TE OGH 1991/5/28 5Ob44/91

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Veröffentlicht am 28.05.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Floßmann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft A***** reg.Gen.m.b.H., ***** vertreten durch Dr. Ulrich Brachtel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Rudolf S*****, vertreten durch Dr. Roland Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 7. Dezember 1990, GZ 41 R 768/90-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 2. Juni 1990, GZ 8 C 2339/89-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution die mit S 2.899,20 (darin enthalten S 483,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei ist Eigentümerin des Reihenhauses in ***** Wien, D*****straße 39. Dieses Haus wurde bis 1970 von Maria N***** genutzt, die dort mit ihren Söhnen Rudolf S***** (geb. 1945) und Werner S***** sowie ihrem Bruder Rudolf S***** sen. (geb. 1924) lebte. Nach ihrem Tod erhielt Rudolf S***** sen. die Nutzungsbefugnisse am Haus, nachdem die Söhne der Erblasserin zu seinen Gunsten darauf verzichtet hatten.

Rudolf S***** sen. ist am 9.3.1989 gestorben, worauf dem bereits 1974 letztwillig zum Alleinerben berufenen Beklagten (seinem Neffen Rudolf S***** jun.) mit Beschluß des Verlassenschaftsgerichts vom 28.6.1989 der Nachlaß eingeantwortet wurde. Bereits im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens hatte dieser in einem Schreiben an die klagende Partei erklärt, gemäß § 9 Abs 1 der genossenschaftlichen Satzung die Geschäftsanteile des Erblassers zu übernehmen, wobei er gleichzeitig um Aufnahme in die Genossenschaft und Zuerkennung der Nutzungsrechte am streitgegenständlichen Haus ersuchte. In diesem (vom Anwalt des Beklagten verfaßten) Schreiben heißt es wörtlich:

"Herr S***** (der Beklagte) sollte bereits im Jahr 1970 als Erbe seiner Mutter Maria N***** die Rechtsnachfolge hinsichtlich des Siedlungshauses antreten, hat jedoch in der Folge - einem nicht schriftlich festgelegten Wunsch der Verstorbenen entsprechend bzw. auch aus Zweckmäßigkeitsgründen, da ihn sein Onkel damals noch beherbergt hat - zu Gunsten des mittlerweile Verstorbenen verzichtet, welcher damals seinerseits in die Rechte eingetreten ist; es war jedoch von Anfang an beabsichtigt - und wird dies durch das Testament aus dem Jahr 1974 dokumentiert -, daß der Verzicht nur zeitlich begrenzt sein sollte und die Rechte am Siedlungshaus für den Fall der Nichtbeanspruchung durch seinen Onkel jedenfalls wieder an meinen Mandanten - selbstverständlich vorbehaltlich der Zustimmung seitens der Organe der Genossenschaft - zurückfallen sollten".

Daß der Beklagte nach dem Tod seines Onkels die Nutzungsrechte am streitgegenständlichen Haus wiedererhalten sollte, war zwar intern zwischen den beiden abgesprochen, eine diesbezügliche Vereinbarung mit der klagenden Partei wurde jedoch nicht getroffen.

Am 26.5.1989 kündigte die klagende Partei der Verlassenschaft nach Rudolf S***** sen. das genutzte Reihensiedlungshaus samt Hausgarten und Zubehör unter Berufung auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG zum 31.8.1989 gerichtlich auf, weil das Nutzungsobjekt leerstehe und es keine iS des § 14 Abs 3 MRG eintrittsberechtigte Person gebe. Mittlerweile wurde die Bezeichnung der gekündigten Partei auf den Beklagten als den eingeantworteten Erben berichtigt.

Dieser erhob fristgerecht Einwendungen gegen die Kündigung, die er damit begründete, im Hinblick auf die mit seinem Onkel getroffene Vereinbarung eintrittsberechtigt zu sein; außerdem sei die Kündigung "fristverfehlt", weil nach den Satzungsbestimmungen die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft erst Ende des Jahres 1989 erlösche und deren Beendigung unabdingbare Voraussetzung für die Auflösung des Nutzungsvertrages sei.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten zur Räumung und Übergabe des Nutzungsobjekts, weil ihm als Neffen des Nutzungsberechtigten kein Eintrittsrecht zustehe. Der weitere Einwand, daß wegen der über den 31.8.1989 hinaus andauernden Mitgliedschaft des Beklagten bei der klagenden Partei eine Aufhebung des Nutzungsvertrages zu diesem Termin gar nicht möglich sei, fand in den Rechtsausführungen des Erstgerichtes keinen Niederschlag; auf ihn konzentriert sich die jetzt vorliegende Revision.

Das Berufungsgericht hielt auch diesen Einwand für unberechtigt. Es bezog sich dabei auf den festgestellten und auch nicht als ergänzungsbedürftig erkannten Sachverhalt, der die maßgebliche (mehrmals zitierte) Satzungsbestimmung als offensichtlich bekannt inkludiert. Sie befindet sich als Beilage 1 bei den Akten und lautet wie folgt:

"§ 9.

(1) Geschäftsanteil

Stirbt ein Mitglied vor dem 30.September, erlischt die Mitgliedschaft am Ende des laufenden, sonst am Ende des darauffolgenden Jahres. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Erben bei sonstigem Verlust der Mitgliedschaft des Erblassers bzw. der Verlassenschaft eine Person namhaft zu machen, welche an Stelle des Erblassers dessen Geschäftsanteil übernimmt, wenn die Genossenschaft sie als Mitglied aufnimmt.

(2) Bei der Auflösung einer juristischen Person oder einer Handelsgesellschaft erlischt ihre Mitgliedschaft mit dem Schlusse des Geschäftsjahres, in dem die Auflösung erfolgt ist.

(3) Nutzungsvertrag

Für die Auflösung des Nutzungsvertrages und das Eintrittsrecht in einen Nutzungsvertrag gilt § 20 Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz

(WGG)."

Den darauf aufbauenden Argumenten des Beklagten hielt das Berufungsgericht die Gesetzesänderungen entgegen, die durch das

1. WÄG eingetreten sind. Es treffe zwar zu, daß zur früheren Gesetzeslage die Auffassung vertreten wurde, die Verlassenschaft oder die Erben eines Genossenschaftsmitgliedes könnten im Anwendungsbereich der fraglichen Satzungsbestimmung selbst bei Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG vor Aufhebung der Mitgliedschaft nicht zur Räumung des Nutzungsobjektes verhalten werden, weil dies dem offenkundigen Normzweck widersprechen würde, den Erben Verhandlungen über die Person eines auch der Genossenschaft genehmen Rechtsnachfolgers zu ermöglichen (MietSlg 35.697); nach der ersatzlosen Aufhebung des § 20 Abs 2 alt WGG durch das 1.WÄG (BGBl 1987/340) könne jedoch dieser Standpunkt nicht mehr aufrechterhalten werden. Zumindest seit diesem Zeitpunkt sei klar, daß jeder mit einer gemeinnützigen Bauvereinigung abgeschlossene Miet- und Nutzungsvertrag dem MRG unterliegt, soweit dies in § 1 Abs 3 MRG vorgesehen ist, weil diese Bestimmung ja nur die Anwendung des WGG ermöglichen solle (Würth, Erstes Wohnrechtsänderungsgesetz und Fragen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, WoBl 1988, 62). Aus der Tendenz des Gesetzgebers, die Nutzungsverträge den Mietverträgen fast völlig anzugleichen, sei auf eine bewußte Streichung des § 20 Abs 2 alt WGG zu schließen, woraus wiederum folge, er habe auch genossenschaftliche Nutzungsverhältnisse dem grundsätzlich taxativ angelegten Katalog des § 29 MRG voll unterwerfen wollen (Würth aaO 63). Darum könne auch dann mit einer Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG gegen die Verlassenschaft oder die Erben vorgegangen werden, wenn deren Mitgliedschaft nach den Bestimmungen der Satzung noch nicht beendet ist.

Das Berufungsgericht gelangte so zu einer Bestätigung des Ersturteils, erklärte allerdings die ordentliche Revision für zulässig, weil noch keine höchstgerichtiche Judikatur zur Frage vorliege, ob die aufrechte Mitgliedschaft auch nach der neuen Rechtslage einer Aufkündigung des Nutzungsvertrages nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG entgegenstehe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte fristgerecht Revision mit dem Antrag erhoben, es dahingehend abzuändern, daß die streitgegenständliche Aufkündigung für rechtsunwirksam erklärt wird. Von der klagenden Partei liegt dazu eine rechtzeitig erstattete Revisionsbeantwortung mit dem Antrag vor, das Berufungsurteil zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Auch der Revisionswerber bestreitet nicht, daß die Aufhebung des § 20 Abs 2 alt WGG durch das 1.WÄG im Zuge einer weiteren Angleichung von Nutzungs- und Mietverträgen erfolgte. Er vertritt jedoch den Standpunkt, daß dabei nicht an eine Beseitigung oder Schmälerung der wenigen, für den Nutzungsberechtigten günstigeren Bestimmungen gedacht war. Das Wesen eines Nutzungsvertrages, den ja das Gesetz nach wie vor anerkenne, liege eben darin, daß die von einer Genossenschaft eingeräumten Nutzungsrechte an die Mitgliedschaft gebunden seien, was naturgemäß eine Kündigung bei aufrechter Mitgliedschaft ausschließe. Die Anwendung der Kündigungsschutzbestimmungen auf den Nutzungsvertrag setze nur die Tendenz des früheren § 20 Abs 2 WGG fort, den Schutz der Genossenschaftsmitglieder zu verstärken, indem man für ihren Ausschluß die gesetzlichen Kündigungsgründe verlangt. Damit sei der dem § 9 der Satzung innewohnende Zweck, Zeit für die Namhaftmachung eines geeigneten Rechtsnachfolgers zu gewinnen, nach wie vor gegeben. Unabhängig davon nehme die Satzung auf die Fassung des WGG vom 8.3.1979 Bezug, konkret auf den damals geltenden § 20 Abs 2 WGG, der somit Vertragsinhalt geworden sei und so wie der gesamte Inhalt der Satzung hätte bedacht werden müssen.

Diesen Argumenten ist folgendes entgegenzuhalten:

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes stützt sich auf die Lehre, die überzeugend dargelegt hat, daß die Aufhebung des § 20 Abs 2 alt WGG durch das 1.WÄG Teil einer systematischen Angleichung zwischen Miet- und Nutzungsverträgen war (vgl Würth, Erstes Wohnrechtsänderungsgesetz und Fragen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, WoBl 1988, 63; Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19 706 f). Folgerichtig können jene Unterschiede in der Behandlung von Miet- und Nutzungsverträgen nicht mehr aufrechterhalten werden, die die Judikatur aus der nunmehr aufgehobenen Gesetzesbestimmung abgeleitet hat.

Im Geltungsbereich des WGG 1940 war die auch jetzt noch vom Beklagten vertretene Auffassung herrschend, daß das im Nutzungsvertrag eingeräumte Recht, eine Wohnung zu nutzen, ein Ausfluß des Mitgliedschaftsrechts des Genossenschafters sei.

Durch § 20 WGG 1979 wurde dieser Zusammenhang jedoch zerrissen:

Die Kündigungsbeschränkungen des MG waren sinngemäß anzuwenden (Abs 1); die Ausschließung eines Mitgliedes bewirkte die Auflösung seines Nutzungsvertrages nur dann, wenn der Ausschließungsgrund einem wichtigen Kündigungsgrund des MG gleichzuhalten war (Abs 2). Das MRG ist dann noch weiter gegangen und stellte in § 1 Abs 1 klar, daß "unter Mietvertrag auch der genossenschaftliche Nutzungsvertrag, unter Mietzins auch das aufgrund eines genossenschaftlichen Nutzungsvertrages zu bezahlende Nutzungsentgelt verstanden wird". Es gibt also noch den Begriff "Nutzungsvertrag"; die rechtliche Bedeutung der Unterscheidung zwischen Miet- und Nutzungsvertrag ist jedoch schon seit dem WGG 1979 auf immer weniger werdende Ausnahmen beschränkt (vgl Weinberger, Mietrechtsgesetz und Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, in Korinek-Krejci, HB zum MRG, 547 f).

Die Judikatur hat daraus schon vor dem 1.WÄG den Schluß gezogen, daß Mitgliedschaft und Nutzungsbefugnis nicht immer uno actu aufgehoben werden müssen. Es sei möglich, daß der Nutzungsvertrag trotz Aufhebung der Mitgliedschaft zur Genossenschaft weiterbesteht, wenn es an einem wichtigen Grund iS des § 20 Abs 2 (alt) WGG fehlt; ebenso aber, daß die Genossenschaft anstelle einer Aufhebung der Mitgliedschaft und Einbringung einer Räumungsklage mit Aufkündigung des Nutzungsvertrages vorgeht (MietSlg 35.697; MietSlg 36.690). Dennoch hielt man grundsätzlich an der konditionalen Verknüpfung zwischen dem Mitgliedschaftsrecht des Genossenschafters und seinem Nutzungsrecht an der überlassenen Wohnung fest. Der Begriff "Aufhebung" in der hier interessierenden Bestimmung des § 20 Abs 2 WGG vor dem 1.WÄG wurde nämlich vom historischen Gesetzgeber zur Verdeutlichung des Umstandes verwendet, daß die Beendigung der Mitgliedschaft zur Bauvereinigung durch die Genossenschaft wirksam den Nutzungsvertrag aufhebt (Bericht des Bautenausschusses zur RV-WGG 1979, nachzulesen bei Meinhart, Auszug aus den Materialien zum WGG, WoBl 1991, 105). Im Vordergrund stand dabei immer noch die Überlegung, den Nutzungsvertrag des Genossenschafters - auch bei Vorliegen von Kündigungsgründen - über eine Aufhebung seiner Mitgliedschaft beenden zu müssen. Die Judikatur ließ daher die Aufkündigung auch nach dem Inkrafttreten des MRG nur für den Fall zu, daß sie nicht durch Satzung oder Vertrag ausgeschlossen war, und versagte der Genossenschaft bei Ableben des Nutzungsberechtigten eine Kündigung aus dem Grund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG, solange die Mitgliedschaft des ruhenden Nachlasses oder des eingeantworteten Erben auf Grund der Satzung noch andauerte (MietSlg 35.697; vgl auch MietSlg 39/54 = WoBl 1988, 71).

Diesem Festhalten an einem eigenständigen Nutzungsrecht des Genossenschafters, das regelmäßig mit seinem Mitgliedschaftsrecht verknüpft ist und nur ausnahmsweise ein eigenes Schicksal haben kann, ist durch die ersatzlose, im Zuge eines fortschreitenden Angleichungsprozesses zwischen Miet- und Nutzungsverträgen erfolgte Aufhebung des § 20 Abs 2 alt WGG der Boden entzogen (vgl Würth aaO; Würth-Zingher aaO). Der hier maßgebliche § 20 Abs 1 WGG idF des 1.WÄG ordnet - unter anderem - schlicht die Anwendung der §§ 29 und 30 MRG auf genossenschaftliche Nutzungsverträge an, beseitigt also insoweit alle Unterschiede zum Mietvertrag, auch den, daß in der Regel (erst) die Aufhebung der Mitgliedschaft den Nutzungsvertrag beendet. Eine Absicht des Gesetzgebers, die Unterscheidung zwischen Miet- und Nutzungsverträgen wenigstens soweit aufrechtzuerhalten, als sie den Genossenschaftern Vorteile bringen, läßt sich nicht erkennen. Die Gesetzesänderungen zielten eindeutig darauf ab, gleiche Regelungen für alle Mieter und genossenschaftlichen Nutzungsberechtigten zu schaffen, da sie ja auch in gleichem Maß schutzbedürftig sind.

Das zweite, auf die Satzung gestützte Argument des Beklagten ist wohl so zu verstehen, daß er meint, die klagende Partei habe durch eine statische Verweisung auf § 20 WGG idF vom 8.3.1979 eine Rechtslage geschaffen, die den ehemaligen Abs 2 dieser Gesetzesbestimmung als eine ihn begünstigende Sondernorm bestehen lasse, weshalb die Aufkündigung gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG nach wie vor grundsätzlich die Aufhebung der genossenschaftlichen Mitgliedschaftsrechte voraussetze. Vor dem Ablauf des Moratoriums zur Namhaftmachung eines Rechtsnachfolgers des verstorbenen Genossenschaftsmitglieds und Entscheidung über dessen Aufnahme in die Genossenschaft könne daher nicht wirksam gekündigt werden.

Auch dieser Argumentation ist nicht zu folgen.

Soweit der Beklagte seine Rechtsansicht auf andere Satzungsbestimmungen als den oben wiedergegebenen § 9 gründet (konkret auf § 2 Abs 2 und 3 der Satzung), ist daran zu erinnern, daß er dem Gericht nur die Seiten 6 und 7 (§§ 7 bis 10) der genossenschaftlichen Satzung vorgelegt hat (Beilage 1). Die in § 271 ZPO festgelegte Pflicht des Gerichtes, das anzuwendende Recht zu ermitteln, erstreckt sich nämlich nicht auf rechtsgestaltende Erklärungen und Akte, die von Rechtssubjekten im Rahmen der ihnen von der Rechtsordnung eingeräumten Privatautonomie gesetzt werden, also auch nicht auf Satzungen von Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften (vgl Fasching III 276 und IV 328). Da es eine Tatfrage ist, ob derartige Akte gesetzt wurden und wie ihr genauer Wortlaut und Inhalt ist (Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz 1919), wäre es Sache des Beklagten gewesen, dem Gericht alle jene Satzungsbestimmungen vorzulegen, aus denen er seine vom dispositiven Gesetzesrecht abweichende Meinung herleitet. Hier kann nur untersucht werden, ob § 9 der Satzung seinen Rechtsstandpunkt bestätigt.

Die Interpretation dieser Satzungsbestimmung hat sich an §§ 6, 7 ABGB zu orientieren. Obwohl sie auf privatautonomer Rechtssetzungsbefugnis beruhen, sind nämlich Gesellschafts- und Genossenschaftssatzungen wie Gesetze auszulegen, weil im Hinblick auf die nicht geschlossene Zahl der Mitglieder die Allgemeinheit als Erklärungsempfänger aufzufassen ist. Maßgebend ist in solchen Fällen, welchen Willen des Normgebers der unbefangene Leser dem Vertragstext entnehmen kann, nicht aber, was der Normgeber darüber hinaus seinerzeit gewollt hat (Posch in Schwimann I, Rz 39 zu § 6 ABGB; SZ 47/78).

Dem Beklagten ist zuzugeben, daß die Judikatur den § 9 der fraglichen Satzung als eine durch § 54 Abs 2 Satz 2 GenG gedeckte Regelung verstanden hat, die - auch zugunsten nicht eintrittsberechtigter Personen - eine Kündigung des Nutzungsvertrages ausschließt, solange die Mitgliedschaft des Verstorbenen nicht erloschen ist (MietSlg 39/54 mwN). Eine solche Bestimmung könne nämlich nicht dahin verstanden werden, daß während der noch fortbestehenden Mitgliedschaft des Nachlasses oder der Erben des Verstorbenen über die Fortsetzung mit einer von ihnen namhaft gemachten Person verhandelt werde, gleichzeitig aber schon die Auflösung des Nutzungsvertrags möglich sei (MietSlg 35.697). Der Beklagte könnte außerdem für sich ins Treffen führen, daß die Lehre an dieser Judikatur nicht so sehr den Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit bis zum Ablauf des den Erben gewährten Moratoriums kritisierte, sondern die grundsätzliche Anerkennung von Auflösungsgründen außerhalb des § 29 MRG (Würth aaO, WoBl 1988, 63; Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht2, Anm 3 zu § 20 WGG). Damals stand jedoch der mittlerweile aufgehobene § 20 Abs 2 alt WGG noch in Geltung, der einen Zusammenhang zwischen Aufhebung der Genossenschaftsmitgliedschaft und Auflösung des Nutzungsvertrages herstellte. Daß diese Regelung zufolge einer statischen Verweisung als Vertragsbestimmung weiterhin anzuwenden wäre, wie der Beklagte behauptet, läßt sich dem § 9 der Satzung nicht entnehmen. Eine solche Weitergeltung käme gemäß § 21 Abs 1 WGG nur insoweit in Frage, als sie die nutzungsberechtigten Mitglieder der klagenden Partei gegenüber Mietern mit dem Schutz des MRG nicht benachteiligt, wäre also letztlich eine Begünstigung, obwohl den Normgebern der Satzung nicht unterstellt werden kann, daß sie den Wohnungsbenützern mehr Rechte zugestehen wollten, als ihnen das Gesetz abverlangte (vgl Würth aaO, WoBl 1988, 63, nach dessen Ansicht eine solche Interpretation in offenem Widerspruch zur historischen Entwicklung stünde). Diesen Intentionen käme eine dynamische Verweisung auf § 20 WGG näher als eine statische, weshalb sich jedenfalls mit den vorhandenen Auslegungsinstrumentarien keine Präferenz für die vom Beklagten behauptete Version feststellen läßt. Dazu kommt, daß eine an den §§ 6 und 7 ABGB orientierte Auslegung normativer Regelungen immer auch auf den Einklang mit höherstufigem Recht zu achten hat (Posch aaO, Rz 27 mwN). Das Problem, das hier zu lösen ist, geht wie viele andere auf die vormals unterschiedliche Behandlung von Miet- und genossenschaftlichen Nutzungsverträgen zurück, die der Gesetzgeber durch eine Angleichung der Schutzbestimmungen für Mieter und Nutzungsberechtigte überwinden wollte. Der - bezogen auf dieses Verfahren - letzte Schritt dazu war, den in § 20 Abs 2 alt WGG enthaltenen Hinweis auf eine konditionale Verknüpfung zwischen Mitgliedschaft und Nutzungsberechtigung des Genossenschafters zu beseitigen. Das vom Beklagten gewünschte Interpretationsergebnis würde das Gegenteil bewirken und ist daher bei gesetzeskonformer Auslegung der fraglichen Satzungsbestimmung abzulehnen. Die scheinbar gegenteilige Judikatur ist durch die geänderte Gesetzeslage überholt.

Aus allen diesen Gründen war wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E27087

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0050OB00044.91.0528.000

Dokumentnummer

JJT_19910528_OGH0002_0050OB00044_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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