TE OGH 1990/6/27 3Ob539/90

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Veröffentlicht am 27.06.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gottfrank T***, Landwirt vlg. Trattnig, Feldkirchen, Wachsenberg 15, vertreten durch Dr. Edwin Kois, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und ihres Nebenintervenienten Rudolf T***, Holzhändler, Feldkirchen, Hinterwachsenberg 5, vertreten durch Dr. Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach dem am 29. 4. 1981 verstorbenen Franz T***, zuletzt wohnhaft in Feldkirchen, Wachsenberg 15, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. Werner B***, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und der Nebenintervenienten auf seiten der beklagt Partei 1.) Helmut T***, Holzhändler, Feldkirchen, Hinterwachsenberg 5, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und 2.) Franz T***, kfm. Angestellter, Feldkirchen, St. Martin 6, vertreten durch Dr. Heimo Verdino, Rechtsanwalt in St. Veit/Glan, wegen Anfechtung einer letztwilligen Verfügung (Streitwert S 305.000,-), infolge Revision der klagenden Partei und ihres Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14. November 1989, GZ 5 R 126/88-100, womit infolge Berufungen der beklagt Partei und ihrer beiden Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 21. März 1988, GZ 16 Cg 132/84-83, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil der ersten Instanz wieder hergestellt wird.

Die beklagt Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 47.138,40 (darin S 7.371,40 Umsatzsteuer und S 2.910,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 15.585,- (darin S 1.957,50 Umsatzsteuer und S 3.840,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens sowie weiters dem Nebenintervenienten auf seiten der klagenden Partei die mit S 50.716,80 (darin S 8.132,80 Umsatzsteuer und S 1.920,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 13.506,74 (darin S 2.251,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 29. 4. 1981 verstorbene Franz T*** war Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes samt Gasthaus in Wachsenberg bei Feldkirchen in Kärnten. Der Kläger ist der älteste Sohn des Erblassers, er bewirtschaftet seit 1964 den Hof samt Gastwirtschaft auf Grund eines mit seinem Vater geschlossenen Pachtvertrages. Der Erblasser hat sich nur die Bewirtschaftung seines Waldbesitzes (ca. 17 ha) vorbehalten. Der Erblasser lebte am Hof im Familienverband des Klägers. Er hat in seiner letztwilligen Verfügung vom 3. 1. 1974, in der nur eine Aufteilung seiner Verögenswerte ohne Erbeinsetzung vorgenommen worden ist, unter anderem bestimmt, daß der Hof an den Sohn des Klägers Franz T*** (jun.) im Rahmen eines Vermächtnisses überzugehen habe. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus fünf Liegenschaften und aus Sparguthaben mit einem Gesamteinlagestand von mehr als einer Viertelmillion S. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß vom 20. 4. 1984 sprach das Abhandlungsgericht aus, daß es sich bei den dem Enkel Franz T*** zugedachten drei Liegenschaften um einen mittleren Hof im Sinne der §§ 1 und 2 Kärntner ErbhöfeG handle und der auf diesem Hof betriebene Gastgewerbebetrieb gemäß § 3 Kärntner ErbhöfeG als Bestandteil des Hofes anzusehen sei. Der Kläger gab auf Grund des Gesetzes eine bedingte Erbserklärung ab und brachte am 24. 4. 1984 die vorliegende, gegen die Verlassenschaft gerichtete Klage mit dem Begehren auf Feststellung der Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung vom 3. 1. 1974 mit der Begründung ein, daß sein Vater diese Verfügung nicht mehr im Zustand der Testierfähigkeit abgefaßt habe. Auch der mittlere Sohn leugnete die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung, weil es dem Erblasser an der Testierfähigkeit gemangelt habe, und gab auf Grund des Gesetzes eine bedingte Erbserklärung ab. Der jüngste Sohn gab keine Erbserklärung ab und beschränkte sich auf die Erklärung, das ihm zugedachte Vermächtnis von zwei Liegenschaften anzunehmen. Auch der mit dem Hof bedachte Enkel erklärte ausdrücklich, das ihm zugedachte Vermächtnis anzunehmen. Der Kläger begehrte in der Folge im Verlassenschaftsverfahren die Feststellung, daß er als gesetzlicher Erbe und ältester Sohn Hofübernehmer sei. Der mittlere Sohn beantragte für den Fall, daß dies nicht möglich sei, daß er als nächstberufener und gesetzlicher Erbe als Hofübernehmer in Frage komme. Der mit dem Hof bedachte Enkel strebt im Verlassenschaftsverfahren die Feststellung an, daß er auf Grund der letztwilligen Verfügung vom 3. 1. 1974 und seiner Annahmeerklärung Hofübernehmer sei. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß vom 20. 2. 1984 hat das Abhandlungsgericht die Erbserklärungen der beiden älteren Söhne zu Gericht angenommen. Mit Beschluß vom 14. 9. 1984 stellte es fest, daß der mit dem Hof bedachte Enkel "auf Grund der erbl. letztwilligen Verfügung vom 3. 1. 1974 zum Hofübernehmer des Erbhofes ..... bestimmt ist". Es begründete diese Entscheidung damit, daß bis zu einem gegenteiligen Urteil - im gegenständlich anhängigen Rechtsstreit - von der Gültigkeit der offensichtlich formgerecht errichteten letztwilligen Verfügung vom 3. 1. 1974 auszugehen sei; nach deren Inhalt habe der Erblasser eindeutig den mit dem Hof bedachten Enkel als Hofübernehmer bestimmt. Solange die Ungültigkeit der letztwilligen Bestimmung des Hofübernehmers durch den Erblasser nicht feststehe, sei für eine gerichtliche Bestimmung des Hofübernehmers nach § 7 Kärntner ErbhöfeG kein Raum. Der Oberste Gerichtshof änderte letztlich diese Entscheidung mit Beschluß vom 27. 6. 1985 zu 6 Ob 19/85 dahin ab, daß der Antrag des erblasserischen Enkels Franz T*** (jun.) auf abhandlungsgerichtliche Feststellung seiner Eigenschaft als Hofübernehmer zurückgewiesen wird. Vor einer Klärung des Streites über die in der letztwilligen Verfügung vom 3. 1. 1974 angeordnete Zuwendung des Hofes an den Enkel zu Lasten der Verlassenschaft könne eine unter den beiden gesetzlichen Erben vorzunehmende Erbteilung nicht sinnvoll vorgenommen werden. Es sei daher mit dem Abhandlungsverfahren analog § 127 Abs 1 AußStrG innezuhalten. Der Kläger brachte im einzelnen vor, daß sich ab Mitte 1965 Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Erblassers ergeben hätten. Der Erblasser habe zahlreiche, im einzelnen näher angeführte Bosheitsakte gegen den Kläger und dessen Familie gesetzt und wiederholt Sachbeschädigungen und weitere im einzelnen angeführte völlig abnormale Handlungen begangen.

Am 29. 7. 1986 brachte der Kläger vor, daß seine Eltern als Brautleute am 6. 7. 1920 einen Ehepakt in Form eines Notariatsaktes abgeschlossen hätten. In diesem sei für Sterbefälle vereinbart und verordnet worden, daß bei entsprechender Nachkommenschaft die gesetzliche Erbfolge einzutreten habe. Es handle sich somit um einen Vertrag zugunsten Dritter, in welchem beide Vertragsteile darauf verzichtet hätten, über ihren Nachlaß in welcher Form immer zu verfügen. Dieser Ehepakt sei nie widerrufen worden, so daß er heute noch rechtswirksam sei.

Die beklagte Partei und die auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten beantragten die Klagsabweisung. Der Erblasser sei am 3. 1. 1974 testierfähig gewesen. Dem Verlassenschaftsverfahren nach seiner Großmutter sei der vom Kläger zitierte Ehepakt nicht zugrundegelegt worden, so daß konkludent auf die Anwendung dieses Ehepaktes verzichtet worden sei. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte fest, daß der Erblasser unter dem Verfolgungswahn gelitten habe, daß er vom Kläger und dessen Frau vergiftet werde. Er sei am 3. 1. 1974 nicht testierfähig gewesen.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren nach einer Beweiswiederholung unter anderem durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus der Neurologie und Psychiatrie ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger arbeitete ausgenommen die Kriegsjahre 1941 bis 1945 ständig auf dem Hof des Erblassers, der mit ihm im Jahr 1964 im Zusammenhang mit der Pensionierung des Erblassers abgeschlossene Pachtvertrag wurde nie aufgelöst. Der Erblasser hatte die Geldgebarung dem Kläger überlassen, über die Wirtschaftsführung gab es zwischen den beiden jedoch Meinungsverschiedenheiten. Der Erblasser war eine eigenwillige, herrschsüchtige, mißtrauische und geizige Persönlichkeit und hatte einen starken Willen und eigene Anschauungen, von denen er nicht abgehen wollte, weshalb es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinen Söhnen über die Bewirtschaftung der Landwirtschaft und die Führung des Sägewerkes kam. Solche Streitigkeiten gab es auch mit dem Kläger, weil dieser nicht gegen seine Ehefrau Partei ergriff. Der Erblasser machte mit zunehmendem Alter den Eindruck eines verschrobenen Sonderlings und Einzelgängers. Festgefahrene Gedankenvorstellungen ließen sich nicht mehr korrigieren. Zwischen der Frau des Klägers, die ebenfalls launenhaft und herrschsüchtig auf ihre Umgebung wirkte, und dem Erblasser bestand ein gespanntes Verhältnis, das sich bis in offene Feindschaft und Haß steigerte. Nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1966 pflegte der Erblasser in seinem Zimmer auf einem Hackstock Holz zu zerkleinern. Dabei kam es vor, daß von der Decke des darunter gelegenen Gastraumes Kalk abfiel. Obwohl der Kläger und dessen Frau den Erblasser öfters aufforderten, nicht mehr im Zimmer Holz zu hacken, hielt er sich nicht daran; er bestritt, Holz in seinem Zimmer gehackt zu haben. Der Erblasser verstopfte etwa ab 1968 wiederholt den Überlauf des in seinem Zimmer montierten Waschbeckens mit einem Lappen oder Papier und ließ dann das Wasser rinnen; das aus dem Waschbecken überlaufende Wasser drang durch die Decke in den Gastraum ein. Fallweise versperrte der Erblasser nach dem Überlaufen des Waschbeckens sein Zimmer von außen oder schloß sich bei rinnendem Wasserhahn ein. Über Vorhaltungen erklärte er dem Kläger, daß gar kein Wasser abgeronnen sei. Seit 1967 brachte er die von der Frau des Klägers angepflanzten Blumen durch Herumstochern mit einem Stock zum Eingehen. Zwischen 1969 und 1973 schüttete der Erblasser wiederholt einen mit Exkrementen gefüllten Nachttopf vom Balkon in den Hof, wenn ihm die Kinder zu laut waren. Etwa im Mai 1973 begab sich der Erblasser mit einem Regenschirm ins Tennengebäude, spannte diesen dort auf und führte Selbstgespräche. Der Erblasser nahm gemeinsam mit der Familie des Klägers seine Mahlzeiten ein, die stets von der Frau des Klägers zubereitet wurden. Er bekam als erster das Essen vorgesetzt. Seit 1968/69 äußerte sich der Erblasser gegenüber verschiedenen Personen, daß er Angst habe, vergiftet zu werden; von dieser Idee war er nicht abzubringen. Bei einer Auseinandersetzung äußerte sich die Frau des Klägers dazu, es sei wirklich schade, daß sie kein Gift hineingeschmissen habe. 1971/72 übergab der Erblasser dem Kläger einen Bescheid des Gerichtsmedizinischen Institutes in Graz, wonach in den vom Erblasser übersendeten Proben von roten Rüben und Kaffee kein Gift festgestellt werden konnte. Etwa ab 1972/73 leerte der Erblasser sein Essen in den Abfall und holte sich seine Portion aus dem Behälter, der für die Gäste bestimmt war. Er war der Meinung, daß für die Gäste besser gekocht werde, als für die Hausleute. Der Erblasser stand ab 1973 beim praktischen Arzt Dr. Horst Hermann B*** wegen Herz- und Kreislaufbeschwerden sowie Bluthochdruck in Behandlung. Als der Erblasser dem Arzt über Bauchschmerzen klagte und die Meinung äußerte, seine Angehörigen wollen ihn vergiften, interessierte sich der Hausarzt auch für den psychischen Zustand des Klägers. Im Jahr 1978 oder 1979 brachte der Erblasser dem Arzt eine Hauswurst mit der Behauptung, sie sei vergiftet, worauf der Hausarzt eine letztlich negativ verlaufene gerichtsmedizinische Untersuchung veranlaßte. Etwa zur gleichen Zeit brachte der Erblasser seinem Arzt Most mit der bitte um Untersuchung auf Gift. Die von Dr. Horst Hermann B*** selbst vorgenommene Untersuchung verlief negativ. In Verbindung mit seinen körperlichen Beschwerden gab der Erblasser seinem Arzt immer wieder an, daß im Essen oder Trinken Gift sein müsse. 1980/81 war der Erblasser einmal zeitlich und örtlich nicht orientiert. Die Persönlichkeitsstruktur verschärfte sich im Lauf der Zeit, wobei sich Dr. Horst Hermann B*** nicht in der Lage sah, eine scharfe Grenze zwischen Verschrobenheit und Wahn zu ziehen. Gegen Ende seines Lebens zeigte der Erblasser Anzeichen eines psychiatrischen Syndroms und paranoide Ideen.

Seit der Erblasser das Gefühl hatte, daß das Essen vergiftet sei, begann er immer erst dann mit dem Essen, wenn vorher der Kläger oder eines seiner Kinder bereits davon gekostet hatten. Wenn der Erblasser über Bauchschmerzen klagte, führte er dies auf eine Vergiftung durch die Frau des Klägers zurück. Der Kläger hielt dem Erblasser vor, daß dieser solche ungeheuerlichen Behauptungen nicht verbreiten solle; der Erblasser beharrte jedoch auf seiner Ansicht und konnte nie überzeugt werden, daß sein Verdacht unbegründet sei. Bei den fast wöchentlichen Vorsprachen des Erblassers mit der Bitte um Beratung bei der Testamentsverfassung äußerte er gegenüber dem Vorsteher des Bezirksgerichtes Feldkirchen Dr. Rudolf URE, daß er mit dem Kläger und seiner Schwiegertochter Differenzen habe, sich durch sie benachteiligt und verfolgt fühle. Er halte den Kläger für unfähig und bekomme schlechtes Essen. Er vermittelte den Eindruck, gegen den Kläger abgeneigt zu sein und ihm deshalb nicht den Besitz übergeben zu wollen. Er fühlte sich in seinem Leben bedroht und pflegte über seine Söhne nur negativ zu reden. Er wollte seinen Söhnen so wenig wie möglich hinterlassen. Am 3. 1. 1974 hinterlegte der Kläger beim Bezirksgericht Feldkirchen ein Testament, dessen Verfassung jahrelange Besprechungen mit Dr. Rudolf URE vorausgegangen waren. Im Jahr 1976 behob er dieses gerichtliche Testament und zog erneut Erkundigungen bei Dr. Rudolf URE ein, um dann in der Folge erneut ein mit 3. 1. 1974 datiertes (dasselbe?) Testament zu hinterlegen. Auf einem Zettel ohne Datum ("Testament für den Fall, daß ich von der Operation nicht mehr zurückomme") hatte der Erblasser unter anderem notiert: "Fallweise Verpflegung Backhendl, krankes Huhn, Hauswurst mit geschleistem Darm, Forellenkopf und -schwanz (schwarz gebacken), Milch mit kaltem Wasser zur Hälfte verwässert, verbrannte Mehlspeis, vier Fleischlaiberl schwarz gebrannt, Kinder von Gottfried haben eine ganze Woche abends nur Tee getrunken, nur für mich war ein besonderes Getränk am Herd mit Milch bereitgestellt." Zu diesem (?) Zeitpunkt zeigte der Erblasser keine Anzeichen von Verwirrtheit oder Desorientiertheit, lediglich eine Verlangsamung des Gedankenablaufes und eine Vergeßlichkeit waren festzustellen. Es kam oft vor, daß der Erblasser Mitglieder der Familie oder Sommergäste nicht mehr erkannte. Seine Schwiegertochter erkannte er schon zu einem Zeitpunkt nicht, als seine Enkelin Doris noch ein kleineres Kind war. Wenn der Erblasser die Schwiegertochter nicht erkannt hatte, war er freundlich zu ihr, danach war er nicht mehr nett. In den Siebzigerjahren wurde das Vieh des Erblassers auf die Alm getrieben. Er kam hinzu und fragte, wem dieses Vieh gehöre. Der Erblasser beschwerte sich oft über die Wirtschaftsführung des Klägers, ohne allerdings die Kritik diesem gegenüber persönlich auszusprechen. Beim Erblasser bestand zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung am 3. 1. 1974 eine beginnende senile, Demenz, auf deren Boden sich schon seit 1969 ein paranoisch-psychologisch ableitbarer Wahn (Vergiftungswahn) entwickelte. Ein intellektueller Abbau im Sinne einer organischen Demenz bestand nicht; die Wahnentwicklung ist auf Grund der Wesensart des Erblassers, dessen Umfeld, dessen Wahrnehmungen und dessen subjektiven Beschwerden von außenstehender Seite einfühlbar und nachvollziehbar. Dieser paranoide Wahn ist damit den "Grenzfällen zwischen Variation und Krankheit zuzuordnen und bedingt nur dann eine Einschränkung der freien Willensbestimmung, wenn für die Willensbildung des Erblassers ausschließlich dieser Wahn entscheidend war". Da der Erblasser den Kläger aber auch nicht für besonders geeignet hielt, den Hof zu bewirtschaften - der Nebenintervenient Franz T*** jun. (Enkel) absolvierte eine landwirtschaftliche Fachschule - ist eine Ausschließlichkeit des paranoiden Wahnes für die Motivation des Erblassers nicht gegeben. Eine Beeinträchtigung der Willensbildung des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung kann demnach nicht festgestellt werden.

Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß dem Kläger und dem auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten nicht der Beweis gelungen sei, daß die Wahnvorstellungen den Erblasser bei der Testamentsverfassung beeinflußt hätten. Die Vergiftungsideen des Erblasser seien der schon lange vorher bestandenen Abneigung gegen seine Schwiegertochter entsprungen, die sich zu einer gegenseitigen, in zahlreichen Bosheitsakten manifestierenden Feindschaft entwickelt habe, in die auch der Kläger als auf der Seite seiner Frau stehend einbezogen worden sei. Der Erblasser habe den Kläger unabhängig von den Vergiftungsvorstellungen nicht als Besitznachfolger einsetzen wollen. Ein in Stimmung von Kränkung, Zorn oder grenzenlosem Haß errichtetes Testament sei wegen Willensmängel nicht ungültig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen des Klägers und des auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten sind berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit und die gerügten Verfahrensmängel werden geprüft, sie liegen aber nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Beurteilung der Testierfähigkeit ist als Rechtsfrage auf Grund der Feststellungen über den Geisteszustand des Erblassers und den Grad der Beeinträchtigung seiner Willensbildung vorzunehmen (SZ 56/180 mwN). Den Sachverständigen obliegt daher nicht ein Urteil über die Testierfähigkeit, sie haben bloß mit Hilfe ihrer besonderen Sachkunde an den Feststellungen mitzuwirken, welchen Grad der "Besonnenheit" der Erblasser im Zeitpunkt der Verfassung der letztwilligen Verfügung hatte (7 Ob 153/56 ua). Auch Fragen der Beweislast gehören zur rechtlichen Beurteilung.

Nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichtes fehlt die Testierfähigkeit nicht nur dann, wenn der Erblasser in den in § 566 ABGB aufgezählten Fällen der "Raserei, des Wahnsinns, Blödsinns oder der Trunkenheit" nicht einmal das Bewußtsein hatte, eine letztwillige Anordnung zu treffen, und ihm das Verständnis ihres Inhalts zur Gänze abging (SZ 51/8 mwN), sondern auch, wenn der Verstand infolge paranoider Wahnvorstellungen oder hochgradigen Affekts verwirrt oder die Entschlußfreiheit auf Grund anderer dauernder oder vorübergehender Störung aufgehoben war (SZ 52/173 mwN), so daß die Wahnvorstellungen des Erblassers auf seine Willensbildung bei der Testamentserrichtung von (wesentlichem) Einfluß waren (JBl 1989, 376). Den Beweis hiefür muß nach allgemeiner Regel derjenige (Enterbte) führen, der die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung behauptet (SZ 51/8 ua). Das Berufungsgericht hat auch richtig erkannt, daß Testierunfähigkeit noch nicht vorliegt, wenn das Testament "in einer Stimmung von Kränkung, Verzweiflung, Zorn, beleidigtem Trotz und sogar grenzenlosem Haß" errichtet wird (Welser in Rummel, ABGB, Rz 5 zu §§ 566-569; NZ 1969, 154).

Entscheidend ist aber hier die weitere Rechtsfrage, wie sich das Zusammenwirken von partiellen Wahnvorstellungen (hier: von der Schwiegertochter vergiftet zu werden) und anderen Motiven einer Enterbung (hier: Unzufriedenheit mit der Betriebsführung des Sohnes, Verfeindung) auswirkt, wobei noch Ursache und Wirkung in Frage stehen. Dabei geht es aber nicht um den Fortfall eines von mehreren Beweggründen des Erblassers iSd § 572 ABGB, sondern noch um die Vorfrage seiner Testierfähigkeit.

Zu dem aufgezeigten Problem hat Welser in NZ 1989, 169 ff eingehend Stellung genommen. Er meint unter Hinweis auf die herrschende Ansicht in der Bundesrepublik Deutschland, daß eine den Testator partiell erfassende geistige Erkrankung zur Testierunfähigkeit führe, wenn zwischen Anomalie und Willenserklärung ein zeitlicher und gegenständlicher Zusammenhang bestehe, so daß durch die Erkrankung die Voraussetzungen für die Errichtung eines bestimmten Testamentes beeinträchtigt seien. Als Beispiele führt Welser die krankhafte Vorstellung des Testators an, von einem Angehörigen bestohlen (aus der deutschen Literatur) oder am Leben bedroht zu werden. Für diese Fälle verneint Welser die Testierfähigkeit bei einer letztwilligen Verfügung, in der wegen des angeblichen Diebstahls oder der Lebensbedrohung eine Pflichtteilsentziehung ausgesprochen wird. Es müsse auch nicht bewiesen werden, daß die Paranoia für die Enterbung und die andere Erbeinsetzung kausal war, sondern nur, daß der maßgebliche Bereich (zB "Erbfolge der Kinder") von der Krankheit des Erblassers berüht war. Für den Ausschluß der Geschäftsfähigkeit genüge die qualifizierte Möglichkeit des Einflusses einer Störung auf den konkreten Inhalt des geschäftlichen Aktes; der Nachweis einer wirklichen Verursachung sei nicht notwendig, möge er auch in manchen Fällen möglich sein. Die gegenteilige Ansicht liefe dem mit der Einrichtung der Geschäftsfähigkeit verfolgten Schutzgedanken zuwider; überdies würde das strikte Kausalitätserfordernis sehr oft in den Bereich des Hypothetischen führen, was endlose Streitigkeiten über wirkliche oder gedachte Verläufe zur Folge hätte. Die Beweislast treffe denjenigen, der sich auf die Ungültigkeit stützt, (nur) für die partielle Geistesgestörtheit und jene Umstände, aus denen sich unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalles und der allgemeinen Lebenserfahrung die Zugehörigkeit des Aktes zu dem von der Krankheit tangierten Bereich ergibt; der Gegner könne den Beweis führen, daß die Geistesstörung das konkrete Geschäft nicht beeinflussen konnte, doch sei der Beweis unzulässig, daß die Krankheit den Inhalt des Geschäftes trotz dessen "Tangenz" tatsächlich nicht beeinflußt habe.

Diesen Standpunkt vertrat Welser aus Anlaß eines Gutachtens in der damals noch anhängigen Streitsache, die zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, NZ 1989, 212 führte. Die Enterbung war dort (weitgehend ähnlich dem vorliegenden Fall) auf Grund der Wahnidee des Erblassers erfolgt, der Sohn habe (ihn wiederholt mißhandelt und) dem Erblasser nach dem Leben getrachtet. Im Revisionsverfahren war zwar nur noch strittig, ob die von den Vorinstanzen wegen der Wahnvorstellung bejahte Testierunfähigkeit sich auch auf die daraus folgende Einsetzung eines anderen Erben erstrecke (was bejaht wurde); im Sinne der Ausführungen Welsers wurde aber auch gesagt, daß es entscheidend sei, ob die festgestellten Wahnvorstellungen auf die Willensbildung bei der Testamentserrichtung von Einfluß waren. Diese Entscheidung wurde von Ferdinand Graf besprochen (NZ 1989, 215). Er nimmt auch zu der dort nicht näher erörterten Frage der Beweislast Stellung und hält es zwar für nicht unproblematisch, die Vermutung der Testierfähigkeit zugunsten von prozessualen Beweiserleichterungen einzuschränken, erachtet es aber dennoch für besser (im Sinne von Welser), die im Bereich der Testierfähigkeit gegebenen Beweisschwierigkeiten zu akzeptieren und in ein Lösungsmodell einzubeziehen, anstatt zu versuchen, Kausalitätsbeweise zu verlangen, die in vielen Fällen gar nicht erbracht werden können. Welser wiederholte schließlich seine schon referierte Rechtsansicht in Rummel aaO.

Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung bei. Sie überzeugt wegen der lebensnahen Beurteilung der Kausalitätsfrage, verhindert, daß schwere Wahnvorstellungen die Erbfolge in dem von ihnen berührten Bereich maßgeblich beeinflussen, und gewährleistet, daß Entscheidungen, die der Erblasser bei geistiger Gesundheit nicht getroffen hätte, auch nicht zum wirksamen Gegenstand der letztwilligen Verfügung werden. Nach der zutreffenden Ansicht Welsers muß es genügen, daß die Wahnvorstellungen den Bereich der strittigen letztwilligen Verfügung unmittelbar und offensichtlich berühren. Der Wahn, vom eigenen Kind oder dessen Ehegatten am Leben bedroht zu werden, steht in einem solchen unmittelbaren Zusammenhang zur Enterbung des Kindes. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes hätte dann der Beklagte den Gegenbeweis führen müssen, daß die Geistesstörung den konkreten letzten Willen trotz der augenscheinlichen Tangenz nicht beeinflussen konnte. Die der rechtlichen Beurteilung zugrundegelegte Annahme des Berufungsgerichtes, daß der Erblasser den Kläger unabhängig von seinen Vergiftungsvorstellungen nicht als Besitznachfolger haben wollte, ist in dieser Schärfe in den Feststellungen nicht gedeckt. Diesen zufolge litt der Erblasser bereits seit 1969 an einem nicht mehr zu steuernden Vergiftungswahn, in dessen Folge er den Kläger in die Feindschaft zur Schwiegertochter miteinbezogen hatte. Die dem Sachverständigengutachten folgende "Feststellung", daß derartige Wahnvorstellungen nur dann eine Einschränkung der freien Willensbildung mit sich bringen, wenn der Wahn für die Willensbildung ausschließlich entscheidend war, stellt eine durch den Sachverständigen vorweggenommene und, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, unzutreffende rechtliche Beurteilung dar, weil nicht die Ausschließlichkeit der Wahnidee, sondern ihr zu vermutender Einfluß auf die Testierhandlung maßgebend ist. Kriterium dieser Beurteilung ist, ob der Erblasser ohne die Wahnidee zur gleichen oder zu einer anderen letztwilligen Verfügung gekommen wäre. Richtig ist, daß grenzenloser Haß die Testierfähigkeit noch nicht ausschließt, solange der Erblasser diese Emotion noch steuern kann, aber nicht will, und selbst dann, wenn sie für einen Außenstehenden nicht nachvollziehbar ist, weil sie auf einer gefühlsmäßigen Überbewertung beruht. Wurde jedoch die Ablehnung eines erbberechtigten Kindes durch unkorrigierbare Wahnvorstellungen auch nur mitbegründet, so kann sie der Betroffene nicht mehr steuern, seine Wahnideen bestimmen die Beziehung zu diesem Kind, die objektive Beurteilungsmöglichkeit und damit die freie Willensbildung ist dem vom Wahn Betroffenen verlorengegangen. Die Bewertung der Erbwürdigkeit des Kindes wird zumindest entscheidend von den Wahnvorstellungen mitbestimmt, denen ein gesunder Mensch keine Bedeutung zumessen würde. Unmaßgeblich ist dabei, ob dieser Wahn aus einer bestimmten Situation einfühlbar und nachvollziehbar ist, weil damit nur ein gewisses Verständnis gegenüber den krankhaften Ideen des vom Wahn Betroffenen zum Ausdruck gebracht wird. Geht man im vorliegenden Fall davon aus, daß beim Erblasser seit 1969 ein paranoisch ableitbarer Wahn (Vergiftungswahn)vorlag, in dem der Kläger miteinbezogen war, so ist auch die Auffassung des Sachverständigen, der das Berufungsgericht gefolgt ist, es liege ein "Grenzfall zwischen Variation und Krankheit" vor, ohne Bedeutung. Auch wenn (nach einer Ausführung des Berufungsgerichtes zur Beweiswürdigung) der Vergiftungswahn erst ein Ausfluß der Feindschaft zur Schwiegertochter war, so ist doch der Kläger erst in diese kombinierte und zum Teil eben krankhafte Abneigung hineingezogen worden. Da der Erblasser von der Wahnidee befallen war, von der Frau seines Sohnes vergiftet zu werden, liegt es nahe, daß auch seine sonstige Einstellung gegen ihn davon betroffen war und daß auch das Werturteil, daß er ihn nicht für die Wirtschaftsführung geeignet hielt, ein Teil dieser Einstellung war. Es trat mindestens gegenüber den Wahnideen zurück, woran auch die in der Berufung der Nebenintervenienten "für ein abgerundetes Bild" gewünschten weiteren Feststellungen nichts ändern könnten. Die Ausführung des Berufungsgerichtes, es könne nicht festgestellt werden, daß eine Beeinträchtigung der Willensbildung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorlag, beruht somit auf einer unrichtigen Beweislastverteilung. Der Beklagte hat einen Beweis dafür, daß die letztwillige Verfügung in einem lichten Moment und daher ohne die Wahnideen zustande gekommen ist (SZ 51/8, zuletzt 2 Ob 586/83), nicht erbracht. Dem Erblasser fehlte somit die Testierfähigkeit bei der Verfassung der strittigen letztwilligen Verfügung mindestens, soweit er dem ältesten Sohn um den Hof enterbte. Den Revisionen war daher Folge zu geben und das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Das Kostenmehrbegehren für das Berufungsverfahren war abzuweisen, weil die am 24. 5. und 25. 5. 1988 von der klagenden Partei und die beiden am 1. 6. 1988 vom Nebenintervenienten verfaßten zwei Berufungsbeantwortungen jeweils in einem Schriftsatz erhoben hätten werden können. Da auch der streitgenössische Nebenintervenient im Falle des Unterliegens der Hauptpartei nicht zum Kostenersatz verhalten werden kann (Fasching, Handbuch2 Rz 411; EvBl 1974/71), kommt der von der beklagten Partei im Kostenpunkt erhobenen Berufung keine Berechtigung zu.

Anmerkung

E21372

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00539.9.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19900627_OGH0002_0030OB00539_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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