TE OGH 1991/3/26 10ObS58/91

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Veröffentlicht am 26.03.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Stefan und Dr.Dietmar Strimitzer (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, vertreten durch Dr.Erwin Köll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern (Landesstelle Tirol), Ghegastraße 1, 1030 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Leistungen aus der Unfallversicherung und Gewährung einer Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Oktober 1990, GZ 5 Rs 121/90-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Juni 1990, GZ 47 Cgs 48/90-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 29.4.1937 geborene Kläger ist hauptberuflich Straßenwärter und erzielt aus dieser Tätigkeit ein Einkommen von 10.000 S bis 13.000 S netto monatlich. Sein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb hat ein Ausmaß von 5,2241 ha. Der Einheitswert beträgt 17.000 S. Der Kläger hat am 23.1.1990 9 Rinder gehalten; weiteres Nutzvieh wurde nicht gehalten. Der Sohn des Klägers hat selbst einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb im Ausmaß von ca 5 ha mit einem Einheitswert von 30.000 S gepachtet. Das Vieh des Sohnes befand sich zur Unfallszeit ebenfalls im Stall des Klägers. Im Wirtschaftsgebäude waren Bodenprodukte des Klägers (Heu etc) gelagert.

Der Kläger und sein Sohn waren am 23.1.1990 damit beschäftigt, den um den Wohntrakt führenden Balkon - Wirtschafts- und Wohnhaus sind eine Einheit - abzureißen. Der Kläger wollte mit einem Zeppin den Unterbalken des Balkons, der an die Holzwand genagelt war, herausreißen. Dabei brach der Zeppin, der Kläger verlor das Gleichgewicht, stürzte 3 m in die Tiefe und zog sich dabei einen Fersenbeinbruch zu. Unterhalb des Balkons befindet sich teilweise die Miststätte und es wird dort auch Brennholz gelagert, das überwiegend für den Haushalt, teilweise auch für die Landwirtschaft, und zwar zum Sieden von Wasser beim Schweineabstechen verwendet wird. Die Lagerung des Kraftfutters für das Vieh erfolgt im Wirtschaftsgebäude, wo sich auch der Warmwasseranschluß befindet. Landwirtschaftliche Geräte werden im Hofgebäude abgestellt. Der Balkon, der nur vom ersten Stock des Ganges des Wohnhauses zu betreten war, wurde betrieblich nicht genutzt. Er wurde einerseits wegen seiner Reparaturbedürftigkeit und andererseits deshalb abgetragen, weil der Sohn des Klägers diesem in der Landwirtschaft immer behilflich war und der Kläger wollte, daß sich der Balkon im Falle einer Übergabe des Hofes an seinen Sohn in einem einwandfreien Zustand befinde.

Mit Bescheid vom 15.3.1990 lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern die Gewährung einer Leistung aus der Unfallversicherung für die Folgen dieses Ereignisses mit der Begründung ab, daß der Haushalt des Klägers nicht wesentlich dem landwirtschaftlichen Betrieb diene und die Balkonerneuerung dem privaten Tätigkeitsbereich zuzuordnen sei.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger, ihm für die Folgen des Ereignisses vom 23.1.1990 die Unfallheilbehandlungskosten sowie die Vollrente und die Zusatzrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren; jedenfalls wolle festgestellt werden, daß es sich beim Ereignis vom 23.1.1990 um einen Arbeitsunfall handle. Die Abbrucharbeiten für die Balkonerneuerung seien im wesentlichen im Interesse der Landwirtschaft erfolgt. Der Balkon sei baufällig gewesen. Unter dem einsturzgefährdeten Balkon habe sich die Miststätte befunden und es sei dort auch Holz aufgestapelt gewesen. Es sei zu befürchten gewesen, daß durch sich lösende Teile des Balkons Betriebsangehörige beim Ausmisten oder beim Hantieren mit Holz verletzt werden könnten. Hof- und Wirtschaftsgebäude bildeten nicht nur eine bauliche, sondern auch eine wirtschaftliche Einheit. Der Wirtschaftsteil des Gebäudes könne ohne Hofgebäudeteil nicht genutzt werden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Beim Wohnhaus handle es sich nicht um ein Gebäude, das dem landwirtschaftlichen Betrieb diene; dieses diene nur persönlichen Interessen. Das Abtragen des erneuerungsbedürftigen Balkons am Wohnhaus sei nicht vom Versicherungsschutz umfaßt. Im übrigen beziehe der Kläger seinen Lebensunterhalt überwiegend aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, der Haushalt diene auch nicht wesentlich dem landwirtschaftlichen Betrieb.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab. Arbeitsunfälle im Zusammenhang mit Abbrucharbeiten seien im § 175 Abs 3 Z 4 ASVG zwar nicht ausdrücklich erwähnt, fielen jedoch dann unter Versicherungsschutz, wenn sie deshalb durchgeführt würden, um Platz für ein an dieser Stelle zu errichtendes Gebäude bzw einen Gebäudeteil zu schaffen, der dem landwirtschaftlichen Betrieb diene. Diese Voraussetzung liege nicht vor, weil der Balkon betrieblich nicht genutzt worden sei. Es fehle an den Voraussetzungen einer betrieblichen Tätigkeit im Zusammenhang mit den Abbrucharbeiten. Diese hätten nicht der Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz des Klägers gedient.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Wohl stecke das Gesetz für den Umfang der betrieblichen Tätigkeit im bäuerlichen Bereich einen weiten Rahmen, doch ende dieser Schutz dort, wo bereits ein Aufgabenkreis eines Betriebes eines anderen Wirtschaftszweiges in den Vordergrund rücke. Abgesehen davon, daß der Abbruch des Balkons deshalb vorgenommen worden sei, weil der Kläger seinem Sohn den Hof offensichtlich mit einem neuen Balkon habe übergeben wollen, könne der Abbruch eines Balkons und dessen Neuerrichtung nicht mehr als betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 175 Abs 3 Z 4 ASVG gesehen werden, weil es sich hier vorwiegend um Zimmermannstätigkeiten handle. Darüber hinaus könne aber der Abbruch eines nicht landwirtschaftlich bzw betrieblich genutzten Balkons nicht den Interessen des landwirtschaftlichen Betriebes dienen, auch wenn der Abbruch wegen einer Absturzgefahr und der möglicherweise damit verbundenen Gefährdung von sich unterhalb des Balkons aufhaltenden Personen erfolge. Der Umstand, daß sich die Mistlege teilweise unterhalb des Balkons befinde und beim Ausmisten eine Gefährdung des Klägers und anderer Personen nicht ausgeschlossen werden könne, reiche für die Annahme einer betriebsbezogenen wichtigen Tätigkeit nicht aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 3 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 Z 1 BSVG sind Personen, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land-(forst-)wirtschaftlichen Betrieb im Sinne des Landarbeitsgesetzes 1984 BGBl 287 führen oder auf deren Rechnung und Gefahr ein solcher Betrieb geführt wird, in der Unfallversicherung nach dem BSVG pflichtversichert, sofern es sich um einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb handelt, dessen Einheitswert 2000 S erreicht oder übersteigt (§ 3 Abs 2 BSVG - die weiteren dort angeführten Fälle sind hier nicht von Bedeutung). Im vorliegenden Fall wurde der Einheitswert des Betriebes des Klägers mit 17.000 S festgestellt. Das Bestehen der Pflichtversicherung in der Unfallversicherung wurde auch nicht bestritten. Unabhängig davon, ob der Kläger den Betrieb hauptberuflich oder als Nebenerwerbslandwirt führt, sind Tätigkeiten, die dem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb zuzurechnen sind, vom Schutz der Unfallversicherung umfaßt, ohne daß der Frage Bedeutung zukäme, ob der Kläger allenfalls einen größeren Teil seines Einkommens aus einer anderen Tätigkeit bezieht.

Der Umfang der betrieblichen Tätigkeit im bäuerlichen Bereich ist durch das Gesetz sehr weit gezogen. Alle Tätigkeiten, die der Erhaltung, der Organisation des landwirtschaftlichen Betriebes dienen, aber auch Tätigkeiten, die eine Verbesserung der Organisation zum Ziel haben, sind als Betriebstätigkeiten im Sinne des § 175 Abs 1 ASVG anzusehen, da sie mit der Verwirklichung der Zielsetzungen eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (Schrammel, VersRdSch 1970, 140 ff insbesondere 147; Tomandl in Tomandl, System, 4.ErgLfg 288). Gemäß § 175 Abs 3 Z 4 ASVG sind auch Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung, dem Umbau und der Reparatur von Gebäuden, die dem landwirtschaftlichen Betrieb dienen, vom Unfallversicherungsschutz umfaßt. Diese Bestimmung geht auf die 29. ASVG-Novelle BGBl 1973/31 zurück. Die Gesetzesmaterialien (404 BlgNR 13.GP, 94) führen dazu nur aus, daß die Bestimmung der Abgrenzung der Zuständigkeiten der Unfallversicherung für Unfälle dienen soll, die sich bei Bauarbeiten in der Landwirtschaft ereignen. Weitere Hinweise finden sich nicht. Der Gesetzgeber hat damit aber offenbar dem Umstand Rechnung getragen, daß Landwirte und deren Familienangehörige an der Landwirtschaft dienenden Gebäuden Reparatur- und Verbesserungsarbeiten in viel größerem Maß in Eigenregie vornehmen, als dies außerhalb der Landwirtschaft üblich ist. Der Umstand, daß es sich dabei um Arbeiten handelt, die sonst im Rahmen eines Gewerbebetriebes verrichtet werden, steht daher der Annahme des Versicherungsschutzes für Unfälle, die sich bei solchen Arbeiten ereignen, nicht entgegen. Die im § 175 Abs 3 Z 4 ASVG genannten Arbeiten müssen jedoch der Aufrechterhaltung, der Förderung und der Abwicklung der selbständigen Existenz dienen. Dabei ist zu prüfen, ob die entfaltete Tätigkeit nach objektiven Gesichtspunkten dazu dient, und ob sie subjektiv auch in dieser Intention entfaltet wurde. Läßt sich, wie dies bei bäuerlichen Anwesen häufig der Fall ist, der betriebliche und persönliche Bereich wegen der gemischten Nutzung nicht klar trennen, so beginnt der Versicherungsschutz dort, wo der abgrenzbare rein persönliche Bereich aufhört und ein auch wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Bereich anzunehmen ist. Die Arbeiten müssen sich im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes halten (SSV-NF 3/16 mwN).

In der letztgenannten Entscheidung verneinte der Oberste Gerichtshof den Versicherungsschutz für Arbeiten an einer vor dem Wohnhaus gelegenen Terrasse. Auch bei weiter Auslegung könne nicht gesagt werden, daß eine vor dem Wohnhaus liegende Terrasse und damit auch die Ausbesserung des Terrassengeländers (bei dieser Arbeit ereignete sich dort der Unfall) nicht ausschließlich dem persönlichen, privaten Komfort der Bewohner, sondern auch den Interessen des landwirtschaftlichen Betriebes diene. Die Entfernung eines an einem Wohngebäude angebrachten Balkons, der nur für die private Nutzung der Bewohner bestimmt war, könnte nicht anders beurteilt werden. Die Entfernung des Balkons am Wohngebäude wäre daher isoliert betrachtet vom Unfallversicherungsschutz nicht umfaßt. Ob der Haushalt des Klägers dem landwirtschaftlichen Betrieb wesentlich diente, kann unerörtert bleiben, da selbst in diesem Fall Arbeiten an dem nur dem privaten Interesse dienenden Balkon nicht unfallversicherungsgeschützt wären.

Hier kommt aber dazu, daß der Kläger vorgebracht hat, unterhalb des Balkons habe sich die Düngerstätte und der Holzlagerplatz befunden. Die Entfernung des Balkons sei notwendig gewesen, weil dieser baufällig gewesen und die Gefahr des Absturzes von einzelnen Teilen zu befürchten gewesen sei und damit bei Arbeiten an der Düngerstätte und beim Holzlager Gefahr gedroht habe. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß diesen Behauptungen wesentliche Bedeutung nicht zukomme, kann nicht beigetreten werden. Ausgehend von diesem Vorbringen wäre vielmehr der für das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes erforderliche Zusammenhang zwischen dem landwirtschaftlichen Betrieb und dem Abreißen des Balkons gegeben, weil der ungefährdete klaglose Ablauf der betrieblichen Arbeit in der bisherigen Form - die ungefährdete Benützung der Düngerstätte sowie des Holzlagers, soweit dieses für betriebliche Zwecke Verwendung fand - nur durch die Entfernung des baufälligen Gebäudeteiles gewährleistet gewesen wäre. Wohl wurden die Abbrucharbeiten nicht an einem Wirtschaftsgebäude vorgenommen, doch ist diese Bestimmung auch auf andere nicht an Wirtschaftsgebäuden vorgenommene, jedoch unmittelbar im betrieblichen Interesse gelegene Arbeiten anzuwenden. Auch hier steht dem Versicherungsschutz nicht im Wege, daß es sich dabei um Arbeiten handelt, die dem Zimmermannsgewerbe zuzuordnen sind. Ob auch die Errichtung eines neuen Balkons dem Unfallversicherungsschutz unterliegen würde, kann unerörtert bleiben, weil der Unfall beim Abreißen des alten Balkons erfolgte, für das nach den Behauptungen des Klägers maßgebliche betriebliche Interessen bestimmend waren.

Die bisherigen Feststellungen reichen zur Beurteilung der entscheidungswesentlichen Frage nicht hin. Festgestellt wurde, daß der Balkon entfernt werden sollte, weil er reparaturbedürftig gewesen sei und weil der Kläger seinem Sohn den Hof in einwandfreiem Zustand übergeben wollte. Über die Frage, ob bei Weiterbelassung des Balkons tatsächlich bei Arbeiten an der Düngerstätte Gefahr gedroht hätte, findet sich in den Feststellungen keine Aussage. Diesbezüglich erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig. Das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes wäre zu bejahen, wenn betriebliche Gründe in dem vom Kläger geltend gemachten Sinn die Entfernung des Balkons notwendig gemacht hätten.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E26084

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00058.91.0326.000

Dokumentnummer

JJT_19910326_OGH0002_010OBS00058_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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