TE OGH 1991/2/13 9ObA22/91

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Veröffentlicht am 13.02.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Dr.Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei WAHLWERBENDE GRUPPE *****, vertreten durch die Listenführerin *****, diese vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei ANGESTELLTENBETRIEBSRAT *****, vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden *****, dieser vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wegen Anfechtung der Betriebsratswahl vom 8. November 1989 (Streitwert S 31.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. November 1990, GZ 13 Ra 96/90-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 21.Mai 1990, GZ 8 Cga 86/89-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zu der für den 8.11.1989 ausgeschriebenen Wahl des Angestelltenbetriebsrats der E*****-AG bewarben sich drei wahlwerbende Gruppen, und zwar die Listen "E***** G*****" (Klägerin), ferner "Aktiv für die *****-FCG und Parteifreie" und schließlich die "Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter im ÖGB". In die Wählerliste wurden fünf näher bezeichnete "überlassene Arbeitskräfte" nicht aufgenommen. Der Wahlvorstand gab dem rechtzeitigen Einspruch der wahlwerbenden Gruppe "Fraktion der Sozialistischen Gewerkschafter im ÖGB" gegen die Nichtaufnahme dieser Arbeitskräfte in der Wählerliste nicht Folge. Die Klägerin erhob deswegen keinen Einspruch. Von 198 abgegebenen Stimmen waren 183 gültig. Auf die wahlwerbende Gruppe "Aktiv für die *****-FCG und Parteifreie" entfielen 87, auf die "Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter im ÖGB" 72 und auf die Klägerin 24 Stimmen. Es waren 6 aktive Betriebsratsmitglieder zu wählen. Dies führte bei einer Wahlzahl von 24 zum Losentscheid zwischen der "Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter im ÖGB" und der Klägerin; er ging zu deren Ungunsten aus.

Die Klägerin ficht als wahlwerbende Gruppe (§ 59 Abs 1 ArbVG) die Betriebsratswahl im wesentlichen mit der Begründung an, daß die fünf genannten überlassenen Arbeitnehmer in den Betrieb der E*****-AG im Sinne des § 36 ArbVG eingegliedert gewesen seien. Ihr Ausschluß von der Betriebsratswahl verletze wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens. Schon eine einzige (weitere) gültige Stimme hätte den Losentscheid verhindern können.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Klägerin durch das Unterlassen eines Einspruchs gegen die Wählerliste (§ 15 Abs 3 BRWO 1974) das Recht zur Anfechtung der Betriebsratswahl verloren habe. Die fünf Arbeitskräfte seien im übrigen zu Recht nicht in die Wählerliste aufgenommen worden, weil sie in den Betrieb des Beschäftigers nicht eingegliedert gewesen seien und auch nie eine Betriebsratsumlage gezahlt hätten.

Das Erstgericht erklärte die Wahl des Angestelltenbetriebsrates der E*****-AG vom 8.11.1989 für ungültig.

Es war der Ansicht, daß überlassene Arbeitskräfte Arbeitnehmer des Beschäftigerbetriebes im Sinne des § 36 Abs 1 ArbVG seien, wenn sie in diesem Betrieb längere Zeit hindurch eingegliedert gewesen seien. Die fünf überlassenen Arbeitnehmer seien mit Ausnahme von R***** L***** zum Teil schon weit mehr als 6 Monate im Betrieb der E*****-AG beschäftigt gewesen. Alle seien in die dortige Arbeitszeitregelung eingebunden gewesen und hätten Weisungen über den Arbeitsablauf und die Beschäftigung nur vom Beschäftigerbetrieb erhalten. Sie hätten auch Urlaubsansuchen vorerst und grundsätzlich an dieses Unternehmen herantragen müssen. Die E*****-AG übe daher weitgehend Arbeitgeberfunktionen aus. Die Interessen dieser überlassenen Arbeitskräfte könnten auch vom Betriebsrat des Beschäftigerbetriebes durchaus vertreten werden. Sie wären daher in die Wählerliste aufzunehmen gewesen. Da dies nicht geschehen sei, seien wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt worden. Daß das Wahlergebnis dadurch beeinflußt werden konnte, ergebe sich schon aus der Tatsache des Losentscheides. Der Klägerin sei das Anfechtungsrecht durch das Unterlassen eines Einspruches gegen die Wählerliste nicht verlorengegangen, wenn - wie hier - wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt worden seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des beklagten Angestelltenbetriebsrates nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteige. Das Unterlassen oder Versäumen des Einspruches gegen die Wählerliste beim Wahlvorstand schließe die Wahlanfechtung nicht aus. § 15 Abs 3 letzter Satz BRWO 1974 ordne wohl an, daß verspätete Einwendungen nicht zu berücksichtigen seien. Zweck dieser Bestimmung sei aber, die geordnete Erfassung der Wählerliste sicherzustellen und das Abhalten der Wahl nicht durch laufende fristwidrige Einsprüche zu gefährden. An der generellen Berechtigung zur Wahlanfechtung nach § 59 ArbVG ändere § 15 Abs 3 BRWO 1974 nichts. Entscheidungen des Wahlvorstandes über Einsprüche nach § 15 Abs 3 BRWO 1974 wären insbesondere dann völlig unüberprüfbar, wenn dieses Organ dem unberechtigten Einspruch eines Arbeitnehmers gegen die Nichtaufnahme in die Wählerliste Folge gebe, sich dagegen aber (vor der Betriebsratswahl) andere Wahlberechtigte schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr zur Wehr setzen könnten. Eine Wahlanfechtung durch die anderen Arbeitnehmer käme aber, wenn man der Entscheidung des VwGH vom 18.2.1966, Arb 8.193, und der darauf beruhenden Ansicht von Floretta (in Floretta-Strasser KommzArbVG 322), der offenbar auch das Einigungsamt Graz in Arb 9.327 und Cerny (ArbVG7, 220) folgen, nicht in Betracht.

Im vorliegenden Fall komme noch hinzu, daß ohnehin eine andere wahlwerbende Gruppe gegen die Nichtaufnahme der fünf überlassenen Arbeitnehmer in die Wählerliste erfolglos Einspruch erhoben habe. Dies erscheine ausreichend, sei es doch um eine weitgehend generalisierende Beurteilung der Aufnahme von überlassenen Arbeitskräften in die Wählerliste gegangen.

Durch das Nichtaufnehmen der fünf überlassenen Arbeitskräfte in die Wählerliste seien aber auch wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt worden. Der Arbeitnehmerbegriff des ArbVG gehe von der "Beschäftigung" aus, die sowohl durch einen Arbeitsvertrag als auch durch eine faktische Eingliederung in den Betrieb begründet werden könne. Überlassene Arbeitskräfte seien daher in der Regel auf Grund ihres Arbeitsvertrages auch in arbeitsverfassungsrechtlicher Hinsicht Arbeitnehmer des Überlasserbetriebes. Das schließe nicht aus, daß ein überlassener Arbeitnehmer wegen seiner tatsächlichen Eingliederung auch als Arbeitnehmer des Beschäftigerbetriebes im Sinne des § 36 ArbVG gelten könne.

Während ein Teil der Lehre (siehe die Nachweise bei Geppert, AÜG, 253 f) davon ausgehe, daß die Eingliederung in den Beschäftigerbetrieb durch jede Überlassung bewirkt werde, wenn dort Dauerarbeitsplätze besetzt wurden (Geppert aaO 136; Mazal RdW 1987, 376), vertrete der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 60/145 = ZAS 1988/9 (Schnorr) die Ansicht, daß überlassene Arbeitnehmer nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des ArbVG im Beschäftigerbetrieb gelten, wenn die Überlassung für längere Zeit gedacht sei. Im Zweifel werde es darauf ankommen, ob die Interessen dieser Arbeitnehmer vom Betriebsrat des Betriebes, in den sie entsandt worden sind, vertreten werden könnten. Entscheidend sei, ob die Arbeitgeberfunktionen im wesentlichen beim entsendeten Betrieb verblieben oder ob sie zum Teil auch im Beschäftigerbetrieb ausgeübt würden. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) enthalte keine Vorschrift über den betriebsverfassungsrechtlichen Status der überlassenen Arbeitnehmer. Dieses Gesetz weise aber bestimmte Arbeitgeberfunktionen (vor allem im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerschutz, aber auch als Bürge für Entgeltansprüche) dem Beschäftiger zu und trage damit zur Konkretisierung der Abgrenzung, bei welchem Betrieb die Arbeitgeberfunktionen ausgeübt würden, bei. Die Eingliederung der überlassenen Arbeitnehmer in den Beschäftigerbetrieb werde daher vor allem dann gegeben sein, wenn die Überlassung nicht nur für eine von vornherein bestimmte, verhältnismäßig kurze Zeit vorgenommen werde und die Arbeitgeberfunktionen des Beschäftigers gegenüber den überlassenen Arbeitnehmern tatsächlich zum Tragen kämen. Werde ein überlassener Arbeitnehmer mehr als sechs Monate im Betrieb beschäftigt, bestehe kein Zweifel mehr, daß er im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes dort eingegliedert sei. Eine für sechs Monate vorgesehene oder schon so lange dauernde Beschäftigung sei schon deshalb ausreichend, weil das Arbeitsverfassungsgesetz nicht einmal das passive Wahlrecht an eine längere Beschäftigungsdauer knüpfe.

Unter Beachtung dieser Grundsätze wären alle fünf überlassenen Arbeitnehmer in die Wählerliste aufzunehmen gewesen. Alle überlassenen Artbeitnehmer seien im Zeitpunkt der Wahl des Angestelltenbetriebsrates bereits länger als sechs Monate bei den E*****-AG beschäftigt gewesen oder wenigstens - im Fall des R***** L***** - ihre Beschäftigung für eine erhebliche Dauer vorgesehen gewesen. R***** L***** und M***** W***** seien in die Arbeitszeitregelung der übrigen Dienstnehmer der E*****-AG eingebunden gewesen. Der Beschäftigerbetrieb habe den Urlaub genehmigt und primär auch die Krankmeldungen entgegengenommen. Beide Arbeitnehmer seien den Weisungen eines Arbeitnehmers der genannten AG unterworfen gewesen. Gegenüber P***** W***** und F***** S***** habe der Beschäftigerbetrieb im wesentlichen dieselben Arbeitgeberfunktionen wie bei den vorgenannten überlassenen Dienstnehmer ausgeübt. ***** G***** G***** sei schon am längsten von allen Arbeitnehmern an die genannte AG überlassen worden. Auch er müsse sich bezüglich wesentlicher Arbeitgeberfunktionen zunächst an die E*****-AG wenden wie hinsichtlich seiner Urlaubswünsche; Zeitausgleich oder Überstunden wurden ihm nur auf Anordnung der genannten AG gewährt; er richte sich auch im wesentlichen nach der Arbeitszeit der übrigen Arbeitnehmer.

Alle fünf überlassenen Arbeitnehmer wären daher in das Wählerverzeichnis aufzunehmen gewesen. Da dies unterblieben sei und sie dadurch von der Wahl ausgeschlossen worden seien, seien wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt worden.

Der Beklagte erhebt gegen das Urteil des Berufungsgerichtes Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Begehren der Klägerin abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 55 Abs 1 ArbVG hat der Wahlvorstand nach seiner Bestellung die Wahl unverzüglich vorzubereiten und innerhalb von 4 Wochen durchzuführen. Gemäß § 55 Abs 2 ArbVG hat der Wahlvorstand unter anderem die Wählerliste zu verfassen und sie zur Einsicht der Wahlberechtigten im Betrieb aufzulegen. Grundlage für die Erstellung dieser Wählerliste bilden die Verzeichnisse der Arbeitnehmer, die der Betriebsinhaber gemäß § 55 Abs 3 ArbVG dem Wahlvorstand zur Durchführung der Wahl rechtzeitig zur Verfügung zu stellen hat (Floretta-Strasser, KurzkommzArbVG2, 106 FN 11; Arb 8.193 = ZAS 1967, 18 Floretta ). Gemäß § 55 Abs 2 ArbVG hat der Wahlvorstand über die gegen die Wählerliste vorgebrachten Einwendungen zu entscheiden.

Nähere Vorschriften über die Wählerliste und die Rechtsfolgen der Aufnahme vermeintlich nicht Wahlberechtigter oder der Nichtaufnahme vermeintlich Wahlberechtigter in die Wählerliste und über die Wirkung der Entscheidung des Wahlvorstandes über vorgebrachte Einwendungen enthält das Gesetz nicht, doch wurde das Bundesministerium für soziale Verwaltung (nunmehr: "für Arbeit und Soziales") gemäß § 161 Abs 1 Z 1 ArbVG ermächtigt, durch Verordnung die Vorbereitung und Durchführung der Wahl zum Betriebsrat, Zentralbetriebsrat und Jugendvertrauensrat näher zu regeln. Dies ist mit der VO vom 22.5.1974 BGBl 1974/319 (Betriebsrats-Wahlordnung 1974 - BRWO 1974) geschehen. Die auf dem Betriebsrätegesetz beruhende Betriebsratswahlordnung vom 24.7.1947 BGBl Nr 211 wurde damit außer Kraft gesetzt (§ 68 Abs 1 BRWO 1974).

Gemäß § 15 Abs 1 BRWO 1974 hat der Wahlvorstand an Hand des Verzeichnisses die Wahlberechtigten festzustellen, in dem er

1. jene ausscheidet, die am Tage der Betriebs(Gruppen-)versammlung zur Wahl des Wahlvorstandes noch nicht das 18.Lebensjahr vollendet haben oder aus anderen Gründen vom Wahlrecht (§§ 6 und 7) ausgeschlossen sind;

2. jene einfügt, die vom Betriebsinhaber zu Unrecht nicht in das Verzeichnis aufgenommen wurden.

Auf Grund der Feststellungen nach Abs 1 hat der Wahlvorstand gemäß § 15 Abs 2 BRWO 1974 binnen einer Woche nach seiner Wahl die Wählerliste zu erstellen und gleichzeitig mit dem Anschlag der Wahlkundmachung (§ 19) zur Einsicht für alle wahlberechtigten Arbeitnehmer aufzulegen. Binnen einer Woche nach dem Anschlag der Wahlkundmachung kann gemäß § 15 Abs 3 BRWO 1974 jeder wahlberechtigte Arbeitnehmer beim Vorsitzenden des Wahlvorstandes gegen die Aufnahme vermeintlich nicht Wahlberechtigter oder gegen die Nichtaufnahme vermeintlich Wahlberechtigter Einspruch erheben. Verspätet eingebrachte Einwendungen sind nicht zu berücksichtigen. Sind die Einwendungen begründet, so hat der Wahlvorstand gemäß § 15 Abs 4 BRWO 1974 die Wählerliste richtigzustellen. Offensichtliche Irrtümer, wie Schreibfehler in der Wählerliste, können auch ohne Antrag bis zum Wahltag berichtigt werden.

Eine dem § 12 Abs 4 BRWO (1947) entsprechende Bestimmung, wonach die Entscheidung des Wahlvorstandes nur mit Anfechtung der ganzen Wahl angefochten werden kann, enthält die BRWO 1974 nicht.

Aus den im übrigen im wesentlichen den heutigen Bestimmungen entsprechenden Vorschriften des Betriebsrätegesetzes und der BRWO (1947) hat der Verwaltungsgerichtshof abgeleitet, daß Personen, die nicht in der Wählerliste enthalten sind und die gegen ihre Nichtaufnahme auch keine Einwendung erhoben haben, von der Betriebsratswahl ausgeschlossen sind (Arb 8.193 = ZAS 1967/4 mit insoweit zust Bespr von Floretta), weil sie nicht mehr zum Kreis der formell Wahlberechtigten gehören. Die Lehre ist dieser Ansicht weitgehend gefolgt. Floretta (ZAS 1967, 20) stimmte der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zu, wonach unterbliebene Einwendungen ebenso wie verspätete Einwendungen bei der Erstellung der Wählerliste unberücksichtigt bleiben und auch später nicht mehr als Wahlanfechtungsgrund vorgebracht werden können. Werde gegen die Aufnahme vermeintlich nicht Wahlberechtigter oder die Nichtaufnahme vermeintlich Wahlberechtigter zeitgerecht kein oder verspätet Einspruch erhoben, so habe dies auch im Wahlanfechtungsverfahren die nämliche rechtliche Bedeutung. In Floretta-Strasser (KommzArbVG 322) meint Floretta, daß sich auf Fehler, die nicht auf diese Weise (nämlich durch Einspruch beim Vorsitzenden des Wahlvorstandes) fristgerecht beanstandet wurden, bei einer späteren Wahlanfechtung niemand (also offenbar auch nicht andere Wahlberechtigte oder wahlwerbende Gruppen, die durch die Auswirkungen des Fehlers auf das Wahlergebnis betroffen sind) berufen könnten. Unrichtig sei aber die Ansicht, daß nur jene in die Wählerliste nicht eingetragenen Arbeitnehmer, die gegen ihre Nichtaufnahme in die Wählerliste beim Wahlvorstand Einspruch erhoben hätten, zur Wahlanfechtung legitimiert seien. Auch Strasser (Die Betriebsratswahl3, 85) vertritt die Ansicht, daß ein Fehler, der nicht rechtzeitig beanstandet wurde, bei einer späteren Wahlanfechtung nicht mehr geltend gemacht werden könne. Auch in der Spruchpraxis der Einigungsämter wurde diese Meinung vertreten (Arb 6.417; 9.327). Nur Cerny (ArbVG9, 220) schränkt die mit dieser Ansicht verbundene Präklusionswirkung ein: Der Ausschluß werde nur dann gelten können, wenn diejenigen Personen, auf die sich dieser Fehler bei der Erstellung der Wählerliste beziehe, leicht die Möglichkeit gehabt hätten, in die Wählerliste Einsicht zu nehmen, dies aber versäumt hätten.

In der Entscheidung VwSlg 12.238 (A) = RdW 1987, 134 vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, daß die Beteiligung eines Arbeitnehmers an der Wahl, dem am Wahltag materiell kein Wahlrecht mehr zugestanden sei, trotz unbeanstandet gebliebener Eintragung in die Wählerliste angefochten werden könne; es würden wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt, wenn Personen, denen kein aktives Wahlrecht zukomme, zur Wahl zugelassen würden, mögen sie auch in die Wählerliste eingetragen worden sein.

Der Oberste Gerichtshof hat zu dieser Frage folgendes erwogen:

Gemäß § 59 Abs 1 ArbVG sind die einzelnen Wahlberechtigten und jede wahlwerbende Gruppe berechtigt, binnen Monatsfrist vom Tage der Mitteilung des Wahlergebnisses an gerechnet, die Wahl beim Gericht anzufechten, wenn wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitende Grundsätze des Wahlrechtes verletzt wurden und hiedurch das Wahlergebnis beeinflußt werden konnte. Das Gesetz stellt, was die Frage der Anfechtungslegitimation betrifft, nicht auf die Eintragung in die Wählerliste, sondern auf das in § 52 Abs 1 ArbVG definierte Bestehen des aktiven Wahlrechts ab. Die Frage der auf der Eintragung in die Wählerliste beruhenden formellen Wahlberechtigung regelt das Gesetz nur insofern, als es den Wahlvorstand dazu bestimmt, über die gegen die Wählerliste vorgebrachten Einwendungen zu entscheiden. Die diese Vorschrift ergänzende Betriebsratswahlordnung 1974 ist - mangels einer besonderen verfassungsrechtlichen Ermächtigung - keine gesetzesvertretende oder gesetzesändernde Verordnung, sondern eine Durchführungsverordnung. Sie darf gemäß Art 18 Abs 2 B-VG nur auf Grund des Gesetzes ergehen, also gesetzliche Regelungen nur präzisieren. Das betreffende Gesetz muß den Inhalt der Verordnung bereits determinieren (statt vieler Walter-Mayer, B-VG6, 206 f).

Legt man § 15 BRWO 1974 in diesem Sinne verfassungskonform aus, so kann der Entscheidung des Wahlvorstandes über die Feststellung der Wahlberechtigten und über den Einspruch gegen die Aufnahme vermeintlich nicht Wahlberechtigter oder die Nichtaufnahme vermeintlich Wahlberechtigter in die Wählerliste nur für deren Richtigstellung, also für die formale Wahlberechtigung zum Wahltermin Rechtswirkung zukommen. Eine Präklusion des Anfechtungsrechts durch Unterlassung eines Einspruchs gegen die Wählerliste ist aus § 15 BRWO 1974 schon deshalb nicht abzuleiten, weil eine solche Regelung auf eine Beschränkung des im Gesetz selbst geregelten Anfechtungsrechts hinausliefe. Die Vorschrift des § 15 Abs 3 letzter Satz BRWO 1974 bedeutet nur, daß der Wahlvorstand über verspätet eingebrachte Einwendungen - vorbehaltlich seines Rechts, offensichtliche Irrtümer, wie Schreibfehler in der Wählerliste, auch ohne Antrag bis zum Wahltag zu berichtigen (§ 15 Abs 4 BRWO 1974) - nicht mehr zu entscheiden, sondern bei der Zulassung zur Wahl von dem in der Wählerliste eingetragenen Stand der Wahlberechtigten auszugehen hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, hat § 15 Abs 3 letzter Satz BRWO 1974 den Zweck, eine Vereitelung des Wahltermins - der Wahlvorstand hat gemäß § 55 Abs 1 ArbVG die Wahl innerhalb von vier Wochen nach seiner Bestellung durchzuführen - zu verhindern.

Grundsätzlich hat daher das Unterlassen eines Einspruchs gegen die Wählerliste keine Beschränkung des Anfechtungsrechts nach § 59 Abs 1 ArbVG zur Folge. Es bewirkt weder, daß einem nicht in die Wählerliste aufgenommenen (materiell) Wahlberechtigten das Anfechtungsrecht nach § 59 ArbVG mangels Aktivlegitimation verloren geht, noch daß deswegen auch andere Anfechtungsberechtigte (also alle wahlwerbenden Gruppen und einzelne, die selbst in das Wählerverzeichnis aufgenommen wurden) Fehler des Wählerverzeichnisses, die zu einer Nichtaufnahme Wahlberechtigter oder einer Aufnahme nicht Wahlberechtigter geführt haben, nicht mehr als konkreten Wahlanfechtungsgrund geltend machen könnten, obwohl dadurch wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt wurden und das Wahlergebnis beeinflußt werden konnte. Nicht anfechten kann allerdings die Wahl derjenige, der sich darauf stützt, daß er selbst zu Unrecht in das Wählerverzeichnis aufgenommen wurde. In diesem Fall läge zwar ein Anfechtungsgrund vor, doch fehlte dem Anfechtenden die davon streng zu trennende (vgl Floretta ZAS 1967, 21) Legitimation.

Im vorliegenden Fall wurde überdies ohnehin eine Entscheidung des Wahlvorstandes über die Eintragung bzw Nichteintragung der fünf überlassenen Arbeitnehmer in die Wählerliste herbeigeführt. Die Ansicht der Beklagten, daß auch in diesem Fall nur die einen Einspruch erhebende wahlwerbende Gruppe, nicht jedoch die übrigen Anfechtungsberechtigten, die untätig geblieben sind, sich auf diesen Anfechtungsgrund berufen dürfen, findet im Gesetz keine Deckung.

Zutreffend (§ 48 ASGG) ist auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die fünf Arbeitnehmer ("Arbeitskräfte"), die der E*****-AG ("Beschäftiger") von dritten Arbeitgebern ("Überlassern") überlassen wurden, Arbeitnehmer (auch) des Beschäftigerunternehmens im Sinne des § 36 ArbVG und daher gemäß § 52 ArbVG aktiv wahlberechtigt waren. Auch wenn man nicht der weitergehenden Ansicht eines Teiles der Lehre folgt, wonach überlassene Arbeitskräfte ohne Rücksicht auf die Dauer ihres Einsatzes betriebsverfassungsrechtlich (auch) Arbeitenhmer des Beschäftigers sind (Geppert, Arbeitskräfteüberlassung (1978), 132 f; derselbe, AÜG 253 f; Schrammel, ZAS 1973, 163;

Tomandl, Arbeitsrecht2 I 55; Mayer-Maly/Marhold, Arbeitsrecht2, 43; Mazal, RdW 1987, 375; Schnorr, ZAS 1988, 99;

jetzt wohl auch Cerny, ArbVG9, 135, 191), wofür nunmehr zusätzlich sprechen könnte, daß das AÜG dem Beschäftiger zwingend eine Reihe von Arbeitgeberfunktionen auferlegt hat (§ 6 Abs 1 AÜG: "Für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers gilt der Beschäftiger als Arbeitgeber im Sinne der Arbeitnehmerschutzvorschriften." § 6 Abs 3 AÜG: "Für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers obliegen die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers auch dem Beschäftiger." § 7 Abs 1 AÜG: Anwendung des DHG zwischen dem Beschäftiger und der überlassenen Arbeitskraft; § 14 AÜG: Bürgschaft für Entgeltansprüche; vgl dazu Leitner-Schwarz-Ziniel, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz 154 f), sondern zugrundelegt, daß überlassene Arbeitskräfte nur dann als Arbeitnehmer des Beschäftigerbetriebes im Sinne des ArbVG gelten, wenn die Überlassung für längere Zeit gedacht ist und (infolgedessen) wesentliche Arbeitnehmerfunktionen auf den Beschäftiger übergehen, so daß insoweit die Interessen dieser Arbeitnehmer vom Betriebsrat des Betriebes, in den sie entsandt sind, vertreten werden können (SZ 60/145 = ZAS 1988/9 (Schnorr); Strasser in Floretta-Strasser KommzArbVG 222; ebenso im Kurzkomm 110;

Strasser Arbeitsrecht3 II 262; Floretta-Strasser, KommzBRG2, 46;

Weißenberg-Cerny, ArbVG4, 123; Müller, Das Leiharbeitsverhältnis, ZAS 1968, 78 ff (82); Arb 8.125), sind alle fünf überlassenen Arbeitskräfte als Arbeitnehmer des Beschäftigerunternehmens zu sehen. Alle Arbeitskräfte waren nämlich (mit einer Ausnahme) schon mindestens ein halbes Jahr (zum Teil schon wesentlich länger) unter entsprechender Eingliederung im Beschäftigerunternehmen tätig (nur in einem Fall war die Beschäftigung jedenfalls für einen solchen Zeitraum vorgesehen worden); außerdem sind aber bei allen fünf

Arbeitskräften - abgesehen von den gesetzlichen Arbeitgeberfunktionen nach dem AÜG - weitere Arbeitgeberfunktionen (Urlaubsgenehmigungen; Erteilung von Weisungen; Eingliederung in die Arbeitszeitregelung des Beschäftigerbetriebes; Genehmigung des Zeitausgleichs für Überstunden) auf die E*****-AG übergegangen, so daß der Betriebsrat des Beschäftigerbetriebes gegebenenfalls auch Interessen dieser Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in den betreffenden Belangen zu vertreten hat.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E25307

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00022.91.0213.000

Dokumentnummer

JJT_19910213_OGH0002_009OBA00022_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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