TE OGH 1990/2/28 2Ob28/90

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Veröffentlicht am 28.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weiiere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*** U***- und S***-AG, Tegetthoffstraße 7, 1010 Wien,

vertreten durch Dr. R.Kaan, Dr. H.Cronenberg, Dr. H.Radl und Dr. St.Moser, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei G*** W*** V***-AG, Herrengasse 18-20,

8010 Graz, vertreten durch Dr. Stefan Herdey, Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 108.797,66 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 11. Oktober 1989, GZ. 2 R 167/89-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 26. Juni 1989, GZ. 6 Cg 387/88-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil und das Urteil des Erstgerichtes werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Anna W***, die eine Kollegin besuchen wollte, stellte ihren bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW am 8. Oktober 1985 auf einer Gemeindestraße in Ilz derart ab, daß das Fahrzeug 1,2 m in die 5,5 m breite Fahrbahn hineinragte. Es war dämmrig aber noch nicht finster. Anna W*** ging in das Haus hinauf und hörte kurz danach das Geräusch des Unfalles, der sich auf folgende Art ereignete: Ferdinand M*** fuhr mit seinem bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKW durch die Gemeindestraße (der abgestellte PKW befand sich in seiner Fahrtrichtung gesehen links). Obwohl Ferdinand M*** den mit einem Kleinmotorrad entgegenkommenden Josef G*** sah, setzte er zum Überholen eines Radfahrers an und überuhr dabei die Fahrbahnmitte um mindestens 90 cm. Josef G*** wollte am stehenden PKW vorbeifahren und konnte den Anprall an den noch in einer Linkslenkung befindlichen entgegenkommenden PKW nicht verhindern. Josef G*** erlitt hiebei schwere Verletzungen. Es ist ihm weder eine überhöhte Geschwindigkeit noch eine Reaktionsverspätung nachzuweisen. Ferdinand M*** wurde vom Strafgericht des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB schuldig erkannt, weil er den Unfall durch vorschriftswidrige und unvorsichtige Fahrweise, nicht genügende Rechtsfahrweise bei Begegnung, verschuldet hat. Mit Versäumungsurteil wurde der klagenden Partei gegenüber festgestellt, daß sie für sämtliche zukünftige Ansprüche des Josef G*** aus dem Unfall zu 75 % zu haften habe, wobei der Haftungsumfang durch die Höhe der für den PKW des Ferdinand M*** vereinbarten Versicherungssumme begrenzt ist.

Die klagende Partei brachte vor, Anna W*** treffe ein Mitverschulden von einem Drittel am Unfall, sie habe dadurch, daß sie auf einer Fahrbahn mit Gegenverkehr geparkt habe, obwohl nicht zwei Fahrstreifen für den fließenden Verkehr frei geblieben seien, gegen die Vorschriften der §§ 23 und 24 Abs. 3 lit. d StVO verstoßen. Die klagende Partei, die an Josef G*** Leistungen von S 320.343 erbrachte, fordert den Ersatz von einem Drittel dieses Betrages, das sind S 106.781. Außerdem begehrt sie die Feststellung, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für deren zukünftige Aufwendungen, welche sie aus dem Schadensfall an Josef G*** zu erbringen habe, im Ausmaß von einem Drittel haftet, wobei der Haftungsumfang der beklagten Partei durch die Höhe der zum Unfallszeitpunkt für das Kraftfahrzeug G 86.633 vertraglich vereinbarten Versicherungssumme begrenzt ist.

Die beklagte Partei bestritt ein Verschulden ihrer Versicherungsnehmerin. Diese habe ihr Fahrzeug nicht geparkt, sondern nur gehalten, überdies wäre trotz der Einengung der Fahrbahn durch das haltende Fahrzeug genügend Raum vorhanden gewesen. Der Unfall sei allein auf das Überholmanöver des Ferdinand M***, der die Fahrbahnmitte überschritten habe, zurückzuführen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, Anna W*** habe ihr Fahrzeug zwar entgegen der Vorschrift des § 24 Abs. 3 lit. d StVO abgestellt, doch dürfe nicht übersehen werden, daß es sich um eine völlig übersichtliche Situation gehandelt habe, bei der die am Unfall beteiligten Fahrzeuglenker einander und auch das geparkte Auto schon auf weite Sicht hätten erkennen und ihr Fahrverhalten schon frühzeitig auf die Situation hätten einstellen können. Josef G*** habe nicht annehmen können, daß der PKW-Lenker gerade zu diesem Zeitpunkt beginnen werde, den Radfahrer zu überholen und dabei um mindestens 0,9 m über die Fahrbahnmitte geraten würde. Bei diesem Verhalten des Ferdinand M*** handle es sich um ein derart grob verkehrswidriges Verhalten, daß das Verschulden der falschparkenden Anna W*** in den Hintergrund trete und vernachlässigt werden könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, den Feststellungen des Erstgerichtes sei nicht schlüssig zu entnehmen, daß Anna W*** ihr Fahrzeug mehr als 10 Minuten stehen gelassen und daher geparkt habe. Selbst unter der Voraussetzung, daß Anna W*** geparkt habe, sei ihr am Unfall kein Mitverschulden anzulasten. Voraussetzung einer Ersatzpflicht sei ein Rechtswidrigkeitszusammenhang. Es müssen Schäden eingetreten sein, die die übertretene Norm (auf Grund ihrer ratio) verhindern wolle oder denen das Gesetz "vorzubeugen" suche. Wo Halten erlaubt sei (wie hier), fehle wohl der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen unerlaubtem Parken und dem dadurch entstandenen Schaden, da es für den Geschädigten in der Regel gleich sein müsse, ob der verbotswidrig Haltende das Fahrzeug vor fünf oder 15 Minuten abgestellt habe. Ein Rechtswidrigkeitszusammenhang könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn das Fahrzeug bei Dunkelheit auf einer Vorrangstraße außerhalb des Ortsgebietes abgestellt gewesen wäre, da in einem solchen Fall nur die Risken eines vorübergehenden Stehenbleibens in Kauf genommen würden. Diese Umstände träfen aber auf den gegenständlichen Fall nicht zu.

Die klagende Partei bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise stellt die klagende Partei einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, wo Halten erlaubt sei, fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen unerlaubtem Parken und dem dadurch entstandenen Schaden, steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. So wurde in der Entscheidung ZVR 1982/94 der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, zwischen einem Verstoß gegen § 24 Abs. 3 lit. d StVO und dem Unfall bestehe kein Rechtswidrigkeitszusammenhang, ausdrücklich entgegengetreten und ausgeführt, die Vorschriften der §§ 23 und 24 StVO bezweckten nicht nur die bestmögliche Ausnützung der vorhandenen Flächen zum Halten und Parken, sondern auch die möglichst weitgehende Freihaltung der Fahrbahn, um die Sicherheit und Flüssigkeit des vorbeiflutenden Verkehrs zu gewährleisten. Daraus ergäbe sich für die Prüfung des sachlichen Schutzbereiches dieser Normen, daß insbesondere jene Arten von Kausalabläufen im Hinblick auf das geschützte Objekt vermieden werden sollten, die durch verbotswidriges Halten oder Parken zufolge der Verengung der Fahrbahn und Verringerung der Seitenabstände für die vorbeifahrenden Fahrzeuge entstünden. Die genannten Vorschriften stellten daher in diesem Sinne Schutznormen gemäß § 1311 ABGB dar. In ZVR 1983/195 (= SSt 53/48) wurde ausgesprochen, § 24 Abs. 3 lit. d StVO stelle eine das erlaubte Risiko (zeitmäßig) begrenzende Norm dar, die gezielt der mit der Dauer des Parkens wachsenden Gefahr von Unfällen entgegenwirken wolle. Es könne daher daraus, daß das Gesetz das (kurzfristige) Halten auf solchen Fahrbahnteilen erlaube und sich der Unfall möglicherweise auch bei einem solchen ereignet hätte, nicht auf einen fehlenden Risikozusammenhang geschlossen werden. Eine gegenteilige Ansicht läßt sich auch den vom Berufungsgericht angeführten Ausführungen Reischauers in Rummel, ABGB, Rz 12 zu § 1311 ABGB nicht entnehmen. Dieser Autor vertritt die Ansicht, verbotenes Längerparken in Kurzparkzonen (§ 25 StVO) stehe außerhalb des Rechtswidrigkeitszusammenhanges bezüglich eines Unfalles, er führt aber aus, anders mögen die Dinge dort liegen, wo nur die Risken vorübergehenden Stehenbleibens in Kauf genommen werden, so beim Parken nach § 24 Abs. 3 lit. d StVO.

Im Falle eines Verstoßes der Anna W*** gegen § 24 Abs. 3 lit. d StVO ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang daher zu bejahen, zumal durch den abgestellten PKW der Lenker des Kleinmotorrades daran gehindert wurde, am rechten Fahrbahnrand zu fahren, wodurch es zur Kollision mit dem entgegenkommenden PKW kommen konnte. Ein Verstoß gegen die auch das Halten verbietende Vorschrift des § 23 Abs. 1 StVO kann Anna W*** entgegen der Ansicht der klagenden Partei allerdings nicht angelastet werden. Gewiß wiegt das Verschulden des Ferdinand M***, der den links abgestellten PKW und das entgegenkommende Kleinmotorrad sah und trotzdem ein Überholmanöver begann, bei welchem er über die Fahrbahnmitte geriet, weitaus schwerer als das der Anna W***. So geringfügig ist ein in einem Verstoß gegen § 24 Abs. 3 lit. d StVO bestehendes Verschulden jedoch nicht, daß es hier vernachlässigt werden könnte. Es führt zwar nicht zu der von der klagenden Partei angestellten Haftung der beklagten Partei für ein Drittel der Unfallsfolgen, rechtfertigt aber eine Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Lasten der klagenden Partei. Die beklagte Partei haftet somit bei einem Verstoß ihrer Versicherungsnehmerin gegen § 24 Abs. 3 lit. d StVO für ein Viertel jener Beträge, die die klagende Partei dem geschädigten Lenker des Kleinmotorrades zu ersetzen hat.

Beizupflichten ist dem Berufungsgericht allerdings dahin, daß sich den Feststellungen nicht entnehmen läßt, ob Anna W*** tatsächlich geparkt und daher gegen § 24 Abs. 3 lit. d StVO verstoßen hat, weil sie das Unfallsgeräusch bereits kurze Zeit, nachdem sie ins Haus gegangen war, hörte. Es kann daher derzeit noch nicht beurteilt werden, ob das Fahrzeug zur Zeit des Unfalles bereits länger als die im § 2 Abs. 1 Z 27 StVO angeführte Zeit, für die der Gesetzgeber die Herbeiführung eines Risikos durch eine Verengung der Fahrbahn auf weniger als zwei Fahrstreifen in Kauf nimmt, abgestellt war.

Die Urteile der Vorinstanzen mußten daher aufgehoben werden, das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren eine ergänzende Feststellung in der aufgezeigten Richtung zu treffen haben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E19983

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00028.9.0228.000

Dokumentnummer

JJT_19900228_OGH0002_0020OB00028_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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