TE OGH 1990/10/10 9ObA210/90

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Veröffentlicht am 10.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Mag.Ernst Löwe als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Andreas A***, KFZ-Mechanikermeister, Michelbach, Siedlung 5-7, vertreten durch Dr.Eduard Pranz und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei Franz M***, Inhaber einer KFZ-Werkstätte, Pyhra, Schauching, vertreten durch Dr.Herwig Hammerer und Dr.Alois Autherith, Rechtsanwälte in Krems, wegen S 58.625 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Mai 1990, GZ 31 Ra 20/90-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 29.Juni 1989, GZ 34 Cga 92/88-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war beim Beklagten seit 1.April 1983, zuletzt als Werkstättenmeister im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Am 9. Dezember 1986 wurde er vom Beklagten entlassen.

Mit der Behauptung, er sei zu Unrecht entlassen worden, begehrt der Kläger die Zahlung von S 58.625 netto sA an Urlaubsentschädigung und Abfertigung.

Der Beklagte beantragte, das der Höhe nach außer Streit gestellte Klagebegehren abzuweisen. Die Entlassung des Klägers sei im Sinne des § 27 Z 1 und 3 AngG gerechtfertigt erfolgt. Der Kläger habe Pausenzeiten nicht in seine Arbeitskarte eingetragen, wodurch er Zeitausgleich für Zeiten erlangt habe, in denen tatsächlich nicht gearbeitet worden sei. Er habe im Namen des Beklagten für sich eine Windschutzscheibe zum Einstandspreis gekauft, die nachverrechnet worden sei. Er habe weiters für einen Verwandten einen Kostenvoranschlag für die Haftpflichtversicherung erstellt, ohne dafür das übliche Entgelt zu berechnen. Er habe dadurch, daß er an die ebenfalls beim Beklagten beschäftigte Bedienerin Annemarie M*** einen gebrauchten PKW verkaufte, im Geschäftszweig des Beklagten Geschäfte abgeschlossen. Schließlich habe er am 27. November 1986 für diesen PKW ein Gutachten gemäß § 57a KFG ausgestellt, ohne das Fahrzeug entsprechend überprüft zu haben. Das für die Werkstätte bestimmte Duplikat des Gutachtens habe gefehlt. Damit habe er den Beklagten der Gefahr ausgesetzt, daß ihm die Berechtigung zur Überprüfung von Kraftfahrzeugen entzogen werde. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger vergaß im Sommer 1986 öfters, die Zeiten seiner unregelmäßigen Frühstückspausen durch Abstempeln seiner Arbeitskarte als arbeitsfreie Zeiten festzuhalten. Der Grund dafür war unter anderem, daß er auch während der Frühstückspausen von Kunden verlangt oder zum Telefon gerufen wurde. Als der Beklagte im September 1986 bemerkte, daß auf den Stempelkarten des Klägers keine Pausenzeiten aufschienen, stellte er diesen zur Rede. Es kam zu einer Vereinbarung, daß für die Vergangenheit pauschal eine Viertelstunde pro Tag als Frühstückspause angesetzt werde. Seither gab es zwischen den Parteien hinsichtlich der Pausen keine Probleme mehr.

Der Beklagte war damit einverstanden, daß auch seine Arbeitnehmer von der Firma E*** privat Ersatzteile zum günstigeren Wiederverkaufspreis bezogen. Es war diesbezüglich nicht erforderlich, den Beklagten jeweils gesondert zu fragen. In der Buchhaltung des Beklagten wurden die betreffenden Rechnungen entweder als Durchlaufposten behandelt oder die Arbeitnehmer zahlten direkt an die Firma E***. Im Sommer 1986 ersuchte der Kläger die Annemarie M***, ihm eine PKW-Windschutzscheibe mitzubringen. Er gab ihr das Geld und M*** zahlte bar. Im nachhinein stellte sich heraus, daß die Firma E*** für die Windschutzscheibe zu wenig verrechnet hatte; sie erstellte eine Nachfaktura an den Beklagten, deren Rechnungsbetrag der Kläger in restlicher Höhe zahlte.

Der Kläger war unter anderem auch für Kostenvoranschläge für Kraftfahrzeugreparaturen zuständig. Üblicherweise wurden für solche Voranschläge 10 % der Voranschlagssumme als Entgelt berechnet. Der Beklagte gestattete es aber im Einzelfall, daß gute Kunden, seine Arbeitnehmer und deren Verwandte kostenlose Voranschläge erhielten. Wenn ein solcher Kostenvoranschlag während des Urlaubs des Beklagten erstellt wurde, mußte der Beklagte nachträglich gefragt werden, ob dafür etwas zu verrechnen sei. Der Kläger machte im Sommer 1986 während des Urlaubs des Beklagten für einen Cousin einen Kostenvoranschlag, den er nicht in Rechnung stellte, da er wegen der Bezahlung noch mit dem Beklagten sprechen wollte. Er vergaß jedoch, diesen sogleich nach der Rückkehr vom Urlaub zu fragen, weshalb er vom Beklagten, der die Durchschläge geprüft hatte, zur Rede gestellt wurde.

Etwa Anfang November 1986 erfuhr die Mutter des Klägers, daß aus der Verlassenschaft eines im Waldviertel verstorbenen Bekannten ein PKW VW Käfer zu kaufen sei. Die Mutter ersuchte den Kläger, den PKW zu holen und auf seine Fahrtüchtigkeit zu prüfen. Der Kläger entlieh dafür Überstellungskennzeichen und teilte dem Beklagten mit, daß er einen PKW aus dem Waldviertel holen und in der Werkstätte überprüfen wolle. Der Beklagte gestattete die Überprüfung. Bei Abholung des PKWs an einem Sonntag erhielt der Kläger neben dem Typenschein und einem alten Gutachten auch ein von der KFZ-Werkstätte Herbert A*** am 16.Mai 1986 ausgestelltes Überprüfungsgutachten mit Gültigkeit bis 1987. Der Kläger brachte den PKW noch am selben Tag in die Werkstätte, wo er den PKW während etwa 10 Minuten auf seine Fahrtüchtigkeit überprüfte. Er führte eine derartige Überprüfung durch, wie sie auch für die Ausgabe einer Überprüfungsplakette nach § 57a KFG notwendig ist. Dabei stellte sich heraus, daß der PKW vollkommen in Ordnung war. Der Kläger brachte den PKW daraufhin zu seiner Mutter und gab die Überstellungskennzeichen an den Beklagten zurück.

Etwa 14 Tage später stellte sich heraus, daß seine Mutter ihr Interesse an dem PKW verloren hatte, aber die Mitbeschäftigte Annemarie M*** einen PKW suchte. Nachdem ihr der Kläger erklärt hatte, daß der PKW in Ordnung sei, entschloß sich M*** zum Kauf. Der Kläger übergab ihr den Typenschein, das am 16.Mai 1986 ausgestellte Überprüfungsgutachten war aber in Verlust geraten. Da M*** den PKW ohne Gutachten nicht anmelden konnte, beauftragte der Kläger am 27.November 1986 die Angestellte Ingrid G***, ein Überprüfungsgutachten zu schreiben. Er diktierte die Abgaswerte und die Werte der Bremskräfte "in etwa so", wie er es bei der einige Wochen vorher tatsächlich durchgeführten Überprüfung festgestellt hatte. Der PKW war inzwischen nicht gefahren worden. Da der Kläger dieses Gutachten unmittelbar vor der Mittagspause diktiert hatte, vergaß er, den dafür üblichen Betrag von S 20 zu zahlen. Er wurde dazu auch nicht aufgefordert. Anschließend befand sich der Kläger auf Urlaub und im Krankenstand. Der für die Ablage bestimmte Durchschlag konnte nicht aufgefunden werden; die für das Statistische Zentralamt bestimmte Ausfertigung wurde am 4.Dezember 1986 an dieses übersendet.

Als der Beklagte erfuhr, daß der PKW M*** auf Grund des Überprüfungsgutachtens vom 27.November 1986 angemeldet worden war, entließ er am 9.Dezember 1986 den Kläger. Über Anraten des Beklagten ließ M*** den PKW sofort neuerlich überprüfen. Auch diese Überprüfung in einer anderen Werkstätte bestätigte, daß der PKW in Ordnung war.

Gegen den Kläger wurde ein Strafverfahren eingeleitet, das in zweiter Instanz mit Freispruch endete, da der PKW in Ordnung gewesen sei und der Kläger sohin keine inhaltlich unrichtige Beurkundung durchgeführt habe.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem festgestellten Sachverhalt insgesamt nicht das Gewicht eines Entlassungsgrundes zukomme. Der Kläger habe das Abstempeln der Pausenzeiten nicht vorsätzlich unterlassen und habe dies ebenso wie den begünstigten Einkauf und die kostenlose Abgabe von Kostenvoranschlägen nach Aussprache mit dem Beklagten eingestellt. Da der Kläger den PKW, wenn auch wenige Wochen vorher, tatsächlich überprüft und im Ergebnis nichts Falsches beurkundet habe, könne ihm auch nicht angelastet werden, daß er ein Überprüfungsgutachten ohne Überprüfung ausgestellt habe. Die unentgeltliche Vermittlung des PKWs seiner Mutter an die Mitbeschäftigte M*** sei kein Konkurrenzgeschäft im Sinne des § 27 Z 3 AngG.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es übernahm zwar die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme derjenigen, daß der Kläger vergessen habe, seine Frühstückpausen einzutragen, kam aber (ohne Beweiswiederholung) zum Ergebnis, daß "nicht im Entferntesten" die Rede davon sein könne, daß der Kläger eine ordnungsgemäße Überprüfung des PKWs vorgenommen habe. Er habe vielmehr bei Erstellung des Gutachtens gemäß § 57a KFG grobfahrlässig gehandelt. Ein solches Verhalten sei geeignet gewesen, daß die Ermächtigung des Beklagten zur Gutachtenserstattung hätte widerrufen werden können. Der Kläger habe daher dadurch, daß er als verantwortlicher Werkstättenmeister ein Gutachten gemäß § 57a KFG erstattet habe, ohne die im Gesetz geforderte Prüfung durchzuführen, den Entlassungstatbestand des § 27 Z 1 dritter Fall AngG verwirklicht. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, in eventu im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.

Der Beklagte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß es für die Beurteilung der Berechtigung der Entlassung des Klägers letztlich darauf ankommt, ob er tatsächlich ohne Überprüfung ein Überprüfungsgutachten im Sinne des § 57a KFG erstellte. Hinsichtlich des weiter zurückliegenden "Vergessens" der Frühstückspausen haben sich die Parteien arrangiert und es gab diesbezüglich keine weiteren Probleme (vgl. Kuderna, Das Entlassungsrecht 25 ff). Der Bezug von Ersatzteilen zum Wiederverkaufspreis war nach den Feststellungen vom Beklagten generell gestattet worden und auch hinsichtlich des kostenlos errichteten Kostenvoranschlags für einen Cousin durfte der Kläger nach der bisherigen Übung, daß für Verwandte keine Kosten verrechnet würden, davon ausgehen, daß der Beklagte zustimmen werde. Soweit der Kläger vergessen hatte, den Beklagten nach dessen Rückkehr aus dem Urlaub sofort zu fragen, stellt dies noch keine eine Entlassung rechtfertigende beharrliche Verletzung von Dienstpflichten dar. Auch kann, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, in der einmaligen unentgeltlichen Vermittlung des ursprünglich für die Mutter bestimmten PKWs an eine Mitangestellte kein Konkurrenzgeschäft im Sinne des § 27 Z 3 AngG erblickt werden (Kuderna aaO 92 f; Arb. 6.538, 10.452).

Richtig ist aber, daß die Unterlassung der Prüfung des PKWs angesichts der Vertrauensstellung des Klägers und der allfälligen Folgen für den Betrieb des Beklagten den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 dritter Tatbestand AngG verwirklichen kann (vgl. SZ 54/19; Arb. 9.863 ua). Ob dieser Entlassungsgrund vorliegt, ist auf Grund der dazu getroffenen Feststellungen zu prüfen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes bestand für den gegenständlichen PKW bereits ein am 16.Mai 1986 erstelltes Prüfungsgutachten und offenbar - was bisher nicht geklärt wurde - eine ebenfalls bis 1987 gültige Begutachtungsplakette. Der Kläger hatte Gelegenheit, den PKW anläßlich der Überstellung selbst zu fahren und konnte dabei schon entsprechende Wahrnehmungen machen. Wie das Erstgericht ausführt, sei der Kläger, da der PKW für seine Mutter bestimmt war, daran interessiert gewesen, allfällige Mängel, die auch für die Preisgestaltung eine Rolle spielten, aufzudecken. Der Kläger brachte den PKW in die Werkstätte des Beklagten und führte dort eine derartige Überprüfung durch, wie sie auch für die Ausgabe der Überprüfungsplakette nach § 57a KFG notwendig ist. Bis zur Erstellung des Gutachtens stand der PKW bei seiner Mutter. Auch eine nachträgliche neuerliche Überprüfung ergab die Fahrtüchtigkeit des Fahrzeugs.

Da das Erstgericht seine diesbezüglichen Feststellungen über die Prüftätigkeit des Klägers nicht nur auf die vom Berufungsgericht im Hinblick auf den effektiven Prüfzeitraum in der Werkstätte bezweifelte "Lebenserfahrung" stützte, sondern unter anderem auch auf die Aussage des Klägers als Partei (vgl. S. 56), hätte das Berufungsgericht von diesen Feststellungen ohne Beweiswiederholung abgehen dürfen. Dadurch, daß es feststellte, daß von einer ordnungsgemäßen Überprüfung "nicht im Entferntesten die Rede sein könne" und der Kläger das Gutachten gemäß § 57a KFG grobfahrlässig erstellt habe, verstieß es, wie der Revisionswerber zu Recht rügt, gegen den auch im Berufungsverfahren geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatz (vgl. Fasching, ZPR2 Rz 679, 1806 ff), so daß das Berufungsverfahren im Sinne des § 503 Z 2 ZPO mangelhaft geblieben ist (JBl 1987, 316 uva).

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

Anmerkung

E22011

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00210.9.1010.000

Dokumentnummer

JJT_19901010_OGH0002_009OBA00210_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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