TE OGH 1991/5/7 11Os45/91

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Veröffentlicht am 07.05.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Mai 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zacek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Roland S***** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach dem § 297 Abs. 1 (zweiter Fall) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12.September 1990, AZ 22 Bs 354/90, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 12.September 1990, AZ 22 Bs 354/90, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 364 Abs. 1 Z 1 StPO.

Gemäß den §§ 292, 288 Abs. 2 Z 1 StPO wird dieser Beschluß aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes St.Pölten vom 4. Mai 1990, GZ 18 E Vr 769/89-15, wurde Roland S***** des Verbrechens der Verleumdung nach dem § 297 Abs. 1 (zweiter Fall) StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer - gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe verurteilt.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärte Roland S*****, daß er sich drei Tage Bedenkzeit vorbehalte (S 285). Die Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels endete somit am 7.Mai 1990, die (schriftliche) Rechtsmittelanmeldung wurde jedoch erst am 8. Mai 1990 beim Landesgericht St.Pölten überreicht (S 301). Das Oberlandesgericht Wien wies daher mit Beschluß vom 12.Juli 1990, AZ 22 Bs 278/90 (ON 19 des Vr-Aktes), der dem Verteidiger am 24. Juli 1990 zugestellt wurde (siehe Rückschein auf S 321), die - auch ausgeführte - Berufung des Roland S***** (als verspätet angemeldet) zurück.

Mit dem am 27.Juli 1990 beim Landesgericht St.Pölten eingelangten Schriftsatz (ON 22) beantragte Roland S***** die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Berufungsanmeldung, weil die Anmeldung durch ein einmaliges Versehen einer bisher stets verläßlichen Kanzleiangestellten seines Verteidigers bei Gericht um einen Tag zu spät überreicht worden sei. Das Versehen war darauf zurückzuführen, daß Rechtsanwalt Dr. W***** P*****, der eine Kanzleigemeinschaft mit dem Verteidiger des Roland S***** unterhalte, zwar die Streichung des von einem Konzipienten eingetragenen und fälschlich auf den 8. Mai 1990 als Fristende lautenden Terminvormerks unter gleichzeitiger Neueintragung eines entsprechenden richtigen in der Spalte für den 7.Mai 1990 (mit dem Zusatz: "Postaufgabe neu") veranlaßt habe. Die Postaufgabe der Rechtsmittelanmeldung noch am 7. Mai 1990 sei dessenungeachtet unterblieben, weil es die (damit zunächst auch schon beauftragt gewesene, aber wegen ihrer massiven Inanspruchnahme an diesem Tag überlastete, ansonsten aber immer verläßliche) Kanzleiangestellte verabsäumt habe, den erhaltenen Auftrag an ihre sie bei der Postabfertigung vertretende Kollegin weiterzugeben. Diese Bedienstete übersah auf Grund der - gleichwohl durchgestrichenen - ursprünglichen Eintragung (für den 8.Mai 1990) den neuen Terminvormerk (für den 7. Mai 1990) und legte die Rechtsmittelanmeldung in ein Fach, das für Schriftstücke bestimmt war, die erst am Folgetag bei Gericht überreicht werden sollten.

Das Oberlandesgericht Wien verweigerte Roland S***** mit Beschluß vom 12.September 1990, AZ 22 Bs 354/90 (ON 24 des Vr-Aktes), die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider den Ablauf der Frist zur Rechtsmittelanmeldung, weil der Verteidiger nicht nur für die Eindeutigkeit von Fristenvormerken hafte, sondern auch durch organisatorische Maßnahmen dafür vorzusorgen gehabt hätte, daß bei der damaligen Arbeitsüberlastung der verläßlichen Kanzleiangestellten die Postabfertigung nicht einer minder erfahrenen Kraft überlassen bleibe.

Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. September 1990, AZ 22 Bs 354/90, steht - wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Abgesehen davon, daß Rechtsanwalt Dr. H***** H***** der gemäß § 41 Abs. 2 StPO beigegebene Verteidiger des Roland S***** war (S 235), traf Rechtsanwalt Dr. W***** P***** ohnedies für eine sachgerechte Richtigstellung des ursprünglich falschen Terminvormerkes Vorsorge: Denn er konnte auf Grund der von ihm veranlaßten Streichung der fehlerhaften Eintragung und der Einsetzung des richtigen Termins zu Recht der Meinung sein, die Unrichtigkeit des seinerzeitigen Fristenvormerks hinreichend klargestellt zu haben. Zudem ging das Oberlandesgericht davon aus, daß der Konzipient, von dem der fehlerhafte Fristenvormerk stammte, die Rechtsmittelanmeldung der erwähnten verläßlichen Kanzleikraft am 7.Mai 1990 mit dem ausdrücklichen Auftrag aushändigte, diesen Schriftsatz noch am selben Tag eingeschrieben zur Post zu geben (S 333). Angesichts einer solchen Vorsorge für die rechtzeitige Postaufgabe durch einen Angehörigen der Kanzleigemeinschaft und den Konzipienten kann daher schon insoweit von einem schuldhaften Versäumnis des Verteidigers nicht die Rede sein. Nicht anders verhielte es sich mit dem Umstand, daß die verläßliche Kanzleikraft sich wegen des damaligen Arbeitsanfalls bei der Postabfertigung von einer Kollegin mit geringerer Praxis vertreten lassen mußte. Denn die Versäumung der Anmeldefrist wäre durch die gebotene, tatsächlich aber unterlassene Information an die Vertreterin leicht zu vermeiden gewesen. Dieses für das Verstreichen der Rechtsmittelanmeldungsfrist entscheidende Versehen der sonst verläßlichen Kanzleikraft bildete einen für einen Verteidiger (und seinen Mandanten) unabwendbaren Umstand, durch den ihm die Wahrung der Frist ohne sein Verschulden unmöglich gemacht wurde; es stellt nach ständiger Rechtsprechung einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund im Sinn des § 364 Abs. 1 Z 1 StPO dar (zuletzt 13 Os 98,99/90 uva).

Da der Angeklagte überdies die Frist von vierzehn Tagen wahrte (§ 364 Abs. 1 Z 2 StPO), die im gegebenen Fall ab der Zustellung des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien auf Zurückweisung der verspätet angemeldeten Berufung lief (SSt 51/18), wäre unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens die Wiedereinsetzung zu bewilligen gewesen.

Es war daher der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Beschwerde stattzugeben,

jedoch - abweichend von deren Antragstellung - nicht sofort in der Sache selbst zu entscheiden, sondern vielmehr dem Oberlandesgericht Wien, das aus seinen dargestellten Erwägungen die Gesuchsbehauptungen nicht überprüft hatte, aufzutragen, die zur Bescheinigung der Richtigkeit des Vorbringens angebotenen Beweise (Vernehmung der in der Kanzlei des Verteidigers tätigen Personen, allenfalls Beischaffung einer Ablichtung des Kanzleikalenders für 7. und 8.Mai 1990) aufzunehmen und sodann neuerlich über den Wiedereinsetzungsantrag (und die damit verbundene Berufung) zu entscheiden.

Anmerkung

E25845

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0110OS00045.91.0507.000

Dokumentnummer

JJT_19910507_OGH0002_0110OS00045_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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