Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Willibald K***, Gemeindebediensteter, Mühlviertel 7, 9470 St. Paul im Lavanttal, vertreten durch Dr. Johann Quendler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1) Rudolf H***, Gemeindebediensteter, Steinberg-Unterhaus 18, 9423 St. Georgen, und
2) C*** Versicherungs-AG, Börsegasse 14, 1013 Wien, beide vertreten durch Dr. Ulrich Polley und Dr. Helmut Sommer, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 126.830,-- und Feststellung (S 50.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 24. April 1989, GZ. 3 R 34/89-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14. Dezember 1988, GZ. 21 Cg 181/88-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 8.151,66 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 1.358,61, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist ebenso wie der Erstbeklagte bei der Marktgemeinde St. Paul im Lavanttal als Gemeindearbeiter beschäftigt. Am 17. September 1987 wurde der Kläger bei einem Arbeitsunfall verletzt. Er stürzte bei einer der Müllabfuhr dienenden Fahrt von der Ladefläche des LKW der Marktgemeinde St. Paul im Lavanttal mit dem Kennzeichen K 35.895, der vom Erstbeklagten gelenkt wurde und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert war.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 126.830,-- s.A. (das ist die Hälfte der behaupteten Ansprüche des Klägers an Schmerzengeld, Besuchs- und Fahrtkosten von insgesamt S 253.660,--); überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand - der Zweitbeklagten im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages - für 50 % seiner künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen darauf, daß den Erstbeklagten zumindest das überwiegende Verschulden an der Verletzung des Klägers treffe, weil er mit dem von ihm gelenkten LKW, obwohl sich der Kläger auf der Ladefläche befunden habe, mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h gefahren sei und das Fahrzeug ohne ersichtlichen Grund abrupt abgebremst habe. Dadurch sei der Kläger von der Ladefläche geschleudert worden. Dem Erstbeklagten sei gegenüber dem Kläger nicht die Stellung eines Aufsehers im Betrieb im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG zugekommen.
Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß ihre Verpflichtung zum Schadenersatz gegenüber dem Kläger nach § 333 Abs. 4 ASVG ausgeschlossen sei, weil dem Erstbeklagten gegenüber dem Kläger die Stellung eines Aufsehers im Betrieb im Sinne dieser Gesetzesstelle zugekommen sei. Der Erstbeklagte habe nicht nur den LKW zu lenken, sondern auch in einem beschränkten Bereich Aufgaben im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen gehabt. Im übrigen habe der Kläger seinen Unfall allein verschuldet, weil er ohne Kenntnis des Erstbeklagten auf der Ladefläche mitgefahren sei, obwohl er während der Fahrt auf dem hiefür vorgesehenen Plateau am hinteren Rand des LKW stehen und sich entsprechend festhalten hätte müssen. Der Erstbeklagte sei vor dem Unfall mit äußerst geringer Geschwindigkeit - höchstens mit Schrittgeschwindigkeit - gefahren und habe den LKW auch nicht abrupt abgebremst.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Müllabfuhr in der Marktgemeinde St. Paul im Lavanttal ist folgendermaßen organisiert:
Die Einteilung der Fahrer für die Müllabfuhr wird am Morgen jeweils vom Vorarbeiter getroffen. Dabei werden einem Fahrer zwei Müllarbeiter zugeteilt; diese Einteilung ist für alle Beteiligten bindend. Es ist grundsätzlich festgelegt, wo der Fahrer Müllsäcke abholen muß. Wie er im einzelnen von Haus zu Haus fährt, bleibt ihm selbst überlassen. Es hat sich aber eine gewisse optimale Route eingespielt. Wenn diese etwa wegen einer Umleitung nicht eingehalten werden kann, entscheidet der Fahrer, wie dann gefahren wird. Es kommt auch vor, daß die zugeteilten Müllarbeiter die Fahrtroute nicht kennen, sondern nur der Fahrer. Vor den jeweiligen Häusern bleibt er dann so stehen, daß die Müllarbeiter die Müllsäcke am leichtesten aufladen können. Wenn die Zufahrt schwierig ist, wird der Fahrer von den Arbeitern eingewiesen. Die Anzahl der aufgeladenen Säcke wird im Müllabfuhrbuch festgehalten, das straßen- und hausmäßig in Rubriken eingeteilt ist. Dieses Buch wird dem Fahrer von der Gemeinde (Amtsleiter, Vorarbeiter) übergeben und vom Fahrer geführt. Die Arbeiter rufen dem Fahrer zu, wieviele Säcke sie bei einem bestimmten Haus aufladen. Wenn mehrere Parteien in einem Haus wohnen und mehrere Müllsäcke von dort abzutransportieren sind, sind diese mit Namen beschriftet, die dem Fahrer bekanntgegeben werden. Dieser trägt sie dann in das Buch ein. Der Fahrer ist der Gemeinde gegenüber dafür verantwortlich, daß alle Müllsäcke ordnungsgemäß aufgeladen werden. Wenn irgendwo Säcke liegenbleiben, die die Arbeiter nicht aufgeladen haben, so ist es während der Fahrt Aufgabe des Fahrers, die Arbeiter anzuweisen, sie nachzuholen. Der Fahrer ist für alle besonderen Vorfälle Ansprechperson seitens der Gemeinde; ihr gegenüber ist er der "Partieführer" einer Müllabfuhrtruppe. Wenn es bei einer Fuhre gewisse Besonderheiten zu berücksichtigen gilt, teilt der Vorarbeiter dies dem Fahrer mit, der dann für die praktische Durchsetzung zu sorgen hat. Die Dauer einer Mülltour ist zeitlich begrenzt, weil die Arbeiter danach zu anderen Arbeiten eingeteilt sind. Für die rechtzeitige Beendigung einer Mülltour ist ebenfalls der Fahrer als alleinige Ansprechperson verantwortlich. Wie die Aufladetätigkeit im einzelnen erfolgt, wer auf der Ladefläche steht und wer von unten die Müllsäcke hinaufreicht, wird unter den Arbeitern grundsätzlich selbständig ausgemacht. Der Fahrer bleibt normalerweise im Führerhaus sitzen. Wenn alle Säcke aufgeladen sind, geben ihm die Arbeiter ein Zeichen zum Weiterfahren. Diese Organisation und Kompetenzverteilung bei der Müllabfuhr war auch am 17. September 1987 gültig. Der Erstbeklagte ist als Kraftfahrer, der Kläger und der Zeuge R*** sind als Arbeiter bei der Marktgemeinde St. Paul im Lavanttal beschäftigt. Der Erstbeklagte führte am Unfallstag die Eintragungen im Müllabfuhrbuch durch und fuhr jeweils auf Zeichen seiner Kollegen weiter. Als vor einem Haus sehr viele Müllsäcke lagen, stieg er aus und half dem Kläger und dem Zeugen R*** beim Aufladen. Später blieb er dann im Führerhaus sitzen und die Arbeiter beluden den LKW allein. Als der LKW bereits relativ voll war, stieg der Kläger auf die Ladefläche und die Säcke wurden ihm vom Zeugen R*** zugereicht. Der Kläger schlichtete die Säcke dann auf der Ladefläche. Es ist bei den Müllarbeitern vielfach üblich, daß ein Arbeiter auf der Ladefläche bleibt und nicht mehr auf die Standfläche am Heck des LKW zurücksteigt. Der Erstbeklagte konnte sich, als der LKW schon ziemlich voll beladen war, im Rückspiegel nicht mehr davon überzeugen, ob noch jemand auf der Ladefläche war, weil ihm die Müllsäcke schon die Sicht versperrten. Während eines Bremsvorganges bei einem Rückwärtsfahrmanöver des Erstbeklagten stürzte der Kläger von der Ladefläche des LKW zu Boden.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß dem Erstbeklagten gegenüber dem Kläger die Stellung eines Aufsehers im Betrieb zugekommen sei. Die Haftung der Beklagten, soweit sie Personenschäden betreffe, sei daher gemäß § 333 Abs. 1 und Abs. 4 ASVG ausgeschlossen. Das gelte auch für eine allfällige Haftung nach dem EKHG.
Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil S 300.000,-- nicht übersteigt und daß die Revision gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, mit der Vorschrift des § 333 Abs. 1 ASVG würden alle sich aus einem Arbeitsunfall ergebenden Schadenersatzansprüche, soweit sie Personenschäden betreffen und sich gegen den Arbeitgeber oder ihm Gleichgestellte richten, abschließend geregelt und damit alle anderen Haftungsgründe, insbesondere auch die Bestimmungen des ABGB, des EKHG oder anderer Haftpflichtvorschriften ausgeschlossen. Der auf Arbeitsunfälle beschränkten lex specialis des § 333 ASVG sei durch die später erlassene alle Arten von Unfällen umfassende lex generalis des EKHG nicht derogiert worden.
In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes werde die Frage nach der Aufsehereigenschaft eines Kraftfahrzeuglenkers im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG weitgehend unterschiedlich behandelt. Vorwiegend komme es darauf an, ob dem betreffenden Lenker ein gewisser Pflichtenkreis und eine mit Selbständigkeit verbundene Stellung zukomme. Dabei komme es auf die rangmäßige Stellung im Betrieb nicht an. Entscheidend sei nur die Funktion im Einzelfall. Im vorliegenden Fall habe der Erstbeklagte zur Zeit des Unfalles einen gemeindeeigenen LKW gelenkt, wobei ihm für die Aufladung der Müllsäcke zwei Arbeiter beigegeben worden seien. Der Erstbeklagte sei für das ordnungsgemäße Aufladen der Müllsäcke verantwortlich gewesen. Er habe auch für die rechtzeitige Beendigung der Mülltour zu sorgen gehabt und habe auch die Anzahl der aufgeladenen Säcke im Müllabfuhrbuch festhalten müssen. Die diesbezüglichen Anordnungen des Vorarbeiters - als Vertreter des Dienstgebers - seien im Rahmen der betrieblichen Organisation erfolgt und hätten der Erreichung des Betriebszweckes, nämlich dem Einsammeln der Müllsäcke, gedient. Der Erstbeklagte sei als Lenker des LKW ein Glied der betrieblichen Organisation und in dieser Eigenschaft im Rahmen eines dienstlichen Auftrages für einen - wenn auch geringen - organisatorischen Teil des Betriebes verantwortlich gewesen. Er habe hiebei nicht nur für die persönliche Sicherheit der mitfahrenden Arbeitskollegen zu sorgen, sondern darüber hinaus auch ihren Transport nach den Interessen des Betriebes sachgemäß durchzuführen gehabt. Daß der Erstbeklagte tatsächlich keine Weisungen gegeben habe, sei unerheblich. Wesentlich sei, daß er bei Absolvierung dieser Mülltour eine erweiterte Verantwortung zu tragen gehabt habe und daß ihm über die unmittelbare Durchführung dieser Tour ein Weisungsrecht zugestanden sei.
Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Rechtsprechung zur Frage der Aufsehereigenschaft eines Kraftfahrzeuglenkers - soweit überschaubar - nicht einheitlich sei.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagten haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist unzulässig.
Gemäß § 508a ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 3 ZPO nicht gebunden.
Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit, daß es an der für ihre Bejahung erforderlichen Voraussetzung des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO mangelt, weil die Entscheidung nicht von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.
Der Kläger versucht in seiner Rechtsrüge darzutun, daß bei seiner Meinung nach richtiger rechtlicher Beurteilung dem Erstbeklagten ihm gegenüber nicht die Stellung eines Aufsehers im Betrieb im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG zugekommen sei. Nach seit längerer Zeit völlig einhelliger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt es bei Beurteilung der Frage, ob jemand zum Unfallszeitpunkt Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG war, vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Unter diesem Gesichtspunkt ist insbesondere bei der Beförderung von Personen mit einem Kraftfahrzeug zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber noch darüber hinausgehende Befugnisse und Pflichten hatte. Wer etwa einen Auftrag seines Dienstgebers befolgt, Betriebsangehörige an einen bestimmten Arbeitsplatz zu befördern, hat einen wenn auch beschränkten Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszweckes dienen, also hinsichtlich der beförderten Betriebsangehörigen eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen und ist damit Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG. Maßgebend ist dabei, daß der beförderte Arbeitskollege hier im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener betrieblicher Aufgaben mitgenommen wird (SZ 57/189 uva; zuletzt etwa JBl. 1988, 117 mwN).
Das Berufungsgericht ist bei der Beurteilung der Frage der Aufsehereigenschaft des Erstbeklagten gegenüber dem Kläger im Unfallszeitpunkt im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG von diesen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Grundsätzen ausgegangen. Wenn es unter Anwendung dieser Grundsätze nach den im vorliegenden Einzelfall gegebenen Umständen die Aufsehereigenschaft des Erstbeklagten bejahte, kommt dem weder eine über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu noch ist darin eine wesentliche Verkennung der Rechtslage zu sehen, da diese Umstände die vom Berufungsgericht vorgenommene rechtliche Beurteilung durchaus rechtfertigen.
Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO ausgesprochen. Die vorliegende Revision des Klägers ist daher ungeachtet dieses Ausspruches zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben in ihrer Revisionsbeantwortung den vorliegenden Zurückweisungsgrund zutreffend geltend gemacht.
Anmerkung
E19979European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00007.9.0228.000Dokumentnummer
JJT_19900228_OGH0002_0020OB00007_9000000_000