TE Vfgh Erkenntnis 2008/12/9 B1110/08

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Veröffentlicht am 09.12.2008
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a Abs1 Z4
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien, Art13
AVG §67a, §73
VStG §24, §51c, §52b

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf eine wirksame Beschwerde sowie gegendas Gebot eines Mindestmaßes an faktischer Effizienz desRechtsschutzes iSd Rechtsstaatsprinzips durch die Beschränkung derGeltendmachung der Entscheidungspflicht in Verwaltungsstrafverfahrenauf Privatanklagesachen und auf das landesgesetzlicheAbgabenstrafrecht; Devolutionsantrag kein effektiver Rechtsbehelfmangels Zulässigkeit in von Amts wegen eingeleiteten Verfahren;Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richterdurch Zurückweisung eines Devolutionsantrags infolge Entscheidungdurch ein Einzelmitglied des Unabhängigen Verwaltungssenates anstattdurch eine Kammer entsprechend der Generalklausel des VStG

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Oberösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit zwei Strafverfügungen vom 23. Jänner 2007 und mit

einer Strafverfügung vom 8. Februar 2007 hat die Bezirkshauptmannschaft Gmunden über die Beschwerdeführerin wegen Überschreitung der durch Straßenverkehrszeichen kundgemachten höchst zulässigen Geschwindigkeit nach §52 lita Z10a StVO zwei Geldstrafen in Höhe von je € 72,-- und eine Geldstrafe in Höhe von € 50,-- verhängt. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Strafverfügungen mit Schriftsätzen vom 30. Jänner 2007 und vom 14. Februar 2007 Einspruch erhoben. Mit Schreiben vom 2. Jänner 2008 sowie vom 25. Jänner 2008 wurde die Beschwerdeführerin von der Bezirkshauptmannschaft Gmunden zur Rechtfertigung aufgefordert. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2008 hat die Beschwerdeführerin in Bezug auf alle drei Verfahren eine Rechtfertigung erstattet und die Einstellung der Verfahren beantragt.

2. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2008 stellte die Beschwerdeführerin einen Devolutionsantrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung aller drei Verwaltungsstrafverfahren an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS Oberösterreich). Mit Bescheid des UVS Oberösterreich durch Einzelmitglied vom 15. Februar 2008 wurde der Devolutionsantrag hinsichtlich der Verwaltungsstrafverfahren als unzulässig zurückgewiesen.

Begründend führte der UVS Oberösterreich im Wesentlichen aus, dass der Bestimmung des §52b VStG keine andere Bedeutung unterstellt werden könne als jene, dass Devolutionsanträge ausschließlich nur in Privatanklagesachen und im landesgesetzlichen Abgabenstrafrecht zulässig seien. Für den Regelfall, also in den übrigen Verwaltungsstrafverfahren, sei ein Übergang der Entscheidungspflicht auf die Oberbehörde bzw. den unabhängigen Verwaltungssenat nicht vorgesehen.

3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde werden Verstöße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren und auf eine wirksame Beschwerde sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen (§52b VStG, Art129a Abs1 Z4 B-VG, Art132 2. Satz B-VG) gerügt. Die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Bescheid (kostenpflichtig) aufzuheben bzw. - in eventu - (kostenpflichtig) festzustellen, dass die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Zugang zu einem Gericht nach Art6 EMRK und auf eine wirksame Beschwerde nach Art13 EMRK verletzt worden ist.

Die Bestimmung des §52b VStG verstoße sowohl gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip (in Form des Gebotes eines Mindestmaßes an faktischer Effizienz des Rechtsschutzes) als auch gegen Art13 EMRK, weil einem Beschuldigten in Verwaltungsstrafverfahren kein Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, mit welchem dieser sein Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist gemäß Art6 EMRK durchsetzen könne. Während nach §51 Abs7 VStG ein Straferkenntnis ex lege außer Kraft trete, wenn der unabhängige Verwaltungssenat nicht binnen 15 Monaten ab dem Einlangen der Berufung gegen ein Straferkenntnis hierüber entscheidet, bestünden für die Bezirksverwaltungsbehörden in Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz keinerlei Entscheidungsfristen, erst drei Jahre nach dem Abschluss der strafbaren Tätigkeit bzw. dem Aufhören des strafbaren Verhaltens dürfe ein Straferkenntnis nicht mehr gefällt werden (§31 Abs3 1. Satz VStG). Es sei einer sachlichen Begründung nicht zugänglich, warum zwar in Privatanklagesachen und im landesgesetzlichen Abgabenstrafrecht die Devolutionsmöglichkeit gegeben sei, nicht aber im übrigen Verwaltungsstrafrecht, welches schließlich den weitaus überwiegenden Anteil der Verwaltungsstrafverfahren ausmache. Das Verwaltungsstrafgesetz gebe dem Beschuldigten auch keinen anderen Rechtsbehelf zur Hand, das Verwaltungsstrafverfahren zu beschleunigen bzw. von den Verwaltungsstrafbehörden eine Entscheidung ohne unnötige Verzögerung zu verlangen.

Art 129a Abs1 Z4 B-VG verstoße nicht nur - aus den zu §52b VStG dargelegten Gründen - gegen Art6 und 13 EMRK, sondern stehe auch in Widerspruch zu Art1 und Art17 EMRK, wonach keine Bestimmung der Konvention dahingehend ausgelegt werden dürfe, dass sie unter anderem für einen Staat das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten als in der Konvention vorgesehen, hinzielt. Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1994, B1045/94 (VfSlg. 13.987/1994), verstoße die Regelung auch gegen das Rechtsstaatsprinzip. In diesem Erkenntnis habe der Verfassungsgerichtshof kein Hindernis gesehen, in Wiedereinsetzungsangelegenheiten die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes als Gesetze im Sinne des Art129a Abs1 Z3 B-VG anzusehen, zumal nur durch eine solche Betrachtung eine dem rechtsstaatlichen Prinzip zuwider laufende Rechtsschutzlücke vermieden werden könne. Aus dem Erkenntnis G12/00 vom 11. Oktober 2001 (VfSlg. 16.327/2001) zeige sich, dass auch Verfassungsbestimmungen verfassungswidrig sein könnten, wenn sie in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung stehen.

Der zweite Satz des Art132 B-VG stelle einen Verstoß gegen die Verfassungsrechtslage - konkret gegen Art130 Abs1 litb B-VG sowie gegen Art6 und 13 EMRK und das Rechtsstaatlichkeitsprinzip - dar, da im Verwaltungsstrafrecht, abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall einer Privatanklage- oder Finanzstrafsache, die Einbringung einer Säumnisbeschwerde gegen Verfahrensverzögerungen vor den unabhängigen Verwaltungssenaten unzulässig ist.

Die Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmung des §52b VStG führe zu einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Ein Verstoß gegen dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht liege darüber hinaus deshalb vor, weil die belangte Behörde durch das laut Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied entschieden habe, obwohl nach §67a AVG in Angelegenheiten der Z1 über Anträge, für deren Erledigung die unabhängigen Verwaltungssenate in erster Instanz oder gemäß §73 Abs2 AVG zuständig sind, die Entscheidung durch eine Kammer, die aus drei Mitgliedern bestehe, vorgesehen sei. Darüber hinaus dauere das erstinstanzliche Verwaltungsstrafverfahren bereits unangemessen lang, wobei zwei Phasen der Inaktivität festzustellen seien.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift grundsätzlich Abstand genommen, jedoch eine Stellungnahme zum Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend die Entscheidungszuständigkeit abgegeben.

5. Die Beschwerdeführerin hat in einer "Beschwerdeergänzung" zum Vorbringen der belangten Behörde Stellung bezogen.

6. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes eine Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen erstattet.

7. Ausweislich den von der belangten Behörde dem Verfassungsgerichtshof - nachträglich am 21. November 2008 - vorgelegten Verwaltungsakten der Bezirkshauptmannschaft Gmunden ist in keinem der Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz bis zu diesem Tage ein Straferkenntnis erlassen worden.

II. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I 5/2008, lauten wie folgt:

"2. Abschnitt: Besondere Bestimmungen für das Verfahren
vor den unabhängigen Verwaltungssenaten

Zuständigkeit; Besetzung

§67a. Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern entscheiden:

1. über Anträge und Berufungen in Angelegenheiten, die ihnen durch die Verwaltungsvorschriften zugewiesen sind;

2. über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.

Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern durch Einzelmitglied. In den Angelegenheiten der Z1 entscheiden sie über Anträge, für deren Erledigung sie als erste Instanz oder gemäß §73 Abs2 zuständig sind, und über Berufungen gegen Bescheide des Landeshauptmannes, der Landesregierung, einer sonstigen Behörde, deren Sprengel das gesamte Landesgebiet, soweit es sich nicht um das Gebiet des Landes Wien handelt, umfasst, oder eines Kollegialorgans durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen. Über Berufungen gegen verfahrensrechtliche Bescheide entscheiden sie durch Einzelmitglied. In den Angelegenheiten der Nachprüfung einschließlich der Erlassung einstweiliger Verfügungen im Rahmen der Vergabe von Aufträgen im Unterschwellenbereich entscheiden sie durch Einzelmitglied.

[...]

4. Abschnitt: Entscheidungspflicht

§73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§39 Abs2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

(3) Für die Oberbehörde (den unabhängigen Verwaltungssenat) beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Tag des Einlangens des Devolutionsantrages zu laufen."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl. 52, zuletzt geändert durch BGBl. I 5/2008, lauten wie folgt:

"II. Teil: Verwaltungsstrafverfahren

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

[...]

§24. Soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, gilt das AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren. Die §§2, 3, 4, 11, 12, 13 Abs8, 14 Abs3 zweiter Satz, 36 Abs2, 37 zweiter Satz, 39 Abs3, 41, 42, 44a bis 44g, 51, 51d, 57, 63 Abs1, 64 Abs2, 66 Abs2, 67a bis 67d, 67h, 68 Abs2 und 3, 75, 76a zweiter Satz, 78, 78a, 79, 79a, 80, 81 und 82 AVG sind im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden.

[...]

5. Abschnitt: Rechtsschutz durch
unabhängige Verwaltungssenate

[...]

Besetzung

§51c. Wenn in dem mit Berufung angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 2 000 € übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern durch Einzelmitglied. Ansonsten entscheiden sie, abgesehen von den gesetzlich besonders geregelten Fällen, durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen.

[...]

6. Abschnitt: Sonstige Abänderung von Bescheiden

[...]

Entscheidungspflicht

§52b. §73 AVG ist nur in Privatanklagesachen und im landesgesetzlichen Abgabenstrafrecht anzuwenden. Örtlich zuständig ist der unabhängige Verwaltungssenat des Landes, in dem die Unterbehörde ihren Sitz hat."

3. Die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern ist in Art129a B-VG, BGBl. 1/1930 idF BGBl. I 100/2005, geregelt.

Art 129a B-VG lautet auszugsweise wie folgt:

"A. Unabhängige Verwaltungssenate in den Ländern

Artikel 129a. (1) Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern erkennen nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher in Betracht kommt,

1. in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen, ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes,

2. über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes,

3. in sonstigen Angelegenheiten, die ihnen durch die die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetze zugewiesen werden,

4. über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheiten der Z1, soweit es sich um Privatanklagesachen oder um das landesgesetzliche Abgabenstrafrecht handelt, und der Z3.

(2) - (3) [...]"

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A) Zu den vorgebrachten Bedenken gegen Gesetze:

1. Die Beschwerdeführerin bringt zunächst vor, dass die Bestimmung des §52b VStG sowohl gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip (in Form des Gebotes eines Mindestmaßes an faktischer Effizienz des Rechtsschutzes) als auch gegen Art13 EMRK verstoße, weil einem Beschuldigten in Verwaltungsstrafverfahren kein Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, mit welchem dieser sein Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist gemäß Art6 EMRK durchsetzen könne.

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin stellt der Devolutionsantrag gemäß §73 Abs2 AVG einen solchen Rechtsbehelf dar. Dabei übersieht sie jedoch, dass ein Devolutionsantrag nach §73 Abs2 AVG an die Verpflichtung der Behörde gemäß §73 Abs1 AVG anknüpft, |ber Anträge von Parteien und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Zwar wäre §73 AVG im Falle einer Aufhebung der Bestimmung des §52b VStG in Verwaltungsstrafverfahren grundsätzlich anwendbar, da sich die Bestimmung nicht in der Aufzählung des §24 VStG befindet. Die dadurch entstehende Rechtslage würde jedoch nicht bedeuten, dass einem Beschuldigten gegen die Säumnis von Verwaltungsstrafbehörden erster Instanz mit der Erledigung des Verwaltungsstrafverfahrens ein effektiver Rechtsbehelf im Sinne von Art13 EMRK zur Verfügung stünde, da der Devolutionsantrag an Anträge von Parteien oder Berufungen geknüpft ist, jedoch nicht in Bezug auf von Amts wegen eingeleitete (Verwaltungsstraf-)Verfahren zur Anwendung kommen kann. Demgemäß bezieht sich die Zulässigkeit des Devolutionsantrages auch im landesgesetzlichen Abgabenstrafrecht lediglich auf verfahrensrechtliche Anträge durch jene Parteien, die einen Erledigungsanspruch haben und allenfalls - unter der Annahme, dass ein Beschuldigter im landesgesetzlichen Abgabenstrafverfahren einen Erledigungsanspruch hat - auf Anträge auf Einstellung eines Verfahrens (so Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II, 20002, §52b VStG, Rz 3). In Bezug auf die Erledigung erstinstanzlicher Verwaltungsstrafverfahren innerhalb angemessener Frist stellt ein Devolutionsantrag gemäß §73 AVG sohin keinen effektiven Rechtsbehelf im Sinne von Art13 iVm Art6 EMRK dar, da er im Ergebnis nicht zu einer (rascheren) Beendigung des Verwaltungsstrafverfahrens führen kann. Vor diesem Hintergrund führt die Bestimmung des §52b VStG gerade nicht dazu, dass der Beschwerdeführerin ein effektiver Rechtsbehelf im Sinne des Art13 EMRK zur Geltendmachung überlanger Verfahrensdauer vorenthalten wird.

Die Bedenken der Beschwerdeführerin ob der Verfassungswidrigkeit des §52b VStG gehen damit ins Leere. Der Verfassungsgerichtshof hegt aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des §52b VStG.

2. Zur Behauptung, die Art129a Abs1 Z4 B-VG und Art132 B-VG seien verfassungswidrig bzw. würden gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen, ist zunächst festzuhalten, dass (einfache) Verfassungsbestimmungen nicht gegen andere (einfache) Verfassungsbestimmungen verstoßen können. Im Hinblick auf den mit Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.987/1994 begründeten Versuch der Beschwerdeführerin, einen Verstoß der Bestimmungen gegen das Rechtsstaatsprinzip darzutun, ist auf die Ausführungen unter Punkt III.A)1. hinzuweisen. Vor diesem Hintergrund kann auch aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.987/1994 kein Verstoß der Bestimmung gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bundesverfassung abgeleitet werden. Zwar hat der Verfassungsgerichtshof dort eine "dem rechtsstaatlichen Prinzip zuwiderlaufende Rechtsschutzlücke" erblickt, weil ein Devolutionsantrag in Bezug auf einen Wiedereinsetzungsantrag in einem Verwaltungsstrafverfahren zurückgewiesen worden war. Daraus könnte zwar abgeleitet werden, dass die Bestimmung des Art129a Abs1 Z4 B-VG, die die Zulässigkeit des Devolutionsantrages im Verwaltungsstrafverfahren auf Privatanklagesachen und das landesgesetzliche Abgabenstrafrecht beschränkt, das Rechtsstaatsprinzip berührt (insbesondere insoweit, als für verfahrensrechtliche Anträge im Verwaltungsstrafverfahren keine Möglichkeit eines Devolutionsantrages besteht), keineswegs ergibt sich jedoch daraus ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die Bestimmung bewirkt keinen schwerwiegenden und umfassenden Eingriff in das Rechtsstaatsprinzip.

In Bezug auf die gegen Art132 B-VG vorgebrachten Bedenken verweist der Verfassungsgerichtshof schließlich darauf, dass es dieser Bestimmung im vorliegenden Verfahren bereits an der Präjudizialität mangelt.

3. Auch im Übrigen sind gegen die den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine Bedenken entstanden, weshalb die Beschwerdeführerin nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt ist.

B) Zu den behaupteten Vollzugsmängeln:

1. Die Beschwerdeführerin erachtet sich unter anderem in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Die belangte Behörde habe durch das laut Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied entschieden, obwohl nach §67a AVG in Angelegenheiten der Z1 über Anträge, für deren Erledigung die unabhängigen Verwaltungssenate in erster Instanz oder gemäß §73 Abs2 AVG zuständig sind, die Entscheidung durch eine Kammer, die aus drei Mitgliedern bestehe, vorgesehen sei.

2. Die belangte Behörde hält dem entgegen, dass §67a AVG gemäß §24 VStG im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden sei, weshalb die Frage der Beurteilung der Zuständigkeit im Verwaltungsstrafverfahren an der Bestimmung des §51c VStG zu messen sei. Daraus ergebe sich, dass eine Kammerzuständigkeit im Verwaltungsstrafverfahren nur in Ausnahmefällen, welche in §51c VStG ausdrücklich festgelegt wurden, gegeben sei. Da kein Bescheid zu beurteilen war, in dem eine primäre Freiheitsstrafe oder eine € 2.000 übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, sei nach Auffassung der belangten Behörde somit ausschließlich ein Einzelmitglied zuständig.

3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000 und 16.572/2002).

Ein solcher Vollzugsfehler ist der belangten Behörde im vorliegenden Fall unterlaufen:

Für Verwaltungsstrafverfahren wird die Besetzung der unabhängigen Verwaltungssenate durch §51c VStG geregelt, da §67a AVG gemäß §24 VStG im Verwaltungsstrafverfahren keine Anwendung findet.

§51c VStG regelt die Besetzung der unabhängigen Verwaltungssenate ausdrücklich nur für die Entscheidung über Berufungen, sieht aber darüber hinaus in einer Generalklausel vor, dass die Entscheidung "ansonsten ..., abgesehen von den gesetzlich besonders geregelten Fällen" durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen, erfolgt. Laut den Materialien zur Novelle BGBl. I 158/1998, mit der die Generalklausel eingefügt wurde, dient diese insbesondere dazu, die - bis dahin ungeregelte - Besetzung der unabhängigen Verwaltungssenate in Verfahren auf Grund eines Devolutionsantrages klarzustellen (s. AB 1167 BlgNR 20. GP). Im vorliegenden Fall hatte der unabhängige Verwaltungssenat über einen - im Hinblick auf §52b VStG grundsätzlich unzulässigen - Devolutionsantrag in einem Verwaltungsstrafverfahren zu entscheiden. Da für derartige Verfahren keine besondere Besetzungsregelung besteht, gelangt die Generalklausel des §51c VStG zur Anwendung.

Der UVS Oberösterreich hat über den Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin durch ein Einzelmitglied entschieden. Nach §51c VStG hätte die Entscheidung aber durch eine Kammer des UVS Oberösterreich erfolgen müssen.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabengebühr in der Höhe von € 180,-- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Unabhängiger Verwaltungssenat, Behördenzusammensetzung,Verwaltungsverfahren, Entscheidungspflicht, Anwendbarkeit AVG,Verwaltungsstrafrecht, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz, Devolution,Entscheidung in angemessener Zeit, Verfahrensdauer überlange

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:B1110.2008

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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