TE OGH 1991/4/26 2Ob14/91

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Veröffentlicht am 26.04.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef R*****, vertreten durch Dr. Johann Tischler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Heidi T*****, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen restlicher 65.771,35 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 19. Dezember 1990, GZ 2 R 245/90-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 17. Juli 1990, GZ 22 Cg 128/90-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung erster Instanz wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 7.925,40 S (darin 1.320,90 S an Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 6.123 S (darin 2.500 S an Barauslagen und 603,80 S an Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5. März 1990, um 5,45 Uhr, ereignete sich auf der E***** Straße an der Einmündung des benachrangten A*****weges (Übergang des Ortsgebietes von E***** in jenes von K*****) ein Verkehrsunfall, an dem die mit ihrem PKW Mazda 626 (K *****) vom A*****weg (von Süden) nach rechts (Osten) in die E***** Straße einbiegende Beklagte und der mit seinem PKW BMW 316 i (K *****) auf der E***** Straße in Richtung Westen fahrende, gerade den vor ihm fahrenden PKW des Josef V***** links überholende Kläger beteiligt waren. Die linke Frontecke des Fahrzeuges der Beklagten kollidierte mit der linken Flanke des Fahrzeuges des Klägers, das auch noch in eine Folgekollision mit dem Fahrzeug des Josef V***** verwickelt wurde. Dadurch entstand dem Kläger ein Sachschaden von 65.771,35 S und der Beklagten ein solcher von 33.242,40 S.

Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage von der Beklagten den Ersatz des ihm bei diesem Unfall entstandenen Schadens, weil die Beklagte den Unfall dadurch allein verschuldet habe, daß sie von einer Seitenstraße in die bevorrangte E***** Straße eingefahren sei und damit seinen Vorrang verletzt habe. Obwohl er mit angemessener Geschwindigkeit von maximal 50 km/h gefahren sei und sofort reagiert habe, habe er den Unfall nicht verhindern können.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Den Kläger, der eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten, trotz Gegenverkehrs überholt und verspätet reagiert habe, treffe das alleinige Verschulden an dem Unfall. Der Kläger sei mit seinem Fahrzeug auf ihren stehenden PKW aufgefahren. Für den Fall des Zurechtbestehens der Klageforderung wendete die Beklagte den ihr entstandenen mit 35.242,40 S bezifferten Schaden der Klageforderung gegenüber aufrechnungsweise ein.

Demgegenüber erwiderte der Kläger, daß ihn selbst für den Fall der Annahme, er hätte eine Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h eingehalten, kein Verschulden an dem Unfall treffe, weil sich der Verkehrsunfall auch bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 50 km/h in gleicher Schwere und Stärke ereignet hätte.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit 65.771,35 S als zu Recht bestehend, die aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung der beklagten Partei als nicht zu Recht bestehend und gab daher dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. Die vom Erstgericht über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus getroffenen Feststellungen lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Die asphaltierte Fahrbahn der im Unfallsbereich im wesentlichen in Ost-West-Richtung verlaufenden E***** Straße ist 7,5 m breit und durch eine Leitlinie geteilt; der nördliche Fahrstreifen ist 3,5 m breit, der südliche, auf dem sich der Unfall ereignete, 3,15 m breit. Unmittelbar vor der Stadtgrenze (Ende von K***** und Beginn von E*****) - in Fahrtrichtung des Klägers (Westen) betrachtet - führt die E***** Straße über eine Brücke, in deren Bereich die südliche Fahrbahnhälfte durch Randleistensteine um 35 cm schmäler ist. Der bei der Stadtgrenze beginnende Einmündungstrichter des A*****weges ist 25 m breit und 15 m tief; der A*****weg ist durch das Zeichen "Vorrang geben" der E***** Straße gegenüber benachrangt. Abgesehen von der im Ortsgebiet geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h bestehen im Unfallsbereich keine besonderen Verkehrsbeschränkungen. Aus Fahrtrichtung des Klägers betrachtet ist die E***** Straße bis zu einer Position von ca. 60 m vor der Stadtgrenze in einer langgezogenen unübersichtlichen Rechtskurve zu durchfahren, die dann in ein ca. 1 km langes gerades Straßenstück übergeht. Als sich der Kläger etwa 80 m vor der Stadtgrenze befand, entschloß er sich, das vor ihm mit einer Geschwindigkeit von etwa 45 km/h fahrende Fahrzeug des Josef V***** zu überholen. Er legte den linken Blinker ein. Da die linke Fahrspur frei war und kein Gegenverkehr herrschte, war eine Behinderung des Überholmanövers nicht zu erwarten. Als der Kläger etwa 18 bis 19 m vor der Stadtgrenze war, befand sich sein Fahrzeug auf der südlichen Fahrbahnhälfte zur Gänze fahrbahnparallel und ungefähr auf gleicher Höhe mit dem zu überholenden Fahrzeug. Dabei hatte der Kläger eine Geschwindigkeit von ca. 55 bis 60 km/h erreicht. In dieser Position (18 bis 19 m vor der Stadtgrenze) - etwa 1,6 Sekunden vor der Kollision - bemerkte er das Fahrzeug der Beklagten, als sich dieses aus dem A*****weg kommend der E***** Straße näherte, allerdings noch nicht in diese eingefahren war. Da dieses Fahrzeug für den Kläger eine Gefahr darstellte, entschloß er sich zu einer Bremsung mit einer Verzögerung von etwa 7 m/sec2, die wirksam wurde, als das Fahrzeug des Klägers etwa 3 m vor der Stadtgrenze war. Durch die Bremswirkung wurde die Geschwindigkeit dieses Fahrzeuges auf ca. 40 km/h verringert, mit welcher Geschwindigkeit es zur Kollision mit dem in Bewegung befindlichen PKW der Beklagten kam; dabei ragte die linke vordere Ecke des PKWs der Beklagten rund 0,5 m in die E***** Straße hinein, und zwar in einer Winkelstellung von ca. 45 Grad zur Fahrbahnlängsachse der E***** Straße. Der Kollisionspunkt lag etwa 5 m westlich der Stadtgrenze. Das Fahrzeug des Klägers wurde durch den Anstoß nach rechts gedrückt und kam etwa 45 m westlich der Stadtgrenze zum Stillstand, wobei der Kläger nach der Kollision nur mit einer normalen Betriebsbremsung mit etwa 2,5 bis 3,5 m/sec2 verzögerte. Die Kollision selbst ereignete sich zwischen der linken vorderen Fahrzeugecke des Fahrzeuges der Beklagten und der linken Seitenbegrenzung auf Höhe des linken Vorderrades beim PKW des Klägers, wobei die Kontaktlösung etwa auf Höhe des linken Hinterrades erfolgte. Auch bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h und geringfügig darunter hätte der Kläger keine Möglichkeit gehabt, eine Kollision zu vermeiden. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeuges des Klägers hätte etwa 23 bis 24 km/h betragen, allerdings hätte das Fahrzeug des Klägers länger zum Unfallspunkt gebraucht und wäre die Beklagte noch weiter in die Fahrbahn eingefahren; bei dieser Situation wäre es zu einem Frontalzusammenstoß mit Schäden im ähnlichen Ausmaß gekommen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Beklagte den Vorrang des Klägers verletzt habe. Bei entsprechender Vorsicht hätte sie ihr Fahrzeug beim Einbiegen in die bevorrangte Straße rechtzeitig anhalten müssen, zumal sich der Vorrang des Klägers auf die gesamte Fahrbahn erstrecke. Da kein Überholverbot vorhanden gewesen sei und kein Gegenverkehr geherrscht habe, habe er das Fahrzeug des Josef V***** überholen dürfen. Eine Reaktionsverspätung des Klägers sei auszuschließen; er sei allerdings mit einer Geschwindigkeit gefahren, die über die gesetzlich zulässige hinausgegangen sei. Der Kläger habe aber bewiesen, daß sich der Unfall selbst bei Einhaltung einer zulässigen Geschwindigkeit mit nahezu gleichen Folgen ereignet hätte. Damit treffe die Beklagte das Alleinverschulden an dem Unfall.

Das Gericht zweiter Instanz gab der in der Hauptsache und im Kostenpunkt erhobenen Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, daß es - von einem Mitverschulden des Klägers im Ausmaß eines Drittels ausgehend - die Klageforderung mit 43.847,57 S und die eingewendete Gegenforderung der Beklagten als mit 11.080,80 S als zu Recht bestehend erkannte und dem Kläger unter Abweisung eines Mehrbegehrens von 33.004,58 S sA den Betrag von 32.766,77 S sA zusprach. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und erachtete davon ausgehend die Rechtsrüge der Berufungswerberin als teilweise berechtigt. Zunächst sei davon auszugehen, daß die Beklagte den Vorrang des Fahrzeuges des Klägers, der sich auf die gesamte Fahrbahn der E***** Straße erstreckt habe, gemäß § 19 Abs 4 und 7 StVO verletzt habe. Da die Beklagte im Augenblick der Kollision erst ca. einen halben Meter in die bevorrangte Fahrbahn eingefahren gewesen sei, müsse davon ausgegangen werden, daß das Überholmanöver des Klägers für sie bei gehöriger Aufmerksamkeit schon am Beginn ihres Einbiegemanövers erkennbar gewesen wäre. Die Beklagte habe in erster Instanz ihren Einwand, daß den Kläger das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe, nicht auf eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers gestützt, sondern lediglich auf verbotswidriges Überholnen (Überholen trotz Gegenverkehrs). Dennoch sei das Gericht berechtigt, auch die "überschießende" Feststellung, aus der sich eine Überschreitung der zulässigen Fahrgeschwindigkeit seitens des Klägers ergäbe, der rechtlichen Beurteilung (Verschuldensteilung) zugrundezulegen (ZVR 1980/298 ua). Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um (mindestens) 10 % könne unter den gegebenen Umständen - Passieren einer ungeregelten Kreuzung im Ortsgebiet bei Dunkelheit - nicht als so geringfügig angesehen werden, daß sie bei der Verschuldnes- und Schadensteilung vernachlässigt werden dürfte. Das Erstgericht habe die Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers allerdings aus dem Gesichtspunkt eines fehlenden

Rechtswidrigkeitszusammenhanges - zu Unrecht - als nicht relevant erachtet. Darüberhinaus habe der Kläger nach Auffassung des Senates spezifisch rechtswidrig gegen bestehende Überholverbote (§ 16 Abs 1 lit. b sowie Abs 2 lit. c StVO) verstoßen, wozu das Berufungsgericht im einzelnen ausführte:

Auch beim Überholen dürfe eine vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werden (ZVR 1956/123). Unter Bedachtnahme auf die Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h und die Geschwindigkeit des zu überholenden Fahrzeuges von 45 km/h wäre im konkreten Fall der (zulässige) Geschwindigkeitsunterschied von nur 5 km/h für einen kurzen Überholvorgang zu gering gewesen (vgl. ZVR 1977/39). Gemäß § 16 Abs 1 lit. b StVO hätte der Kläger mit erlaubter Höchstgeschwindigkeit gar nicht überholen und daher auch nicht die linke Fahrbahnhälfte benützen dürfen. Hätte er seine Fahrlinie auf der rechten Fahrbahnhälfte beibehalten, wäre der Unfall aber unterblieben. Die Auffassung des Erstgerichtes, daß bei rechtmäßigem Verhalten des Klägers der Unfall sich dennoch mit mindestens gleich schweren Folgen ereignet hätte, sei daher unrichtig. Gegen das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit. c StVO habe der Kläger deshalb verstoßen, weil er auf ungeregelter Kreuzung das mehrspurige Fahrzeug des Josef V***** links überholt habe. Der Berufungssenat verkenne nicht, daß der Schutzzweck dieser Norm in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sehr eng gesehen worden sei; es diene nach der Rechtsauffassung des Höchstgerichtes nur dem Zweck, an nicht besonders geregelten Kreuzungen den Vorrang eines von rechts kommenden Fahrzeuges wahren zu können, nicht aber der Sicherheit des Verkehrs im allgemeinen, insbesondere nicht dem Schutz des von links kommenden benachrangten Querverkehrs (ZVR 1976/250, 1979/63, 1980/39 ua) und auch nicht dem Schutz des überholten Linksabbiegers (ZVR 1978/139, 1980/37, 1982/221 ua). Schon in den Gesetzesmaterialien werde aber zum Ausdruck gebracht, daß gerade die Mißachtung der Vorrangregelung eine häufige Unfallsursache sei (vgl. Dittrich-Stolzlechner, Straßenverkehrsordnung, Anm. 38 zu § 16 (1980)). Der Oberste Gerichtshof habe in einem Fall, wo der von rechts Kommende gegenüber dem Linksüberholer nach § 19 Abs 4 StVO benachrangt gewesen sei, ein Mitverschulden des Linksüberholers wegen verbotswidrigen Überholens auf der ungeregelten Kreuzung angenommen (ZVR 1981/222). Auch Vorrangverletzungen des vom Überholer aus gesehen von links kommenden Verkehrsteilnehmers - wie hier vorliegend - seien im Straßenverkehr aber häufig zu beobachten und hätten offenkundig ihre Ursache oft darin, daß der Benachrangte das Überholmanöver nicht rechtzeitig, sondern erst dann wahrnimmt, wenn er bereits in den bevorrangten Straßenzug einzufahren begonnen habe. Auch aus diesem Grund sei das Linksüberholen auf ungeregelten Kreuzungen gefährlich. Nach Auffassung des Senates müsse der Schutzzweck der Norm des § 16 Abs 2 lit. c StVO mit Rücksicht auf die gebotene Unfallsprophylaxe wesentlich weiter als bisher gesehen werden, ähnlich, wie dies nach der Rechtsprechung bei sonstigen Überholverboten der Fall sei (siehe etwa ZVR 1984/162). Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Normverstoß und Unfallsgeschehen sei daher auch im Anlaßfall zu bejahen. Die aufgezeigten Normverstöße rechtfertigten es, dem Kläger ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalles im Ausmaß von einem Drittel anzulasten. Daraus ergäbe sich die aus dem Spruch ersichtliche Schadensteilung bzw. Teilabänderung des Ersturteiles.

Wegen des Abweichens der Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Höchstgerichtes erklärte das Berufungsgericht allerdings die Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO als zulässig.

Gegen dieses Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision des Klägers mit dem auf Wiederherstellung des Ersturteils gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht selbst angeführten Grund zulässig und auch berechtigt.

In seiner Rechtsrüge wendet sich der Revisionswerber gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, ihm sei ein Mitverschulden an dem Unfall anzulasten.

Rechtliche Beurteilung

Ausgehend von der den Obersten Gerichtshof im Hinblick auf die gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge treffende Verpflichtung zur allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen ist vorerst davon auszugehen, daß ein Mitverschulden des Geschädigten nach ständiger Rechtsprechung nicht von Amts wegen wahrzunehmen ist (EvBl 1958/41 und 254; JBl 1958, 603; ZVR 1960/233; EvBl. 1962/248; JBl. 1967, 320; ZVR 1973/1, 1978/167 uva). Der Mitverschuldenseinwand, der schon im Verfahren erster Instanz zu erfolgen hat (ZVR 1960/233), muß zwar nicht ausdrücklich erhoben werden, es genügt vielmehr ein Sachverhaltsvorbringen des Schädigers, dem zu entnehmen ist, daß ein Verschulden des Beschädigten behauptet wird (EvBl 1962/248; JBl 1967, 36 und 320; ZVR 1973/1, 1978/167 ua), und worin dieses zu erblicken wäre, wobei dem Schädiger die Beweislast obliegt (JBl 1958, 603; SZ 37/151 und 55/104 ua), und jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit zu Lasten des Behauptungs- und Beweispflichtigen geht (ZVR 1976/194, 1979/58, 1981/84 uva). Mit diesen von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Leitlinien ist aber der vom Berufungsgericht herangezogene Grundsatz, wonach überschießende Feststellungen in der Entscheidung verwertet werden dürfen, unvereinbar, zumal dieser Grundsatz nur in jenen Fällen anwendbar ist, in welchen der Amtswegigkeit des Gerichtes im Rahmen seiner allseitigen rechtlichen Beurteilung keine Grenzen gesetzt sind.

Das Tatsachenvorbringen der Beklagten, auf das sie ihren Mitverschuldenseinwand in erster Instanz stützte, erschöpft sich in dem Vorwurf der Einhaltung einer unzulässigen überhöhten Geschwindigkeit, der Durchführung eines Überholmanövers trotz Gegenverkehrs sowie in einer verspäteten Reaktion des Klägers. Der in der Klagebeantwortung gebrachte - im Verfahren jedoch nicht erhärtete - Hinweis auf die "starke Einengung der E***** Straße an der Unfallsstelle im Hinblick auf das Vorhandensein der Brücke" wurde in der Folge nicht mehr releviert und kann somit außer Betracht bleiben. Die Behauptung, der Kläger hätte trotz Gegenverkehr überholt und darüber hinaus verspätet reagiert, konnte die Beklagte im Verfahren nicht beweisen. Nach den für die rechtliche Beurteilung allein maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen hat der Kläger nicht verspätet reagiert und herrschte für den Kläger kein Gegenverkehr. Ein im Hinblick auf die ungeregelte Kreuzung unzulässiges Überholmanöver (§ 16 Abs 2 lit. c StVO) hat die Beklagte dem Kläger nicht zum Vorwurf gemacht. Aber selbst wenn man das gesamte Vorbringen der Beklagten als auch auf diese Gesetzesstelle gestützten Mitverschuldenseinwand auffassen wollte, wäre für die Beklagte nichts gewonnen, weil der Oberste Gerichtshof sich trotz der Ausführungen des Berufungsgerichtes nicht veranlaßt sieht, von seiner nun schon als ständig anzusehenden, vom Berufungsgericht zutreffend dargestellten Rechtsprechung abzugehen. Das Berufungsgericht verkennt das Wesen des Rechtswidrigkeitszusammenhanges, wenn es zwar den Normzweck des § 16 Abs 2 lit. c StVO - eine Sichtbehinderung nach rechts zu vermeiden, weshalb bloß Zusammenstöße mit von rechts in die Kreuzung einfahrenden Fahrzeugen vorgebeugt werden

sollte - richtig wiedergibt, in der Folge jedoch unter Hinweis auf die mit der Mißachtung von Vorrangregeln im allgemeinen verbundenen Gefahren und die Rechtsprechung zu sonstigen Überholverboten den Schutzzweck des hier zu erörternden Überholverbotes auf inkongruente Schäden, also auf Schäden auszudehnen versucht, die durch die Norm des § 16 Abs 2 lit. c StVO aufgrund ihrer ratio gar nicht verhindert werden sollten. Daß die Vorschrift des § 16 Abs 2 lit. c StVO nicht der Verkehrssicherheit im allgemeinen dient und der Schutzzweck dieses Überholverbotes nicht der Sicherung eines von links kommenden Verkehrsteilnehmers dient, wurde auch von der Lehre nicht kritisiert (vgl. Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 11 und 12 zu § 1311; Welser, Der OGH und der Rechtswidrigkeitszusammenhang, ÖJZ 1975, 1 f). Auch der Hinweis des Berufungsgerichtes auf die Entscheidung ZVR 1981/222 geht ins Leere, weil in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall der vom Gesetz geforderte Rechtswidrigkeitszusammenhang ohnehin, nämlich im Hinblick darauf bestanden hatte, daß der andere Verkehrsteilnehmer von rechts gekommen war. Da die Beklagte hier für den Kläger ein von links kommender Verkehrsteilnehmer war, diente die vom Kläger tatsächlich verletzte Norm des § 16 Abs 2 lit. c StVO nicht ihrem Schutz.

Der Revisionswerber erachtet sich somit zu Recht dadurch beschwert, daß ihm das Berufungsgericht einen Verstoß gegen diese Norm als Mitverschulden angelastet hat.

Mit Recht bekämpft der Kläger aber auch die Annahme eines Mitverschuldens wegen seines Verstoßes gegen § 20 Abs 2 StVO. Im Sinne der die Beklagte treffende Beweislast ist - mit den Vorinstanzen - zugunsten des Klägers davon auszugehen, daß er im Zuge des Überholmanövers eine Fahrgeschwindigkeit von 55 km/h erreicht hat. Abgesehen davon, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eine geringfügige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gegenüber einer gravierenden Vorrangverletzung derart in den Hintergrund tritt, daß sie bei der Schadensausgleichung nach § 11 EKHG vernachlässigt werden kann und die Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h bis zu 5 km/h als geringfügig angesehen hat (vgl. ZVR 1983/303: 2 km/h; ZVR 1990/114 und 1976/25: 5 km/h), die Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 8 km/h hingegen nicht mehr vernachlässigt wurde (vgl. ZVR 1983/53), es somit wohl vertretbar wäre, die vom Kläger hier an den Tag gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung - insbesondere im Hinblick auf das an die langgezogene Rechtskurve anschließende etwa 1 km lang gerade verlaufende Straßenstück - gegenüber der der Beklagten anzulastenden Vorrangverletzung zu vernachlässigen, hat der Kläger - wie das Erstgericht zutreffend erkannte - den ihn von der Mithaftung befreienden Beweis erbracht hat, daß der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte (vgl. MGA ABGB33 § 1311 E 39. und 40.). Das Erstgericht hat somit in der vom Kläger eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit mit Recht keinen Grund für ein Mitverschulden des Klägers erblickt.

Insoweit das Berufungsgericht ausgehend von der von dem vom Kläger überholten Fahrzeug eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit (45 km/h) dem Kläger zum Vorwurf macht, er hätte im Hinblick auf die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit den Überholvorgang überhaupt nicht einleiten dürfen, weil die zulässige Geschwindigkeitsdifferenz für den im Gesetz vorgeschriebenen kurzen Überholvorgang zu gering gewesen wäre (§ 16 Abs 1 lit. b StVO), hat das Berufungsgericht übersehen, daß die Beklagte ihren Mitverschuldenseinwand auf einen solchen Verstoß des Klägers gar nicht gestützt hat; die amtswegige Wahrnehmung desselben war aber - wie dargetan - unzulässig.

Da das Berufungsgericht somit zu Unrecht zu einem Mitverschulden des Klägers am Zustandekommen des Unfalles gelangt ist, erweist sich die Revision im Sinne der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung als berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E25928

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0020OB00014.91.0426.000

Dokumentnummer

JJT_19910426_OGH0002_0020OB00014_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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