TE OGH 1991/1/16 11Os138/90

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Veröffentlicht am 16.01.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Paulin als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann K***** wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 18.September 1990, GZ 28 Vr 303/90-13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Heiss, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe unter Anwendung des § 41 StGB auf

4 (vier) Monate

herabgesetzt wird.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Bürgermeister der Gemeinde G***** Johann (auch: Hans) K***** des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Ihm liegt nach dem Inhalt des Urteilsspruches zur Last, spätestens (zu ergänzen: zwei Monate nach dem 23.Dezember 1981, jedoch jedenfalls) seit Ende Februar 1982 in G***** als Bürgermeister und somit als Beamter mit dem Vorsatz, den Staat bzw. das Bundesland Tirol an seinen Rechten auf Einhaltung der Bauordnung, insbesondere auch Beobachtung der (darauf bezogenen) Verfahrensvorschriften, Versagung der Benützungsbewilligung und/oder Untersagung weiterer Bauarbeiten bei gesetzwidriger Bauführung sowie auf Androhung und Anordnung des Abbruches solcher baulicher Anlagen, bei welchem das ursprünglich genehmigte Bauvorhaben ohne die entsprechend erforderliche Baubewilligung abgeändert wurde und auch die erforderliche Abstandsflächen nicht nachgewiesen wurden, zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organ, nämlich als Baubehörde erster Instanz, in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich mißbraucht zu haben, daß er trotz Kenntnis des Umstandes, daß (der mit dem Angeklagten namensgleiche) Hans (nach der Aktenlage auch: Johann) K***** bis zum 23.Dezember 1981 (allenfalls auch später noch) abweichend von der mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde G***** vom 4.Juni 1981, Zahl *****, erteilten Baubewilligung und den dieser Bewilligung zugrunde liegenden Plänen ohne die erforderliche Genehmigung beim Gasthof "G***** Hof" an der Norseite einen über die gesamte Gebäudelänge reichenden Anbau von 2,3 m Tiefe errichtet sowie einen vollen Ausbau des dritten Obergeschoßes und einen Aufbau samt Ausbau des Dachgeschoßes vorgenommen hatte, untätig blieb, insbesondere dem Genannten keine Frist zur Einbringung eines nachträglichen Ansuchens um Erteilung der Baubewilligung setzte, die Benützungsbewilligung nicht versagte und/oder die Bauarbeiten und/oder die Benützung der baulichen Anlagen nicht untersagte und es unterließ, den Abbruch der baulichen Anlage zunächst schriftlich anzudrohen und mangels eines nachträglichen Bauansuchens innerhalb einer angemessenen Frist auch anzuordnen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Schuldspruch gerichteten, auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a (der Sache nach auch auf Z 5) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Soweit der Angeklagte sich, einen Begründungsmangel (Z 5) geltend machend, gegen die Urteilsannahme wendet, er habe "seinem Verwandten" Hans K***** die Baubewilligung erteilt (US 6), genügt es auf die Urteilsfeststellung zu verweisen, daß es sich um einen Sohn seines Cousins handelte (US 4), die auf der Verantwortung des Angeklagten selbst beruht (S 31, 138).

Daran ändert nichts, daß sich der Zeuge Hans K***** anläßlich der Bekanntgabe seiner Generalien als "fremd" bezeichnete (S 166), bedeutet doch dies im gegebenen Zusammenhang nichts anderes, als daß er sich als Sohn eines Vetters des Angeklagten nicht zu jenen Angehörigen zählte, denen ein Aussageentschlagungsrecht zukommt (§ 152 Abs. 1 Z 1 StPO iVm § 72 Abs. 1 StGB).

Ins Leere gehen die Beschwerdeausführungen, mit denen dargetan werden soll, daß die Erklärung der Anrainer S***** vom 29. Mai 1981 (S 85) gemäß dem § 27 Abs. 2 lit. b der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. 1978/43 idF LGBl. 1984/19 (nunmehr in der Fassung der 3. Bauordnungsnovelle LGBl. 1989/10: § 27 Abs. 3 lit. b), für die Erteilung der Baubewilligung ausreichend gewesen sei und die vom Angeklagten bei der Bauverhandlung am 23. Dezember 1981 dem Bauwerber erteilte Aufforderung, Bauausführungspläne und einen Lageplan binnen zwei Monaten beizubringen, um die Abweichungen der Bauausführung zum Baubescheid feststellen zu können, dem Gesetz entsprochen habe. Wird doch dem Beschwerdeführer ein Amtsmißbrauch weder wegen der bescheidmäßigen Erteilung der Baubewilligung vom 4.Juni 1981 noch wegen einer gesetzwidrigen Vorgangsweise bei der am 23. Dezember 1981, sei es im Rahmen der behördlichen Bauaufsicht (§ 39 TBO) oder aus Anlaß eines allfälligen Ansuchens um Benützungsbewilligung (§ 43 TBO), durchgeführten Bauverhandlung, sondern ausschließlich wegen seiner Untätigkeit spätestens ab Ende Februar 1982, d.i. nach erfolglosem Verstreichen der am 23. Dezember 1981 mündlich gesetzten Frist von etwa zwei Monaten zur Beibringung von Bauausführungsplänen und einem Lageplan, zum Vorwurf gemacht. Abgesehen davon handelt es sich bei der formlosen Absichtserklärung der Geschwister S***** vom 29. Mai 1981 (S 85) - ein tatsächlicher Grundtausch hätte die Errichtung verbücherungsfähiger Verträge vorausgesetzt - um keine Erklärung nach dem § 27 Abs. 2 lit. b (nunmehr: Abs. 3 lit. b) TBO, denn diese Gesetzesstelle bezieht sich auf die Erklärung eines vom Bauwerber verschiedenen Eigentümer jenes Grundstückes, auf dem der Bau errichtet werden soll; die Rechte der Anrainer hingegen sind im § 30 TBO geregelt.

Soweit sich der Beschwerdeführer in seiner Rechtsrüge auf § 40 Abs. 1 und Abs. 2 TBO bezieht, ist ihm entgegenzuhalten, daß im vorliegenden Fall weder der auf Baumängel abgestellte Absatz 1, noch der eine Bauausführung ohne Bewilligung voraussetzende Absatz 2 dieser Gesetzesstelle zur Anwendung kommen, sondern Absatz 3, wonach die Baubehörde, wenn die Bauausführung von dem bewilligten Bauvorhaben abweicht und diese Abweichung eine Änderung des Bauvorhabens darstellt, zu deren Vornahme auch bei bestehenden baulichen Anlagen eine Baubewilligung erforderlich wäre, die Fortsetzung der Arbeiten an diesem Bauvorhaben zu untersagen und, sofern nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Untersagungsbescheides nachträglich um die Baubewilligung angesuchts oder diese Bewilligung nicht erteilt wird, die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes durch Beseitigung der baulichen Anlage zu verfügen hat, und zwar unabhängig von einem Benützungsbewilligungsverfahren. Sobald aber die bewilligungspflichtige bauliche Anlage bereits vollendet ist, hat die Baubehörde, soweit es nicht zu einer nachträglichen Baubewilligung kommt, unter den genannten Voraussetzungen die Benützungsbewilligung, um die der Bauwerber ansuchen muß, zu versagen (§ 43 Abs. 2 TBO) und nach Androhung den Abbruch der baulichen Anlage bzw. die Beseitigung des Bauvorhabens innerhalb angemessener Frist abzuordnen (§ 44 Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. a TBO). Demnach wäre der Angeklagte als Bürgermeister der Gemeinde G***** bei Beachtung der Bestimmungen der §§ 39 Abs. 1, 40 Abs. 3, 43 Abs. 2, 44 Abs. 3 und 4 (iVm § 7) TBO - ohne Rücksicht darauf, zu welchem Zeitpunkt das Bauvorhaben vollendet war und ob vom Bauwerber ein Ansuchen um Benützungsbewilligung (vor dessen Erteilung das Bauobjekt nicht benützt werden darf - § 53 Abs. 1 lit. i TBO) gestellt wurde - verpflichtet gewesen, für eine der Baugewilligung entsprechende Bauausführung zu sorgen und bei gesetzwidriger Bauführung entweder auf fristgerechte nachträgliche Erteilung der erforderlichen Baubewilligung zu dringen oder aber die Baueinstellung und nötigenfalls den Abbruch des Objektes anzuordnen. Indem er es von Ende Februar 1982 an, somit Jahre hindurch pflichtwidrig unterließ, als Baubehörde erster Instanz in Vollziehung der TBO entsprechende Hoheitsakte zu setzen, stellt sein Verhalten, objektiv betrachtet, eine mißbräuchliche Amtsausübung im Sinn des § 302 Abs. 1 StGB dar (EvBl. 1982/158 = ÖJZ-LSK 1982/129).

Zur subjektiven Tatseite wurde vom Erstgericht als erwiesen angenommen, daß der Angeklagte - ungeachtet seiner Erwartungen, daß es zum Erwerb der erforderlichen Abstandsflächen durch den Bauwerber kommen werde und seiner Bemühungen darum - in vollem Wissen des gesetzwidrigen Zustandes und der ihn treffenden amtlichen Obliegenheiten jene behördlichen Maßnahmen nicht anordnete, zu deren Vornahme er gesetzlich verpflichtet gewesen wäre (US 10 ff). Soweit er einen wissentlichen Befugnismißbrauch bestreitet, hält er daher nicht an jenen Urteilsfeststellungen fest, nach denen er sich der rechtlichen Unvertretbarkeit seines Verhaltens (vgl. Bertel in WK, § 302 StGB Rz 74) bewußt war. In diesem Umfang mangelt es daher an einer prozeßordnungsmäßigen Darstellung des angerufenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes.

Verfehlt ist die Rechtsrüge aber auch insofern, als der Beschwerdeführer in Zweifel zieht, daß sein Verhalten zu einer für den Mißbrauch der Amtsgewalt tatbildlichen Schädigung geführt habe. Eine Schädigung konkreter staatlicher Rechte, auf die das innere Vorhaben des Täters gerichtet sein muß, erblickte das Erstgericht nämlich nicht bloß in der unterbliebenen Versagung der Benützungsbewilligung und materiellen Überprüfung ihrer Voraussetzungen, sondern (im Hinblick darauf, daß der Zweck der am 23.Dezember 1981 durchgeführten Bauverhandlungen nicht festgestellt werden konnte, primär) in der Vereitelung der bei konsenswidriger Bauführung nach der TBO geboten gewesenen behördlichen Maßnahmen. Eine solche Schädigung setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (EvBl. 1987/46 uva) keinen Parteienanspruch voraus, sondern liegt immer dann vor, wenn durch die Vornahme oder Unterlassung von Hoheitsakten eine auf einer bestimmten Rechtsnorm beruhende staatliche Maßnahme vereitelt und der damit verbundene Zweck beeinträchtigt wird, den der Staat mit der Erlassung dieser Vorschrift erreichen will. Demgemäß fällt auch das durch die Bestimmungen der TBO objektivierte Interesse (vgl. SSt. 51/55 = ÖJZ-LSK 1981/39), daß bauliche Anlagen nur unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und entsprechend der erteilten Baubewilligung errichtet werden dürfen, widrigenfalls der Bau einzustellen bzw. abzubrechen ist, in den Schutzbereich des § 302 Abs. 1 StGB. Im vorliegenden Fall wurden daher besondere staatliche Interessen eben gerade dadurch beeinträchtigt, daß für den konsenswidrig errichteten Teil des Bauvorhabens eine Bewilligung nach wie vor nicht vorliegt und dieser Bau daher unter der Sanktion des Abbruchs steht, der vom Beschwerdeführer zufolge seines jahrelangen bewußt pflichtwidrigen Unterlassens weder angedroht, noch angeordnet wurde. Daß der zumindest bedingte Vorsatz des Angeklagten sich darauf bezog, daß das Bundesland Tirol in seinem Recht auf Einhaltung der TBO geschädigt werde, stellte das Erstgericht fest (US 9 ff). Damit erweist sich die Annahme, daß dieser Vorsatz eine Schädigung des Bundeslandes Tirol im dargelegten Sinn umfaßte, auch als rechtlich einwandfrei.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach dem § 302 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die es gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

Es wertete bei der Strafbemessung den überaus langen Tatzeitraum und das hartnäckige Verharren des Angeklagten in seinem Fehlverhalten als erschwerend, dagegen sein tadelsfreies Vorleben und ein Tatsachengeständnis als mildernd.

Die Verhängung einer Geldstrafe an Stelle der Freiheitsstrafe lehnte es im Hinblick auf das lange Verharren des Angeklagten in seinem Fehlverhalten und aus generalpräventiven Überlegungen ab.

Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung eine bedingt nachzusehende Geldstrafe an.

Der Berufung kommt zwar nicht in dieser Richtung, wohl aber im Ergebnis insofern Berechtigung zu, als die Freiheitsstrafe zu reduzieren war.

Einem derartigen Ausspruch steht nicht entgegen, daß der Angeklagte ein ausdrücklich dahin gerichtetes Berufungsbegehren nicht erhob. Nach dem § 294 Abs. 2 StPO idF des StRÄG 1987, BGBl. 1987/605, ist nämlich jede gegen den Strafausspruch von Kollegialgerichten erhobene Berufung, so sie eine den gesetzlichen Mindestkriterien entsprechende Anfechtungserklärung enthält, im Sinn eines umfassenden Anfechtungswillens zu verstehen. Im Rahmen der Entscheidung über die Berufung kommen daher (mit der im § 295 Abs. 2 zweiter Fall StPO nF normierten Einschränkung) innerhalb der gesetzlichen Grenzen sämtliche für den Angeklagten vorteilhaften Modifikationen des bekämpften Strafausspruches in Betracht (EvBl. 1988/122 = RZ 1989/35 uam), mithin auch die Reduzierung des Ausmaßes der Freiheitsstrafe.

Der Meinung des Erstgerichtes zuwider stellen langer Tatzeitraum und Verharren im Fehlverhalten nicht zwei gesonderte Erschwerungsumstände dar, sondern umschreiben denselben Aspekt, weil hier eben durch das Verharren im Fehlverhalten der lange Tatzeitraum verwirklicht wurde.

Nach dem Eliminieren eines Strafschärfungsgrundes überwiegen die mildernden Umstände der Zahl, vor allem aber auch dem Gewicht nach den verbleibenden einzigen Erschwerungsgrund beträchtlich. Es sind somit die Voraussetzungen des § 41 StGB gegeben.

Demnach war die Strafe unter Anwendung des außerordentlichen Strafmilderungsrechtes auf ein dem Verschulden des Angeklagten und dem Unrechtsgehalt der Tat adäquates Maß herabzusetzen.

Eine Umwandlung in eine Geldstrafe hingegen war aus den schon vom Erstgericht zutreffend angeführten spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht am Platz.

Die Kostenentscheidung ist in der zitierten Gesetzesstelle verankert.

Anmerkung

E25080

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:011OS000138.90009.0116.000

Dokumentnummer

JJT_19910116_OGH0002_011OS000138_9000900_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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