TE OGH 1991/4/9 14Os26/91

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Veröffentlicht am 09.04.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.April 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Winge als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karl L***** wegen des Vergehens des Vorwurfes einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung nach § 113 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 8. Oktober 1990, AZ 13 c Bl 1067/90, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, des Vertreters des Privatanklägers Dr. Helga Musil, des Verurteilten Karl L***** und des Verteidigers Dr. Michael Swoboda zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 8.Oktober 1990, AZ 13 c Bl 1067/90, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 473 Abs. 2 StPO. Dieses Urteil wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die Erneuerung des Berufungsverfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 26.Juli 1990, GZ 17 U 43/89-13, wurde Karl L***** von der (Privat-)Anklage, er habe (dem Privatankläger) Gerhard S***** vor dem 24.Dezember 1988 durch ein in der Auslage seines Geschäftes befestigtes Schriftstück mit der Aufschrift "war bis 15.Dezember 1988 in Haft" in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eine strafbare Handlung, für die die Strafe schon vollzogen bzw bedingt nachgesehen war, vorgeworfen und hiedurch das Vergehen des Vorwurfs einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung nach § 113 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Ungeachtet des Umstandes, daß der in Rede stehenden Haft tatsächlich eine strafgerichtliche Verurteilung des Privatanklägers (wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 und Abs. 3 lit a FinStrG, die mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. Mai 1983, AZ 6 e Vr 1990/83 erfolgt war) zugrunde lag, "ergab sich" für das Bezirksgericht "in rechtlicher Hinsicht, daß der Beschuldigte zwar den Vorwurf erhob, der Privatankläger sei bis 15. Dezember 1988 in Haft gewesen, keineswegs jedoch dem Privatankläger eine strafbare Handlung vorwarf, da die übrigen in seiner Auslage befindlichen (das gegen den Privatankläger zum AZ 6 S 212/88 des Handelsgerichtes Wien anhängige Konkursverfahren betreffenden) Plakate mit dem genannten Finanzstrafverfahren nichts zu tun hatten" (US 3). Zufolge Fehlens einer für die Verwirklichung des Vergehens nach § 113 StGB ausreichenden Tathandlung hielt das Bezirksgericht eine Prüfung des Sachverhaltes in Richtung des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB für geboten, die im Hinblick auf den insoweit gelungenen Wahrheitsbeweis jedoch zum Vorteil des Beschuldigten ausfiel (US 4). Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Vergehens nach § 113 StGB sind im Urteil nicht enthalten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Freispruch meldete der Privatankläger "volle" Berufung an (S 37), die er jedoch unter Geltendmachung der Gründe nach § 281 Abs. 1 Z 9 lit a und 10 (§ 468 Abs. 1 Z 4) StPO nur wegen Nichtigkeit zur Ausführung brachte (ON 14 iVm S 60). Nach Durchführung der mündlichen Berufungsverhandlung, bei der das Beweisverfahren weder wiederholt noch ergänzt wurde (S 60), hat das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht der Berufung des Privatanklägers mit Urteil vom 8.Oktober 1990, AZ 13 c Bl 1067/90, Folge gegeben, das angefochtene (freisprechende) Urteil des Bezirksgerichtes aufgehoben, Karl L***** des Vergehens nach § 113 StGB schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Geldstrafe verurteilt. Zum (objektiven) Tatbild des bezeichneten Vergehens brachte das Berufungsgericht in den Urteilsgründen rechtsrichtig zum Ausdruck, daß auch der bloße Vorwurf der verbüßten (gerichtlichen) Strafe ohne Konkretisierung des zugrundeliegenden strafbaren Verhaltens als Tathandlung im Sinn des § 113 StGB in Frage kommen kann (siehe insbesondere US 6, 10). Da jede gerichtliche Strafhaft begriffsnotwendig eine strafgerichtliche Verurteilung voraussetzt, die wiederum ohne Nachweis der Begehung einer (gerichtlich) strafbaren Handlung nicht vorstellbar ist, entspricht der denknotwendig auch die Behauptung der Begehung einer gerichtlichen Straftat implizierende Vorwurf der verbüßten Strafhaft - sofern er in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise vorgebracht wurde - tatsächlich dem im § 113 StGB unter Strafdrohung gestellten Verhalten (vgl Foregger im WK Rz 3, 4; Kienapfel BT I3 RN 4 und 4 a je zu § 113 StGB).

In subjektiver Hinsicht gelangte das Berufungsgericht davon ausgehend, daß das aus dem inkriminierten Schriftstück ersichtliche Wort "Haft" nach den Erfahrungen des täglichen Lebens zumindest von der Mehrzahl der (an der Geschäftsauslage) vorbeigehenden Personen im Sinn einer gerichtlichen Strafhaft verstanden wird und der Täter "bei derartigen Vergehen" immer für jene Auslegung hafte, die im Rahmen der Erfahrungen des täglichen Lebens zu erwarten ist, im Fall verschiedener Auslegungsmöglichkeiten daher auch "für die ungünstigere", zur Überzeugung, daß der Vorsatz des Beschuldigten (unter anderem) auch den Vorwurf einer gerichtlich strafbaren Handlung erfaßte (US 7 ff) und daß der Vorwurf der erlittenen Haft "in der Absicht" erfolgte, "den Privatankläger zu schmähen" (US 9).

Diese beweiswürdigende Annahme des Berufungsgerichtes verstößt - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - gegen die Bestimmung des § 473 Abs. 2 StPO. Nach dieser Verfahrensvorschrift ist das Rechtsmittelgericht bei der Entscheidung über die Berufung gegen ein bezirksgerichtliches Urteil grundsätzlich an den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt gebunden. Hat das Erstgericht, wie im vorliegenden Fall, infolge rechtsirriger Auslegung des Gesetzes rechtlich erhebliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht getroffen, so darf das Berufungsgericht, um den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit zu entsprechen, die aus seiner Sicht erforderlichen Feststellungen nur nachholen, wenn es die für die Beurteilung der betreffenden Tatumstände in Betracht kommenden Beweise im Weg der Wiederholung bzw Ergänzung des Beweisverfahrens selbst aufgenommen hat (SSt 49/61, 52/55 ua); andernfalls kommt nur eine Zurückverweisung der Strafsache an das Erstgericht (zu neuer Verhandlung) in Frage. Vorliegend hat das Berufungsgericht die vom Erstgericht verabsäumten Feststellungen zur subjektiven Tatseite ohne eigene Beweisaufnahme getroffen und solcherart der Bestimmung des § 473 Abs. 2 StPO zuwidergehandelt.

Es war daher spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E25573

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0140OS00026.91.0409.000

Dokumentnummer

JJT_19910409_OGH0002_0140OS00026_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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