TE OGH 1991/7/4 6Ob558/91

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Veröffentlicht am 04.07.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elke K*****, Angestellte, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte*****, wider die beklagte Partei Dr. Wolfgang M*****, Facharzt für plastische Chirurgie und Wiederherstellungschirurgie, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt*****, wegen

S 10.000,-- (Revisionsinteresse) und

S 50.000,-- (Rekursinteresse), infolge Revision und Rekurses der beklagten Partei gegen das Urteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 5. Februar 1991, GZ 6 R 285/90-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 20. März 1990, GZ 2 Cg 127/89-13, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision und dem Rekurs wird nicht Folge gegeben. Die Kostenentscheidung über das Revisionsverfahren bleibt der Endentscheidung vorbehalten; die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin unterzog sich zur Verkürzung der Kinnpartie ihres Gesichtes am 9. Oktober 1986 und 2. April 1987 je einer plastischen Operation und hat hiefür das vereinbarte Honorar von S 20.000,-- dem Beklagten bereits bezahlt.

Mit dem Vorbringen, die erste Operation habe gegenüber dem ursprünglichen Zustand überhaupt keine Verbesserung, vielmehr eine Verschlechterung durch eine Verzerrung der Unterlippe gebracht, die zweite vom Beklagten deshalb ohne zusätzliches Honorar nicht ordnungsgemäß durchgeführte Operation habe den zwischen den Streitteilen festgelegten Erfolg ebenfalls nicht erzielt, begehrte die Klägerin den Ersatz der Operationskosten von S 20.000,--, ein Schmerzengeld von S 50.000,-- und eine Verunstaltungsentschädigung von S 10.000,--. Der Beklagte habe die Klägerin nicht über die Folgen der Operationen aufgeklärt und diese zudem nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Er schulde daher die begehrten Beträge aus dem Titel des Schadenersatzes.

Der Beklagte wandte ein, die Klägerin sei umfassend auch dahin aufgeklärt worden, daß das Ergebnis einer kosmetischen Operation im vorhinein nicht exakt und den Wünschen des Patienten voll entsprechend bestimmbar sei. Die Eingriffe seien lege artis erfolgt. Das Ergebnis, das die Klägerin erreichen habe wollen, nämlich eine Verkleinerung der Kinnpartie, sei erreicht worden.

Das Erstgericht wies die Klage unter Zugrundelegung der folgenden wesentlichen Feststellungen ab:

Die Klägerin wünschte eine Verkleinerung der Kinnpartie und gleichzeitig eine Verbreiterung der Unterlippe durch eine kosmetische Operation. In vier Besprechungsterminen wurden die medizinischen Möglichkeiten und der Ablauf der Operation ausführlich erörtert. Der Beklagte zeichnete auf einem Foto der Klägerin im Maßstab 1 : 1 mit einer strichlierten Linie die mögliche Kinnreduktion ein. Es ist nicht feststellbar, daß der Beklagte in diesem Zusammenhang gesagt hätte, daß diese Einzeichnung nur eine ungefähre Richtlinie sei. Daß die Operation auch mißlingen könnte, wurde nicht besprochen.

Am 9. Oktober 1986 fand die Operation durch Entfernen von Weichteilen am Kinn statt. Die Unterlippe wurde korrigiert. Bei der Operation kam es durch ein Abrutschen mit dem Skalpell zu einer Perforation am Kinn, ein Vorfall, der immer wieder passieren kann und der nach der ärztlichen Kunst noch innerhalb der tolerierbaren Norm liegt. Die Operation erfolgte insgesamt lege artis. Das Ergebnis war aber nicht befriedigend, die Kinnreduktion wurde bei weitem nicht erreicht. Bei der Lippe zeigte sich eine Asymmetrie, die wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, daß entweder die Operationsstelle nicht richtig angezeichnet wurde oder sich die Zeichnung in der Folge verwischte. Das Lippenrot der Unterlippe im linken Anteil ist ca. 3 mm tiefer als auf der rechten Seite. Dies ist kosmetisch auffallend, aber keineswegs eine schwerwiegende Entstellung. Die Asymmetrie kann durch einen kleinen operativen Eingriff mit großer Sicherheit korrigiert werden. Die 4 mm lange durch die Perforation entstandene kleine Narbe ist kosmetisch belanglos und aus einer Entfernung von einem halben Meter schon nicht mehr sichtbar.

Weil das Ergebnis nicht zufriedenstellend war, einigten sich die Streitteile auf eine weitere Operation, für welche der Beklagte kein Honorar verrechnete. Diese brachte keine Änderung im Bereich der Unterlippe. Die Kinnreduktion wurde verbessert, erreicht jedoch im Ergebnis nur etwa 50 % der auf dem Foto der Klägerin als möglich eingezeichneten Reduktion. Wenn auch das gewünschte Ziel nicht erreicht wurde - ein Festlegen auf ein exaktes Ziel ist allgemein unüblich -, erfolgte die Behandlung durch den Beklagten der ärztlichen Kunst gemäß. Spätestens im Sommer 1987 erkannte die Klägerin das mangelhafte Ergebnis der Operation.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, bei einem Vertrag zwischen Arzt und Patient werde ein Erfolg nicht zugesagt. Ein Werkvertrag stehe vor allem dann im Vordergrund, wenn die vom Arzt geschuldete Leistung von physiologischen und psychologischen Faktoren des Patienten unabhängig erbracht werden könne. Der Beklagte habe zwar mit der auf dem Foto eingezeichneten Linie ein gewisses Ergebnis vorgegeben, eine Beurteilung der Erfolgsaussichten sei jedoch erst bei der Operation möglich. Ein allfälliger Gewährleistungsanspruch sei verfristet. Auch ein Schadenersatzanspruch sei nicht gegeben, weil dem Beklagten auch keine mangelnde Aufklärung angelastet werden könne. Es hieße die Anforderungen überspannen, wollte man den Arzt verpflichten, den Patienten auch auf ein mögliches Mißlingen der Operation hinzuweisen, weil dies eine psychologische Belastung für den Patienten vor der Operation bedeuten würde. Im übrigen sei kein Schaden, sondern gegenüber dem ursprünglichen Zustand eine Verbesserung eingetreten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Mit Teilurteil erkannte es den Beklagten schuldig, der Klägerin S 10.000,-- (die Hälfte des erhaltenen Honorares) zu zahlen und wies ein Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 20.000,-- (zweite Hälfte des Honorares sowie die begehrte Verunstaltungsentschädigung) ab. Hinsichtlich des geltend gemachten Schmerzengeldes von S 50.000,-- hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß hinsichtlich des Teilurteiles die ordentliche Revision und hinsichtlich des Aufhebungsbeschlusses der Rekurs zulässig sei.

Rechtlich sei davon auszugehen, daß eine kosmetische Operation nicht lebensnotwendig gewesen sei. Der Umfang der Aufklärung sei hier besonders weit zu ziehen, sodaß kein Aspekt der Operation oder ihrer Folgen um eines höherwertigen Rechtsgutes willen verschwiegen werden durfte. Die mangelnde Aufklärung der Klägerin, daß die Operation ganz oder teilweise auch mißlingen könne, sei dem Beklagten vorzuwerfen. Das darin liegende Element der Rechtswidrigkeit lasse den Anspruch auf Schmerzengeld dem Grunde nach gerechtfertigt erscheinen. Auch das Operationsergebnis könne für die Klägerin nicht als wertlos betrachtet werden. Dies spreche für eine Vertragsanpassung im Sinne des § 872 ABGB, welche dem Preisminderungsanspruch als Rechtsfolge der Gewährleistung verwandt sei. Die Operation sei rite durchgeführt und der Beklagte müsse für einen objektiven Erfolg nicht einstehen. Eine "Art Preisminderung" müsse sich der Beklagte gefallen lassen; andererseits komme ihm die Teilerfüllung zustatten. Das Honorar sei daher um 50 % zu mindern. Eine Verunstaltungsentschädigung stehe nicht zu, weil die asymmetrische Lippe nicht entstellend sei, korrigiert werden könne und jedenfalls keine Beeinträchtigung des wesentlichen Fortkommens darstelle; hiezu habe die Klägerin auch keinerlei Prozeßbehauptungen aufgestellt. Zur Bemessung

des - anteiligen - Schmerzengeldes fehle es an ausreichenden Feststellungen, sodaß in diesem Umfang eine Aufhebung des Ersturteiles und eine Verfahrensergänzung erforderlich seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil § 502 Abs 2 ZPO idF der WGN 1989 für die Anfechtbarkeit nicht mehr wie nach der früheren Rechtslage auf den Anfechtungswert, sondern auf den Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, abstellt. Entscheidungsgegenstand in zweiter Instanz war ein Gesamtstreitwert von S 80.000,--, mag auch über einen Teil des Entscheidungsgegenstandes durch Urteil und über den restlichen Teil durch Beschluß entschieden worden sein. Gleiches gilt für die Rekurszulässigkeit nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO. Die Rechtsmittel sind jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung und Lehre, den ärztlichen Behandlungsvertrag als im Gesetz nicht näher typisiertes Vertragsverhältnis zu qualifizieren, auf Grund dessen der Arzt dem Patienten eine fachgerechte, dem objektiven Standard des besonderen Faches entsprechende Behandlung, nicht aber einen bestimmten Erfolg schuldet (SZ 57/98 mwN). Denn auch eine korrekte fachgemäße Behandlung kann den Heilerfolg nicht garantieren. Dies trifft auch auf kosmetische Operationen zu, die auf den ersten Blick gesehen einen bestimmten äußeren Erfolg zum Ziele haben. Denn auch eine solche Operation stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität dar, bei dem der Erfolg von physiologischen und psychologischen Faktoren des Patienten abhängt, die vom Arzt nicht von vornherein erkennbar und kalkulierbar sind. Auch dafür sind nicht nur rein technische und handwerkliche Fertigkeiten ausschlaggebend (vgl Krejci in Rummel ABGB Rz 15 zu §§ 1165, 1166). Die Anwendung von Gewährleistungsnormen auf das Ergebnis einer kosmetischen Operation ist daher - auch im Wege einer analogen Preisminderung bei nur teilweisem Erfolg, wie dies das Berufungsgericht versucht - ebenso abzulehen wie eine Vertragsanpassung nach § 872 ABGB.

Ein dem Arzt anzulastendes Fehlverhalten liegt dann vor, wenn er nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen ist oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt hat (JBl 1987, 104, 670 ua). Zu den unabdingbaren Pflichten des Arztes gehört auch die sorgfältige ärztliche Aufklärung. Die Anforderungen an den Umfang der Aufklärung des Patienten sind umso weitreichender, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. In einem solchen Fall ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (SZ 55/114; EvBl 1955/310 uva). Dies bedeutet aber, daß gerade bei einer kosmetischen Operation, zu welcher keine unmittelbare Notwendigkeit zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit besteht und die nur ein ganz bestimmtes Ziel der optischen Verbesserung des Aussehens hat, ohne jeden Zweifel die ausdrückliche Aufklärung erforderlich ist, daß dieses Ziel aus vom Arzt nicht beeinflußbaren physiologischen oder psychologischen Gründen ganz oder teilweise nicht erreicht werden könnte. Denn gerade bei einer nicht gesundheitlich indizierten Operation muß dem Patienten die Möglichkeit gegeben werden, frei zu entscheiden, ob er sich dem Eingriff auch dann unterziehen wolle, wenn dessen Ergebnis zweifelhaft ist. Dies wäre im vorliegenden Fall umso mehr geboten gewesen, als durch das Einzeichnen des Operationsergebnisses auf dem Foto der Klägerin bei dieser der Eindruck entstehen mußte, dieses Ziel werde auch tatsächlich erreicht werden.

Ärztliche Eingriffe in die körperliche Integrität eines Patienten ohne vorausgegangene ausreichende Aufklärung sind rechtswidrig und berechtigen zu Schadenersatz. Selbst eine ausdrückliche Zustimmung des Patienten ohne ausreichende Aufklärung macht diese unwirksam. Dem Beklagten bleibt in diesem Fall auch bei ordnungsgemäß durchgeführter Behandlung oder Operation nur der mögliche, aber von ihm nach strengem Maßstab zu erbringende Beweis, daß die Klägerin auch im Fall einer ausreichenden Aufklärung über ein geringeres Ergebnis ihre Einwilligung zu den Operationen gegeben hätte (SZ 59/18 mwN). Einen solchen Beweis hat der Beklagte nicht erbracht. Er haftet der Klägerin daher für den aus dem rechtswidrigen Verhalten entstandenen Schaden. Da durch die fehlerhafte Einwilligung der Vertrag hinfällig geworden ist, ist die Klägerin nicht nur berechtigt, Schmerzengeld nach § 1325 ABGB zu verlangen, sondern auch das geleistete Honorar zurückzufordern.

Es ist jedoch ein tragender Grundsatz des Schadenersatzrechtes, daß der Geschädigte sich den aus dem schädigenden Ereignis entstandenen Vorteil anrechnen lassen muß. Er soll nicht besser gestellt sein als vor dem Schadenseintritt. Nach den Feststellungen war das Ziel der Klägerin, eine Reduktion der Kinnpartie und damit ein besseres Aussehen zu erreichen. Dies ist zwar nicht in dem in Aussicht genommenen und von ihr erhofften Umfang, aber doch zu einem sehr wesentlichen Teil gelungen. Es erscheint daher billig, nach dem Grundgedanken der Vorteilsausgleichung diesen ihr zugute kommenden Vorteil im Sinne des § 273 ZPO durch eine Reduktion der Ersatzansprüche auf die Hälfte angemessen zu berücksichtigen. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes erweist sich daher im Ergebnis als richtig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E27108

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB00558.91.0704.000

Dokumentnummer

JJT_19910704_OGH0002_0060OB00558_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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