TE OGH 1990/3/9 8Ob530/90

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Veröffentlicht am 09.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Graf und Dr. Schalich als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei SUN I*** O*** LTD., Direktion für Österreich, Universitätsstraße 5, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Robert Aspöck, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei B*** A*** AG, 6020 Innsbruck, Rennweg 10 a, vertreten durch Dr. Herbert Hillebrand und Dr. Walter Hehl, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen restlicher S 487.046,75 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 9. November 1989, GZ 2 R 341/89-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20. Juni 1988, GZ 10 Cg 119/88-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.317,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 2.886,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10.4.1986 gegen 23,55 Uhr ereignete sich auf der Brenner-Autobahn auf der Lueg-Brücke ein Verkehrsunfall, an dem das Fahrzeug mit dem polizeilichen Kennzeichen T 20.428 des Egon H***, gelenkt von Hermann K***, und ein Fahrzeug der J. D***-KG beteiligt waren. Die klagende Partei bezahlte als Kaskoversicherer H*** diesem den dabei entstandenen Schaden von S 408.481,-- und als dessen Haftpflichtversicherer der J. D*** KG deren Schaden von S 251.496,--.

Die klagende Partei begehrte von der beklagten Partei die Bezahlung des Betrages von 489.917,75 S sA. Sie lastete dieser einen Verschuldensanteil am Unfall von drei Viertel an, weil sie es trotz der ungünstigen Temperatur- und Witterungsverhältnisse unterlassen habe, für einen verkehrssicheren Zustand der Mautstraße zu sorgen. Das von Hermann K*** in Fahrtrichtung Brenner gelenkte Fahrzeug sei infolge Eisglätte ins Schleudern geraten, habe die Mittelleitschiene durchstoßen und sei in der Folge auf der Gegenfahrbahn mit dem entgegenkommenden Fahrzeug der J. D*** KG zusammengestoßen. Drei Viertel der von der klagenden Partei ersetzten Schäden ergäben den Klagebetrag.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie sei passiv nicht legitimiert. Die zuständigen Erhaltungsorgane hätten ihre Streupflicht nicht verletzt. Die Schneeräumgeräte seien deshalb nicht ausgerückt, weil die Schneehöhe bis gegen Mitternacht so gering war, daß deren Einsatz nicht zweckmäßig erschien. Der Unfall sei auf das kraftfahrtechnische Fehlverhalten des Lenkers Hermann K*** zurückzuführen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 487.046,75 sA statt und wies die Klage hinsichtlich eines Mehrbegehrens von S 2.871,-- zurück. Das Berufungsgericht änderte im ersten Rechtsgang die Entscheidung des Erstgerichtes ab und wies das noch offene Klagebegehren von S 487.046,75 sA mangels Passivlegitimation der beklagten Partei ab. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und hob das berufungsgerichtliche Urteil auf, weil die Passivlegitimation der beklagten Partei im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichtes gegeben sei. Dem Gericht zweiter Instanz wurde aufgetragen, über die weiteren in der Berufung aufgeworfenen Fragen des mangelnden Verschuldens der beklagten Partei zu entscheiden.

Im zweiten Rechtsgang bestätigte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichtes.

Die Vorinstanzen legten ihren nunmehr übereinstimmenden Entscheidungen folgenden Sachverhalt zugrunde:

Die Fahrbahn der Brenner-Autobahn beschreibt im Unfallsbereich eine leichte Rechts- und anschließend eine Linkskurve. Gegen 19 Uhr setzte Regen ein; um etwa 20 Uhr begann es leicht zu schneien. Zum Unfallszeitpunkt lag auf sämtlichen Brücken im Bereich des Brenner-Passes, also auch auf der Lueg-Brücke, über einer Eisschicht eine dünne Schneeschicht. Im Bereich der Unfallsstelle war die Fahrbahn außerordentlich rutschig und glatt; sie war wesentlich rutschiger als wenn nur eine Schneeschicht ohne Vereisung liegen geblieben wäre.

Hermann K*** verfügte noch über keine große Fahrroutine und fuhr erstmals mit einer Zugmaschine ohne Aufleger. Er befand sich in Begleitung eines erfahrenen Kraftfahrers, der ihn einschulen sollte. Hermann K*** hielt schon längere Zeit eine konstante Geschwindigkeit von etwa 80 km/h ein. Während er die Kurven zuvor problemlos passieren konnte, brach die Zugmaschine auf der Lueg-Brücke auf der rutschigen Fahrbahn beim Durchfahren der Rechtskurve nach rechts aus. Hermann K*** reagierte durch Gegenlenken nach links; dies gelang ihm zunächst aber, er konnte das Fahrzeug danach nicht mehr geradeaus lenken, sondern fuhr weiter nach links, durchbrach die Mittelleitschiene und prallte mit dem entgegenkommenden Sattelzug der J. D*** KG zusammen.

Die beklagte Partei verfügt über ein Frostfrühwarngerät, das im Bauhof P*** der Autobahnmeisterei aufgestellt ist. Auf der Lueg-Brücke, etwa 200 m von der Unfallsstelle entfernt, ist in die Fahrbahn - wie an anderen neuralgischen Stellen auch - eine Sonde eingelassen, welche die Temperatur und die Feuchtigkeit des Bodens mißt. Eine weitere Sonde mißt an den betreffenden Stellen auch die Luftfeuchtigkeit. Die Meßergebnisse der Sonden werden in der Autobahnmeisterei in Plon am Monitor des Frostfrühwarngerätes sichtbar gemacht; so können die Meßergebnisse jeweils in Abständen von einer Minute neu festgestellt und am Bildschirm abgelesen werden. Darüber hinaus wertet das Frostfrühwarngerät die Kombination der Meßdaten aus und gibt akustische Warnsignale. Alarmstufe 1 bedeutet Frühwarnung, Alarmstufe 2 zeigt an, daß es bei einem weiteren Absinken der Temperatur um 2 Grad zur Eisbildung kommen kann und Alarmstufe 3 signalisiert das Auftreten von Eisbildung. Während des Winters, und zwar jeweils bis 30.April, hat die beklagte Partei rund um die Uhr drei Personen als Winterdienst eingesetzt. Zum Unfallszeitpunkt war Georg P*** als Streifen- und Streufahrzeugfahrer eingeteilt. Den Telefondienst versah Heinz U***. Daneben hatten ein oder zwei Personen Bereitschaftsdienst, die im Bedarfsfalle von Georg P*** einberufen werden konnten. Georg P*** trat den Dienst um 19 Uhr an. Um 19,15 Uhr betrug die Temperatur plus 1,3o, die Luftfeuchtigkeit 82 %. Für die Nacht waren vom Wetterdienst Innsbruck vereinzelt geringe Schneefälle angesagt, sowie Frühtemperaturen von minus 2o bis plus 2o.

Aufgabe der Fahrer des Streifendienstes ist es, zwei- bis dreimal pro Dienst, der 12 Stunden dauert, die gesamte Strecke abzufahren, um diese zu kontrollieren und auch auf Eisbildung zu achten. In der Zwischenzeit haben sie ebenso wie das Personal des Telefondienstes das Frostfrühwarngerät zu beobachten. Am Unfallstag befuhr Georg P*** zunächst die Strecke vom Bauhof P*** in Richtung Brenner und dann die Gegenrichtung. Zum damaligen Zeitpunkt regnete es leicht. Georg P*** entschloß sich, eine Vorsorgestreuung durchzuführen, und fuhr mit dem Streufahrzeug gegen 20,45 Uhr vom Bauhof P*** Richtung Brenner los. Gegen 22 Uhr kehrte er wiederum in den Bauhof zurück. Er bestreute auf dieser Fahrt jeweils nur die Brücken in einer Konzentration von 20 bis 30 g/m2 mit Salz. In der Folge beobachteten Georg P*** und Heinz U*** das Frostfrühwarngerät. Es ertönte kein akustisches Warnsignal und es wies der Monitor auch keine Bodentemperaturen unter null Grad aus. Obwohl es seit etwa 20 Uhr leicht zu schneien begann, erachtete es Georg P*** nicht für erforderlich, den Bereitschaftsdienst einzuberufen oder eine weitere Streuung durchzuführen.

Wie lange eine Streuung mit Salz wirksam ist, hängt von verschiedenen Faktoren, insbesondere von der Feuchtigkeit der Luft und der Stärke des Verkehrs ab; bei stärkerem Verkehr ist eine frühere Streuung erforderlich. In der Unfallsnacht passierten zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens 633 Fahrzeuge die Unfallstelle in Richtung Süden.

Trotz der Eisbildung im Bereich der Unfallstelle gab das Frostfrühwarngerät bis zum Unfallszeitpunkt kein akustisches Alarmsignal. Die Autobahnmeisterei wurde von der Gendarmerie um 0,20 Uhr vom Unfall in Kenntnis gesetzt; hierauf fuhr Georg P*** mit dem Streifenfahrzeug los. Erst etwa eine halbe Stunde später ertönte erstmals das akustische Warnsignal.

Den für den Winterdienst eingesetzten Bediensteten der beklagten Partei ist bekannt, daß es vereinzelt zur Eisbildung kommen kann, ohne daß dies rechtzeitig vom Frühwarngerät erkannt und angezeigt wird. Die Verantwortlichen für den Winterdienst betrachten das Frühwarngerät daher nur als wichtige Unterstützung, sind sich aber klar, daß auch eine unmittelbare Beobachtung der für eine Eisbildung besonders in Frage kommenden Stellen (Brücken) durch erfahrene Streifenfahrer erforderlich ist.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß eine Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten der beklagten Partei - wie dies schon in dem Parallelverfahren der Parteien 9 Cg 486/86 des Landesgerichtes Innsbruck bindend ausgesprochen worden sei - der Sach- und Rechtslage entspreche.

Das Gericht zweiter Instanz verwarf die Rüge der beklagten Partei, daß das Erstgericht die beantragten meteorologischen und kraftfahrtechnischen Gutachten zu Unrecht nicht eingeholt habe; es seien ausreichende Feststellungen über die Witterungsverhältnisse am Unfallstag und über das Fehlverhalten des Lenkers Hermann K*** vorhanden. Die Berufung verweise jedoch mit Recht darauf, daß die Ergebnisse des Verfahrens 9 Cg 486/86 des Landesgerichtes Innsbruck für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht bindend seien. Dies habe allerdings auf das Ergebnis der Entscheidung keinen Einfluß, weil die Verschuldensteilung des Erstgerichtes jedenfalls den dafür maßgeblichen Fahrlässigkeitskomponenten entspricht. Die beklagte Partei sei verpflichtet gewesen, die Fahrbahn in einem Zustand zu erhalten, der ein verkehrssicheres Befahren ermöglichte. Ihre Leute hätten bei der gegebenen Gefahr auf Glatteisbildung alles Zumutbare unternehmen müssen, um das Schleudern von Fahrzeugen hintanzuhalten. Die besonderen Witterungsbedingungen hätten eine fortlaufende Salzstreuung insbesondere im Bereich der Brücken erfordert. Der Benützer einer Mautstraße habe Anspruch auf ein gefahrloses Befahren dieser Straße. Die Leute des Bereitschaftsdienstes hätten sich nicht bloß auf das Funktionieren der technischen Warneinrichtungen verlassen dürfen, sondern eigene Kontrollen vornehmen müssen. Demgegenüber wiege das Verschulden des Lenkers Hermann K***, der eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe, wesentlich geringer, so daß eine Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten der beklagten Partei vorzunehmen sei.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben oder abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen. Die klagende Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die behaupteten Verfahrensverstöße des Berufungsgerichtes liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt die beklagte Partei aus: Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenerhalters dürfe nicht überspannt werden. Es bestehe die Gefahr des Rostens der Brücke, wenn übermäßig Salz gestreut werde; auch auf die Umweltverträglichkeit einer Salzstreuung sei Bedacht zu nehmen. Die schnelle Fahrweise des Lenkers Hermann K*** sei für den Unfall ausschlaggebend gewesen.

Dazu war zu erwägen:

Es ist richtig, daß dem Lenker des infolge Glatteises auf der Lueg-Brücke verunglückten LKWs vorzuwerfen ist, mit einer für die gegebenen Witterungs- und Fahrbahnverhältnisse zu hohen Geschwindigkeit gefahren zu sein. Für den Unfall war aber nicht die überhöhte Geschwindigkeit von ausschlaggebender Bedeutung, sondern, daß sich infolge grober Unaufmerksamkeit der Leute der beklagten Partei auf der Lueg-Brücke eine Eisschicht bilden konnte, die von einer dünnen Schneeauflage bedeckt war und durch die die Fahrbahn besonders rutschig wurde. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Fahrbahnbeschaffenheit eine immense Gefahr für den Verkehr darstellt. Diese Gefahr zu verhindern, war die vornehmliche Aufgabe des Streudienstes der beklagten Partei. Obwohl die Temperatur damals nur plus 1,3o bei einer Luftfeuchtigkeit von 82 % betrug und Schneefälle sowie Frühtemperaturen bis zu minus 2o vorausgesagt waren, beschränkten sich die Leute der beklagten Partei zur kritischen Zeit darauf, nur das Frostfrühwarngerät zu beobachten, von dem sie wußten, daß es nicht verläßlich war und die eigene Beobachtung gefährdeter Stellen wie Brücken udgl. nicht ersetzen konnte. Bei den gegebenen und vorausgesagten Witterungsverhältnissen wären jedoch ständige unmittelbare Kontrollen der gefährlichen Stellen erforderlich gewesen, um die Notwendigkeit des Einsatzes von Streumitteln rechtzeitig erkennen zu können und die dann gebotenen Maßnahmen zu treffen. Nur so hätte die überaus gefährliche Glatteisbildung auf der Autobahn verhindert werden können. Die außerordentliche Sorglosigkeit der Leute der beklagten Partei kann im Hinblick auf den Vorrang der Verkehrssicherheit nicht mit dem Argument der Verhinderung von Rostbildung im Bereich der Brücken der Autobahn und umweltfreundlicher Sparmaßnahmen beim Einsatz von Streusalz entschuldigt werden.

Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Verschuldensabwägung vor allem auf die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs Bedacht genommen (vgl. ZVR 1975/162; 2 Ob 48/89; 7 Ob 625/89 uza). Es hat mit Recht das Fehlverhalten der Leute der beklagten Partei als wesentlich schwerer bewertet als jenes des Lenkers Hermann K***, dessen Fahrweise ohne die von der beklagten Partei zu verantwortende extreme Glatteisbildung zu keinem Unfall geführt hätte. Die Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten der beklagten Partei entspricht der Sach- und Rechtslage.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E20419

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0080OB00530.9.0309.000

Dokumentnummer

JJT_19900309_OGH0002_0080OB00530_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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