TE OGH 1990/11/21 13Os128/90

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Veröffentlicht am 21.11.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.November 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pokorny als Schriftführerin in der Strafsache gegen Milojko H*** wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, daß das Oberlandesgericht Graz im Verfahren 9 Bs 427/89 die Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ohne dessen rechtswirksame Vorladung durchführte, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Tschulik, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Durch die Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten Milojko H***, dessen rechtswirksame Vorladung unterblieben war, hat das Oberlandesgericht Graz im Verfahren 9 Bs 427/89 das Gesetz in den §§ 471 Abs. 1, 489 Abs. 1 StPO verletzt.

Das in diesem Verfahren gefällte Urteil sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen werden aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Graz aufgetragen, über die Berufung der Staatsanwaltschaft unter Beachtung der zitierten Verfahrensvorschriften neuerlich zu verhandeln und zu entscheiden.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 1. August 1989, GZ 9 E Vr 1540/89-15, wurde u.a. Milojko H*** des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Erteilung der Rechtsbelehrung meldete der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Berufung "wegen zu milder Bestrafung" an. Eine Rechtsmittelerklärung des Angeklagten wurde nicht protokolliert.

Am 11.August 1989 wurde von der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht für Strafsachen Graz die Berufungsausführung überreicht. Dem Angeklagten Milojko H*** wurde die Berufungsausführung an seine damalige Anschrift 8055 Graz, Gmeinstraße 43 zugestellt (ON 19). Zu der für den 6.Dezember 1989 10,30 Uhr anberaumten Berufungsverhandlung wurde Milojko H*** zunächst an seiner bisherigen Adresse und nach einem (laut Kanzleivermerk vom 30.August 1990 später in Verlust geratenen) Postfehlbericht neuerlich unter der von der kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Graz bekannt gegebenen Anschrift 8052 Graz, Reininghausstraße 46/4 geladen (ON 23 und Akt 9 Bs 427/89 des Oberlandesgerichtes Graz).

Obwohl eine Zustellung der Ladung nicht ausgewiesen war (laut Kanzleivermerk vom 6.September 1990 konnte der nach postamtlicher Hinterlegung beim Oberlandesgericht Graz rückgelangte RSa-Brief nicht mehr aufgefunden werden), faßte das Berufungsgericht den Beschluß, die Berufungsverhandlung gemäß den §§ 471 Abs. 4, 489 Abs. 1 StPO in Abwesenheit des (nicht erschienenen) Angeklagten durchzuführen, weil diesem bekannt gewesen sei, daß der Staatsanwalt Berufung erhoben hat, und ihm die Berufungsausführung zugestellt worden sei (ON 24 des Bezugsaktes und Akt 9 Bs 427/89 des Oberlandesgerichtes Graz). Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 6.Dezember 1989 wurde der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe dahin Folge gegeben, daß die über Milojko H*** verhängte Freiheitsstrafe erhöht und die bedingte Strafnachsicht ausgeschaltet wurde (ON 25).

Auf Grund einer neuerlichen Anfrage beim Meldeamt der Bundespolizeidirektion Graz nach Rechtskraft des Urteils kam hervor, daß Milojko H*** an der Adresse 8052 Graz,

Reininghausstraße 47/IV/40 wohnhaft ist (ON 30 des Bezugsaktes). Ein vom Verurteilten eingebrachter Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil des Berufungsgerichtes wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 31.Mai 1990 als unzulässig zurückgewiesen (ON 37).

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten Milojko H*** durch das Oberlandesgericht Graz steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach den gemäß dem § 489 Abs. 1 StPO für das Berufungsverfahren gegen Urteile des Einzelrichters eines Gerichtshofes erster Instanz anzuwendenden Vorschriften des § 471 Abs. 1 und Abs. 4 StPO ist für den Fall, daß zur Entscheidung über die Berufung ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung angeordnet wird, der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte rechtzeitig mit dem Bemerken vorzuladen, daß im Falle seines Ausbleibens mit Berücksichtigung des in der Berufungsausführung und in der Gegenausführung Vorgebrachten über die Berufung dem Gesetz gemäß erkannt werden würde. In Beachtung des Grundsatzes des beiderseitigen Gehörs muß dem Angeklagten demnach die Möglichkeit gegeben werden, sich an der Berufungsverhandlung persönlich zu beteiligen oder sich bei dieser vertreten zu lassen. Solange der Nachweis der ordnungsgemäßen Zustellung der Vorladung des Angeklagten Milojko H*** zur mündlichen Berufungsverhandlung nicht vorlag, durfte daher eine Berufungsverhandlung nicht durchgeführt und über die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht entschieden werden. Dabei ist es ohne Belang, ob der Angeklagte vom Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Kenntnis hatte. Im vorliegenden Fall war eine den Vorschriften des ZustellG entsprechende (§ 80 Abs. 1 StPO) - nicht zu eigenen Handen vorzunehmende (§ 79 Abs. 3 StPO) - Ladung des Angeklagten Milojko H*** zur Berufungsverhandlung nicht bewirkt worden, weil der (zweite) Zustellversuch nicht an der gemäß dem § 4 ZustellG vorgesehenen Abgabestelle, dh in der tatsächlichen Wohnung oder Unterkunft des Adressaten, sondern ersichtlich zufolge eines Schreibfehlers an einer falschen Anschrift unternommen und, weil die Ladung zur Berufungsverhandlung an dieser Abgabestelle nicht zugestellt werden konnte, postamtlich hinterlegt worden war (§ 17 Abs. 1 ZustellG). Da der Empfänger mangels eines Aufenthaltes an der Zustelladresse vom Zustellvorgang keine Kenntnis erlangen konnte (§ 17 Abs. 3 vierter Satz ZustellG), lag somit keine rechtswirksame Zustellung der Ladung zur Berufungsverhandlung am 6.Dezember 1989 vor, sodaß der Angeklagte Milojko H*** in seinem Recht auf Anhörung im Berufungsverfahren verletzt wurde (vgl 12 Os 44/88). Da diese Gesetzesverletzung dem Genannten ersichtlich zum Nachteil gereichte, war der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E22273

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0130OS00128.9.1121.000

Dokumentnummer

JJT_19901121_OGH0002_0130OS00128_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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