TE OGH 1991/5/7 11Os30/91

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Veröffentlicht am 07.05.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Mai 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zacek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Roland B***** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach den §§ 201 Abs 1 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12.Dezember 1990, GZ 5 c Vr 4.930/90-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, des Angeklagten Roland B***** und des Verteidigers Dr. Gahleithner zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, daß die Tat laut B./I/1/ des Schuldspruches mit schwerer Gewalt begangen wurde, in der Beurteilung dieser Tat als Verbrechen der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs 1 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Roland B***** hat durch die Tat laut B./I/1/ des Schuldspruches das Verbrechen der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs 2 StGB begangen und wird hiefür sowie für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches weiterhin zur Last liegenden Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs 1 StGB (in der Fassung vor der Strafgesetznovelle 1989) laut Punkt A./, der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach den §§ 201 Abs 1 und 15 StGB laut Punkt B./I/2/ sowie Punkt B./I/3/ sowie Punkt B./II/ und der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach den §§ 201 Abs 2 und 15 StGB laut Punkt C./ gemäß dem § 201 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von viereinhalb Jahren verurteilt. Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft wird aus dem Ersturteil übernommen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Roland B***** (zu A./ des Urteilssatzes) des in einem Fall begangenen Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs 1 StGB (in der Fassung vor der Strafgesetznovelle 1989), (zu B./ des Urteilssatzes) des Verbrechens der in drei Fällen vollendeten, in zwei Fällen versuchten Vergewaltigung nach den §§ 201 Abs 1 und 15 StGB und (zu C./ des Urteilssatzes) des Verbrechens der in einem Fall vollendeten, in sechs Fällen versuchten Vergewaltigung nach den §§ 201 Abs 2 und 15 StGB schuldig erkannt.

Der Angeklagte bekämpft mit seiner auf den Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde (lediglich) die Subsumtion der fünf Taten laut Faktengruppe B./ des Schuldspruches als (drei vollendete und zwei versuchte) Vergewaltigungen nach dem § 201 Abs 1 StGB. Er nimmt dabei den Standpunkt ein, daß in diesen Fällen die minderschwere Strafbestimmung für Vergewaltigung nach dem § 201 Abs 2 StGB heranzuziehen sei, weil hier (Fakten B./I/1/ sowie B./II/1/) die eingesetzte Gewalt nicht das Ausmaß einer "schweren" erreicht habe bzw. (Fakten B./I/2/, B./I/3/ sowie B./II/2/) die gebrauchten Drohungen zwar mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben einhergegangen seien, aber mangels festgestellter Glaubhaftigkeit keine "schwere Gefahr" angekündigt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Soweit sich die Anfechtung auf das Faktum B./II/1/ bezieht, liegt keine prozeßordnungsmäßige Rechtsrüge vor, weil das Erstgericht überhaupt nicht vom Einsatz schwerer Gewalt anläßlich des Vergewaltigungsversuches ausging, sondern auf Grund von Tatumständen, die zwar nicht im Urteilsspruch, aber rechtlich wirksam in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kamen (SSt 56/47), eine dem Tatbestandserfordernis des § 201 Abs 1 StGB entsprechende Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben annahm. Dabei bezog es sich darauf, daß der Angeklagte die zu Boden gestoßene und mit Schlägen mißhandelte Frau zweimal mit dem "Umbringen" bedroht hatte (US 17 f und 27). Demgemäß weicht die Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Punkt auf eine bei der Geltendmachung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes unzulässige Weise vom Urteilsinhalt ab; sie kämpft zudem gegen eine rechtliche Annahme an, die dem Schuldspruch nicht zugrundeliegt. In diesem Umfang geht die Rüge somit ins Leere.

Der für die Erledigung der übrigen Einwände maßgebende Unterschied zwischen den Tatbeständen der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs 2 StGB einerseits und nach dem § 201 Abs 1 StGB andererseits liegt im Gewicht der Tatbegehungsmittel, welche im Fall des § 201 Abs 2 StGB der Einsatz von Gewalt, die Entziehung der persönlichen Freiheit oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben sein können. Bei dem der höheren Strafdrohung unterliegenden Fall des § 201 Abs 1 StGB sind hingegen die Tatbegehungsmittel auf insoweit speziell abgehobene Gewaltakte und Drohungen beschränkt, die für das Opfer besonders drückende Zwangswirkungen entfalten, weil sie sich direkt gegen die betroffene Person richten und außerdem als "schwere" Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger "schwerer" Gefahr für Leib oder Leben in Erscheinung treten. Unter schwerer Gewalt im Sinn des § 201 Abs 1 StGB ist die Anwendung überlegener physischer Kraft zu verstehen, die einen höheren Grad der Intensität oder Gefährlichkeit erreicht. Schwere Gewalt liegt demnach bei brutalen oder rücksichtslosen Aggressionshandlungen vor, beispielsweise solchen, mit denen in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, bei denen gefährliche Waffen verwendet werden oder Gewalt gegen besonders gefährdete oder empfindliche Körperregionen ausgeübt wird. Eine Gewaltausübung ist ferner auch dann als schwer anzusehen, wenn ihre Gefährlichkeit oder Intensität zwar nicht das erwähnte Ausmaß erreicht, aber doch so nachhaltig ist, daß sie durch ihre längere Dauer eine gleichartige Wirkung wie eine "an sich schwere" Gewalt zu entfalten vermag. Die einem solchen Gewaltakt rechtlich gleichgestellte Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben besteht in der glaubhaften Androhung des unmittelbar bevorstehenden Eintritts des Todes oder einer im § 106 Abs 1 Z 1 StGB bezeichneten körperlichen Beeinträchtigung oder der glaubhaften Androhung der Lebens- und Gesundheitsgefährdung durch die dort genannten oder gleichwertige Mittel (vgl. hiezu den JAB zur StGNov 1989, 927 BlgNR 17.GP).

Aus dieser rechtlichen Sicht erweist sich nur der Einwand des Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch im Faktum B./I/1/ als gerechtfertigt. Hingegen versagt die gegen den Schuldspruch in den Fakten B./I/2/ sowie B./I/3/ sowie B./II/2/ erhobene Rechtsrüge.

Durch die dem Schuldspruch im Punkt B./I/1/ zugrunde liegende Tat sah das Erstgericht einen schweren Gewaltakt im Sinn des § 201 Abs 1 StGB verwirklicht, weil der Angeklagte die Frau zu einem 10 m entfernten Gebüsch zog, sie dort unter Herbeiführung von (ersichtlich leichten) Beinverletzungen zu Boden warf und (vor sowie während des erzwungenen Mundverkehrs) so fest am Kopf hielt, "daß sie nicht auskonnte" (US 12 f und 26). Bei der rechtlichen Wertung dieses Tatverhaltens ist darauf Bedacht zu nehmen, daß jeder Gewaltanwendung zur Vergewaltigung ein bestimmtes Maß brutaler und rücksichtsloser Aggression innewohnt, die entsprechenden Handlungselemente also erst nach Reduktion auf den deliktsnotwendigen Unrechtsanteil eine brauchbare Beurteilungsgrundlage dafür abzugeben vermögen, ob der Täter Gewalt oder aber schwere Gewalt angewendet hatte. Nach den bereits dargelegten Kriterien ist bei dieser Differenzierung auf die gesteigerte Intensität und Gefährlichkeit des kriminellen Vorgehens abzustellen. Angewendet auf den vorliegenden Fall, übertrifft die vom Angeklagten zu Faktum B./I/1/ geübte Gewalt die solchen Taten grundsätzlich eigene nicht in einem Maße, daß bereits von "schwerer Gewalt" iS des § 201 Abs 1 StGB gesprochen werden kann.

In diesem Punkt war daher der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Folge zu geben und die Tat als Vergewaltigung nach dem § 201 Abs 2 StGB zu beurteilen.

Bei den Fakten B./I/2/, B./I/3/ und B./II/2/ ist nach den unbekämpft gebliebenen und damit für den Obersten Gerichtshof bindenden Konstatierungen des Erstgerichtes davon auszugehen, daß die Äußerungen des Beschwerdeführers unter den festgestellten Tatumständen die Bedeutung von Drohungen mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben hatten. In jedem dieser Fälle (US 18, 19 und 21) wurde das jeweilige Tatopfer von dem maskierten Angeklagten zunächst überfallsartig körperlich attackiert und damit tätergewollt (US 26) in eine Situation gebracht, die den Todesdrohungen enthaltenden Äußerungen des Angreifers besonderen Nachdruck verlieh. Bestimmte Modalitäten, welche die aus dem äußeren Ablauf folgende Glaubhaftigkeit der Drohungen beeinträchtigt haben könnten, sind nicht ersichtlich und wurden vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet.

Die gegen den Schuldspruch in den Fakten B./I/2/, B./I/3/ und B./II/2/ ins Treffen geführten Feststellungsmängel liegen darum nicht vor.

Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten teilweise Folge zu geben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Ausspruch, daß die Tat laut Punkt B./I/1/ des Schuldspruches mit schwerer Gewalt begangen wurde, in der Beurteilung dieser Tat als Verbrechen der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs 1 StGB sowie im Strafausspruch aufzuheben und in der Sache selbst wie im Spruch zu erkennen.

Bei der Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof die mehrfache Tatwiederholung sowie das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen als erschwerend und berücksichtigte demgegenüber das umfassende Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, das Alter unter 21, zum Teil auch unter 19 Jahren zur Tatzeit, sowie den Umstand als mildernd, daß es in einzelnen Fakten beim Versuch blieb.

Unter Zugrundelegung dieser im wesentlichen bereits vom Erstgericht herangezogenen Strafzumessungsgründe erschien dem - zufolge Berufung der Staatsanwaltschaft innerhalb des Strafrahmens nicht gebundenen - Obersten Gerichtshof eine Freiheitsstrafe in der Dauer von viereinhalb Jahren als eine dem hohen Handlungsunwert sowie dem gravierenden sozialen Störwert der zahlreichen Straftaten des Angeklagten angemessene Sanktion.

Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft wurde aus dem Ersturteil übernommen.

Mit ihren Berufungen waren Roland B***** und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E26111

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0110OS00030.91.0507.000

Dokumentnummer

JJT_19910507_OGH0002_0110OS00030_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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