TE OGH 1991/2/14 8Ob509/91

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Veröffentlicht am 14.02.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 27. Oktober 1974 geborenen mj. Birgit S***** und der am 19. August 1977 geborenen mj. Silke S*****, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 27. November 1990, GZ 5 R 364, 374/90-28, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Mistelbach vom 24. September 1990, und 2. Oktober 1990, GZ P 6/87-21 und 22 bestätigt wurden, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die vorinstanzlichen Beschlüsse werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Im Scheidungsvergleich vom 27. März 1987 verpflichtete sich der Vater, seinen beiden Kindern mj. Birgit, geboren am 27. Oktober 1974, und mj. Silke, geboren am 19. August 1977, Unterhaltsbeträge von je S 2.300,-- monatlich zu leisten. Er bezog damals ein monatliches Nettoeinkommen von S 13.525,--.

Mit Beschluß vom 24. September 1990 gewährte das Erstgericht den beiden Minderjährigen gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse von je S 2.300,-- monatlich. Es stellte fest, daß die mj. Birgit eine Lehrlingsentschädigung von S 2.648,-- monatlich bezieht und daß Exekutionsversuche zur Hereinbringung der Unterhaltsbeträge beim Vater erfolglos geblieben sind, weil er lediglich eine Arbeitslosenunterstützung von S 205,20 täglich erhält.

Gegen den erstgerichtlichen Beschluß erhob der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien Rekurs mit dem Antrage auf Abänderung derart, daß der mj. Silke ein monatlicher Unterhaltsvorschuß von lediglich S 1.300,-- und der mj. Birgit ein solcher von monatlich S 700,-- gewährt werde.

Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Es stellte ergänzend fest, daß der Vater bei den Österreichischen Bundesbahnen als Schaffner beschäftigt war und wegen wiederholter schwerer Dienstpflichtverletzungen (ua unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst) und mehrerer disziplinärer Vorstrafen mit einem von der zuständigen Disziplinaroberkammer bestätigten Erkenntnis der Disziplinarkammer der Bundesbahndirektion Wien mit Wirkung vom 7. Februar 1990 entlassen wurde. Der im Rechtsmittel des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vertretenen Rechtsansicht, der Unterhaltsvorschußgewährung sei nur noch ein Einkommen des Vaters von monatlich netto

S 6.000,-- zugrundezulegen und das Eigeneinkommen der mj. Birgit sei bei der Festsetzung des Unterhaltsvorschusses zu berücksichtigen, könne das Rekursgericht nicht folgen. Entgegen einem Teil der Rechtsprechung, der die Anwendung der Anspannungstheorie auf einen Unterhaltspflichtigen lediglich dann von vornherein bejahe, wenn er den Verlust seines Arbeitsplatzes in der Absicht herbeigeführt habe, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen, folge das Rekursgericht jener Rechtsprechung, nach der auch schon ein durch Pflichtwidrigkeiten herbeigeführter Verlust des Arbeitsplatzes die Anwendung der Anspannungstheorie rechtfertige. Im vorliegenden Fall habe der Vater ein Verhalten gesetzt, das dem eines "maßstab-getreuen Familienvaters" grob widerspreche. Unter den gegebenen Umständen seien daher aus der Arbeitslosigkeit des Vaters keine begründeten Bedenken gegen den festgesetzten Unterhalt im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG abzuleiten, die die teilweise Versagung von Vorschüssen rechtfertigten. Zur Erheblichkeit der von der mj. Birgit bezogenen Lehrlingsentschädigung für die Festsetzung des Unterhaltsvorschusses sei zu bedenken, daß die Minderjährige zirka die Hälfte hievon an die Mutter für deren Betreuungsleistungen abzuführen hätte - unabhängig davon, ob dies tatsächlich der Fall sei - weil eine Minderung der Unterhaltsverpflichtung im Sinne des § 140 Abs. 3 erster Halbsatz ABGB nicht nur dem Vater zugutekommen könne. Somit verbliebe der mj. Birgit ein monatlicher Betrag von

S 1.324,-- als reales Eigeneinkommen. Damit liege der ihr gewährte Unterhalt weit unter dem Durchschnittsbedarf gleichaltriger Kinder von derzeit S 3.570,--. Sie benötige daher noch die Differenz von S 2.245,--, das seien rund S 2.300,--, als Unterhaltsleistung des Vaters. Demgemäß lägen aber keine begründeten Bedenken im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG vor.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß erhebt der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien Revisionsrekurs mit dem Antrag, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Unterhaltsvorschüsse auf S 1.300,-- monatlich für die mj. Silke und auf S 700,-- monatlich für die mj. Birgit herabzusetzen. Zur Begründung wird ausgeführt:

Der unterhaltspflichtige Vater beziehe nur noch die Hälfte des dem Unterhaltsvergleich zugrundegelegten Einkommens. Davon, daß er seine Entlassung provoziert hätte, um sich der Unterhaltspflicht zu entziehen, gehe auch das Rekursgericht nicht aus. Der Ansicht dieses Gerichtes, wegen des von ihm verschuldeten Arbeitsplatzverlustes sei sein für die beiden Minderjährigen zu leistender Unterhaltsbeitrag nach der Anspannungstheorie festzusetzen, könne nicht beigetreten werden. Sie würde dazu führen, daß ihm dieser Arbeitsplatzverlust bei der Unterhaltsbemessung immer wieder angelastet werden müßte und solcherart auf Dauer eine Pönalisierung von Entlassungstatbeständen auch außerhalb des Arbeitsrechtsbereiches erfolge. Seit dem Arbeitsplatzverlust des Vaters seien bereits 8 - 9 Monate vergangen, sodaß es keinesfalls billig erscheine, bei der Unterhaltsfestsetzung auf sein früheres Einkommen abzustellen. Auch ein im intakten Familienverband lebendes Kind bekomme den durch Entlassung und anschließender Arbeitslosigkeit des Vaters gegebenen Einkommensverlust zu spüren. Die von der mj. Birgit bezogene Lehrlingsentschädigung von monatlich S 2.648,-- könne im Verhältnis zum dürftigen Einkommen des Vaters nicht völlig außer Betracht bleiben, weil sich sonst ein krasses Mißverhältnis zum Nachteil des Unterhaltspflichtigen ergebe. Ihr Unterhaltsanspruch sei zwar nicht zur Gänze zu verneinen, doch erscheine dessen schrittweise Herabsetzung vonnöten.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, wenn in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder - der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend - zu hoch festgesetzt ist.

Bei der Festsetzung des gesetzlichen Unterhaltes kommt es zwar grundsätzlich auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an, es muß dabei aber auch stets die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt werden (4 Ob 532/90; 2 Ob 577/90; 7 Ob 661/90; 8 Ob 615/90 ua). Da die Eltern zur Deckung des Unterhaltsbedarfes des Kindes gemäß dem § 140 Abs. 1 ABGB nach ihren Kräften beizutragen haben, ist für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht nur das tatsächlich erzielte, sondern das bei zumutbarer Anspannung der Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen erzielbare Erwerbseinkommen maßgebend (7 Ob 628/90; EvBl. 1990/128 S 599).

Zur Frage, auf welcher Grundlage der Unterhalt zu bemessen sei, wenn der Unterhaltspflichtige schuldhaft seine Kündigung oder Entlassung herbeigeführt hat und sodann Arbeitslosenunterstützung bezieht, nahm der Oberste Gerichtshof kürzlich in der Entscheidung vom 18. Oktober 1990, 6 Ob 655/90, Stellung. Entgegen der hier vom Rekursgericht vertretenen Ansicht wurde ausgesprochen, daß eine fristlose Entlassung als Dienstnehmer für sich allein bei der Unterhaltsfestsetzung grundsätzlich noch nicht zur Anwendung der Anspannungstheorie führt. Wenn die Entlassung in der Absicht herbeigeführt wurde, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen, ist die mangelnde Anspannung des Verpflichteten, den Unterhalt nach seinen Kräften zu leisten, zwar augenscheinlich, grundsätzlich kommt es aber auch bei einer Entlassung immer auf das nachfolgende tatsächliche Verhalten des Unterhaltsschuldners, also darauf an, ob er sich sodann über die bloße Anmeldung als Arbeitssuchender hinaus in jeder ihm zumutbaren Weise um die Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes tatkräftig bemüht hat. Die bloße Feststellung, daß der Unterhaltsschuldner fristlos entlassen wurde und in der Folge Arbeitslosenunterstützung bezog, reicht auch nach Ansicht des 8. Senates daher noch nicht aus, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen in der Weise zu bejahen, daß er weiterhin den bisher festgesetzten Unterhalt zu leisten hätte.

Im vorliegenden Falle wurden keinerlei Erhebungen darüber angestellt, ob und welche Versuche und Bemühungen zur Wiedererlangung einer Arbeitsstelle der Vater der beiden Minderjährigen seit seiner Entlassung im Februar 1990 unternommen hat. Die Klärung dieser Umstände ist jedenfalls Voraussetzung für die Beantwortung der Frage, ob die auf der Grundlage eines als erzielbar angenommenen und gegenüber der Arbeitslosenunterstützung doppelt so hohen monatlichen Erwerbseinkommens von netto S 13.525,-- beruhende Bemessung der Unterhaltspflicht im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG richtig ist. Wenn die Verletzung der Pflicht des Vaters, den Unterhalt nach Kräften zu leisten, nicht angenommen werden kann, so bestehen begründete Bedenken gegen die Höhe des für die beiden Minderjährigen derzeit festgesetzten Unterhaltes. Dies hätte im Sinne der Rechtsmittelausführungen zur Folge, daß die Vorschüsse gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 UVG teilweise zu versagen wären. Demgemäß bedarf es der dargestellten Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung.

Unter der Voraussetzung, daß lediglich noch die vom Vater in der festgestellten Höhe bezogene Arbeitslosenunterstützung von rund monatlich S 6.000,-- netto oder ein ähnlich niedriges Einkommen die Unterhaltsbemessungsgrundlage bildet, ist entgegen der rekursgerichtlichen Ansicht bei der Bestimmung der Höhe des Unterhaltsanspruches der mj. Birgit gegenüber ihrem Vater grundsätzlich auch auf die von ihr bezogene Lehrlingsentschädigung Bedacht zu nehmen. Soferne den Lehrling keine nennenswerten berufs- oder ausbildungsbedingten Kosten und Mehrauslagen treffen, stellt nämlich die gesamte Lehrlingsentschädigung ein anrechenbares Eigeneinkommen im Sinne § 140 Abs. 3 ABGB dar (8 Ob 650/90; 6 Ob 624/90; 3 Ob 547/90; 1 Ob 668/90 ua). Im Falle ihrer Anrechnung kommt sie allerdings, worauf das Rekursgericht zutreffend verwies, nicht nur dem Geldunterhaltsschuldner, sondern anteilig auch dem das Kind betreuenden Unterhaltspflichtigen zugute (6 Ob 624/90). Im Hinblick auf eine geringe Leistungsfähigkeit des Vaters und seine weitere Sorgepflicht für die mj. Silke erschiene hier der bisherige Unterhaltsbetrag von monatlich S 2.300,-- für die mj. Birgit auch insoweit als im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG offenbar zu hoch festgesetzt. Dem Vater verbliebe für seine eigene Lebensführung lediglich ein monatlicher Betrag von rund S 1.400,--, wogegen der mj. Birgit neben Betreuung und Unterkunft monatliche Geldbeträge von S 1.324,-- (= die Hälfte des Eigeneinkommens, soferne keine Mehraufwendungen vorliegen) + S 2.300,-- zur Verfügung stünden. Demgemäß wäre gegebenenfalls der der mj. Birgit in der Höhe von monatlich S 2.300,-- gewährte Unterhaltsvorschuß auch aus diesem Grunde im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG teilweise zu versagen.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E25268

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00509.91.0214.000

Dokumentnummer

JJT_19910214_OGH0002_0080OB00509_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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