/566, wurden allerdings unter anderem die Bestimmungen der §§ 108 EheG und 77 der ersten DVzEheG aufgehoben. Es wurde durch die neugeschaffene Bestimmung des § 460 Z 4 ZPO der Untersuchungsgrundsatz nur mehr für das Verfahren über die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe aufrecht erhalten; für das Scheidungs- und Aufhebungsverfahren wurde dieser Grundsatz wegen der Möglichkeit, sich im Einvernehmen scheiden zu lassen, nicht mehr für sinnvoll gehalten (AB 78, BlgNR 16. GP). Das bedeutet, daß das Gericht ohne entsprechendes Vorbringen nicht von Amts wegen zu prüfen hat, ob eine zur Stützung des Scheidungsbegehrens oder eines Mitschuldantrages vorgebrachte schwere Eheverfehlung in der Folge verziehen worden ist (1 Ob 685/88). Allerdings können Feststellungen über eine Versöhnung der Streitteile bei der rechtlichen Beurteilung, der das Verhalten der Ehegatten während der gesamten Ehe und insbesondere in der letzten Zeit zugrundezulegen ist, nicht unberücksichtigt bleiben (1 Ob 685/88).

Verzeihung liegt vor, wenn ein Ehegatte durch sein gesamtes Verhalten zum Ausdruck bringt, daß er das als Eheverfehlung empfundene Fehlverhalten seines Partners nicht mehr als solches betrachtet und vorbehaltlos bereit ist, mit ihm die Ehe fortzusetzen (EFSlg. 48.805). Es ist einerseits ein subjektiver innerer Vorgang, andererseits aber eine Äußerung dieses Vorganges, nicht notwendig gegenüber dem anderen Ehegatten, dahin, die Ehe fortsetzen zu wollen (Pichler aaO Rz 2). Bloßer Geschlechtsverkehr ohne ausdrücklichen Verzeihungswillen genügt nicht zur Annahme von Verzeihung (Pichler aaO). Geschlechtsverkehr schließt das Scheidungsrecht vielmehr nur aus, wenn er zum Ausdruck bringt, daß der gekränkte Ehegatte die Eheverfehlungen des anderen verziehen oder nicht als ehezerstörend empfunden hat, wobei der Beweis für eine Verzeihung dem schuldigen Ehegatten obliegt (EFSlg. 54.446 f.). In der Vollziehung eines Geschlechtsverkehrs ist eine Verzeihung nur dann zu erblicken, wenn aus dem Gesamtverhalten des gekränkten Ehegatten hervorgeht, daß er dadurch unzweideutig zum Ausdruck bringen wollte, die Eheverfehlungen des anderen Teils nicht mehr als solche zu empfinden (EFSlg. 51.636).

Das Erstgericht hat lediglich festgestellt, daß es im Mai und bis Mitte Juni 1988 zu geschlechtlichen Beziehungen der Streitteile gekommen sei, daß aber dann nach einem Streit der Kontakt der Streitteile zueinander wieder abgerissen sei. Abgesehen davon, daß jegliches Vorbringen der Streitteile - die doch beide geschieden werden möchten, sodaß ein derartiges Vorbringen von ihnen gar nicht zu erwarten ist - über eine Verzeihung fehlt, kommt in den getroffenen Feststellungen mit keinem Wort zum Ausdruck, daß sie die von ihnen geltend gemachten Eheverfehlungen einander verziehen und dies durch ihr Verhalten auch zum Ausdruck gebracht hätten. Verzeihung kann nach den Feststellungen daher nicht angenommen werden.

Da die zweite Instanz, ausgehend von einer anderen Ansicht, auf die Berufungen der Streitteile im übrigen nicht eingegangen ist, war die angefochtene Entscheidung im Verschuldensausspruch aufzuheben und dem Berufungsgericht insoweit eine neue Entscheidung aufzutragen. Es erübrigt sich aus diesem Grund, darauf einzugehen, weshalb das Berufungsgericht ungeachtet der von ihm vertretenen Ansicht, es liege Verzeihung vor und es sei zu Eheverfehlungen in der Folge nicht mehr gekommen, dem Scheidungsbegehren der Klägerin stattgegeben und ungeachtet der Bestimmung des § 405 ZPO überdies das Alleinverschulden des Beklagten ausgesprochen hat, obwohl die Klägerin nur den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten an der Ehescheidung beantragt hat. Es erübrigt sich aber auch, auf den ansonsten berechtigten Vorwurf der Revision einzugehen, das Berufungsgericht sei durch den seiner Entscheidung zugrundegelegten Sachverhalt von den erstinstanzlichen Feststellungen im Ergebnis abgewichen und habe damit den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

Anmerkung

E20373

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00519.9.0222.000

Dokumentnummer

JJT_19900222_OGH0002_0070OB00519_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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