TE OGH 1990/9/6 12Os48/90

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Veröffentlicht am 06.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.September 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Kuch und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Löschenberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Günther S*** wegen des Verbrechens der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4.Februar 1988, GZ 12 c Vr 2835/86-620, nach einer am 30.August 1990 und am 6.September 1990 durchgeführten öffentlichen Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Landskorn jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil in dem den Angeklagten Günther S*** betreffenden Teil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 24.Juni 1934 geborene Pensionist Günther S*** des Verbrechens der Untreue als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, im April 1984 in Wien wissentlich zur strafbaren Handlung des abgesondert verfolgten Dr. Kurt R***, der die ihm als Generaldirektor der

V*** DER Ö*** B***

Versicherungsaktiengesellschaft (im folgenden kurz: V***) durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich mißbrauchte, indem er am 24.April 1984 einen fingierten Schadensakt anlegen ließ, ohne Rechtsgrund die Auszahlung von 420.000 S veranlaßte und dadurch dem von ihm geleiteten Unternehmen einen Vermögensnachteil in dieser Höhe zufügte, dadurch beigetragen zu haben, daß er sich mit der Zuwendung des Geldbetrages für einen fingierten Schaden einverstanden erklärte und Dr. R*** eine falsche Schadensmeldung sowie Kostenvoranschläge von Professionisten zur Verfügung stellte.

Nach den hiezu getroffenen Urteilsfeststellungen war der Angeklagte bis zu seiner krankheitsbedingten Pensionierung am 31. Mai 1985 Angestellter der V*** in der Funktion eines Vorstandsassistenten als Kontaktperson hauptsächlich in gesellschaftlichen Belangen bei Großkunden eingesetzt. Honoriert wurde er einerseits im Rahmen seines Angestelltenvertrages, andererseits durch Provisionen für von ihm geworbene Versicherungsverträge. Da in Fällen, in denen er neben der laufenden Betreuung durch die provisionsberechtigten Vertreter im Auftrag des Vorstands mit zusätzlicher Kundenbetreuung befaßt war, seine Tätigkeit nicht extra honoriert wurde, versuchte der Angeklagte, Kunden dazu zu bringen, Änderungen ihrer Versicherungsverträge mit ihm als "Vermittler" vorzunehmen oder von der V*** zu verlangen, daß er als provisionsberechtigter Betreuer zu betrachten sei. Diese Vorgangsweise wurde von den provisionsberechtigten Mitarbeitern und den für die Provisionsverrechnung zuständigen Organen der V*** nicht akzeptiert, weil sie einen Einbruch in bestehende Geschäftsverbindungen in Form sogenannter "gezogener Verträge" darstellte. Obgleich der Angeklagte keine rechtlichen Schritte zur Durchsetzung des von ihm behaupteten Anspruchs unternahm, klagte er gegenüber Dr. R***, daß er ungerecht behandelt werde und keine seinen Leistungen entsprechende Entlohnung erhalte. Im Hinblick auf seinen Geldbedarf für die Renovierung seiner Wohnung und für eine (später nie vorgenommene) Operation in Amerika bot Dr. R*** Anfang 1984 an, ihm einen entsprechenden Betrag im Wege eines fingierten Schadensfalles zukommen zu lassen. Hierauf einigten sich der Angeklagte und Dr. R*** auf einen Betrag von 420.000 S. Mit Hilfe einer von seiner Gattin Brigitte S***-H*** - sie wurde in diesem Zusammenhang auch des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB schuldig erkannt - auf seinen Namen hergestellten - mithin falschen - Schadensmeldung zur Haushaltsversicherung über die angebliche Explosion eines Gasofens veranlaßte Dr. R*** die Überweisung der vereinbarten Summe auf das Konto des Angeklagten bei der Ö*** L***.

Nach Überzeugung des Schöffengerichtes wußte der Angeklagte, daß Dr. R*** nicht berechtigt war, ihm Geld im Wege eines fingierten Schadensereignisses zu Lasten des von ihm geleiteten Unternehmens zur Verfügung zu stellen, und daß diese Zuwendung, auf welche er keinen Anspruch hatte, einen Schaden der V*** zur Folge haben werde. Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde stützt sich im Kern auf die immer wieder wiederholte Verantwortung des Angeklagten, aus der Vermittlung von Versicherungsverträgen gegenüber seinem früheren Dienstgeber, der V***, Provisionsansprüche in Millionenhöhe gehabt zu haben, sodaß ihm durch die inkriminierte Zuwendung von 420.000 S nur ein Bruchteil seiner Ansprüche abgegolten wurde, die V*** sohin keinen Vermögensnachteil erlitten habe und es ihm deshalb auch am Schädigungsvorsatz fehle (Z 9 lit a).

Der Beschwerde kann im Ergebnis Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Wenn die Generalprokuratur meint, für die Annahme des Schädigungsvorsatzes des Angeklagten genüge, wenn er es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, daß durch die doppelte Befriedigung einander ausschließender Provisionsansprüche eine echte Vermögenseinbuße der V*** herbeigeführt wurde und es nicht entscheidend sei, ob auf diese Weise eine Leistung zugeflossen ist, auf die er Anspruch hatte oder zu haben vermeinte, weil es bei der Untreue als einem Vermögensschädigungsdelikt nicht erforderlich ist, daß der Täter mit Bereicherungsvorsatz handle (Leukauf-Steininger2 RN 25, Kienapfel BT II2 RN 10 jeweils zu § 153 StGB), stimmt diese - auf die subjektive Tatseite abzielende - Argumentation nur insoweit, als der V*** auch objektiv tatsächlich ein Vermögensnachteil erwachsen ist.

Für die Annahme eines im Vermögen der V*** eingetretenen Vermögensnachteiles und eines auf die Herbeiführung dieses tatbildmäßigen Schadenserfolges gerichteten Vorsatzes des Angeklagten ist aber von entscheidender Bedeutung, ob und inwieweit dieser gegenüber der V*** provisionsberechtigt war oder zumindest begründet der Meinung sein konnte, Provisionen fordern zu dürfen. Soweit der Angeklagte sich irrtümlich für provisionsberechtigt gehalten haben sollte, käme ihm ein vorsatzausschließender Tatbildirrtum in bezug auf den für das Delikt der Untreue erforderlichen (zumindest bedingten) Schädigungsvorsatz zustatten. Hiezu stellt das Schöffengericht zwar ausdrücklich fest, dem Angeklagten sei klar gewesen, daß die V*** durch die Zuwendung von 420.000 S an ihn einen entsprechenden Schaden erlitt (S 202/XXIX), und führt im Rahmen der Beweiswürdigung aus, daß seine Behauptung, es stünde ihm eine Provision zu, "nicht sonderlich überzeugend" sei, zumal der Zeuge M*** schlüssig dargelegt habe, daß es sich um vorverprovisionierte Verträge gehandelt habe, welche Tatsache er faktisch und rechtlich zur Kenntnis genommen habe, weil er "keine zielführenden Schritte zur Anspruchsdurchsetzung gesetzt" habe, ihm sohin "die Unseriosität dieser Ansprüche sehr wohl bewußt war" (S 204 bis 205/XXIX). Wie eingangs dargestellt, konstatierten die Tatrichter aber des weiteren, daß der Angeklagte neben seinem Angestelltengehalt grundsätzlich auch Anspruch auf Provisionen hatte, die sich nach den in der Hauptverhandlung vorgelegten schriftlichen Abmachungen (vgl. Beilagen zu ON 619/XXIX) nicht nur auf den Abschluß von Verträgen, sondern auch auf deren Abänderung bzw. auf die Betreuung von Kunden stützen konnten. Das entsprechende Merkblatt enthält nämlich in diesem Zusammenhang folgende relevante Passagen:

"A. Vermittlungstätigkeit

Die Anstalt gewährt für die Vermittlung von Versicherungsverträgen Vermittlungs-(Abschluß-)provision. Hinsichtlich Erwerbung eines Anspruches auf Vermittlungsprovision ist folgendes zu beachten:

.....

.....

3. ....

Für die Umwandlung bestehender Verträge wird eine Provision nur von der Prämien- oder Kapitalerhöhung vergütet.

.....

.....

B. Betreuungstätigkeit

Für die ständige und ausreichende Betreuung der geworbenen oder eventuell von der Anstalt zur Betreuung übertragenen Versicherungen wird eine Betreuungs-(Folge-)provision gewährt.

Die Betreuungstätigkeit umfaßt alle Maßnahmen, die der Bestanderhaltung und -ausweitung dienen.

Hiezu gehören vor allem die Pflege des ständigen Kontaktes mit den Kunden, die Beratung in allen Versicherungsfragen, die Wahrnehmung aller Möglichkeiten, die einen zeitgemäßen Versicherungsschutz gewährleisten (z.B. die laufende Anpassung der Verträge an die jeweiligen Risikoverhältnisse, an die jeweiligen Tarifbestimmungen und Versicherungsbedingungen), die rechtzeitige Erneuerung bzw. Konvertierung ablaufender Versicherungsverträge sowie die Auswertung der im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit sich ergebenden Versicherungsmöglichkeiten.

Zu A. und B.:

Der Anspruch auf Betreuungsprovision erlischt mit Beendigung der Betreuungstätigkeit. Die Anstalt kann die Betreuungstätigkeit als beendet erklären, wenn diese durch längere Zeit nicht ausreichend ausgeübt wird. Der Anspruch auf Vermittlungs- oder Abschlußprovision bleibt davon unberührt.

....."

Allein diese vertraglichen Abmachungen zeigen, daß nach den getroffenen Urteilsfeststellungen die Ansprüche des Angeklagten auf Provisionen selbst dann nicht von vornherein ausgeschlossen sind, wenn es sich tatsächlich nur um die Abänderung oder Konvertierung bereits bestehender Verträge oder um die Betreuung von Kunden gehandelt haben sollte.

Es treffen sohin die Einwände der Mängelrüge (Z 5) insoweit zu, als aus den Aussagen des Zeugen M*** (S 175 bis 183/XXIX) und des Mitangeklagten Dr. R*** (S 183 bis 187/XXIX) keinesfalls der mängelfreie Schluß gezogen werden kann, daß S*** keinerlei Provisionsansprüche haben konnte; mögen die Ansichten über die Berechtigung und die Höhe der Ansprüche im einzelnen auch verschieden gewesen sein.

Um seiner Verantwortung, es seien ihm Provisionen ungerechtfertigt vorenthalten worden, zum Durchbruch zu verhelfen, beantragte der Beschwerdeführer am Ende der Hauptverhandlung unter Hinweis auf seinen bereits früher schriftlich gestellten Beweisantrag (S 188/XXIX iVm ON 597/XXVIII) die Einvernahme der Zeugen Wolf Dieter B*** und Herbert (Helmut) R*** zum Beweis dafür, daß ihm für die Vermittlung von Versicherungsverträgen mit der G*** Gemeinnützige Industriewohnungs-GesmbH, Linz, unberichtigt gebliebene Provisionen in der Höhe von rund 1,2 Millionen S zugestanden wären; ferner die Einvernahme des Zeugen Dr. Peter S*** zum Beweis dafür, daß ihm für die Vermittlung eines Versicherungsvertrages mit der I***-GesmbH, Wien, eine Abschlußprovision von etwa 1,7 Millionen S vorenthalten wurde. Wenn das Erstgericht in seinem abweislichen Beschluß meint, durch diese Beweisanträge hätte nur die ohnehin unbestrittene Tatsache belegt werden können, daß der Angeklagte formell Ansprüche gestellt habe, nicht aber das "objektive Recht sowie das subjektive Wissen um dieses Recht" (S 190/XXIX), verkennt es die oben dargestellte Rechtslage grundlegend. Ob nämlich dem Angeklagten objektiv ein Recht auf Provisionen im Zusammenhang mit der Vermittlung oder Betreuung von Versicherungsverträgen zustand, kann nur durch Erhebung und Feststellung der vom Angeklagten geleisteten verdienstlichen Tätigkeit und durch Prüfung der Erheblichkeit im Rahmen der (oben dargestellten) vertraglich vereinbarten Voraussetzungen für das Entstehen des Provisionsanspruches geklärt werden. Bestand ein Provisionsanspruch zumindest in der Höhe der ausbezahlten Summe von 420.000 S, fehlt es bereits am objektiven Tatbestand der Untreue, unabhängig davon, ob allenfalls die Provisionen (einem) anderen Mitarbeiter(n) ausbezahlt wurden. Die V*** konnte sich nämlich von der Verpflichtung auf Bezahlung von Provisionen an den Angeklagten nicht dadurch befreien, daß sie die Provisionen (einem) anderen (unberechtigten) Mitarbeiter(n) zukommen ließ. Bestand aber kein dem ausbezahlten "Schadensbetrag" äquivalenter Provisionsanspruch, hätte es an Hand der beantragten Beweismittel darüber hinaus der Prüfung bedurft, ob sich der Angeklagte in einem schuldausschließenden Tatirrtum befunden hat. Durch die Weigerung des Erstgerichts, die angeführten Beweise aufzunehmen, deren Bedeutung für die Schuld des Angeklagten im Sinne der dargestellten Rechtslage nicht von vornherein verneint werden kann, wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzt (§ 281 Abs 1 Z 4 und Abs 3 StPO), weshalb sich der Oberste Gerichtshof - im Gegensatz zur Stellungnahme der Generalprokuratur - veranlaßt sah, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Durchführung einer neuerlichen Hauptverhandlung vor dem Erstgericht anzuordnen (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO). Durch diese kassatorische Entscheidung ist der Berufung der Boden entzogen.

Anmerkung

E22259

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0120OS00048.9.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19900906_OGH0002_0120OS00048_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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