TE OGH 1990/5/15 15Os21/90 (15Os22/90, 15Os23/90, 15Os24/90)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.1990
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Mai 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsamwärterin Dr. Fink als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann D*** und Dietrich S*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 3 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Langenlois vom 9. Juni 1989, GZ U 122/88-13 und des Kreisgerichtes Krems a.d.D. vom 12. September 1989, AZ 7 Bl 54/89 sowie den Vorgang, daß die Strafverfügungen des Bezirksgerichtes Langenlois vom 26.April 1989, ON 8 und 9 unmittelbar den Beschuldigten und nicht ihren Verteidigern zugestellt wurden, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger und des Verteidigers des Beschuldigten Dietrich S***, Dr. Grohmann, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten Dietrich S***, des Verurteilten Johann D*** und dessen Verteidiger Dr. Weber zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Aus dem Akt U 122/88 des Bezirksgerichtes Langenlois ergibt sich folgender Sachverhalt:

Das genannte Gericht nahm über Antrag des Bezirksanwaltes Vorerhebungen wegen eines Verkehrsunfalls vor. Noch vor dem Abschluß dieser Vorerhebungen wurden für die Unfallsbeteiligten von Rechtsanwälten Vollmachtsurkunden vorgelegt, und zwar durch Dr. Ferdinand Weber für Johann D*** sowie durch Dr. Wolfgang Grohmann und Dr. Helmut Paul für Dietrich S*** (ON 3 und 4). Am 26.April 1989 erließ das Bezirksgericht Langenlois über Antrag des Bezirksanwaltes gegen D*** und S*** Strafverfügungen (ON 8 und ON 9), die entsprechend der jeweiligen richterlichen Zustellverfügung den Beschuldigten persönlich zugestellt wurden. Ersterer übernahm die Strafverfügung am 3.Mai 1989. Für letzteren wurde die Sendung postamtlich hinterlegt und dabei der erste Tag der Abholfrist mit 5.Mai 1989 bezeichnet.

D*** bezahlte die über ihn verhängte Geldstrafe bereits am 12. Mai 1989. S*** hingegen erhob mit einem am 29.Mai 1989 zur Post gegebenen Schriftsatz seiner Verteidiger Einspruch, zu dessen Rechtzeitigkeit diese vorbrachten, die Strafverfügung hätte nach § 9 ZustG an sie zugestellt werden müssen, sei ihnen aber erst am

22. d.M. zugekommen, und demgemäß habe jenes Datum als Zustelltag zu gelten (ON 12).

Diesen Einspruch des genannten Beschuldigten wies das Bezirksgericht mit Beschluß vom 9.Juni 1989 (ON 13), ohne auf § 9 ZustG einzugehen, als verspätet zurück, weil Strafverfügungen "entsprechend §§ 79, 80 StPO" dem Beschuldigten persönlich und nicht seinem (allenfalls schon) bestellten Verteidiger zuzustellen seien, sodaß bereits die (demzufolge gesetzmäßige) Zustellung an S*** selbst den Lauf der Einspruchsfrist in Gang gesetzt habe. Dessen abermals mit Bezug auf § 9 ZustG dagegen erhobener Beschwerde gab das Kreisgericht Krems an der Donau mit dem auf jene Verfahrensbestimmung gleichfalls nicht eingehenden Beschluß (ON 17) vom 12.September 1989, AZ 7 Bl 54/89 im Hinblick darauf nicht Folge, daß die Zustellung der Strafverfügung an den Beschuldigten in sinngemäßer Anwendung der §§ 79 Abs. 1, 427 Abs. 1, 459 letzter Satz StPO jedenfalls zulässig gewesen und damit rechtswirksam sei, wobei es offen ließ, ob Strafverfügungen überhaupt nur an den Beschuldigten zugestellt werden dürfen oder immerhin alternativ auch an einen bereits ausgewiesenen Vertreter.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Generalprokuratur gegen beide Beschlüsse (ON 13 und ON 17) zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde liegt die Aufassung zugrunde, durch die (vom Beschuldigten S*** erfolglos reklamierten) Bestimmungen des § 9 Abs. 1 ZustG seien in Ansehung aller einer ("ausdrücklichen" - genauer :) ausdrücklich anderen gesetzlichen Regelung entbehrenden Fälle der Zustellung an Personen mit (dem Gericht gegenüber insoweit ausgewiesenen) Zustellungsbevollmächtigten - also (in der Tat) auch für den Anwendungsbereich der StPO - entsprechende Vorschriften normiert worden, sodaß seit dem Inkrafttreten des ZustG (mit dem 1.März 1983) in bezug auf die strafprozessual nicht besonders geregelte Zustellung von Strafverfügungen in Fällen dieser Art eine der Schließung durch Analogie zugängliche Gesetzeslücke nicht mehr vorliege; da darnach im gegebenen Fall die Strafverfügungen an die Verteidiger hätten zugestellt werden müssen, sei durch ihre Zustellung an Johann D*** und an Dietrich S*** persönlich ebenso wie durch die Zurückweisung des von letzterem erhobenen Einspruchs und durch die abschlägige Erledigung seiner dagegen eingebrachten Beschwerde das Gesetz in der zitierten Bestimmung des ZustG verletzt worden.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Mit Recht geht die Generalprokuratur davon aus, daß der StPO bereits vor dem Inkrafttreten des ZustG, BGBl 1982/200, in Ansehung der Frage, an wen Strafverfügungen mit Rechtswirksamkeit für - wie hier (s S 45, 49) - schon zur Zeit ihrer Erlassung durch einen (zustellungsbevollmächtigten) Verteidiger vertretene Beschuldigte zuzustellen sind, eine "ausdrückliche", also den (darauf bezogenen) Sinn des Gesetzes durch dessen Wortlaut deckende (vgl Friedrich in ÖJZ 1980, 63, Pkt 7.4.1.), Regelung nicht zu entnehmen war. Denn spezielle Vorschriften dazu enthält die Prozeßordnung heute wie damals nicht, und auch die allgemeinen Bestimmungen des (gleichfalls unverändert gebliebenen) § 79 Abs. 2 StPO erstrecken sich ihrem Wortlaut nach nicht auf die Zustellung von Strafverfügungen. Das Erfordernis der Zustellung einer Strafverfügung an den Beschuldigten persönlich selbst dann, wenn er bereits durch einen Verteidiger vertreten ist, wurde vielmehr aus einer insoweit sinngemäßen Geltung des § 79 Abs. 1 StPO (über die Zustellung der Vorladung des Beschuldigten zur Hauptverhandlung) - die im übrigen durch die insoweit sinngemäße Anwendbarkeit auch der §§ 427 Abs. 1, 459 StPO (über die Zustellung von Abwesenheitsurteilen an ihn) deutlich verstärkt wird (vgl hiezu EvBl 1977/254, SSt 54/75 ua) - abgeleitet, also aus anderen Vorschriften der StPO im Weg einer Gesetzes-Analogie (vgl EvBl 1964/20, 1979/7 ua).

Dafür, daß dieser Sinn der hier aktuellen Prozeßordnung durch das Inkrafttreten des (gemäß dessen § 1 Abs. 1 für den gesamten Bereich der Gesetzesvollziehung durch Gerichte und Verwaltungsbehörden geltenden) ZustG geändert werden sollte, bieten die Gesetzesmaterialien keinerlei Anhaltspunkt; wird doch ganz im Gegenteil im Bericht des Verfassungs-Ausschusses zur Anpassung des § 80 StPO an die Bestimmungen des § 9 Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 sowie des § 10 ZustG (mit Art III ZustRAnpG, BGBl 1982/201) im besonderen darauf hingewiesen, daß letztere zum Wesen des strafgerichtlichen Verfahrens sowie zur Stellung des Beschuldigten in einem solchen Verfahren im Widerspruch stehen und deshalb insoweit keine Geltung beanspruchen können (1050 d. Beil XV. GP, 3). Gerade das aber trifft in hohem Maß für § 9 Abs. 1 ZustG zu, dessen (über § 79 Abs. 2 StPO hinausgehende) Anwendbarkeit im Strafprozeß zur Folge hätte, daß mangels ausdrücklich anderer Anordnung im Gesetz auch an nicht zur Parteienvertretung befugte Zustellungsbevollmächtigte zugestellt werden müßte, so daß etwa die Zustellung einer Strafverfügung sogar an eine als Zustellungsbevollmächtigter ausgewiesene rechtsunkundige Person zwingend vorgeschrieben (sowie trotz Ortsabwesenheit und Unerreichbarkeit des Beschuldigten rechtswirksam) wäre. Ferner gelten gleichermaßen auch jene Erwägungen, die den Gesetzgeber im Hinblick auf den hochentwickelten Schutz des rechtlichen Gehörs im zivilrechtlichen Verfahren zu besonderen, von § 9 ZustG abweichenden Regelungen (Art II Z 3 ZustRAnpG) bewogen haben (EBRV 162 d. Beil XV. GP, 13) umso mehr für den Bereich des Strafverfahrens.

Das aus den zuvor zitierten Vorschriften der StPO hervorleuchtende Ziel dieses Gesetzes, Beschuldigten (Angeklagten) - abweichend von der allgemeinen Regel des § 79 Abs. 2 StPO, wonach einer Partei nur dann, wenn sie im Verfahren nicht vertreten wird, persönlich zuzustellen ist, hingegen dann, wenn sie einen Vertreter hat, ausschließlich zu dessen Handen (vgl abermals EvBl 1977/254 ua) - bestimmte Schriftstücke, die primär für eine termin- oder fristgebundene höchstpersönliche Disposition ihrerseits von Bedeutung sind, wie eben Vorladungen zur Hauptverhandlung, Abwesenheitsurteile und Strafverfügungen, jedenfalls persönlich zuzustellen, wird demnach durch die Intentionen des ZustG keineswegs in Frage gestellt. Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 ZustG aber, demzufolge die Behörde in allen Fällen, in denen eine im Inland wohnende Person ihr gegenüber zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt ist, diesen Zustellungsbevollmächtigten als Empfänger zu bezeichnen hat, sofern gesetzlich nicht "ausdrücklich" anderes bestimmt ist, hindert die weitere Wirksamkeit der dargelegten ratio legis der StPO im hier interessierenden Belang entgegen der in der Wahrungsbeschwerde vertretenen Rechtsansicht deswegen nicht, weil er sich in Ansehung des "Ausdrücklichkeits"-Erfordernisses als Voraussetzung für die Geltung einer abweichenden gesetzlichen Regelung auf den Anwendungsbereich eben jener Prozeßordnung nicht erstreckt. In signifikantem Gegensatz zu § 9 Abs. 1 ZustG ist nämlich zufolge der Bestimmungen des § 87 Abs. 1 ZPO (idF nach Art II ZustRAnpG), die gemäß § 80 Abs. 1 StPO (idF nach Art III ZustRAnpG) neben dem ZustG dem Sinne nach anzuwenden sind und demgemäß bei abweichendem Regelungsinhalt prävalieren (vgl dazu die ähnliche Geltungsprävalenz der BAO nach § 56 Abs. 3 FinStrG idF nach Art VI ZustRAnpG), bloß insoweit (von Amts wegen) nach dem ZustG zuzustellen, als "dieses Gesetz" - also bei sinngemäßer Anwendung die StPO - "nichts anderes vorsieht": aus dem im gegebenen Zusammenhang markanten Fehlen der in § 9 Abs. 1 ZustG normierten "Ausdrücklichkeits"-Prämisse im sinngemäß anzuwendenden § 87 Abs. 1 ZPO nF in Verbindung mit der damit im Einklang stehenden unveränderten Aktualität der zuvor aufgezeigten Zielsetzung der StPO folgt, daß für deren Anwendungsbereich die Geltung einer von § 9 Abs. 1 ZustG abweichenden Regelung - zwar nicht durch Rechts-Analogie oder durch eine auf Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen beruhende Gesetzes-Analogie, indessen - sehr wohl auch im Weg der Gesetzes-Analogie aus nicht unmittelbar anwendbaren Vorschriften der StPO abgeleitet werden kann. Der Oberste Gerichtshof vermag sich daher der Auffassung, daß die Strafverfügungen im vorliegenden Fall den Verteidigern hätten zugestellt werden müssen, nicht anzuschließen, sodaß die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen war.

Anmerkung

E21102

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0150OS00021.9.0515.000

Dokumentnummer

JJT_19900515_OGH0002_0150OS00021_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten