Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Edith Söllner und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hermann G***, Schüler, Gutau Nr. 105, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Isidor G***, Pensionist, St. Leonhard bei Freistadt, Unterniederndorf 3, vertreten durch Dr. Josef Schardtmüller, Rechtsanwalt in Pregarten, wegen 120.000 S sA und Feststellung (Streitwert 20.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 1990, GZ 12 Ra 3/90-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29. September 1989, GZ 14 Cga 118/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.172,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.028,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 31. Juli 1986 kam es auf der Baustelle Schloß Weinberg in Kefermarkt zu einem Arbeitsunfall, bei dem der Kläger eine Gehirnerschütterung, Halswirbel- und Rückenprellungen sowie einen Bruch des rechten Daumens erlitt.
Der Kläger begehrt einen Betrag von 120.000 S sA an Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus diesem Unfall. Der Kläger sei im Sommer 1986 als Ferialarbeiter bei der Firma S*** beschäftigt gewesen und habe am Unfalltag auf der Baustelle Schloß Weinberg in Kefermarkt gearbeitet. Er sei damit beschäftigt gewesen, mit Beton gefüllte Schiebetruhen vom Bauaufzug abzuladen. Dazu habe der Kläger vorerst die Fixierung des Schwenkkorbes lösen und mit einem Fuß in den Schwenkkorb steigen müssen. Eine Unterweisung des Klägers sei nicht erfolgt. Als der Kläger am Unfalltag um ca. 15.15 Uhr beim Abladevorgang wieder die Fixierung lösen wollte, sei er mit einem Fuß in den Schwenkkorb gestiegen. In diesem Augenblick sei der ebenfalls nicht unterwiesene 17-jährige Hilfsarbeiter Manfred H***, der mit der Bedienung des Aufzuges beauftragt worden sei, mit dem Aufzug nach unten gefahren. Dadurch habe der Kläger das Gleichgewicht verloren und sei ca. 6 m in die Tiefe gestürzt. Der Beklagte sei bei der Firma K*** beschäftigt gewesen und habe die Baustelle Schloß Weinberg als Maurerpolier betreut. Er habe zwar für die Sicherheit auf der Baustelle die Verantwortung getragen, sei aber nicht Vorgesetzter des Klägers gewesen und habe den Kläger auch faktisch nicht beaufsichtigt oder überwacht. Der Beklagte sei strafgerichtlich verurteilt worden, weil er es als Polier auf der Baustelle unterlassen habe, den Kläger über die sichere Bedienung des Aufzuges zu informieren, so daß dieser beim Betreten des gerade nach unten fahrenden Förderkorbes ca. 6 m hinabgestürzt sei. Der Kläger, der sich im Strafverfahren als Privatbeteiligter angeschlossen habe, sei mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden. Er sei nicht bei der A***, sondern nur bei der Firma S*** beschäftigt gewesen und von dieser auf der Baustelle eingesetzt worden. Selbst wenn tatsächlich eine A*** bestanden haben sollte, sei eine dauernde Organisation und damit ein Betrieb nicht vorgelegen. An der Baustelle hätten diverse Firmen unabhängig voneinander Tätigkeiten verrichtet. Allfällige zivilrechtliche Zusammenschlüsse von Firmen, die Tätigkeiten ausgeübt hätten, hätten keine Änderung der Arbeitsweise der Firmen an der Baustelle bewirkt. Schließlich sei die Anwendung des § 333 Abs 4 ASVG auf eine A*** nicht gerechtfertigt, weil die Firma K***, bei der der Beklagte beschäftigt gewesen sei, keine Aufwendungen für die Unfallversicherung des damals bei der Firma S*** beschäftigten Klägers vorgenommen habe.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach den bindenden Feststellungen des Strafgerichtes habe der Beklagte die Aufsicht über 20 bis 25 Arbeiter gehabt, die von den drei an der Baustelle tätigen Firmen beigestellt worden seien. Die Bauunternehmungen Ing. Josef S*** Baugesellschaft mbH, B. K*** Baugesellschaft mbH und Ing. Johann H*** seien als Arbeitsgemeinschaft mit der Verrichtung der zur Vorbereitung der Oberösterreichischen Landesausstellung 1988 erforderlichen Bauarbeiten an der Großbaustelle Schloß Weinberg beauftragt worden. Der Beklagte berufe sich auf das aaftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG, das auch zum Tragen komme, wenn eine vertraglich begründete Arbeitsgemeinschaft zwischen den Arbeitgebern bestehe. Sei der Aufseher im Betrieb des Verletzten wie ein Betriebsangehöriger eingegliedert oder der Verletzte in den des Aufsehers - dies sei insbesondere beim organisierten Zusammenwirken zweier Unternehmen zur Verrichtung eines gemeinsamen Zweckes gegeben -, komme dem Aufseher die Haftungsbegünstigung des § 333 Abs 4 ASVG zu. Der Beklagte habe für die A*** hinsichtlich der an der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmer sämtlicher beteiligter Unternehmen unumschränkte Weisungsbefugnisse gehabt. Er habe den jeweiligen Arbeitern und Angestellten die Arbeitsplätze zuweisen und sie über Sicherheitsvorkehrungen unterweisen müssen. Der Kläger stütze zwar einerseits die Haftung des Beklagten auf dessen Weisungsbefugnisse gegenüber dem Kläger, bestreite aber andererseits diese Weisungsbefugnis.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und übernahm gemäß § 268 ZPO folgende Feststellungen:
An der Baustelle wurde der Kläger jeden Tag vom Polier (dem Beklagten) ebenso wie die anderen Arbeiter zu den verschiedensten Tätigkeiten - unter anderem auch mit Arbeitskollegen zur Arbeit beim Aufzug - eingeteilt. Der Kläger wurde ebensowenig wie andere dem Beklagten unbekannte Arbeiter gefragt, ob er wisse, wie die Be- und Entladung des Aufzuges zu erfolgen habe, ohne in der Bedienung des Aufzuges unterwiesen zu werden. Am 31. Juli 1986 teilte der Beklagte den Kläger gemeinsam mit dem Maurergesellen Thomas H*** und dem 17-jährigen Manfred H*** zur Arbeit beim Aufzug ein. Der letztgenannte Arbeitnehmer war schon bisher damit beschäftigt gewesen, mit dem Aufzug Beton nach oben und Schutt nach unten zu fahren. Aus diesem Grund beauftragte ihn der Beklagte wieder mit der Bedienung des Materialaufzuges; außerdem besorgte er auch den Getränkeverkauf. Der Kläger und Thomas H*** übernahmen die Arbeit an der Entladestelle, und zwar das Abladen der Schiebetruhen mit Beton und das Beladen der Schiebetruhen mit Bauschutt. Zwischen 15.00 Uhr und 15.15 Uhr beförderte Manfred H*** zwei Schiebetruhen mit Beton nach oben. Als ein Kollege zu ihm kam und ein Getränk verlangte, verließ Manfred H*** den Aufzug und kam nach 5 Minuten wieder zurück. Auch der Kläger unterbrach den bisherigen Rhythmus, weil er für einen Kollegen etwas holen mußte. Als Manfred H*** vom Getränkeverkauf zurückkam, glaubte er, daß der Korb inzwischen entladen sei und setzte den Aufzug zum Hinunterfahren in Gang. Gerade in diesem Moment trat der Kläger mit einem Fuß auf die Ladefläche zum Entladen und stürzte kopfüber 6 Meter hinunter. Der Arbeitsunfall wäre unterblieben, wenn der Kläger eine Holzlatte zum Lösen der Sicherung im Schwenkkorb verwendet hätte und nicht zur Vornahme dieser Tätigkeit in den Aufzug gestiegen wäre.
Weiters traf das Erstgericht auf Grund der im Strafverfahren abgelegten Aussage des Zeugen Josef W*** folgende Feststellungen:
An der Baustelle in Schloß Weinberg arbeiten gemeisnam die Firmen K***, S*** und H***. Die Firma S*** war vom
Bauherrn, dem Bundesland Oberösterreich, die Bauleitung übertragen worden. Die Firma S*** stellte den Kontakt zu den Behörden her und war auch für die Abrechnung zuständig. Für die Baustelle Schloß Weinberg war der bei der Firma K*** beschäftigte Beklagte als Polier zuständig; die Firma K*** stellte auch anderes Personal. Von der Firma H*** kamen Hilfsarbeiter und Maurer. Das Personal "lief" unter dem Polier (dem Beklagten). Der von den Chefs aller drei beteiligten Unternehmen als Polier vorgeschlagene Beklagte koordinierte auch die Arbeiter der Firmen S*** und H***. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der auf Grund einer Vereinbarung der die Baustelle betreuenden Unternehmen als Polier eingesetzte Beklagte Vorgesetzter des bei einem anderen Unternehmen beschäftigten Klägers gewesen sei. Er habe die Arbeitseinteilung vorgenommen und sei weisungsberechtigt gewesen. Im Rahmen der A*** sei der Beklagte Aufseher über den Kläger gewesen, so daß ihm das Haftungsprivileg nach § 333 Abs 4 ASVG zukomme. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten habe sich darauf gegründet, daß er als Anordnungsbefugter im Sinne des § 3 Abs 2 BauarbeiterschutzVO für die Einhaltung der für die Baustelle maßgeblichen Sicherheitsvorschriften verantwortlich gewesen sei und verpflichtet gewesen wäre, den Kläger mit der sicheren Handhabung des Aufzuges vertraut zu machen. Als Anordnungsbefugter hätte er dafür sorgen müssen, daß an der Aufzugsentladestelle eine Stange mit einem Haken vorhanden ist, um ein Betreten des Fördergerätes beim Entladen zu vermeiden. Die Haftungsbefreiung komme auch zum Tragen, wenn mehrere Unternehmen zur Erzielung eines Arbeitserfolges zusammenarbeiteten und dem Schädiger ein Weisungs- und Aufsichtsrecht zustehe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor.
Der Revisionswerber macht unter diesem Berufungsgrund die unrichtige Anwendung des § 268 ZPO durch das Berufungsgericht geltend. Unter Annahme einer Bindungswirkung sei das Berufungsgericht von der Unerheblichkeit der Beweisführung des Klägers zur Behauptung, er sei in einem anderen Betrieb beschäftigt gewesen als der Beklagte, ausgegangen. Darüber hinaus wird geltend gemacht, daß § 268 ZPO verfassungswidrig sei, weil durch die Bindung das in Art. 6 MRK verankerte Recht der Parteien auf Gehör verletzt werde.
Mit Erkenntnis vom 12. Oktober 1990, G 73/89-11, hat der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 268 ZPO als verfassungswidrig aufgehoben, ohne eine Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung zu setzen. Dieser Ausspruch wurde mit BGBl 706/1990, ausgegeben am 16. November 1990, kundgemacht.
Da die von den Vorinstanzen gemäß § 268 ZPO übernommenen Feststellungen, wie zur Rechtsrüge auszuführen sein wird, im Hinblick auf das vom Kläger erstattete Vorbringen entbehrlich sind, erübrigt sich eine Stellungnahme zur Frage, inwieweit die Aufhebung der dem Verfahrensrecht zuzuordnenden Bindungsnorm des § 268 ZPO in diesem Verfahren zu berücksichtigen ist.
Auch wenn man der rechtlichen Beurteilung nur das Vorbringen des Klägers zugrundelegt, erweist sich die Rechtsrüge als unberechtigt. Der Kläger leitet die Haftung des am Unfallereignis nicht unmittelbar beteiligten Beklagten daraus ab, daß dieser die Baustelle Schloß Weinberg als Maurerpolier betreut und die Verantwortung für die Sicherheit auf der Baustelle getragen habe, daß er es aber unterlassen habe, den Kläger über die sichere Bedienung des Aufzuges zu informieren. Schon daraus ergibt sich, daß dem Beklagten gegenüber dem Kläger Überwachungs- und Anordnungsbefugnisse - zumindest bezüglich der bei der Arbeit zu beachtenden Sicherheitsvorkehrungen - im Rahmen eines organisierten Zusammenwirkens zur Erzielung eines gemeinsamen Arbeitserfolges zukamen. Der Umstand, daß der Beklagte nicht demselben Unternehmen angehörte wie der Kläger, führt im Falle des organisierten Zusammenwirkens zur Erzielung eines gemeinsamen, auch dem Arbeitgeber des Klägers zugutekommenden Arbeitserfolges nicht dazu, auf den Beklagten die Bestimmung des § 333 Abs 4 ASVG nicht anzuwenden (siehe Koziol Haftpflichtrecht II2 226; Arb 9.669; SZ 52/66; RdA 1987, 447 [Albert] ua). Wird von den im Rahmen einer A*** zusammenwirkenden Unternehmen der Arbeitnehmer eines Unternehmens als Aufsichtsperson bestimmt, dann handelt er bei Ausübung der Weisungsbefugnisse auch in Vertretung der übrigen an der A*** beteiligten Unternehmer, so daß ihm das auf die Delegation der Weisungsbefugnisse zurückzuführende Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG auch bezüglich jener Arbeitnehmer zukommt, die nicht von seinem Arbeitgeber beschäftigt werden. Der Argumentation des Revisionswerbers ist entgegenzuhalten, daß es sachlich nicht zu rechtfertigen wäre, dem auch die von den übrigen Mitgliedern der A*** übertragenen einheitlichen Weisungsbefugnisse ausübenden, gemeinsam bestellten Aufseher den Haftungsausschluß nur gegenüber den Arbeitnehmern des eigenen Arbeitgebers zuzubilligen. Soweit der Revisionswerber die Verfassungsmäßigkeit des Haftungsprivilegs des Arbeitgebers und der ihm gemäß § 33 Abs 4 ASVG gleichgestellten Arbeitnehmer in Zweifel zieht, ist er auf die Entscheidung des verstärkten Senats SZ 44/48 zu verweisen, in der sich der Oberste Gerichtshof mit den von Steininger in Gschnitzer GedS 393 ff [410 f] geäußerten Bedenken auseinandersetzte. An dieser Rechtsprechung hielt der Oberste Gerichtshof auch in der Folge fest (EvBl 1979/102; 2 Ob 10/88; 2 Ob 146/88; 1 Ob 5/88; 9 Ob A 8/88). Da die Zielsetzungen des § 333 ASVG, einerseits den Arbeitgeber durch Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge vom Haftungsrisiko für Arbeitsunfälle auszuschließen und die mit dem täglichen Arbeitsleben verbundenen Risken auf den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu übertragen, und andererseits dem gesetzlich Unfallversicherten anstelle des Schadenersatzanspruches gegen den vielleicht nicht immer leistungsfähigen Schädiger unabhängig von den Fragen des eigenen Verschuldens oder Mitverschuldens und eines konkreten Verdienstentganges einen meist rasch durchsetzbaren Anspruch zuzuerkennen, dem verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebot entsprechen, besteht keine Veranlassung, der Anregung des Klägers zu folgen und diese Bestimmung im Hinblick auf Art 7 B-VG als verfassungswidrig anzufechten.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E22488European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00138.9.1205.000Dokumentnummer
JJT_19901205_OGH0002_009OBA00138_9000000_000