TE OGH 1990/10/9 10ObS315/90

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Veröffentlicht am 09.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches (AG) und Mag.Karl Dirschmied (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Edeltraud K***, Pensionistin, 1170 Wien, Elterleinplatz 13/8/4/24, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.Juni 1990, GZ 34 Rs 90/90-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15.Dezember 1989, GZ 12 Cgs 177/89-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben: "Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin vom 14.4.1989 an zur Berufsunfähigkeitspension einen Hilflosenzuschuß von monatlich 2.784 S zu zahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft fälligen Zuschüsse binnen 14 Tagen, die weiteren mit der Berufsunfähigkeitspension monatlich im vorhinein".

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit 3.987 S bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 22.2.1948 geborene Klägerin bezieht von der beklagten Partei seit 13.10.1980 eine Berufsunfähigkeitspension. Dazu beantragte sie am 14.4.1989 den Hilflosenzuschuß. Die gegen den abweisenden Bescheid vom 3.7.1989 rechtzeitig erhobene, erkennbar auf den abgelehnten Zuschuß gerichtete Klage stützte sich darauf, daß die Klägerin an einer schweren deformierenden chronischen Polyarthritis der Hände leide, die es ihr zB unmöglich mache, sich allein anzuziehen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie wendete ein, daß die Klägerin trotz der seit 1974 bestehenden chronischen Polyarthritis vorwiegend der Hände, Ellbogen, Knie und Sprunggelenke, aber auch der Kiefergelenke und der Halswirbelsäule nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Internistisch liegt eine hochgradige primär-chronische Polyarthritis mit erheblichen Entzündungsparametern bei wahrscheinlichem Mitralvitium vor. Die Klägerin könnte seit April 1989 alle lebensnotwendigen Verrichtungen selbst ausführen. Chirurgisch besteht im wesentlichen eine progrediente chronische Polyarthritis der Finger- und Kniegelenke, eine Spondylose der Hals- und Lendenwirbelsäule und eine Osteoporose. Die Klägerin kann sich allein an- und auskleiden, bedarf aber beim Anziehen der Strümpfe und Schuhe der Hilfe, weil sie sich nicht bücken kann. Sie kann sich allein waschen und die Notdurft verrichten, Bad (Wanne oder Dusche) jedoch nur mit Hilfe benützen. Lebensmittel kann sie nicht herbeischaffen. Ebenso kann sie den Wohnraum nicht säubern und nicht Bettenmachen.

Psychiatrisch-neurologisch besteht ein Muskelschwund im Bereich der kleinden Handmuskel beidseits mit höhergradig eingeschränkter Fingerbeweglichkeit sowie eine hochgradige Gangstörung. Die Klägerin braucht zur gründlichen Körperreinigung, zur Zubereitung der Speisen und zum Zerteilen von Brot und Fleisch fremder Hilfe. Sie kann nicht mit Messern oder anderen gefährlichen Werkzeugen (Scheren, spitzen Instrumenten) hantieren, keine Tetrapackungen öffnen, wohl aber Plastikverschlüsse von Milchflaschen, Kronenkorken nur mit fix montiertem Flaschenöffner, Konservendosen nur mit einem fix montierten Konservenöffner. Eine Brotschneidemaschine kann sie betätigen. Sie kann Speisen auf einem Elektro-, nicht aber auf einem Gasherd aufwärmen, weil sie die Gasflamme nicht anzünden könne.

Sie kann Pyjama, Nachthemd oder ein weites Kleid anziehen. Strümpfe kann sie auch mit mechanischen Hilfsmitteln nicht anziehen, weil die Fingerkoordination weitgehend eingeschränkt ist. Das Säubern des Wohnraumes ist ausgeschlossen, das Bettenaufschlagen ist möglich, nicht aber das Spannen des Leintuches und das Verdrehen der Matratzen.

Zusammenfassend bleibt es beim neurologischen Gutachten mit den zusätzlichen Einschränkungen des Chirurgen.

Die Klägerin wohnt im städtischen Bereich in einer im 4. Stock eines Lifthauses gelegenen, 50 m2 großen Wohnung mit Zentralheizung, Wasser und Innen-WC und benützt einen E-Herd und eine Brotschneidemaschine. Den wöchentlichen Aufwand für Hilfe schätzte das Erstgericht mit 15 Stunden ein, was einen Betrag deutlich unter 2.000 S ergebe. Weil dieser Aufwand nicht annähernd die Höhe des begehrten Hilflosenzuschusses erreiche, sei der darauf gerichtete Anspruch nicht berechtigt. Dabei übersah das Erstgericht allerdings, daß der wöchentliche Aufwand auf das Monat umzulegen gewesen wäre. Das Berufunggericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Wenn man berücksichtige, daß die Klägerin eine Brotschneide- und eine Konservenöffnungsmaschine benützen könne, daß man auch bereits geschnittenes Brot und Fleischkonserven mit bereits geschnittenem Fleisch kaufen könne, daß vorbereitete Speisen im Kühlschrank einige Tage aufbewahrt werden könnten und die Klägerin wegen der Unfähigkeit, sich zu bücken, nur den Fußboden nicht reinigen (sonst aber einfache Wohnungsreinigungsarbeiten verrichten) könne, bedürfe sie nur etwa 2- bis 3-mal wöchentlich fremder Hilfe, deren Kosten vom Erstgericht mit etwa 2.000 S im Monat durchaus realistisch eingeschätzt worden seien. Für Dienstleistungen im Haushalt werde nämlich ein Stundensatz von 70 bis 80 S anzunehmen sein. In der Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) begehrt die Klägerin, die vorinstanzlichen Entscheidungen im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist berechtigt.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes, die im Berufungsverfahren nicht in Zweifel gezogen wurden, bedarf die Klägerin zum Herbeischaffen und Zubereiten von Speisen, zum Zerteilen von Fleisch, zur gründlichen Körperreinigung, zum Säubern des Wohnraums und zum Bettenmachen sowie zum An(und Aus)ziehen von Schuhen und Strümpfen fremder Hilfe. Das Aufwärmen von Speisen auf einem Elektroherd ist möglich, ein Hantieren mit Messer, Schere oder spitzen Instrumenten dagegen ausgeschlossen.

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes über die Verwendung von vorgeschnittenem Brot und von Fleischkonserven sowie über das Aufwärmen von vorbereiteten Speisen gehen an der Tatsache vorbei, daß die Klägerin selbst keine Speisen zubereiten kann, was sich zwanglos aus der mangelnden Fingerkoordination ergibt. Sie wäre daher auf das bloße Aufwärmen von bereits fertiggekochten Speisen angewiesen. Der Revision ist jedoch in diesem Zusammenhang beizupflichten, daß ein Rentner oder Pensionist nicht darauf verwiesen werden kenn, sich ausschleißlich von aufgewärmten Speisen zu ernähren. Daran ändert der Umstand nichts, daß im Handel zum Teil auch bereits fertig zubereitete Speisen angeboten werden, die nur gewärmt werden müssen. Wenn das Berufungsgericht ausführt, die Klägerin sei nur in der Reinigung des Fußbodens behindert, geht es nicht von den Feststellungen aus.

Berücksichtigt man alle bestehenden Einschränkungen, kann keine Rede davon sein, daß die Klägerin nur etwa zwei- bis dreimal wöchentlich Hilfe braucht. Dies ergibt sich schon aus der beim An- und Auskleiden notwendigen Hilfe. Vielmehr sind tägliche Dienstleistungen erforderlich, die zum Teil auch zu verschiedenen Tageszeiten anfallen, was naturgemäß mit höheren Kosten verbunden ist. Unter diesen Umständen kann davon ausgegangen werden, daß notwendige Dienstleistungen im Ausmaß von durchschnittlich etwa eineinhalb bis teilweise auch zwei Stunden täglich und daher etwa 50 Stunden monatlich erforderlich sein werden. Unter Zugrundelegung des vom Berufungsgericht realistisch eingeschätzten Stundensatzes von etwa 70 S bis 80 S übersteigen die dafür notwendigen Kosten die Höhe des Hilflosenzuschusses.

Weil die Klägerin (jedenfalls) seit der Antragstellung derart hilflos ist, daß sie ständig der Wartung und Hilfe bedarf, gebührt ihr nach § 105 a Abs 1 ASVG zur Berufsunfähigkeitspension ein Hilflosenzuschuß. Dessen Höhe war im Hinblick darauf, daß die Berufsunfähigkeitspension bereits ab 1.1.1988 monatlich 5.798,60 S betrug, nach Abs 2 der zitierten Gesetzesstelle mit dem Höchstbetrag von 2.784 S zu bemessen.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher spruchgemäß abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.

Anmerkung

E22227

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00315.9.1009.000

Dokumentnummer

JJT_19901009_OGH0002_010OBS00315_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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