TE OGH 1990/9/5 2Ob49/90

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Veröffentlicht am 05.09.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Vinco M***, Tomine, Covacica 17, 43000 Bjelovar, Jugoslawien, vertreten durch Dr. Alois Kitzmüller, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagten Parteien

1.)

Dipl.Ing. Othmar K***, 8020 Graz, Blümelstraße 17.

2.)

I*** Versicherungs-AG, Tegetthoffstraße 7, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Kurt Hanusch und Dr. Heimo Jilek, Rechtsanwälte in Leoben, wegen Zahlung und Rente (Streitwert S 1,173.588,20 sA) infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13.März 1990, GZ 2 R 12/90-107, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 13.November 1989, GZ 2 f Cg 28/86-96a, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision des Klägers wird Folge gegeben, jener der Beklagten wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Zuspruch eines Betrages von S 656.702,70 an den Kläger samt im Ersturteil ausgewiesenen stufenweisen Zinsen und in der Zuerkennung einer mit Oktober 1989 beginnenden, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers währenden monatlichen Rente von S 5.432,22 als Teilurteil bestätigt werden, werden in Ansehung der Abweisung eines weiteren Rentenbegehrens von monatlich S 5.550,-- und im Kostenpunkt aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hatte am 31.1.1983 einen Verkehrsunfall, den der Erstbeklagte als Lenker eines PKWs, der bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversichert war, verschuldet hatte. Der Kläger erlitt beim Unfall einen Kniescheibenbruch rechts mit Bluterguß im rechten Kniegelenk, einen Verrenkungsbruch des linken Sprunggelenkes mit Abbruch des Innenknöchels sowie Ausbruch eines Knochenstückchens vom Schienbeinende mit beträchtlicher Bandzerreißung, ferner diverse Körperprellungen, insbesondere eine Brustkorbprellung und eine Prellung der linken Hand sowie eine Distorsionsverletzung der Halswirbelsäule. Bei der ärztlichen Untersuchung am 1.12.1988 stellte sich heraus, daß der Kniescheibenbruch am rechten Kniegelenk in einwandfreier Position knöchern geheilt, das Kniegelenk jedoch endlagig 10% beugebehindert war. Die Gesamtfunktion des rechten Beines war gut. Im Bereiche des linken Beines war die schwere Knöchelverletzung ebenfalls in guter Gesamtstellung geheilt; sie wies allerdings eine leichte posttraumatische Arthrose auf, wodurch eine Behinderung des oberen und unteren Sprunggelenkes links mit angedeuteter Behinderung der Zehen, Schwellneigung der Fesselregion links und Muskelschwäche der Wade eintraten. Hiebei handelt es sich um Dauerfolgen. Die Benützung einer Krücke ist nicht notwendig. Die globale Einschätzung der unfallsbedingten Schmerzperioden und Schmerzintensität nach Tagen komprimiert ergibt 18 Tage starke, 36 Tage mittlere und 80 Tage leichte Schmerzen. Der Kläger bezieht seit 1.3.1984 von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine Invaliditätspension, jedoch ohne Familienbeihilfe für seine vier minderjährigen Kinder. Der Kläger lebt mit seiner Familie in Jugoslawien.

Mit dem Anerkenntnisurteil des Kreisgerichtes Leoben vom 28.11.1983, 5 Cg 146/83-19, wurde festgestellt, daß die Beklagten dem Kläger für alle künftigen Schäden aus dem Unfallereignis zur ungeteilten Hand ersatzpflichtig sind, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei auf die im Haftpflichtversicherungsvertrag betreffend das Fahrzeug des Erstbeklagten vereinbarte Höchstsumme beschränkt bleibt. Im genannten Verfahren wurde dem Kläger ein Schmerzengeld von S 125.000,-- für den Zeitraum bis 5.9.1983 als Teilabgeltung zugesprochen.

Der Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Er war vor dem Unfall bei der Firma P***, Hoch- und Tiefbau Gesellschaft mbH & Co KG als Bauhilfsarbeiter und Kranführer beschäftigt. Über das Vermögen der Firma P*** wurde mit Beschluß des Kreisgerichtes Leoben vom 11.7.1985, S 45/85, das Konkursverfahren eröffnet. Aus diesem Anlaß wurden sämtliche Beschäftigte dieser Firma entlassen.

Nach verschiedentlichen Klagsausdehnungen und Einschränkungen

begehrte der Kläger im zweiten Rechtsgang

a) Verdienstentgang für 1984, restlich   S   14.322,--

   Verdienstentgang vom 1.1.1985 bis

   1.7.1986                              S  119.282,--

   Verdienstentgang vom 1.8.1986 bis

   30.9.1989                             S  461.784,20

zusammen                                 S  595.388,20

b) Rentenbegehren ab 1.10.1989 monatlich S   11.200,--;

c) restliches Schmerzengeld              S  175.000,--.

Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Betrag von S 656.702,70 samt stufenmäßigen Zinsen sowie eine monatliche Rente von

S 5.432,22 ab Oktober 1989 längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu. Das Mehrbegehren von S 113.685,50 (darin ein Schmerzengeldbetrag von S 100.000,--) sowie das Begehren auf Zahlung eines weiteren Rentenbetrages von S 5.767,78 ab Oktober 1989 wies es ab. Für die erlittenen Verletzungen und damit verbundenen Schmerzen sei ein Gesamtschmerzengeld von S 250.000,-- angemessen (Zuspruch im Vorverfahren S 125.000,-- weitere Teilzahlung von S 50.000,--, restlicher Zuspruch S 75.000,--). Das Verdienstentgangs-Rentenbegehren sei grundsätzlich berechtigt, weil der Kläger als Kranfahrer ohne die Unfallsverletzungen nach dem Konkurs seiner Arbeitgeberfirma P*** gute Chancen gehabt habe, bei der Firma Gebrüder H*** Gesellschaft mbH & Co KG eine Beschäftigung wie vorher zu finden. Seit dem Unfall gehe der Kläger keiner Beschäftigung mehr nach. Er lebe mit seiner Familie, bestehend aus seiner nichterwerbstätigen Ehegattin und nunmehr vier minderjährigen und unversorgten Kindern, in seiner Heimat Jugoslawien, wo er ein Haus besitze. Den Lebensunterhalt für sich und seine Familie bestreite er von der Invaliditätspension. Vom jugoslawischen Staat beziehe er keine Familienbeilhilfe oder eine dieser ähnlichen Zulage. Der Kläger hätte, wenn der Unfall nicht geschehen wäre, im Zeitraum vom 1.6.1984 bis 30.9.1989 für seine Kinder Maria, geboren 19.8.1983, Marinko, geboren 25.10.1974, Ivanka, geboren 2.11.1976, und Ankica, geboren 28.12.1986, eine Familienbeihilfe von insgesamt S 298.950,-- bezogen. Die Ansprüche des Klägers ermittelten sich wie folgt:

a) fiktives Einkommen vom 1.1.1984

   bis 30.9.1989                       S 943.372,--

   abzüglich:

   Invaliditätspension vom 1.3.1984

   bis 30.9.1989                     - S 528.628,30

   Krankengeld vom 1.1.1984 bis

   31.5.1984                         - S  36.176,--

   ersparte Zureise- und Aufent-

   haltskosten                       - S  12.193,--

   Teilzahlung für 1984              - S  19.705,--

   Teilzahlung für 1985              - S  37.062,--

   rechtskräftig zugesprochener

   Rentenbetrag vom 1.1.bis

   10.7.1985                         - S  26.855,--

   restlicher Verdienstentgangsan-

   spruch bis 30.9.1989                S 282.752,70

b) Familienbeihilfenentgang bis

   30.9.1989                           S 298.950,--

c) restliches Schmerzengeld            S  75.000,--

Gesamtsumme aus a), b) und c)          S 656.702,70

d) monatliche Rente ab 1.10.1989       S   5.432,22.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers und der Beklagten nicht Folge. Es ließ die ordentliche Revision im wesentlichen mit der Begründung zu, daß zur Frage, ob die entgangene Familienbeihilfe als Verdienstentgang geltend gemacht werden kann, keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege. Da feststehe, daß der Kläger vom jugoslawischen Staat keine der österreichischen Familienbeihilfe ähnliche Kinderzulage bezieht, entgehe ihm tatsächlich die Familienbeihilfe, welche er bei einer weiteren Beschäftigung in Österreich erhalten hätte. Als Grundlage eines Ersatzes für künftigen Verdienstentgang könne aber die in Zukunft zu erwartende Kinderbeihilfe nicht Berücksichtigung finden. Der Familienbeihilfenentgang sei daher bei der Entscheidung über das Rentenbegehren für die Zukunft nicht zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung verstoße ein Verletzter, der eine Invaliditätspension bezieht, nicht gegen die Schadensminderungspflicht, wenn er sich nicht um eine weitere Erwerbsgelegenheit kümmere. Das Schmerzengeld sei vom Erstgericht der Höhe nach richtig ausgemessen worden.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die Revision des Klägers und der Beklagten. Der Kläger macht den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO geltend und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteiles dahin, daß ihm noch ein weiterer Rentenbetrag von monatlich S 5.550,-- zuerkannt werde; die Beklagten ziehen auch den Anfechtungsgrund des § 503 Z 2 ZPO heran und beantragen, das gesamte Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

a) Zur Revision des Klägers:

Der Kläger rügt mit Recht, daß die Vorinstanzen die Familienbeihilfe, die ihm bei einer Weiterbeschäftigung in Österreich zugekommen wäre, bei der von ihm begehrten Verdienstentgangsrente nicht berücksichtigten:

Bei der nach den Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 in der derzeit geltenden Fassung gewährten Familienbeihilfe handelt es sich um eine Betreuungsbeihilfe, die in diesem Sinn ein Bestandteil des Einkommens des Bezugsberechtigten ist, den er allerdings für den Unterhalt des Kindes zu verwenden hat (siehe dazu Huber in JBl 1983, 225 ff und 306 ff; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 12 zu § 140; SZ 59/19; 2 Ob 19/90 mwN). Im vorliegenden Fall hat der Kläger unfallsbedingt seinen Anspruch auf Bezug der Familienbeihilfe für seine Kinder verloren und niemand anderer ist bezugsberechtigt geworden. In einem solchen Fall erleidet der Verletzte durch den unfallsbedingten Entgang der Familienbeihilfe zweifellos einen Vermögensnachteil, zumindest insoweit, als ihm die Erfüllung seiner nach wie vor bestehenden Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinen Kindern wesentlich erschwert wird (2 Ob 19/90 ua).

Bei der Berücksichtigung der entgangenen Familienbeihilfe kann es keinen Unterschied machen, daß dem Geschädigten der Verdienstentgang teilweise in Form eines Kapitalbetrages, teilweise als Rente abgegolten wird. Bei Zuspruch einer Rente sind künftige Entwicklungen so weit zu berücksichtigen, als sie sich mit hinlänglicher Sicherheit überblicken lassen (siehe dazu Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 24 zu § 1327 und die dort zitierte Judikatur; vgl. insbesondere auch 2 Ob 19/90 ua). Mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte ist wie bei der Behandlung des Kapitalleistungsbegehrens auch beim Rentenbegehren davon auszugehen, daß der Kläger - wäre er nicht unfallsbedingt invalid geworden - bei der Weiterbeschäftigung in Österreich die Familienbeihilfe für seine vier mj. Kinder bezogen, also als Grundlage seines Verdienstentgangsbegehrens ins Verdienen gebracht hätte.

Den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen ist zwar zu

entnehmen, daß der Kläger bis 30.9.1989 eine Familienbeihilfe von

insgesamt S 298.950,-- bezogen hätte; wie hoch diese aber (als

Voraussetzung für die Beurteilung des Rentenbegehrens) ab diesem

Zeitpunkt gewesen wäre, bzw. bis zu welchen Zeitpunkten der Kläger

ohne Unfall die Familienbeihilfe in bestimmter Höhe bezogen hätte

und insbesondere auch, wielange er überhaupt in Österreich

beschäftigt gewesen wäre, ist den bisherigen Feststellungen jedoch

nicht zu entnehmen. Das Erstgericht ist auf diese Frage nicht

eingegangen; das Berufungsgericht hat sie dahingestellt gelassen,

weil es im wesentlichen der unrichtigen Auffassung war, daß das

Erstgericht einen Familienbeihilfenentgang bei der Entscheidung über

das Rentenbegehren für die Zukunft mit Recht nicht berücksichtigt

habe (S.15 des Berufungsurteiles). Die vollständige Behandlung des

Rentenbegehrens erfordert jedoch die Befassung des Erstgerichtes

auch mit den dargelegten Fragen, weshalb der Revision des Klägers im

Umfang der Anfechtung der Abweisung des Rentenmehrbegehrens von

monatlich S 5.550 Folge zu geben und dem Erstgericht insoweit die

neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen war.

b) Zur Revision der Beklagten:

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Geschädigte nach Zuerkennung einer Invaliditätspension nicht mehr gehalten, sich um die Erlangung eines Ersatzarbeitsplatzes zu bemühen; vielmehr ist es Sache des Schädigers, einen dem Geschädigten zumutbaren und möglichen Ersatzarbeitsplatz ausfindig zu machen und ihm anzubieten (SZ 44/169; ZVR 1976/8; 2 Ob 199/79 ua). Die gegenteiligen Ausführungen der Beklagten sind nicht stichhältig. Es ist ständige Rechtsprechung, daß der Schädiger, der sich auf die Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten, stützt, nachzuweisen hat, daß letzterer eine konkrete Erwerbsmöglichkeit ausgeschlagen hat (ZVR 1989/203; JBl.1989, 46 uza). Es genügt also nicht, bloß darauf zu verweisen, daß der Kläger "prinzipiell in mehreren Berufen die Möglichkeit hätte, wiederum einer Erwerbstätigkeit nachzugehen", oder bloß theoretisch abzuhandeln, daß ihm "insbesondere auch die Aufgaben eines Tellerwäschers udgl. zumutbar" seien.

Die Frage der Berücksichtigung des Entganges der Kinderbeihilfe des Klägers als dessen Verdienstentgang wurde bereits oben behandelt. Den auf überholter Judikatur beruhenden Ausführungen der Beklagten ist nur noch entgegenzuhalten, daß die Familienbeihilfe Einkommen jener Person ist, die die Betreuung des Kindes tatsächlich leistet (Stockart-Bernkopf, Zur Neuordnung des Familienlastenausgleiches, ÖA 1977, 140; derselbe, Wem gehört die Familienbeihilfe?, ÖA 1978, 104; Wohlmann, Änderungen des Familienlastenausgleichsgesetzes, ÖA 1978, 37 f; Schüch, Das neue Kindschaftsrecht, ÖA 1978, 39 ff; Ent, Klarstellungen zum Unterhaltsvorschußgesetz, Anw 1979, 397; vgl EFSlg 41.028; 2 Ob 157/89; 1 Ob 19/90 ua).

Für eine Herabsetzung des dem Kläger von den Vorinstanzen

zuerkannten Schmerzengeldes besteht aufgrund der getroffenen

Feststellungen kein Anlaß.

Der Revision der Beklagten war daher der Erfolg zu versagen.

Das Ergebnis der Beurteilung der Revisionen der Parteien hatte die obige spruchgemäße Erledigung zur Folge.

Der Kostenausspruch beruht auf §§ 52 Abs.2, 392 Abs.2 ZPO.

Anmerkung

E21639

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00049.9.0905.000

Dokumentnummer

JJT_19900905_OGH0002_0020OB00049_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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